Irmgard Schwaetzer
Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin a. D., ist Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und Heraus­geberin des Magazins chrismon
Thomas Meyer
Altersarmut trifft die Frauen
Denn sie waren es, die nach der Einheit ihre Jobs verloren. Oder nur noch Teilzeit arbeiten – und dann ist die Rente klein
Irmgard SchwaetzerJulia Baumgart
22.11.2015

Sie wollten arbeiten, Vollzeit und in dem Beruf, den sie gelernt haben. Doch mit der deutschen Einheit änderte sich die Arbeitswelt völlig – in dem Teil Deutschlands, der bis dahin die DDR gewesen war. Viele Arbeitsplätze fielen weg, und die bestehenden, aber auch die neuen wurden häufig an Männer vergeben. Für viele junge Frauen war das das Signal, sich einen Ausbildungs­platz oder einen Arbeitsplatz fern von ihrer Heimat zu suchen. Für die etwas älteren Frauen, meist verheiratet mit kleinen ­Kindern, bedeutete es Arbeitslosigkeit, Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Niedriglohnjobs. Das wirkt sich aus, jetzt, wenn es auf die Rente zugeht.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat in einer Prognose festgestellt, dass in den nächsten Jahren die Altersarmut stark ansteigen wird, wenn nichts passiert. Jede fünfte Frau könnte demnach auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. Das ­betrifft vor allem Frauen in Ostdeutschland, aber nicht nur sie. Die Bundesagentur für Arbeit hat mitgeteilt, dass die Zahl der Rentnerinnen und Rentner mit Minijob im März 2015 auf 900 000 gestiegen ist. Nun gibt es sicher Rentner, die ein­fach gern noch für eine begrenzte Zeit arbeiten. Aber vermutlich gehen die meisten dieser Minijobber arbeiten, weil sie mit ihrer Altersrente nicht über die Runden kommen.

Es sieht so aus, als laufe gerade etwas grundlegend falsch. Da trägt in Ostdeutschland eine Generation von Frauen das Ri­siko der Umwälzungen, die das Glück der Deutschen, die Wiedervereinigung, mit sich gebracht hat, besonders schwer. Da ­erkennen Rentnerinnen und Rentner nach einem langen Arbeitsleben, in dem sie zu niedrigen Löhnen gearbeitet haben, dass sie mit ihrer Rente ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können.

Die Zuwanderung kann sich positiv auswirken - unter einer Bedingung

Was können wir tun? Die Einführung des Mindestlohns ist ein wichtiger Schritt, der zukünftige Generationen eher vor dem Risiko der Altersarmut bewahren wird. Aber noch immer gibt es viel zu viele gestückelte Arbeitsplätze mit dem hohen Risiko einer unzureichenden Rente im Alter – übrigens auch in der Kirche und der Diakonie. Mehr als zwei Drittel der kirchlichen Beschäftigten arbeiten in Teilzeit, 74 Prozent der weiblichen und 51 Prozent der männlichen Beschäftigten. In der Diakonie sind 60 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit tätig. Nicht Voll-, sondern Teilzeit ist somit die häufigste Beschäftigungsform in Kirche und Diakonie – mit dem Risiko der Altersarmut.

Schnell helfen könnte eine gerechte Bewertung von Zeiten der Kindererziehung, und zwar unabhängig davon, ob Elternzeit genommen wird oder nicht. Kinderer­ziehung ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass das Rentensystem auch in Zukunft Bestand hat und die Arbeitnehmer von heute, die die Einkünfte der Rentner von heute finanzieren, auch eine ange­messene Rente erhalten. Auf die Zahl der Beitragszahler wird es also weiterhin ankommen. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann die Zuwanderung, die wir in diesem Jahr erleben, eine positive Wirkung ­haben. Vorausgesetzt, wir unternehmen die notwendigen Anstrengungen zu ihrer Integration: Wohnung, Ausbildung und Arbeit.

Das alles können wir tun, um das System der Altersrenten zukunftsfest zu machen. Aber den Frauen, die in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen, hilft das noch nicht. Sie brauchen einen speziell auf sie zugeschnittenen Ausgleich der Nachteile, die sie durch die Umbrüche der Einheit und die schwierige Modernisierung unserer Wirtschaft danach erlebt haben. ­Es ist eine Frage der Gerechtigkeit.

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Sehr verehrte Frau Schwätzer
Leider gibt mir Ihr Artikell Anlass zur Verärgerung..eine derart einseitige Sichtweise dieser Problematik auf Frauen aus der ehemaligen DDR finde ich gelinde gesagt unerhört. Jahrelang hat die westdeutsche Politik es nicht hinbekommen uns Frauen aus dem Westen in unserem bemühen den Spagat Familie u Beruf hinzubekommen nach der Ende habe ich mit jungen Müttern aus thüringen zusammengearbeitet u mich gewundert wann die ihre Kinder abholen konnten u die hatten gegessen u geschlafen .ich dagegen habe erst meine Kinder Früh abholen müssen u einkaufen u kochen etc . Wer da benachteiligt war liegt ja wohl auf der Hand . Ich finde es unmöglich das sie heute solche artikel verfassen wo sie früher auch nicht für uns erreicht haben lassen sie das u machensie den Posten frei für eine Frau die mit dem Salär das sie zusätzlich erhalten ein Familie ernähren kann. Gruß grenzebach

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Anerkennung für diesen Artikel, mit dem Sie den Blick auch auf die kirchliche Arbeitswelt richten. 74% der weiblichen Beschäftigten der Kirche arbeiten in Teilzeit. Das ist ein sehr hoher Prozentsatz. Folgt daraus, dass die kirchlichen Mitarbeiterinnen Alterarmut befürchten müssen? Es ist richtig, dass über die gerechte Bewertung der Kindererziehungszeiten für Frauen oder auch Männer, wenn sie diese Aufgabe übernommen haben, ein bisschen mehr Gerechtigkeit erreicht werden kann. Aber reicht das?

In den alten Bundesländern war viel zu lange die "Hausfrauenehe" Leitbild mit für Frauen ärgerlichen Konsequenzen wie z. B. dem Ehegattensplitting. Es setzt einen Anreiz, dem Leitbild der Hausfrauenehe zu folgen. Doch ein Drittel der Ehen hält nicht, Frauen, die dem Leitbild folgten, sind daher von Altersarmut bedroht.
Eine Zusammenstellung der Rentenansprüche von Frauen in den neuen und den alten Bundesländern zeigt, dass Frauen in den neuen Bundesländern deutlich höhere Rentenansprüche haben als Frauen in den alten Bundesländern. Die Zusammenstellung stammt von der Bundeszentrale für Politische Bildung (2014). Die unterschiedlichen Leitbilder wirken fort. Es gibt noch viel zu tun.

Antwort auf von Dr. Christel H… (nicht registriert)

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"Die unterschiedlichen Leitbilder wirken fort."

Das kann man insbesondere in der Justiz feststellen. Da gilt nach wie vor der Vater als Alleinernährer und die Mutter als Hausfrau: Der Vater muss die "Herdprämie" Unterhalt bezahlen und die Mutter kann arbeiten, wenn sie denn möchte.

Das wird so weiter bleiben. Denn selbst wenn sich die beiden Eltern auf ein Wechselmodell verständigen würden, haben die Juristen etwas dagegen: Wenn ein Elternpaar es wagt, aus den verkrusteten Rolenmodellen auszubrechen, droht die Justiz mit Pfleger.

"Die Annahme eines Wechselmodells habe nämlich zur Folge, dass kein Elternteil das Kind mehr im Sinn von § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB in Obhut habe und zur Geltendmachung des Kindesunterhalts ein Pfleger bestellt werden müsste." http://lexetius.com/2014,4327

So lange Politiker solche Rechtsprechung zulassen, werden wir solche Asymmetrien zwischen den Geschlechtern haben.

Interessant ist dabei, wie unselbständig die Menschen doch im Grunde immer noch denken: wer Verantwortung für sein Leben übernimmt, Herr Balenau, macht nicht die Justiz für das Scheitern seiner Lebenspläne verantwortlich, sondern sich selbst, indem er in erster Linie Verantwortung für die Versorgung seiner Kinder und seiner Familie trägt. Statt dem Egoismus zu frönen, der ihn da angeblich zur Freiheit / sprich verantwortungslosem Verhalten berechtige, müsse er begreifen, dass, wer eine Familie gründet, für diese auch Verantwortung trägt, ganz unabhängig von bestehenden Rollenklischees. Dazu gehört es auch, dass man gemeinsam als Paar in seine Lebensaufgaben hineinwächst, ohne den Staat als verantwortlichen Versorger zu betrachten.
Aus dieser Perspektive erscheint Ihre Interpretation recht verbogen- und Interesse geleitet.
Ich sehe zunehmend Familien, die sowohl als Familie, als auch als Paar, glücklich leben, wobei beide berufstätig sind, doch wahrscheinlich nicht mit dem Hinblick auf Karriere, sondern auf ein zufriedenes Familienleben.
Ich will nicht in einem Land leben, dass von Ehrgeiz und Charakterlosigkeit regiert, zerrissen und zerredet wird.
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Auch in der Politik befürworte ich solchen Ehrgeiz nicht. Wer den Schmerz anderer Menschen nicht achtet und glaubt, ihn politisch nutzen zu können / zu dürfen, wird immer mehr rechts von der Mitte stehen, denn links.
Und wenn das die christlich politische Gesinnung ist, dann lege ich hiermit mein Veto ein :
Auch in der Poltik muss es andere Wege geben, als die der rauhen Konfrontation mit einer gnadenlosen Wirklichkeit.
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Antwort auf von G:L. (nicht registriert)

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"er in erster Linie Verantwortung für die Versorgung seiner Kinder und seiner Familie trägt"

Was unterscheidet diese Behauptung von der grundgesetzlichen Vorgabe: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht."?

Elternsein reduziert sich nicht auf "Versorgung" sondern schliesst "Pflege und Erziehung" ein.

Werte vermitteln, nicht überweisen sollte als familiärer Grundsatz in Politik, Kirche, Gesellschaft und vor allem in der Justiz ankommen.

Es ist charakterlos dem Vater Charakterlosigkeit vorzuwerfen, wenn er sich um seine Kinder kümmern möchte, aber vorgibt, dass man christlichen Werte vorlebt, wenn man fordert "Du sollst Vater und Mutter ehren."

Diesem Grundsatz hatten die Väter des Grundgesetzes im Artikel 6 und des BGB im §1618a BGB "Eltern und Kinder schulden einander Beistand und Rücksicht." Rechnung tragen wollen.

Wer "Beistand und Rücksicht" nur in Geld - also nur "Versorgung" - misst, hat von Familie wohl wenig verstanden. Sie haben ganz offensichtlich nicht verstanden, dass ich für die Verantwortung des Vaters eintrete, auch nach Trennung und Scheidung. Ich habe nicht darauf hingewiesen, dass mehr als 70% der Scheidungen von Frauen eingereicht werden, was u. U. als "dem Egoismus zu frönen" ausgelegt werden könnte, usw..

"Wer den Schmerz anderer Menschen nicht achtet und glaubt, ihn politisch nutzen zu können / zu dürfen, wird immer mehr rechts"
Da sind wir einer Meinung: Wer den Schmerz eines Vaters nach Trennung-/Scheidung nicht achtet kann nur rechts sein.

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Sehr verehrte Frau Schwaetzer,

"vorausgesetzt, wir (!) unternehmen die notwendigen Anstrengungen zu ihrer Integration: Wohnung, Ausbildung und Arbeit." Könnten die Politiker ihre hehren Wünsche mal mit der Wirklichkeit konfrontieren? 3 Mio Arbeitslose mit perfektem Deutsch, qualifiziert - Wohnungsnot in Ballungsgebieten. Wer soll über eine Mio Migranten auf ein vergleichbares Niveau bringen, wo sollen die zusätzlichen Arbeitsplätzte herkommen? Wo kommen plötzlich die bezahlbaren Wohnungen her? Wo wird das Geld dafür gestrichen? Bitte mal um erste Antworten!

Dr. Klaus Damert, Molmerswende

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Sehr geehrte Frau Schwaetzer,

daß mit der Bewertung von weiblichen Biographien seit langem etwas falschläuft, gilt nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im Westen.


Ostdeutsche Frauen erleben seit der Wende die bundesdeutsche Arbeitswelt, westdeutsche kennen sie schon viel länger.

Wie Sie schreiben: Viel Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Niedriglohnjobs, oder gar keine. Die ostdeutschen Frauen waren Vollzeit-Arbeit gewöhnt, in Westdeutschland gelang das in der älteren Generation nur wenigen, es war auch gar nicht erwünscht. Auch diese Frauen wollten gerne arbeiten, konnten das aber mangels öffentlicher Kinderbetreuung nur sehr eingeschränkt. Die gab es im Osten ganz selbstverständlich. Im Westen wurde sie als "sozialistisch" geächtet, obwohl sie auch in vielen westlichen Ländern längst Standard war. Nun müht man sich aufzubauen, was der Osten längst hatte. Ostdeutsche Frauen haben deshalb großenteils eine bessere Berufsbiographie als westdeutsche, haben eigene Renten. Ostdeutsche Paare sind mit zwei Renten nicht schlechter gestellt als westdeutsche, z.T. eher besser.
Alle Renten, auch die für den Osten, fließen aus der gesamtdeutschen Rentenkasse, ohne Beteiligung von Beamten und Selbstständigen, entsprechend wurden die Leistungen gesenkt. Von Altersarmut dürften deshalb auch sehr viele Frauen im Westen betroffen sein, die für den Nachwuchs im Lande gesorgt haben, was ihnen schlecht vergolten wird. Die Kinderzahlen blieben bei uns nicht ohne Grund niedriger als in vergleichbaren Ländern. Dank einer geänderten Familienpolitik gehen sie nun etwas nach oben - hätte man schon früher mehr getan, wäre der vielbeklagte demographische Knick wohl nicht so tief.  Daß Frauen, mögen sie noch so viele Kinder aufgezogen haben, im Alter oft schlecht dastehen, wurde hierzulande als normal hingenommen. Wenn Sie mehr Gerechtigkeit für Frauen  anmahnen, ist in Ost und West noch sehr viel zu tun.

B.I.Dietrich

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