Ulrich Lilie vor der Notunterkunft Traglufthalle in Berlin
Ulrich Lilie: "Ich befürchte, es werden bei uns auch Menschen in Zelten überwintern müssen"
Thomas Meyer/Ostkreuz
Mit Geduld, Feldbetten aus Kanada und jeder Menge Gottvertrauen
Die Flüchtlingssituation ist eine Katastrophe, sagt Diakoniechef Ulrich Lilie. Jetzt ist von uns allen ein Beitrag gefordert
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
27.10.2015

chrismon: Wenn es um die Flüchtlinge geht, wie soll man entscheiden: mit Herz oder Verstand?

Ulrich Lilie: Mit beidem. Man braucht auch jede Menge Gott­vertrauen, weil die jetzige Lage eine humanitäre Katastrophe ist.

Sie kommen gerade von der sogenannten Balkanroute und aus Griechenland zurück. Was haben Sie dort gesehen?

Am meisten hat mich die Hilflosigkeit getroffen, die aus den Gesichtern der Menschen sprach. Da kommt ein Bus nach dem anderen an. An der griechisch-mazedonischen Grenze steigen viele Jugendliche aus, die ganz allein reisen. Junge Eltern mit kleinen Kindern im Arm.

Die Leute haben Plastiktüten in der Hand und stehen da in Badelatschen im Matsch, weil es zwei Tage lang ­geregnet hat. Es gibt keine vernünftige Versorgung. Das sind ­untragbare Zustände. Die arme griechische Bevölkerung hilft, wo sie kann. Eine Frau schloss ihre Souflaki-Bude ab und sagte: „Ich gehe da heute hin und verteile Wasser und Lebensmittel.“

Und die Politiker?

Versagen. Man will keine Verantwortung übernehmen. Das ist ­eine politische Kapitulationserklärung. Wenn europäische ­Politiker demnächst in China über Menschenrechte reden wollen, werden ihre Gesprächspartner zu Recht nur lächeln.

"Wir sind bis an unsere Grenzen mit dieser Aufgabe beschäftigt, wie alle anderen auch"

War es richtig, dass die Kanzlerin an Flüchtlinge in aller Welt das Signal aussendet: Deutschland nimmt euch auf?

Das Signal hat sie nicht gesendet. Sie hat gesagt: Wir können uns als ein starkes Land in der Mitte Europas zu dieser Katastrophe nicht neutral verhalten. Und es ist auch keine gute Idee, fünf­undzwanzig Jahre nach dem Mauerfall auf eine globale Herausforderung mit Zäunen zu reagieren.

Sie hat gesagt: „Für Asyl gibt es keine Obergrenze.“

Da hat sie völlig recht, weil Asyl ein Menschenrecht ist. Wir ­werden daran gemessen werden, ob wir die Menschenrechtsidee bei dieser Katastrophe vertreten oder ob wir sie verraten.

Wie hilft die Diakonie?

Wir sind bis an unsere Grenzen mit dieser Aufgabe beschäftigt, wie alle anderen auch. Die Diakonie hat Flüchtlingsunterkünfte, hilft unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit Hunderten von Angeboten, berät in Asylverfahren, versorgt Flüchtlinge mit Lebensmitteln und ärztlicher Hilfe. Wir überlegen auch, was ansteht, wenn erst einmal jeder ein Dach über dem Kopf hat und halbwegs vernünftig versorgt ist. Dann müssen wir diese Menschen in unsere Gesellschaft integrieren. Sie stammen aus an­deren Kulturkreisen, haben andere Leitbilder etwa im Verhältnis von Mann und Frau, brauchen Bildung, müssen in den Arbeitsmarkt kommen und so weiter.

Wer bringt all die Flüchtlinge in winterfesten Quartieren unter?

Da müssen alle helfen, auch die Einrichtungen der Diakonie und die Kirchengemeinden. Ich befürchte, es werden bei uns auch Menschen in Zelten überwintern müssen.

"Man muss den Menschen sagen, dass ein Beitrag von uns allen gefordert ist"

Weil die Zahl der Unterkünfte nicht reicht?

Anfang Oktober kamen jeden Tag zwischen zehn- und zwanzig­tausend Menschen in Deutschland an. Wir haben mehrere ­Hunderttausend Flüchtlinge im Land. Da stoßen wir an Grenzen. Das Rote Kreuz, das viel Erfahrung mit Katastrophenbekämpfung hat, bestellt derzeit Feldbetten aus Kanada, weil die hiesigen nicht reichen.

Werden auch Privatpersonen um Hilfe gebeten?

Es gibt Gott sei Dank viele Privatpersonen, auch in meinem ­Bekanntenkreis, die sofort eine Familie aufnehmen würden oder einen allein lebenden Flüchtling.

Nehmen Sie Flüchtlinge bei sich privat auf?

Wir diskutieren das in der Familie und im Prinzip sind wir ­bereit. Man muss aber realistische Versprechen machen. Man übernimmt Verantwortung. Das muss man sich gut überlegen.

Was muss passieren, dass die Hilfe nicht diejenigen verärgert, die nun mit Flüchtlingen konkurrieren: um billigen Wohnraum, an den Tafeln um Essen und um Arbeitsplätze für Ungelernte?

Zwei Dinge dazu: Jetzt ist ein Beitrag von uns allen gefordert. Das muss man den Menschen auch so sagen. Gleichzeitig müssen wir einen Wettbewerb unter den Verlierern dieser Gesellschaft verhindern. Wir müssen alle Ansprüche aus den Sozialgesetzbüchern erfüllen. Dazu sind wir auch ohne weiteres in der Lage.

Viele werden sagen: So viel Aufwand wie für die Flüchtlinge haben wir für langzeitarbeitslose Deutsche nie getrieben!

Keiner von denen muss in einer Massenunterkunft mit tausend Leuten leben oder im Winter in einer Zeltstadt übernachten. ­Niemand wird mit den Flüchtlingen tauschen wollen.

Politiker schlagen Ausnahmen beim Mindestlohn vor, damit ungelernte Flüchtlinge schneller in Arbeit kommen. Dienen die Flüchtlinge als Vorwand, um Sozialstandards auszuhöhlen?

Die Kanzlerin hat diese Vorschläge abgewiesen.

"Ethnische Konflikte? Da müssen wir aufpassen"

Dennoch kann der Flüchtlingsstrom dazu Anlass geben.

Der Flüchtlingsstrom wird vor allem von mafiösen ­Gruppen ­ausgenutzt, von Schleppern, die sich an diesen Menschen ­bereichern. Wir waren uns auf dem Flüchtlingsgipfel im Kanzler­amt einig mit Frau Merkel, dass keiner die Lage nutzen wird für ein Dumping von Sozialleistungen.

Flüchtlinge ohne sicheren Aufenthaltsstatus sollen mehr Sachleistungen bekommen als Geld. Ist das der richtige Weg?

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Nein. Dann müssten ohnehin überforderte Behörden auch noch überlegen: Wer bekommt was, und wie bringen wir die richtigen Dinge an den richtigen Mann und die richtige Frau? Im Übrigen wurde nie nachgewiesen, dass Sachleistungen jemanden ­davon abhalten, zu uns zu kommen. Wir brauchen keine Schein­lösungen.

Sachleistungen für Flüchtlinge könnten den Armen in Deutschland deutlich machen, dass sie nicht gegenüber den Flücht­lingen benachteiligt werden.

Das halte ich für weit hergeholt. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass das Existenzminimum allen zusteht, unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus.

Holen wir uns die Konflikte aus dem Nahen Osten ins Land – Terrorismus, Bandenkriminalität und ethnische Konflikte?

Da müssen wir aufpassen und deutlich machen, dass jeder willkommen ist, der sich auf dem Boden des Grundgesetzes integrieren will. Ich bin kein Freund davon, Menschen nach Ethnien oder Religionen auf unterschiedliche Lager zu verteilen. Wir müssen von Anfang an zumuten und einüben, dass wir miteinander ­klarkommen, auch wenn wir nicht der gleichen Meinung sind.

„Die Zuwanderer werden unsere Kultur und unseren Lebens­standard verändern“

Wie übt man das ein?

Indem man es den Leuten sehr früh erklärt. Auf Initiative der SPD ist das Grundgesetz in arabischer Sprache in einigen Lagern verteilt worden. Das Ausmaß an Fehlinformation und Nicht­information unter den Flüchtlingen hat mich sehr beunruhigt. Mir haben Menschen gesagt, sie möchten gern über die Ukraine nach Finnland flüchten. Andere dachten, England sei im Moment das gelobte Land. Sie wissen nicht, was in diesen Ländern los ist. Sie kommen mit irgendwelchen Ideen, die ihnen oft Schlepper erzählt haben.

Was sagen Sie hiesigen Eltern, wenn immer mehr Schulkinder wenig Deutsch können, wenn Klassen größer werden und es nicht genügend Lehrer gibt, wenn Turnhallen belegt sind?

Dass wir einige Zumutungen in den nächsten Jahren aushalten müssen. Deutschland ist mit seinem Wohlstand und seinem ­Frieden eine Insel der Seligen. Der Zustrom an Flüchtlingen wird vieles verändern, auch uns. Darauf müssen Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen und alle gesellschaftlichen Gruppen die Bürger vorbereiten.

Sie sprechen von einem Ausnahmezustand. Andere sagen: Das ist erst der Anfang. Nach den Bürgerkriegsflüchtlingen kommen vielleicht die Klima- und Hungerflüchtlinge.

Ich bin kein Prophet. Ich vermute nach allem, was ich gesehen habe, dass uns die Zuwanderung im nächsten Vierteljahrhundert erheblich beschäftigen wird. Zuwanderer werden unsere Kultur, die Lebens- und Wohlfahrtsstandards verändern. Wir werden auch Opfer bringen müssen.

Was müssten deutsche Politiker tun, um düsteren Szenarien in der Dritten Welt vorzubeugen?

Wir sollten vorsichtig sein, anderen Ratschläge zu erteilen. Wir sind ein Teil des Problems. Wir Deutschen verursachen zu einem erheblichen Teil den Klimawandel. Wenn alle so viel Energie verbrauchen würden wie wir, dann bräuchten wir drei oder vier Planeten. Die Politik muss sich auf die Klimaziele einlassen, die gerade in New York verabschiedet worden sind.

Wir müssen auch alles tun, um gewalttätige Konflikte zu deeskalieren. Wir ­müssen den Waffenhandel sehr stark begrenzen. Und wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir nicht alle Konflikte durch militärische Intervention lösen können. Wir brauchen mehr Geduld, um ­Katastrophen wie der in Syrien entgegenzuwirken.

"Wir brauchen jetzt Politiker mit einem Blick aufs Ganze"

Wir erleben eine Welle der Hilfsbereitschaft, die viele Menschen in und außerhalb von Deutschland verblüfft. Wie lange, glauben Sie, hält sie an?

So lange, wie wir allen Menschen deutlich machen können, dass wir jetzt einen besonderen Beitrag leisten müssen. Dass wir einen langen Atem brauchen. Und dass wir sehr gute Chancen ­haben, unser Land damit voranzubringen – wenn die Demokraten ­zusammenhalten.

Jeder zweite Flüchtling ist jünger als 25 Jahre. Hat die Hilfsbereitschaft auch damit zu tun, dass viele in der Ankunft der Flüchtlinge die Lösung unseres demografischen Problems sehen?

Wir sollten nicht bloß darauf schielen, was uns nützt. Gute Flüchtlingspolitik nimmt die humanitären Herausforderungen ernst und verbindet sie mit politischen Chancen.

Freiwillige Helfer stöhnen, weil die deutsche Bürokratie ihren Schützlingen das Leben schwermacht. Geduldete können keine Konten eröffnen und sich selbst keine Wohnung suchen; Neugeborene bekommen keinen ordentlichen Geburtsschein. Wo müssen Innenminister von Bund und Ländern nachbessern?

Deutschland hat ein funktionierendes Sozialgesetz und eine differenzierte Institutionenlogik. Das ist gut so, aber wir brauchen jetzt Politiker mit einem Blick aufs Ganze, die wichtige Probleme lösen. Das ist auch deshalb kompliziert, weil Bund, Länder und Kommunen unterschiedliche Zuständigkeiten haben: Brandschutz ist Ländersache, den kann der Bund nicht ändern. In ­normalen Zeiten ist das sinnvoll, jetzt ist es oft ein Hindernis.

"Wir brauchen legale Wege aus Syrien nach Deutschland"

Brandschutzverordnungen werden schnell geändert. Flücht­lingen zügig den Aufenthalt zu genehmigen, fällt wohl schwerer.

Einfach ist es jedenfalls nicht. Es wurde diskutiert, die Alt­verfahren sofort als erledigt zu betrachten. Dann hätte aber ­Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles ein Problem, weil sie gleich über 200 000 neue Hartz-IV-Bezieher finanzieren müsste. Dann würden die Arbeitslosenzahlen steigen, Leistungen gekürzt und so weiter.

Jede Entscheidung hat sofort Auswirkungen an anderer Stelle. Wir brauchen Politiker, die das erkennen. Ich ­wünsche mir, dass sie das Know-how in den Wohlfahrtsver­bänden, bei Diakonie, Caritas und anderen gut nutzen. Manche Politiker gehen unter dem Druck der Ereignisse in den Modus der Alleinverantwortung über. Das ist nicht hilfreich.

Was raten Sie Bürgern, die sich noch engagieren wollen?

Man sollte sich erkundigen, was sinnvoll ist. Leute haben schon Fahrräder für Flüchtlinge gesammelt und kamen mit 50 Rädern in eine Einrichtung. Doch damit ist nicht unbedingt geholfen. Also erst bei den zuständigen Leuten fragen: Wo ist mein Engage­ment auch wirklich hilfreich?

Was halten Sie von Privatinitiativen von Bürgern, die Flüchtlinge mit Selbstverpflichtungserklärungen ins Land holen?

Das ist sinnvoll. Es läuft über den Familiennachzug: Die Ange­hörigen in Deutschland müssen versichern, dass sie für die Kosten, die ihre Verwandten in Deutschland verursachen, selbst aufkommen. Viele irakische und syrische Familien sind damit finanziell überfordert. Da ist es gut, wenn Deutsche an ihrer Stelle bürgen. Wir brauchen legale Wege aus Syrien, dem Irak, der Türkei, dem Libanon und Jordanien nach Deutschland.

Welche anderen legalen Wege kann die Bundesregierung für Flüchtlinge schaffen?

Alle europäischen Staaten müssen sich verpflichten, eine nennenswerte Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Leider sind viele europäische Staaten dazu noch nicht bereit. Nun erwägt die Bundesregierung, Wartezonen an den europäischen Grenzen einzurichten, in denen Ankommende registriert und Visa nach Prüfung erteilt werden können. Nachdem wir in Mazedonien und Serbien gewesen sind, bin ich aber überzeugt, dass solche Wartezonen weder in Griechenland noch sonst irgendwo irgendetwas bewirken werden.

Warum nicht?

Das wird Länder wie Griechenland überfordern. Da kommen Tag und Nacht zwischen sechs- und zehntausend Menschen an. Außer­dem werden sich die Flüchtlinge ohne eine Perspektive  nicht zwangsregistrieren lassen. Wir haben ja in Ungarn gesehen, dass das nicht funktioniert.

"Wenn wir versagen, gibt es einen großen sozialen Sprengstoff"

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Orte, an denen Flüchtlinge für drei Monate einen legalen Status erhalten, bis ihr Verbleib endgültig geklärt ist. Dort bekommen sie Hilfe und erfahren: Hier oder da wären im Moment die besten Chancen für ein besseres Leben. Alles muss freiwillig sein. Das würde diesen immensen Strömen von Menschen etwas Ziel und Richtung geben.

Ein legaler Status für den Schengenraum – auch das geht nur mit Zustimmung der anderen EU-Länder.

Ja, die ganze Flüchtlingskrise lässt sich nur europäisch lösen.

Die Bundesregierung will auch die Flüchtlingslager außerhalb Europas verstärkt unterstützen.

Das ist unbedingt notwendig, damit die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, mit Schulen und Ärzten einiger­maßen vernünftig läuft. Derzeit sind die Lebensumstände in diesen Lagern so, dass die Leute dort nicht den Ansatz einer ­Perspektive haben. Wer bisher gesagt hat: „Ich warte hier so ­lange, bis ich wieder nach Hause gehen kann“, der verlässt nun diese Lager Richtung Europa.

Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn wir Europäer in dieser Krise versagen?

Die Leute kommen ja, sie lassen sich nicht aufhalten. Zur Not ­machen sie sich allein auf den Weg und suchen gewaltsam ­Chancen für ein besseres Leben. Schlimms­tenfalls ist die europäische Idee auf Jahrzehnte desavouiert. Wir kehrten zu Nationalstaaten zurück mit vielen Rechtsradikalen. Und wir hätten viele Menschen unter uns ohne geregelten Aufenthaltsstatus, was für alle Länder großer sozialer Sprengstoff wäre. Wenn wir ver­sagen, würden sich auch die Katastrophen um Syrien herum ­weiter ­verstärken. Konflikte in Afrika würden noch dazukommen, in Staaten, die gerade zerfallen.

Worin sehen Sie unsere Chance, wenn wir es richtig machen?

Dass die Menschenrechtsidee in Europa nicht nur auf dem ­Papier steht, sondern vielen eine bessere Zukunft ermöglicht. Wir schaffen es, die Flüchtlinge zu integrieren. Und wir schaffen ein ­Europa, in dem Menschen unabhängig von ihrer Weltanschauung, ihrem Glauben, ihrer Herkunft willkommen sind – wenn sie sich in ­dieses Europa, so gut es geht, einbringen.

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Herr Ulrich Lilie macht in seinem Interview einige Aussagen über Dinge, von denen er - höflich gesprochen - nicht allzu viel Ahnung zu haben scheint.  Zu der im Hinblick auf evtl. kommende Klima- und Hungerflüchtlinge gestellten Frage: "Was müssten deutsche Politiker tun, um düsteren Szenarien in der dritten Welt vorzubeugen?" stellt er fest: "Wir sind ein Teil des Problems. Wir Deutschen verursachen zu einem erheblichen Teil den Klimawandel."

 Wir Deutschen stellen ungefähr 1 % der Weltbevölkerung. Für den sog. Klimawandel wird üblicherweise als Hauptverursacher das Kohlendioxid angesehen. Deutschlands Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen beträgt etwa 2,5 %. Ist das ein erheblicher Anteil?

Weiter heißt es bei Lilie: "Wenn alle soviel Energie verbrauchen würden wie wir, dann bräuchten wir drei oder vier Planeten." Eine solche Aussage ist schon ziemlich abenteuerlich, denn eigentlich geht dieses Gedankenexperiment nach meinem Verständnis genau in die Gegenrichtung:

wenn alle Menschen den gleichen Energieverbrauch wie wir hätten (Energieverbrauch = Maß für den Entwicklungsstand einer Gesellschaft), hieße das doch, alle Menschen sind auf gleichem Entwicklungsstand und haben den gleichen Wohlstand erreicht wie wir. Es gäbe keinen Grund mehr gegeneinander Kriege zu führen oder sich auf Wanderschaft zu begeben, die Menschen würden - um mit dem Papst zu reden - sich nicht mehr wie die Karnickel vermehren, sondern eher im Gegenteil Sorge um zu wenige Kinder haben, wie in allen entwickelten Ländern zu besichtigen ist. Das heißt, die Welt würde sich einem paradiesischen Gleichgewicht nähern. 

Eine schöne Utopie für unseren einen Planeten!

Nur ungefähr ein Drittel der deutschen CO2-Emissionen geht übrigens auf das Konto Energieerzeugung, zwei Drittel entfallen auf Verkehr und Heizung. Deutschland will bis 2020 zehn Milliarden Euro pro Jahr investieren, um damit die vor Jahren beschlossene Emissionsreduzierung (jährlich 22 Millionen Tonnen CO2) zu erreichen. Der Effekt für die CO2-Bilanz der Welt für diesen gewaltigen finanziellen Einsatz , ist kaum meßbar und liegt im Bereich unter einem Tausendstel Prozent CO2-Minderung! Ob diese Milliarden nicht woanders besser angebracht wären, ist schon eine berechtigte Frage.

Aussagen von Herrn Lilie, wie "Wir müssen alles tun, um gewalttätige Konflikte zu deeskalieren....... Wir müssen den Waffenhandel sehr stark begrenzen" oder "wir brauchen mehr Geduld, um Katastrophen wie der in Syrien entgegenzuwirken" sind hehre Ziele, die sich von der Kanzel gut verkündigen lassen, aber in der grausamen Realität, die wir überall auf der Welt erleben, wohl leider nicht ausreichend sind. Wie kann man mit Geduld Katastrophen, wie der in Syrien entgegenwirken?

Dr. Wilhelm Lendle, Bad Soden

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Eltern, deren Kinder in überfüllte Schulklassen gehen müssen, in denen viele Kinder kein Deutsch sprechen, sagt Herr Lilie, „dass wir einige Zumutungen in den nächsten Jahren aushalten müssen.“

Das ist in meinen Augen im höchsten Maße zynisch! Denn die Kinder, die kein Deutsch sprechen, werden sich nicht gleichmäßig über alle Bevölkerungsschichten verteilen.

Es werden die Armen und Alten sein, die in Mietshäusern wohnen, in denen sie ihre Nachbarn nicht mehr verstehen. Und es werden die sowieso sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen sein, die in Schulen gehen, in denen man Deutsch nicht lernt, sondern verlernt.

Haben für Herrn Lilie denn Deutsche kein Recht auf Heimat mehr?

Mit freundlichen Grüßen

J. U. Bader

 

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Zum Leserbrief von Herrn Dr. Lendle: Ihre klimapolitische Erbsenzählerei finde ich nicht zielführend für die Flüchtlingsdebatte. Ich finde Herrn Lilies Ausführungen sehr sachkundig und weitsichtig. Er hat doch recht mit seinen Analysen und Einschätzungen - und ich kann dort nicht herauslesen, dass aus der Aufnahme von Flüchtlingen Nachteile für sozial benachteiligte Einheimische entstehen sollen, wie Herr/Frau Bader befürchtet. Die Diakonie setzt sich ja auf vielen Ebenen auch für sie ein! Das Interview verdient Aufmerksamkeit und Verbreitung!

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Gibt es z.Zt. einen aktuelleren Text eines Liedes, das alle Menschen – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit - mit der Bitte um Frieden singen, beten oder auch nur lesen können: „Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein andrer nicht, der führ uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine“ ?

Peter Groscurth, Bonn