Oder sollte man sich besser zu seiner Angst bekennen?
15.11.2010

Nur Dummköpfe kennen keine Angst, sagt man, und das ist richtig. Man muss sich nur die Leute ansehen, die scheinbar furchtlos in so genannte Dschungelcamps ziehen und Käfer fressen oder sich von Emus anpicken lassen. Gratulation an jeden, der eine solche "Herausforderung" ablehnt. Nun wird einem normalen Sterblichen kaum ein derartiges Angebot gemacht ­ Schlammschlachten zielen auf Halbpromis, die verzweifelt das Rampenlicht suchen, um wichtig zu erscheinen. Aber Vorsicht: Vieles wird einem auch schon im Alltag zugemutet ­- nach dem Motto: "Das ist doch eine tolle Chance."

So eine Chance kommt nie wieder!

Menschen sollen sich flexibel und mobil zeigen, weltoffen jede berufliche und private Möglichkeit ergreifen, die sich ihnen bietet. Die Firma braucht Mitarbeitende in Saudi-Arabien? Nichts wie hin. Das bringt zwar eine lange Trennung von der Familie mit sich, aber auch viel Geld. Der Betrieb wird von Bayern nach Sachsen verlagert? Macht nichts, dort wird man sich schnell heimisch fühlen. Ein Studienaufenthalt in den USA? Das wird nicht jedem geboten. Also auf über den Atlantik und den Horizont erweitert! Freunde wollen einen auf die Trekking-Tour durch Nepal mitnehmen? So eine Chance kommt nie wieder! Wer auf Veränderungsmöglichkeiten nicht sofort anspringt, der gilt als Zauderer oder provinzieller Angsthase.

Aber "Angst ist für die Seele ebenso gesund wie ein Bad für den Körper", wie der Schriftsteller Maxim Gorki sagt. Angst ist das Gefühl, dass einem Übles bevorstehen könnte. Mit Herausforderungen ist ja nicht zugleich die Garantie gegeben, dass alles gut geht. Was wird sein?, fragt man sich besorgt. Werde ich mich wohl fühlen? Kann ich die neue Aufgabe wirklich meistern oder werde ich scheitern? Täte es mir nicht besser, beim Urlaub auf Rügen zur Ruhe zu kommen? Die Freiheit, sich für oder gegen etwas entscheiden zu können, bringt Angst mit sich. Angst vor unwägbaren Risiken, vor all den Dingen, die man nicht einfach selbst bestimmen kann. Angst vor den Möglichkeiten, die einem offen und auch entgegenstehen.

Manche Propheten des Alten Testamentes waren nicht begeistert, als sie hörten, was sie ihren Zeitgenossen im Auftrag Gottes zu vermelden hatten: Sie hatten schlicht und ergreifend Angst. Jesus brach im Garten Gethsemane der Angstschweiß aus, als ihm das unausweichliche Ende seines irdischen Lebensweges vor Augen stand. Manchmal reagieren wir selbst auf kleine Aufgaben mit Zittern und Zagen: Eine Frau bibbert, weil sie einen Vortrag halten soll; und ein Mann gerät außer sich, weil der Chef ihn ruft.

"Man kann nicht kämpfen, wenn die Hosen voller sind als das Herz."

Da fällt es schwer, von der Freiheit der Wahl zu sprechen. Das ist auch dann der Fall, wenn man gern wählen würde, aber beispielsweise keine Alternative für die eigene Stelle in Sicht ist und der Arbeitsplatz verloren geht, wenn man nicht mit der Firma in die fremde Stadt mitzieht. Schade wäre, wenn man sich der eigenen Angst ganz und gar ausliefern würde ­ so dass man gleichsam ohnmächtig seinem eigenen Leben gegenüberstünde. Carl von Ossietzky, couragierter Gegner der Nazis, schrieb zutreffend: "Man kann nicht kämpfen, wenn die Hosen voller sind als das Herz."

Es empfiehlt sich trotzdem nie, mit Hurragebrüll oder gewaltsam weggedrückten Ängsten loszumarschieren. Ob man nun Angst hat, Furcht oder eine regelrechte Phobie, man braucht jemanden, einen Freund, eine Therapeutin oder Pfarrerin, mit denen man Ängste besprechen kann. Gemeinsam ist zu überlegen: Vor was genau fürchte ich mich? Es lohnt sich, nachzuforschen, warum man sich vor etwas fürchtet und was die tiefe Ursache einer Angst sein könnte. Manchmal hilft es, sich die schlimmste aller möglichen Folgen auszumalen und in Gedanken verschiedene Varianten des eigenen Verhaltens auszuprobieren.

Wer sorgsam in sich hineinhorcht und die Konsequenzen seines Tuns gründlich bedenkt, der nutzt die Freiheit, ja oder nein zu sagen. Der hat ganz einfach Grips im Kopf. Wer dagegen gleich zupackt, ohne überhaupt einmal nachzudenken, der ist nicht wahrhaft unabhängig ­ weil er gar nicht merkt, worin seine Freiheit besteht: sich zu den Angeboten und Herausforderungen so zu verhalten, wie es dem eigenen Wesen entspricht. Man kann das, was andere als Herausforderung bezeichnen, ruhig ablehnen, wenn man das Gefühl hat: "Das passt nicht zu mir, das bin ich nicht, das will ich nicht für mein Leben." Eine solche Entscheidung sollten andere respektieren.

"In der Welt habt ihr Angst", sagt Jesus. Mit anderen Worten: Es ist normal, Angst zu haben, zu spüren, dass das Leben nicht einfach zu meistern ist. "Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden", fährt Jesus fort. Unsereins muss stets aufs Neue eine Gratwanderung hinlegen zwischen echten Gefahren und grundlosen Befürchtungen. Da kann es schon passieren, dass man einen Schritt in eine ungewohnte Richtung tut, vertraute Gefilde auch in späteren Jahren noch verlässt ­ und nicht abstürzt, sondern weit vorwärts kommt. Kluge Menschen kennen Angst und können lernen, sie für große und kleine Sprünge zu nutzen.

 

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Danke für die schönen Worte. Ich habe eine Chance im Ausland meine ersten Berufserfahrungen zu machen. Ich habe aber Angst. Und ja Sie haben recht. Ich muss verstehen vor was ich Angst habe. Nur so kann ich eine Entscheidung treffen. Für Ausenstehende mag meine Entscheidung vielleicht falsch sein, die ich dann treffen werde. Vielleicht enttäusche ich auch meine Familie und Freunde. Aber ich muss entscheiden. Nur muss ich eben verstehen vor was ich Angst habe. Danke nochmal für diese Erkenntnis.

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