Fulbert Steffensky, Theologe am Vierwaldstättersee in Luzern fotografiert.Sophie Stieger
30.04.2011
7. Sonntag nach Trinitatis
Alle, die gläubig geworden waren, waren beieinander.
Apostelgeschichte 2,41-47

Der Bericht in der Apostelgeschichte über das Leben der ersten Christen ist ein in die Vergangenheit verlegter Zukunftstraum.

So war es wohl nie: dass die Mitglieder jener frühen Christengruppe Hab und Gut verkauft und den Erlös untereinander geteilt haben; dass in Mengen Wunder und Zeichen durch die Apostel geschehen sind; dass an einem Tag sich gleich 3000 Menschen haben taufen lassen.

Vielleicht 50 Jahre nach dem Pfingstereignis hat der Autor jenes Berichtes die erste Zeit der jungen Kirche beschrieben. Er hat ihn geschrieben in einer Zeit, als die Gemeinden schon ihre graue Alltäglichkeit hatten; als es Streit und Zank unter ihnen gab; als es Reiche und Arme unter ihnen gab und als die Reichen keineswegs geneigt waren, ihre Habe auszuteilen, „je nachdem es einer nötig hatte“.

Der Autor jenes Berichts seufzt nach einer Vergangenheit, die es wohl nie gegeben hat. Er seufzt nach einer Kirche, in der Liebe und Gerechtigkeit herrschen; in der man in der Lehre einig ist und in der man „Wohlgefallen beim ganzen Volk“ gefunden hat.

Diese Geschichte sagt uns, dass die Zeit des Gelingens noch aussteht

Die Geschichte ist nicht erzählt, weil es so war, sondern weil es so sein soll. Die Erinnerung sagt: „Es war einmal“, weil es einmal so sein soll und sein wird. Der geglückte Anfang verspricht das glückende Ende, so wie die Bauern bei ihren Aufständen gesungen haben: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ Sie haben mit dem guten Anfang das gute Ende behauptet.

Wie der Autor der Apostelgeschichte leben auch wir nicht in jener Zeit der ersten und reinen Kirche. Wir leben nicht mehr in der Zeit, in der die Gläubigen „beieinander“ waren; beieinander im Gebet, in der Freude, im Brotbrechen und im geteilten Hab und Gut.

Aber wir haben eine alte Erinnerung – wie auch immer sie historisch fundiert ist – und wir haben damit einen alten Traum: So soll es sein, so soll es wenigstens werden unter uns. Der alte Traum stört unsere Selbstverständlichkeit. Mit ihm ist es nicht mehr einleuchtend, dass wir sind, wie wir sind mit unserem Streiten, mit unserem nicht geteilten Brot und dem nicht geteilten Hab und Gut.

Diese Geschichte ist wie die Unruh einer Uhr. Sie treibt unsere Lebensuhr weiter und sagt uns, dass die Zeit des Gelingens noch aussteht und wir noch nicht in dem Land sind, in dem man wirklich wohnen kann.

Ihre Leichen im Keller lassen die Kirche nicht schlafen

Die Würde eines Menschen und einer Gruppe besteht auch darin, dass sie Geschichten wissen von einem Land, das noch nicht das hiesige ist. Wer sie kennt, ist sich selbst nicht mehr geläufig. Menschen macht nicht nur schön, was sie jetzt schon haben und können. Es macht sie auch die Sehnsucht schön, die sie aus der Gegenwart vertreibt, die noch nicht erlaubt, dass man „beieinander“ ist.

Die Kirche ist auch deshalb ein wundervoller Ort, weil ihre Leichen im Keller sie nicht schlafen lassen. Sie hat diese alten Erzählungen, die sie beunruhigen. Sie hat die großen Figuren in ihrer Geschichte – Franz von Assisi oder Elisabeth von Thüringen oder Dietrich Bonhoeffer, die dem Land schon nahegekommen sind, das für alle bewohnbar ist.

Es gibt selten einen Raum wie den der Kirche, in dem Trost und Unruhe so nahe beieinander wohnen. Die Kirche ist der Raum des Trostes Christi, und sie ist der Raum, in dem man die Schmerzen nicht verdrängt, weil wir noch nicht die sind, die wir sein sollen, und noch nicht da sind, wohin wir gehören.

Der Trost ohne die große Sehnsucht ist billig, die ungetröstete Sehnsucht verzweifelt.

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