Große Erwartungen in die Wiege gelegt
Jesus in der Krippe: Große Erwartungen in die Wiege gelegt
Andree Volkmann
Hoffnung in der Wiege
Große Erwartungen richten sich auf dieses Kind aus Nazareth. „Frieden auf Erden“ ist nur eine davon
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
21.11.2016

Das glauben Eltern gern: Aus ihrem Kind wird einmal wer ganz Be­sonderes. „Das Kind sieht so intelligent aus“, sagt eine Mutter über ihren zwei Wochen alten Säugling. Einen Charmeur erkennt der Vater im ersten ungelenken Lächeln des Kleinen. Kaum hat das Baby die Augen geöffnet und scheint im Raum umherzuschauen, deuten sie dies als erste Vorzeichen späterer wissenschaftlicher Neugier. Der kann mal unsere Firma ­übernehmen, sagen sie zu Freunden, die zur Geburt des Kindes gratulieren. Und spätestens jetzt fangen amerikanische Familien an, für das Studium des Kindes zu sparen. Kaum ist der Winzling auf der Welt, setzt die Familie schon weit­reichende Hoffnungen in ihn. 

Bei einer jungen Mutter aus Nazareth in Galiläa ist das nicht anders. Maria erhält von einem Engel, Gabriel, die Nachricht, dass sie einen besonderen Sohn gebären wird: Er wird den Königsthron Davids besteigen und ewig herrschen. Maria nimmt das nach anfänglicher Skepsis begeistert auf und lässt ihrer Freude freien Lauf. Im sogenannten Lobgesang Marias sagt sie, was alles kommen wird: Dieses Kind wird als Erwachsener „die Gewaltigen vom Thron stoßen und die Niedrigen erheben“; „die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lukas 1,52–53). Ihre euphorischen Sätze passen gut zu den Ankündigungen der Engel nach der Geburt Jesu in Bethlehem. Dort gipfelt alles in der Ankündigung „Frieden auf Erden“. Jesus bringt das „Heil“, er ist der Retter. Weihnachten – darum geht es – ist der Inbegriff der Zukunftshoffnungen.

 „Herr, schaffe uns Hilfe, weil Menschenhilfe nichtig ist.“

Die Weihnachtsgeschichte ist urprotestantisch. Denn sie macht deutlich: Der versprochene Friede ist ein Geschenk Gottes. Deutlich betonen die Reformatoren: Dieser Frieden, dieses Heil sind nicht das Ergebnis menschlicher Leistungen. An dieser radikal biblischen Auf­fassung der Reformatoren reiben sich viele Menschen heute. Philipp ­Melanchthon, ein enger Weggefährte Martin Luthers, der Pädagoge unter den Wittenberger Reformatoren, zitiert in ­seinem Buch „Grundbegriffe der Theo­logie“ von 1521 geradezu programmatisch aus dem alttes­tamentlichen Psalm 108,13: „Herr, schaffe uns Hilfe, weil Menschenhilfe nichtig ist.“ (S. 199)

Die Reformatoren, Martin Luther voran, sehen (im Rückblick) diesen Jesus als Retter bereits konsequent im Alten Tes­ta­ment angekündigt. Das ist, historisch-kritisch betrachtet, eine Neuinterpreta­tion der Geschichte. Aber es ist literarisch sicherlich erlaubt, im Nachhinein etwas in alte Texte hineinzulesen. Lesen Christen die Weihnachtsgeschichte, klingt sie für sie wie die Erfüllung von Ankündigungen aus alten Geschichten. So sieht Melanchthon die Ankunft Christi bereits beim Propheten Sacharja angekündigt: „Jauchze, du Tochter Zion, juble, du Tochter Jerusalem! Siehe dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Retter, selbst ist er arm.“ (Kapitel 9) Diese alttestamentliche Aussage ist so stark, dass sie bis heute in einem Weihnachtslied überlebt hat.

Ein Satz, der alles sagt

Was ist froh an der Frohen Botschaft? Einerseits die Ankündigung, dass die ­sozialen und politischen Missstände beseitigt werden, das Unterste also nach oben gekehrt wird, andererseits, dass Gott das beschädigte Verhältnis der ­Menschen zu sich selbst repariert. Damals mehr als heute wird diese Beziehungsstörung als Sünde bezeichnet. Die Hauptbotschaft des „Evangeliums“, wörtlich übersetzt: der Frohen Botschaft, ist, so Philipp Melanchthon, dass der Herr „deine Sünde wegnimmt ... Könnte man sich ein evangelischeres Wort vorstellen als dies?“

Evangelium heißt Frohe Botschaft: Aber wie lautet die genau, und was ist das Frohe daran? Pastor Henning Kiene erzählt von der besten Nachricht, die man bekommen kann.

Wenn man will, kann man diesem ­Gedanken „einen Haufen evangelischer Erzählungen hinzufügen“. Aber mit ­diesem Satz ist alles gesagt. Das geht nun wirklich über die Hoffnungen hinaus, die sich auf all die Neugeborenen richten. Sie werden hoffentlich intelligent, berühmt, engagieren sich sozial oder politisch. Aber dass sie der Welt das „Heil“ bringen, das kann man nicht einmal als elterliche Übertreibung durchgehen lassen.

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Sehr geehrter Herr Kopp,

mit ungläugibem Staunen habe ich Ihre Feststellung gelesen: "Die Reformatoren ,. . . sehen  diesen Jesus bereits konsequent im AT angekündigt."  Es sind doch nicht erst die Reformatoren, sondern die gesamte erste Christenheit, die Jesus als Retter im AT angekündigt sah.

Es war doch nicht erst Melanchthon, der das Sacharja-Wort auf Jesus bezogen hat, sondern ganz klar Matthäus. Schon in seinem 2. Kapitel heißt es ja schon vier Mal "...auf daß erfüllet würde..." Nach dem Zeugnis der Evangelien hat Jesus selbst sein Kommen, Handeln, Leiden und Sterben als Erfüllung der Schrift des AT angesehen, genauso Paulus und die andern Autoren des NT.

Habe ich Ihre Ausführung mißverstanden?

Freundlichen Gruß,

J. Hildebrandt, Marburg.

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Sehr geehrter Herr Hildebrandt,

ich kann Sie nicht so recht verstehen. Im Text habe ich nirgends behauptet, dass nur oder erst die Reformatoren Jesus als Retter im AT angekündigt sahen. Da die fragliche Passage meines Textes von den Reformatoren, namentlich Melanchthon, handelt, liegt es nahe, hier auch den Bogen von ihnen zur Ankündigung des Retters zu schlagen. Ich schreibe auch: "Lesen Christen die Weihnachtsgeschichte, klingt sie für sie wie die Erfüllung von Ankündigungen aus alten Geschichten." Diesen Satz haben Sie möglicherweise überlesen.

 

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Sehr geehrter Herr Kopp,
„Die Weihnachtsgeschichte ist urprotestantisch“ – dieser Satz verwundert, solange nicht ergänzt wird: „und sie ist zutiefst katholisch!“. Immerhin war es Franz von Assisi, der im Jahr 1223 in Greccio als erster eine Weihnachtskrippe mit lebenden Tieren aufgestellt hat, in tiefer Verehrung für das Wunder der Menschwerdung Gottes in einem kleinen und hilflosen Kind. Kein Katholik wird zudem dem Satz widersprechen, daß der versprochene Friede ein Geschenk Gottes ist und daß das Heil, das mit Jesus in die Welt kommt, „nicht das Ergebnis menschlicher Leistungen“ ist – genau davon handelt u.a. die gesamte katholische Advents- und Weihnachtsliturgie.
Warum also hier den Schein einer Kontroverse erwecken und mit subkutaner Polemik interkonfessionelle Ressentiments schüren, wo es doch viel wichtiger ist, daß Christen aller Konfessionen das Wunder der Weihnachtsgeschichte feiern und in der Advents- und Weihnachtszeit gemeinsam darauf hinweisen, daß die biblische Weihnachtsbotschaft radikal der ökonomisch-kitschigen Umdeutung des Advents widerspricht, wie wir sie allerorts erleben?
Nichts gegen die tiefen und klugen Einsichten Melanchthons, aber auch er steht in einer langen und guten Tradition, die in die Zeit vor der Reformation zurückweist.
Sabine Doering

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Whow! soviel exegetische und kirchengeschichtliche Tradition unter den Teppich kehren, um dann Weihnachten ohne den Gottes Sohn zu feiern? Reformationsjubiläum sine Christus? Da ist es auf jeden Fall stimmig, Clowns mit roten Nasen als Repräsentanten zu inszenieren.

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Ich begrüße das neugeborene Kindelein in der Folge der "Reformation für Einsteiger". Es erweckt Hoffnung auf Diskussion. Ob sein erster Schrei nach dem moderierenden Eingriff seiner Eltern gehen wird? Ich werde es erleben. Zur Sache:
Laut Artikel gibt es eine gewöhnliche Hoffnung und eine gesteigerte, verschärfte Hoffnung. Die gewöhnliche Hoffnung zeigt sich, wenn bereits das Neugeborene aus Fleisch und Blut darauf hin taxiert und mit den entsprechenden Hoffnungen beladen wird, inwieweit es in der alltäglichen, umfassenden und lebenslangen martwirtschaftlichen Konkurrenz Erfolge einfahren wird. Intelligent und charmant wie Firmenerben es zu sein pflegen, sollte das Kleine schon sein. Auch wenn das wirkliche Nadelöhr weder von Klugheit noch Charme, sondern vom schnöden Vorhandensein einer florierenden Firma im Besitz seiner Eltern gebildet wird. Soweit zur gewöhnlichen Hoffnung gewöhnlicher Eltern gewöhnlicher Kinder. Wem meine Worte zynisch erscheinen, den bitte ich, sich zu fragen, wo hier der Zynismus liegt. Tatsächlich in meinem Hinweis auf die gesellschaftliche Wirklichkeit? Oder liegt der Zynismus ganz wo anders und zwar nicht in meinem Kommentar?
Die verschärfte Form Hoffnung zeigt sich bei der berühmten jungen Mutter aus Nazareth in Galiläa. Kein Wunder, nun ist Gott mit von der Partie. Jetzt wird es sicher kompliziert. Doch weit gefehlt! Es gibt laut Artikel einen Satz, der alles sagt. Das ist diskussionstechnisch sehr erfreulich. Und wie lautet der Satz? Zitat: "Die Hauptbotschaft des „Evangeliums“, wörtlich übersetzt: der Frohen Botschaft, ist, so Philipp Melanchthon, dass der Herr „deine Sünde wegnimmt ... ". Die Auslassungspunkte stammen nicht von mir, sondern stehen so da. Der Satz ist also das Satzfragment "deine Sünde wegnimmt". Das geht in der Tat weit über die übliche Hoffnung auf Konkurrenzerfolge hinaus. Bei der kleinen Hoffnung genügt es, einem landesüblichen Brauch zu folgen. Nämlich zwar sehr wohl zu wissen, dass die freiheitliche Konkurrenz jede Menge Verlierer und nur wenige strahlende Sieger hervorbringt, aber diesem ziemlich misslichen Umstand unverdrossen mit der Hoffnung zu begegnen, die eigenen Kinder würden es schon irgendwie auf das Siegertreppchen machen.
Bei der großen Hoffnung, also der berühmten Frohen Botschaft, sind zwei Zusatzleistungen gefragt, die es in sich haben. Erstens muss man sich die Ursachen für tägliche Beengung und Dürftigkeit bis hin zum Krieg vorstellig machen als "beschädigte(s) Verhältnis der Menschen zu sich selbst", Sünde eben. Zweitens muss man wissen, dass es Gott persönlich ist, der diese Sünde wegnimmt. Alles soweit klar, liebe Normalverdiener und Kriegstote? Dann geht mal auch in dieser Beziehung schön hoffen!
Ich hoffe auch. Nämlich darauf, dass mein Kommentar nicht der Moderation zum Opfer fällt, somit dem Herrn Adam Mair oder anderen Interessierten zu Augen kommt und die mir gründlich und evangelisch den Kopf waschen.
Thea Schmid

Ihre Aufforderung, Ihnen evangelisch den Kopf zu waschen, birgt die Gefahr, dass ich hinterher rote Finger habe werde. Obwohl, bei Ihnen ist es nicht Henna. Es wird also doch nicht abfärben. Seien Sie doch bitte nicht so misstrauisch gegenüber unserem evangelischen Moderationswesen! Ihr Kommentar wurde nicht wegmoderiert. Dass er eine Weile auf Freischaltung warten musste, kann ja auch ganz andere Gründe haben. Gut Ding braucht Weile. Zur Sache:
Aus Ihren Worten spricht eine, vorsichtig ausgedrückt, Geringschätzung der Hoffnung. Ist Hoffnung nicht was Schönes? Über Jahrhunderte bis Jahrtausende wurde auf das Kommen des Messias gewartet. Dann war einer da, über den es jüdisch-christlichen Disput gibt, ob er es war oder doch nicht. Die Debatte braucht keine große Rolle zu spielen. Die einen warten und hoffen eben immer noch auf den Messias. Die anderen warten und hoffen auf die Wiederkunft des Herren. Das lässt sich locker im gleichen Wartesaal absolvieren. Auch Atheisten können sich dazugesellen. Die müssen bisweilen auch hoffen und warten. Siehe J. Ringelnatz:

"War einmal ein Bumerang;
War ein Weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
Wartete auf Bumerang."

Warten und Hoffen heißt nach evangelischer Lesart, wie Sie sicher wissen, eben nicht Untätigkeit. Ganz im Gegenteil! Soziales und politisches Engagement ist gefragt. Steht im Artikel. Die Frohe Botschaft ist unter anderem die Ankündigung der Beseitigung sozialer und politischer Misstände. Steht auch im Artikel. Was soll es da noch zu meckern geben?
Mit evangelischem Gruß
Adam Mair

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Sie sprechen es erfreulich klar aus, lieber Herr Mair, wofür das Hoffen, insbesondere das Hoffen auf Gott, gut ist. Missstände sollen beseitigt werden. Wer von Missständen spricht, hat für das Ganze Partei ergriffen und kritisiert aus dieser Parteilichkeit heraus Aspekte des Ganzen. Der Missstand, dass der moderne deutsche Landser mit einem Gewehr schießen soll, dass bei Hitze oder Dauerfeuer angeblich um die Kurve schießt, ist nur für den ein Missstand, der für das Militär Partei ergriffen hat. Der Missstand, dass eine bekannte deutsche Autoschmiede sich beim systematischen großen Mogeln hat erwischen lassen, ist nur für den ein Missstand, der den deutschen Firmen Welterfolg in der Konkurrenz wünscht.
Wer den sozialen Missstand von zuviel prekärer Arbeit und Arbeitslosigkeit beklagt, hat längst Partei ergriffen für die wirtschaftliche Ordnung, wo jeder Mensch ohne hübsches Sach- oder Geldvermögen nur dadurch über die Runden kommt, dass er diesen Anderen bei der Mehrung ihres Vermögens hilft, indem er bei ihnen einen Job antritt. Wer den politischen Missstand beklagt, dass zu wenige wählen gehen und die, die es dann doch tun, prompt die Falschen wählen, hat längst Partei ergriffen für die Spaltung der Gesellschaft in die zur Verantwortungsübernahme, also Machtausübung, legitimierten Gewählten und die zum Gehorsam verpflichteten Wähler.
Wer also für sich und seinen Gott Beifall einfordert, weil das Beseitigen von Missständen auf der Agenda steht, will das Haus in Ordnung bringen. Bevor ich da in den erwarteten Beifall ausbreche, würde ich doch zuerst einen Blick darauf empfehlen, welches Haus hier missstandsärmer oder missstandsfrei gemacht werden soll.
Thea Schmid

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Vielleicht haben Sie, liebe Frau Schmid, im Artikel überlesen, dass "das Unterste also nach oben gekehrt wird". Wollen Sie da nicht anbeißen? Sie sollten nicht unterschätzen, was wir Christen, wenn wir davon reden, dass der Welt das "Heil" gebracht werden wird, alles darunter subsumieren können, wenn uns der Sinn danach steht.
Mit evangelischem Gruß
Adam Mair

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Nein, ich habe den an Aufmüpfigkeit anklingenden Schlenker keineswegs überlesen. Sein taktischer Gehalt ist kein Geheimnis. Wenn schon Missstandsbeseitigung, also das herrschaftsdienliche Behandeln der Konflikte zwischen oben und unten, den Kern des Angebotes ausmacht, so sollen doch auch die nicht ganz leer ausgehen, denen zu unten und oben etwas mehr einfällt als ein demokratisch und marktwirtschaftlich sauber geregeltes Verhältnis. Der Sache nach ist der Schlenker ein Widerspruch in sich. Unten wird nur dann nicht mehr unten bleiben, wenn sich die unten das Unten nicht mehr gefallen lassen. Das lassen sich die oben aber mit Sicherheit nicht gefallen. Also wäre Kampf angesagt. Da sei aber Gott vor. Deshalb soll die Hoffnung geschürt werden, dass Gott selber erledigt, was allgemein als Teufelswerk gilt.
Zweitens unterschätze ich keineswegs die Vielgestaltigkeit dessen, was sich Evangelische im Besonderen, Christen im Allgemeinen und sonstige Gläubige auf ihre Weise unter Heil oder den entsprechenden Begriffen anderer Religionen vorstellen. Im Gegenteil, diese Unbestimmtheit ist genau der Witz der Sache. Heil kann einfach nur großartig sein. Wer will denn schon Unheil haben? Und wenn das Heil dann glatt noch von höchster Stelle geliefert wird, kann es kein Halten mehr geben in der begeisterten Zustimmung. Genau so ist das auch gemeint. Und wenn dann alle wissen "Es ist das Heil uns kommen her / Von Gnad' und lauter Güte" (Paul Speratus, 1523, BWV 9), dann können die tatsächlichen Konflikte mit einer Wucht zum Austragen gebracht werden, dass es nur so kracht. Wer das Heil hinter sich, in sich, vor sich, neben sich oder über sich weiß, egal ob im Himmel oder in der Krippe, mit dem ist nicht zu spaßen. Da braucht man nicht nur an den IS zu denken.
Gleiches gilt für die Nächstenliebe. Wer da abwinkt, ist unten durch. Wer in ihrem Auftrag unterwegs ist, ist durch nichts mehr zu bremsen. Das ist hundsgefährlich. Man nennt das übrigens Idealismus.
Thea Schmid

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Kleine unsachliche Vorbemerkung: Ihr Hinweis auf BWV 9 lässt in mir das ziemlich aparte Bild aufsteigen, dass Sie zur höheren Ehre Gottes im Kirchenchor singen. Gut Ton! Zur Sache: Ich hoffe, Sie kennen noch einen Unterschied zwischen einem innige Weihnachtsweisen singenden hiesigen Standardbürger und einem IS-Kämpfer. Das mit dem Heil ist auf jeden Fall viel komplexer als Sie es hier darzustellen versuchen. Sie wissen doch auch, dass das Heil nicht einfach von höchster Stelle geliefert wird, sondern im Rahmen einer sehr ausgedehnten, sehr komplizierten und sehr umstrittenen Heilsgeschichte seinen Gang geht. Da können die Heilsempfänger laufend viel falsch machen. "Es ist das Heil uns kommen her" wird nicht einfach mit einem "Grüß Gott!" in Süddeutschland und einem "Guten Tag" in Norddeutschland begrüßt. "Wie soll ich dich empfangen / und wie begegn ich dir" (Paul Gerhardt 1653) ist da mindestens gefragt. (Sorry für die Retourkutsche, aber ich kenne auch ein paar Lieder!). Oder wollen Sie eine einfache Lösung anbieten? Ich hoffe doch nicht!
Mit evangelischem Gruß
Adam Mair

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Ich kenne viele Unterschiede zwischen einem IS-Kämpfer und einem Weihnachtsliedschmetterer. Ich kenne auch viele Unterschiede zwischen einer Ameise und einem Elefanten. Ich bin mir sicher, dass die lieben Zeitgenossen diese Unterschiede auch kennen. Deswegen ist es um so nötiger, auf die jeweiligen Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Elefanten und Ameisen haben beide einen Stoffwechsel, kennen Sinneseindrücke, Fortpflanzung usw. Sie sind beide Tiere. Das zu erkennen ist schwieriger, als die sinnesfälligen Unterschiede zu benennen. Immerhin wird niemand blöd angeredet, wenn er darauf hinweist, dass Ameisen und Elefanten Gemeinsamkeiten haben. Bei den gedanklich zu erarbeitenden Gemeinsamkeiten zwischen einem gläubigen Christen, der aus seinem Glauben heraus Weihnachtslieder singt und einem gläubigen Moslem, der seinen Glauben im Dienst beim IS wirkmächtig werden lässt, ist es allerdings schnell vorbei mit der Zustimmung des lesenden oder hörenden Publikums. Diese Unsachlichkeit hat Methode.
Wer hierzulande bei einer beliebigen Debatte das Wort Differenzierung in den Mund nimmt, kann mit sofortigem Beifall rechnen. Das ist sachlich nicht gerechtfertigt. Es stimmt, dass bisweilen feinste Differenzierungen den springenden Punkt ausmachen. Es stimmt aber genau so, dass bisweilen das Erkennen der Gemeinsamkeiten von Verhältnissen, die auf den ersten Blick völlig unterschiedlich sind, der entscheidende Erkenntnisgewinn ist. Da muss man eben die Sache betrachten, um die es geht. Man kann nicht vor der Befassung mit der Sache wissen, was jetzt angebracht ist. Die landesübliche ideologische Voreingenommenheit, die Differenzierung von vornherein zu bevorzugen, dient der Verhinderung von Erkenntnis. Wenn es bei einer Debatte z.B. um das Militär geht, taucht ziemlich sicher einer auf, der den Vorwurf erhebt, man habe mal wieder nicht zwischen Marine und Luftwaffe differenziert. Der Einwand wird dann gerne untermauert mit ganz viel Detailkenntnissen über U-Boote und die neuesten Flugzeuge. Damit soll der Erkenntnis, was Militär ist, wem es nützt und wem es schadet, ausgewichen werden.
Also bitte nicht von vornherein darauf reinfliegen, wenn wieder behauptet wird, hier müsste doch ganz dringend differenziert werden.
Weil der Kommentar so lang geworden ist, verschiebe ich die Erwiderung auf "Probleme, einfache Lösungen usw." auf einen weiteren Kommentar in den nächsten Tagen.
Thea Schmid

Dem ist zuzustimmern, denn mit der Differenzierungsmanie wird sehr häufig und schnell nicht nur das Thema gewechselt, bis von ihm nach 2 weiteren Wortmeldungen nichts mehr zu hören ist. Auch das Feld der vorher Interessierten wird so stark reduziert, bis letztlich nur noch ein sich ständig wiederholender Diskussionsbrei übrig bleibt. Die große Linie versinkt zu leicht im Sumpf der Differenzen. Und mit diesem Procedere sind dann auch alle sich so wichtig nehmenden christlichen Sekten, Hauskreise, Bibelsachverständige und "Glorifizierten" mit sich und der Welt im Reinen.

Antwort auf von Adam Mair (nicht registriert)

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Allenthalben, insbesondere, wenn Bunt gegen Rechts aufmarschiert, wird der Vorwurf laut, da habe der Gegner wohl einfache Lösungen parat. Das ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Lösungen gibt es für Probleme. Von einem Problem zu reden, heißt, eine gemeinsame Interessenlage zu sehen. Der Einbrecher mag ein Problem damit haben, die Wohnungstür zu knacken. Ihm den Vorwurf zu machen, seine möglicherweise erfolglose Rumfummelei mit dem Dietrich sei eine zu einfache Lösung, setzt voraus, das Interesse des Einbrechers zu teilen. Als Wohnungsinhaber würde ich Abstand nehmen von diesem Vorwurf.
Wenn also schon Interessenübereinstimmung vorliegt, dann ist der Vorwurf, die Lösung sei einfach, unsinnig. Entweder ist es eine Lösung. Dann ist Einfachheit ein Gütemerkmal und kein Mangel. Was soll denn an einer komplizierten Lösung begrüßenswert sein, wenn es eine einfache Lösung gibt? Oder die Lösung ist eben keine Lösung. Dann muss man eben genau das aufzeigen. Einfachheit ist dann aber kein Argument.
Wenn die Bunten den Rechten einfache Lösungen beim Flüchtlingsproblem vorwerfen, ist das beeindruckend entlarvend. Erstens ist es das Eingeständnis, dass die streitenden Parteien dasselbe Interesse verfolgen. Und wenn man schon kein Hehl daraus macht, gemeinsam das Ziel zu verfolgen, unerwünschte Flüchtlinge fern zu halten, dann ist der Vorwurf "einfach" unsinnig. Die Unsinnigkeit löst sich nämlich auf in den Vorwurf der Ineffektivität. Damit liegen die Karten dann allerdings auf dem Tisch.
Um zum Ausgangspunkt Ihres Kommentares, lieber Herr Mair, zurückzukehren: Ich biete weder eine einfache, noch eine komplexe Lösung für die Heilsproblematik an. Ich teile nicht das Interesse, gesellschaftliche Vorgänge zu deuten mit dem ankommenden Gottesreich oder ähnlichen Heilsversprechungen. Ich versuche, auf den Irrtum und die Gefährlichkeit solcher Hoffnungen hinzuweisen.
Thea Schmid

Weihnachtsfriede

Ihre Ausführungen zu "Differenzierung" und "einfache Lösung" habe ich mit Interesse gelesen. Sie konnten mich in Bezug auf Glaubensangelegenheiten keineswegs überzeugen. Aber Sie haben Ihren Standpunkt klar gemacht. Die Klarheit des Herren, die im Umkreis des heutigen Datums leuchtet, schaut aber anders aus. Das werden Sie wohl auch nicht bestreiten wollen. Freuen wir uns also, dass wir uns einig sind, worin wir uns nicht einig sind. Jetzt erst mal auch diskussionstechnisch Weihnachtsfrieden und nach Erscheinen der nächsten Folge der "Reformation für Einsteiger" gerne eine neue Runde!
Adam Mair

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"(,,,) das Unterste also nach oben gekehrt wird. " Was ist gut daran ? Gar nichts, denn Kriege werden geschürt. Weil keiner heute mehr die frohe Botschaft hören will. Warum ? " Weil Gott das beschädigte Verhältnis der Menschen zueinander repariert ? "
Tut mir leid, aber ich kann den Worten des Autors keinerlei spirituelle Kraft entnehmen.
Für Jesus zählt das Volk, welches an ihn glaubt, nicht aber die Theologen, der Klerus. An dieser Botschaft ist was dran.
Deshalb ist die Weihnachtsgeschichte in ihrer Einfachheit so bedeutsam, weil sie die Frohbotschaft der Liebe vermittelt.
Etwas anderes braucht die Welt heute nicht, denn ohne Liebe ist jeder Kampf ein verlorener, ein sinnloser Kampf.
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Würde der Text "Hoffnung in der Wiege" in der Kirche vorgetragen, verliesse ich den Gottesdienst oder die Messe auf der Stelle.
"Die Weihnachtsgeschichte ist urprotestantisch, denn sie macht deutlich der versprochene Friede ist ein Geschenk Gottes. " Was ist daran protestantisch ?
Es ist nichts als ein ewiges Reizwort . Wenn das also der "protestantische" Friede sein soll, dann ist es vielmehr eine Kampfansage.
Und ich finde, hier sollte sich der Protestant nicht mehr auf Jesus berufen.
Ich weiß, dass ich mit diesem Satz viele verärgern werde, falls mein Kommentar überhaupt gesendet wird, aber so sehe ich es nun einmal.
Allein aus diesem Grunde finde ich die Frohe Botschaft in ihrer Kernaussage bedeutsamer für den Frieden als in ihrer zersplitterten konfessionell unterschiedlichen Auslegung.
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Und mögen alle, die daran Anstoß nehmen, ihre eigenen Gedanken mit in ihre Gebete nehmen. Das werde auch ich tun.
Wo es in den Herzen keinen Frieden gibt, und keinen gemeinsamen Weg dorthin, dort sollte man beginnen zu beten.
Das ist die wahre Frohe Botschaft.

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