Einfach wegducken geht nicht
Der Wahlerfolg der AfD muss alle auf den Plan rufen, die für eine Gesellschaft ohne Hass und Ausgrenzung sind
Irmgard SchwaetzerJulia Baumgart
25.10.2017

Dr. Irmgard Schwaetzer

Der im September gewählte Bundestag hat seine Arbeit aufgenommen. Vieles wird diesmal anders sein als bisher. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik werden dem Parlament auch Abgeordnete angehören, die den Holocaust relativiert ­haben, die die Erinnerung an die nationalsozia­listischen Verbrechen und die Aufarbeitung deutscher Schuld be­enden wollen. Eine offen nach außen getragene rechte Gesinnung, eine Parteiführung, die rassistisches und völkisches Gedankengut mancher Parlamentarier nicht nur duldet, sondern auch verteidigt: Sie sind neu im Bundestag.

Das fordert die Politik genauso heraus wie die Kirchen und die gesamte Zivilgesellschaft. Bewusst inszenierte Provokationen, die uns alle langsam an die rechten Regelverletzungen gewöhnen sollen, können und müssen im Parlament in offener Debatte benannt und zurückge­wiesen werden. Auch wir Bürgerinnen und Bürger müssen Position beziehen. Uns wegzuducken und zu schweigen vor rechten Parolen wäre eine Abkehr von der demo­kratischen Kultur unserer Gesellschaft. Wir müssen eintreten für das friedliche Zusammenleben, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.  

Nur selten haben Protestwähler bisher rechts gewählt

Eine Mehrheit derer, die dieser Partei ihre Stimme gegeben haben, sagt, dass sie mit den Inhalten nicht einverstanden sei. Ihre Wahlentscheidung sei ein Protest gegen die etablierte Politik. Da bleibt die Frage, warum sie ihren Protest an der Partei festgemacht haben, die im Wahlkampf mit rechten Parolen Stimmung gemacht hat.

Protestwähler hat es immer gegeben. Sie haben in ­seltenen Fällen rechte Parteien für ihren Protest gewählt. Dieser Ausdruck des Protests überdauerte bisher auch ­selten mehr als eine Legislaturperiode. Der Anlass des Protestes in diesem Jahr lässt sich direkter benennen: Er ist zum Teil entstanden oder verstärkt worden im Sommer 2015 nach der Ankunft so vieler Schutzsuchender und Flüchtlinge. Es zeichnete sich ab: Unsere Gesellschaft wird sich verändern. Aber unklar war und ist weiterhin, wie.

Abstiegsängste, Unsicherheit über die eigene Zukunft, das Gefühl, die eigene Lebensleistung würde nicht aner­kannt, ja sogar abgewertet, gefühlte Unsicherheit, Terror­angst – viel hat sich in den letzten Jahren aufgestaut und weist auf ein Versagen der Politik. Sie hat es nicht verstanden, in offenen Debatten und transparenten Ent­scheidungen Vertrauen in ihre Handlungsfähigkeit zu schaffen. Warum haben diese Wut und diese Frustration sich gerade in der Wahl einer rechten Partei ausgedrückt? Nur weil diese Partei in provozierender Weise die „richtigen Themen“ angesprochen hat? Es kann doch niemand sagen, er oder sie habe die Sprüche der Kandidatinnen und Kandidaten nicht gehört. Ein Ja ist ein Ja.

Auf dem Plakat stand: "Hass zerstört die Seele"

Es ist Zeit, über den Frust und die Wut zu reden, mit jedem und jeder, die dazu bereit sind, Wege zum friedlichen Zusammenleben zu finden. Das ist nicht einfach, aber ohne Alternative. Warum haben wir das nicht früher getan, wir, die Bürger, wir, die Kirchen? Die Synode der EKD beschäftigt sich seit Jahren mit rechtspopulistischen Gefährdungen bei unseren Mitgliedern. Dabei merken wir auch: Die Zurückhaltung ist groß, ernst zu nehmen, was es an versteckten antisemitischen, antimuslimischen, an rassistischen Haltungen tatsächlich gibt. Sie werden nur abgebaut, wenn über alle Probleme, Ängste und Unsicherheiten offen und vertrauensvoll gesprochen wird. Dazu muss es Raum geben. 

Im September habe ich an einer Kirche in Berlin ein Plakat gesehen mit der Aufschrift: „Hass zerstört die ­Seele.“ Es ist eine große Aufgabe, Wege zum Seelen­frieden zu finden.

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Sehr geehrte Frau Dr. Schwaetzer,

Das Grundproblem liegt m. E. im Fehlen von Regeln und Sanktionen. Justus Bender beschreibt in seinem Taschenbuch "Was will die AfD?" eine Ursache für das Auftreten der rechtspopulistischen Partei. Er vergleicht die Erscheinungen in der AfD mit Platons Tyrannei und zitiert Sokrates' Dialog mit Glaukon. Dies tut er aus der Perspektive eines Beobachters, der die Partei von innen erlebt hat, ohne selbst Mitglied gewesen zu sein. Im Grunde haben wir es mit Egoismus und fehlender Selbsterkenntnis auf politischer Ebene zu tun.

Wenn es in einer Partei schon als Despotismus verstanden wird, dass man Regeln einführt und durchsetzt, dann ist die Partei nicht regulierbar. In dieser Partei verlieren die Feinfühligen, Sachlichen und Ideologiekritischen; es gewinnen die radikalen Grobiane. Diejenigen, die man fürs demokratische Lager mit sachlichen Debatten zurückgewinnen könnte, gehen in der AfD unter.

Der Lösungsansatz wäre aus meiner Sicht: Regeln einführen und durchsetzen
und damit zeigen, dass Respekt und Ordnung mehr bringen
als das antiautoritäre Gehabe selbsternannter Volkstribune.
Eine "Freiheit", die die Freiheit Anderer mit Füßen tritt, ist keine Freiheit, sondern Egoismus.

Was brauchen wir? - Die gute alte goldene Regel.
Wir brauchen ferner ein breites Bündnis für das NPD-Verbotsverfahren,
ungeachtet der Prognosen auf Erfolg oder Misserfolg.
Es geht um die Signalwirkung: Hier ist eine Grenze überschritten.
Ich erwarte dafür insbesondere Unterstützung seitens der Bundesregierung.
Das Bundesverfassungsgericht kann mir gern sagen:
Eine Demokratie muss den Rechtsextremismus aushalten.
Ich will ihn aber nicht aushalten und damit bin ich beileibe nicht der einzige.

Ich erwarte eine wehrhafte Demokratie, die den Verfassungsschutz dort ansetzt,
wo er gesetzlich verpflichtet ist das Grundgesetz zu schützen,
nämlich bei Kräften, die die verfassungsmäßige Ordnung in Frage stellen.
Genau das tun manche Wortführer in der AfD nämlich, und zwar unverhohlen.

Ich bin normalerweise Unionswähler. Als ich jedoch gemerkt habe, dass die Union nicht mehr zu Frau Dr. Merkels Willkommenskultur steht, habe ich Splitterparteien gewählt.
Ich vermisse in der Union schmerzlich das klare Bekenntnis zum christlichen Umgang.
Wenn nicht die Union christliche Politik macht, wer dann?

Sehr geehrte Frau Schwaetzer, die Protestwähler die früher Die linke oder NPd gewählt haben wählten dieses Mal AfD weil Die Linke und NPD seit jahren immer das gleiche predigen. Die Linke wird auch als eine Partei wahrgenommen die unbeschränkt Migranten aufnehmen will. Wenn viele Bildungsbürger AfD dann aus folgenden Gründen:
Deutschland hat jetzt schon eine hohe Bevölkerungsdichte und viele Bürger sehen nicht ein warum immer noch mehr Menschen in dieses engbesiedelte Land strömen, egal welche Ethnie und aus welchen Gründen. Nur die AfD scheint dafür Verständnis zu haben.
Viele Leute sind es Leid , dass bestimmte Meinungsmacher, vor allen Dingen aus der alten Bundesrepublik, jeden mit deutschnationalen Ansichten als Nazi und jeden Israelkritiker als Antisemit stigmatisieren. Gegenüber "Rechts" braucht man nicht fair und tolerant zu sein.

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Es haben auch deshalb so viele Bürger eine rechtskonservative Partei gewählt, weil sie die fatale Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ablehnen , den unkontrollierten Zustrom hunderttausender islamischer Menschen nach Deutschland, und die Politik der etablierten Parteien nicht für alternativlos halten. Die christlichen Kirchen haben, so scheint es, mit dem Thema Flüchtlinge endlich ein probates Mittel gefunden, ihre Kernbotschaft der Nächstenliebe emotional neu aufzuladen. Sie hätten besser daran getan, dies schon viel früher zu tun und ihre Arbeit auf die wachsende Zahl der Armen in Deutschland zu konzentrieren.

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Sehr geehrte Frau Dr. Schwätzer,
in Ihrem Artikel springen Sie zu kurz, die Schelte gegenüber dem Wähler - er habe Menschen gewählt, die hasserfüllt sind und nationalistische Gesinnung insich tragen- trifft nicht den Kern.In der Bundesrepublik haben Menshen diese Partei gewählt, weil sie die Meinung vertreten, die angestammten Voklsparteien würden ihre Interessen nicht richtig vertreten, ist eine derartige Einstellung falsch ? Muß der Wähler immer nach dem Mainstream wählen und muß er immer das nachplappern, was ihm die Medien vorschlagen ?
Es kann nicht richtig sein, daß ua Ihre Kirche sich über die Gesetze hinwegsetzt und Kirchenasyl gewährt. (durchaus eine Form der Nächstenliebe,die sich in den Grundfesten der Kirche vorfindet.)
Während des 3. Reiches hat die Kirche zum großen Teil den Kopf eingezogen und nach dem Krieg fand sie nicht den Mut, die ehemaligen Nazimitläufer zu enttarnen, (Globcke, Filbinger, Dag Hammershjölt und viele mehr) Genauso hat es sich nach der Wiedervereinigung mit der DDR abgespielt, die ehemaligen Peiniger sitzen/saßen weiterhin fest im Sattel und die Gepeinigten hatten das Nachsehen.
Ncch verhält sich der rechte Flügel im Bundestag verfassungsrechtlich konform, solten sie abweichen, wird hoffentlich die Mehrheit im Bundestag den 90 Abgeodneten einen Riegel vorschieben

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Sehr verehrte Frau Schwaetzer, anscheinend haben Sie in Ihrer Umgebung nicht mitbekommen, dass der Kontrollverlust der Bundesregierung ab September 2015 gegenüber den zahllosen Einreisenden, der bis heute anhält (u.a. Blockade der Verwaltungsgerichtsbarkeit u.v.m.), das Schönreden dieses Verlustes von allen Parteien im Bundestag ("Willkommenskultur"), die sorgfältig vermiedene Diskussion im Bundestag und die undifferenzierte politisch korrekte Bezeichnung der Migranten als Flüchtlinge und Schutzsuchende zu dem Unmut gegenüber den Parteien im alten Bundestag und bei dem kleinen Prozentsatz der Wähler zur Wahl der AfD führte. Bei den Migranten handelt es sich auch um Schutz suchende Flüchtlinge. Aber wie groß ist deren Anteil an der Menschenflut ? Ein Teil der Wanderer sind nicht Schutzsuchende, sondern junge Abenteurer, auf der Suche nach besseren Chancen in Beruf, Gelderwerb, Gesundheitsversorgung und Bildung - und deren Dynamik ist nicht nur menschlich und gut zu verstehen, sondern sehr zu begrüßen. Aber empörend ist, dass das Asylrecht misbraucht wird und dass dies geduldet wird, auch von der evangelischen Kirche.
Der Migrationsdruck ist seit vielen Jahren bekannt. Und was hat der Aussenminister getan ? Was hat die Regierung getan ? Sich selbst und die hiesige Bevölkerung entpolitisiert und eingelullt und den Kontrollverlust durch Moral zugedeckt.
Wer legal aus Afrika oder Asien einreisen möchte, dem gibt dieses Land kaum eine Chance. Wer aber illegal einreist, bekommt Tränen zugeweint und kommt unberechtigterweise an sein Ziel. Das ist doch entsetzlich.
Wir Bürger werden zu Recht wegen Ordnungswidrigkeiten penibel zur Kasse gebeten, das aber scheint für "Schutz suchende" Abenteurer nicht zu gelten.
Was sagt denn der Küster in Ihrer Gemeinde mit seinem kleinen Einkommen gegenüber dem bedingungslosen Grundeinkommen der einreisenden Abenteurer ?
Wie sollte der Wahlbürger denn nun seine Meinung gegenüber den etablierten Parteien zur Geltung bringen? Leider war die AfD die einzige Alternative. Plötzlich nach der Wahl gibt es ein Erwachen bei den verantwortlichen Politikern (die wir Bürger ansonsten wegen ihres Fleißes und ihrer Bemühungen gar nicht genug ehren können). Mit freundlichen Grüßen.

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Die Frage, warum Menschen ihren Protest auf diese Weise ausdrücken, halte ich für sehr leicht zu beantworten. Irgendwelche Kleinstparteien zu wählen oder nicht zur Wahl zu gehen fällte heute nicht mehr auf. Sinkende Wahlbeteiligungen werden heute doch schon fast schulterzuckend zur Kenntnis genommen, was ich als politisch engagierter Mensch sehr bedauere. Ich glaube viele dieser Protestwähler haben sich wohl gedacht und gehofft, dass diese Art von Protest nicht überhört und übersehen wird, sondern die anderen Parteien mal so richtig aufschrecken würde.

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Wenn man, wie z.B. unsere Bundeskanzlerin, über Jahre hinweg die bestehenden sozialen Ungerechtigkeiten (z.B. Kinderarmut) und andere Missstände in unserem Lande ignoriert und darüber hinaus auch noch (humanitär nachvollziehbar) die Grenzen für ungeordneten Zuzug von Flüchtlingen ohne Beachtung bestehenden Rechts, ohne Beteiligung der zuständigen Entscheidungsträger und ohne Absprache mit den EU-Staaten öffnet, der darf sich nicht über Protestwähler innerhalb der AfD wundern, zumal diese offensichtlich davon ausgegangen sind, dass die "etablierten" Parteien zu entsprechenden Veränderungen nicht bereit oder in der Lage sind. In der Ignoranz ihrer sozialen und anderen Probleme sehen sie bei gleichzeitiger Öffnung unserer Grenzen für zum großen Teil "Wirtschaftsflüchtlinge" eine Gefahr für ihre und die Zukunft ihrer Kinder. Erst bei den durch das Wahlergebnis bei den Bundestagswahlen erzwungenen Koalitionsverhandlungen scheinen die Politiker Kenntnis von den alltäglichen Problemen weiter Teile der Bevölkerung zu nehmen. Erst wenn daraus die richtigen Folgerungen gezogen werden, kann der AfD der Wind aus den Segeln genommen werden.

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