Richard Hirschhorn mit Töchtern
Richard Hirschhorn mit seinen Töchtern Ruth (links) und Regina
Helena Schätzle
Zuerst war alles wie Stein
Aber wer gelernt hat, darüber zu sprechen, konnte das Erlebte besser ertragen. Wurde vielleicht sogar glücklich. Unsere Fotografin porträtierte Überlebende des Holocaust und ihre Familien in Israel.
22.03.2016

Richard Hirschhorn, 84:

"Vorgestern bin ich spazieren gegangen, und mir kam der Gedanke, dass ich ein sehr gutes Leben hatte. Zuerst hatte ich sehr liebevolle Eltern, und dann meinen Bruder und danach Freda. Und zur Krönung wurden wir mit drei wundervollen Kindern und sechs großartigen Enkeln gesegnet. Alles in allem bin ich sehr glücklich mit meinem Leben.“

Hirschhorn, geboren in Köln, kam 1939 nach Frankreich und wuchs nach 1942 in amerikanischen Familien auf. Seine Eltern und Geschwister kamen im KZ Auschwitz und im Ghetto Lodz um. Mit seiner Frau Freda zog Hirschhorn 1971 nach Israel.

Giselle Cycowicz

Giselle Cycowicz, 89:

"Das Land war voll mit Menschen, die Lumpen trugen wie unsere. Alles Holocaustüberlebende, die versuchten heimzukommen, gequält von Angst, Schmerz und Unsicherheit. Was werden wir vorfinden, wenn wir heimkommen? Wir trugen nichts in unseren Händen. Wann immer jemand vorbeikam, hielt er an und fragte: ,Vielleicht hast du meine Mutter getroffen, sie war die und die.‘ Niemand war freudig, niemand war glücklich, dass es vorbei war. Als wir in unsere Stadt kamen, war alles, was mal uns gehörte, von den Einheimischen geplündert worden. Niemand zeigte sich betroffen von unserem traurigen Schicksal. Niemand sagte: ‚Es tut mir leid, was euch passierte.‘“

Cycowicz wurde in Chust geboren, heute in der Ukraine gelegen. Ihr Vater wurde 1944 im KZ Auschwitz umgebracht, Giselle überlebte dieses Vernichtungslager. Ab 1948 lebte sie vor allem in New York. Sie wurde Psychotherapeutin, zog 1992 nach Israel.

Elias Feinzilberg, 98:

"Es war so schwer. Ich habe es nicht geglaubt: Ich bin frei. Aber ich hatte keine Eltern mehr, das war sehr schwer. So viele Jahre hatte ich gekämpft, so viele Jahre mit Hunger. Und dann kam der Moment, ich habe es nicht geglaubt.“

Feinzilberg erblickte das Licht der Welt im polnischen Lodz. Von 1940 bis 1943 musste er Zwangsarbeit leisten. Er überlebte mehrere Vernichtungslager und Todes­märsche. Mit seiner Frau Esther ging er 1947 nach Guatemala, 1969 nach Israel.

Elias Feinzilberg mit seiner Enkelin Dana

Prina Katsir, 86

"Was geschehen ist damals, das streiche ich aus meinem Leben. Man kann es nicht streichen, aber du kannst das irgend­wie vergraben und nicht auftauchen lassen. Ich habe meinen ­Kindern nie erzählt, was ich mitgemacht habe. Niemand wusste, dass ich Holocaustüberlebende bin. Ich wollte leben. Bei mir war es immer lustig. Man hat gelacht und getanzt, und wir ­hatten ein offenes Haus. Immer waren Kinder bei mir. Und Leute, die traurig ­waren, sind zu mir gekommen. Ich weiß, was ich mit­gemacht habe, aber ich weiß das Leben zu genießen. Meine Kinder, meinen Mann, was ich habe. Ich habe nicht gesprochen. Alles war hier drin gefangen wie ein Stein. Ich wusste gar nicht, was ich mir selber antat. Und bei Amcha haben sie mir geholfen. Es war mir schwer am Anfang. Und meine Stimme hat ­gezittert, wenn ich gesprochen habe.“

Katsir wurde im rumänischen Siret geboren. 1940 flüchtete die Familie in die Bukowina, lebte drei Jahre in einem Ghetto. 1946 versuchte Katsir, mit einem Fischerboot ­Palästina zu erreichen. Dort einzuwandern gelang ihr erst 1948.

Prina Katsir

Regina Steinitz, 85:

"Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, was es bedeutet, jemanden wiederzutreffen, der das alles überlebt hat. Es war jedes Mal wie ein Wunder. Und jedes Mal endete die Wiederbegegnung in Trauer, wenn man sich an die erinnerte, die dieses Glück nicht gehabt hatten.“

Steinitz und ihre Zwillingsschwester Ruth kamen in Berlin zur Welt. Sie überlebten die Nazizeit versteckt bei Verwandten. 1948 wanderten sie nach Israel aus.

Regina Steinitz, links und Ihre Zwillingsschwester Ruth

Yehuda Bacon, 86:

"Wer in der Hölle war, weiß, dass es zum Guten keine Alternative gibt. Viel später erst sieht man, dass auch das Negative seinen Sinn hat. Es gibt Sachen, die man nicht ­anders erlernen kann. So wie ein kleines Kind mehrmals fallen muss, um gehen zu können. Das tiefste Verständnis ist, dass wir erkennen, dass der andere grundsätzlich ist wie ich selbst.“

Bacon, in Ostrava im heutigen Tschechien zur Welt gekommen, kam mit 13 Jahren ins KZ Auschwitz. Mit 15 ­wurde er aus dem ­Lager Gunskirchen befreit. Seit 1946 ­lebt er in Palästina.

Yehuda Bacon
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Ein schöner, ein berührender Artikel. Sehr gut gemacht und aufgemacht.

Wie wäre es allerdings, wenn chrismon sich in ähnlicher Weise dem Schicksal palästinensischer Menschen annehmen würde? Zum Beispiel solchen, deren Eltern und Großeltern in den 40er Jahren von jüdischen Terroristen ermordet, z.T. regelrecht abgeschlachtet wurden? Denen ihr Land geraubt wurde und wird? Die in ihren eigenen Dörfern hinter Mauern und Stacheldraht regelrecht weggesperrt werden? Die tagtäglich streng bewachte Checkpoints passieren müssen und voll und ganz von der Gunst (oder den Launen) des israelischen Militärs abhängen? Die von israelischen Siedlern tagtäglich tausendfach diskriminiert werden, nur weil sie Palästinenser sind? Die für tatsächliche oder auch nur vermeintliche Terroristen in Sippenhaft genommen werden? Deren Häuser ohne Rücksicht beispielsweise auf das Alter oder eine evtl.

Verantwortung der Bewohner bedenkenlos in die Luft gesprengt werden? Die in Gaza eingepfercht sind? Denen die israelische Staatsangehörigkeit entzogen werden soll, weil nur Juden Israelis sein sollen und dürfen? Und was der Anknüpfungspunkte mehr sind.

Wäre das nicht auch was für chrismon?

Hans-Willi Hefekäuser, Bonn

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„Die Israelis sind die Nazis von heute“ ist die Quintessenz des Kommentars des doitschen Christen Hans-Willi Hefekäuser – eine klassische Form der Täter-Opfer Umkehrung. In der sozialwissenschaftlichen Forschung und in der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung gilt diese Position als antisemitisch. Warum? Hier eine lesenswerte Begründung aus einem Projekt der Amadeu Antonio Stiftung:
„Sich seiner historischen Verantwortung entledigen zu wollen ist ein weit verbreitetes Bestreben. So manch einer empfindet die Erinnerung an deutsche Verbrechen als lästige Einschränkung seines Nationalstolzes. Oft wird der Holocaust nicht vollständig geleugnet, sondern es wird versucht, Qualität und Quantität des deutschen Vernichtungsprogramms kleinzureden, etwa durch hinkende Vergleiche. Holocaustleugnung light, sozusagen.
Diese grassierende Vergleicheritis kennt viele Ausdrucksformen. Ganz besonders verlockend ist es scheinbar, ausgerechnet Jüdinnen und Juden zu unterstellen, sich wie Nazis zu verhalten. Slogans wie »Gestern Opfer, heute Täter«, gerne noch mit dem Hinweis, die Opfer hätten nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt, zielen auf die völlige moralische Entlastung Deutschlands ab. Wenn die Leidenden von damals heute genauso schlimm sind wie ihre damaligen Peiniger, dann ist man ja schließlich quitt, so die Logik. So kann man sich seiner historischen Verantwortung natürlich auch entledigen.
[…]
Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmen etwas mehr als ein Viertel der befragten Deutschen folgender Aussage zu: »Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip nichts anderes, als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.«1 Laut dieser Studie nimmt die Zustimmung zu traditionellen Formen des Antisemitismus tendenziell ab. Jedoch erfreuen sich moderne Formen – und hier vor allem jene, die sich auf Israel beziehen – großer Beliebtheit.
Solche historischen Umdeutungen beschränken sich nicht nur auf den jüdischen Staat. Es wird beispielsweise auch behauptet, die Alliierten hätten einen »Bombenholocaust« an den Deutschen begangen (Vgl. »Die Deutschen haben ja auch gelitten«). Es handelt sich um Projektionsleistungen, um Hirngespinste, die dem generellen Bedürfnis nach einer Abwehr der eigenen, gesellschaftlichen Verantwortung entspringen.2 Beziehen sich die Projektionen allerdings ausgerechnet auf Israel, so erreichen sie ein ganz besonderes Ausmaß an Niederträchtigkeit, da hier ausgerechnet den Opfern eines Verbrechens (bzw. deren Nachkommen) vorgeworfen wird, sich zu verhalten wie die Täter.3 Konsequenterweise wird eine solche Opfer-Täter-Umkehr in der sozialwissenschaftlichen Forschung und der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung als antisemitisch gesehen.4
Israel als ein Projekt von Faschisten und Juden als die neun Nazis zu porträtieren hat aber nicht nur auf ideologischer Ebene Effekte. Dieses Bild hat durchaus einen zumindest impliziten, nicht selten aber auch expliziten Aufforderungscharakter. Gerade in linken, politischen Strömungen, die sich Ideen des Antiimperialismus verpflichten, stellt der »Kampf gegen Faschismus« einen großen gemeinsamen Nenner dar. Wird Israel nun zum faschistischen Staat deklariert5, wäre es also die Pflicht eines jeden, diesen zu bekämpfen. Ressentiments und Aktivitäten, gegen den jüdischen Staat werden also plötzlich zum Akt des praktizierten Antifaschismus.“
1. Friedrich-Ebert-Stiftung (2014). Presse-Handout „Fragile Mitte – Feindselige Zustände“.
2. Adorno, T. W. (1955). Schuld und Abwehr. In F. Pollock (Hrsg.), Gruppenexperiment. Frankfurt: Europäische Verlagsanstalt.
3. Vgl. hierzu auch: Schwarz-Friesel, M. (2012). Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin: De Gruyter. (Vor allem S. 231f)
4. Vgl. Zick, A. und Küpper, B. (2005). Kurzbericht aus dem GMF-Survey, 2005/1. Antisemitismus in Deutschland.oder auch: European Forum on Antisemitism. Arbeitsdefinition „Antisemitismus“.↩
5. Die Parole »Zionismus ist Faschismus« bezeugt übrigens, dass es gar nicht auf die tatsächliche Politik Israels ankommt. Alleine schon die Idee eines jüdischen Staates – Zionismus – wird in diesen Diskursen als faschistisch dargestellt.

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