Dirk von Nayhauß
Luther hatte ­eine klare Botschaft: Mischt euch ein!
Frank-Walter Steinmeier: Luther hatte ­eine klare Botschaft: Mischt euch ein!
12.10.2014

Christsein und Politik, Reformation und Politik – was diese Welten miteinander zu tun haben, darüber denke ich oft nach. Als Christ bin ich verantwortlich für mein Tun, aber eben auch für mein Nichttun. Auch das Sich-Heraushalten ist die Flucht vor Verantwortung. Im Matthäusevangelium gibt es eine schöne Stelle, in der es um das Jüngste Gericht geht: „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt... Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht... Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.“ (Matthäus 25,42–45). Das ist eine Ermahnung an Christen, nicht abseits zu stehen und nicht wegzugucken, wenn Menschen in Not geraten.

Die Reformation war in diesem Sinn ein Wendepunkt für das Verhältnis von Christen und der Welt. Luther hatte ­eine klare Botschaft: Mischt euch ein! Nehmt eure Verantwortung vor Gott und vor der Welt ernst! Das ist es auch, was mich bis heute anspricht an der Reformation und an Luther: die Aufforderung an jeden Einzelnen, schon im Hier und Jetzt für Liebe statt Hass, für Versöhnung statt Krieg ein­zutreten. Wenn wir im Vaterunser beten: „Dein Reich komme“ – dann sind wir mitverantwortlich, Schritte auf dem Weg dahin ­zu gehen. Darin wohnt eine Bereitschaft zur Weltveränderung. Vor allem aber die Gewissheit: Die Zukunft ist offen!

Und dennoch: In der Außenpolitik klingt die Losung „Dein Reich komme“ bestenfalls wie ein ganz, ganz weites Fernziel. Die Menschen wissen und spüren natürlich, wie weit Ideal und Wirklichkeit voneinander entfernt sind. Gerade in Deutschland wenden sich viele Menschen ab von den großen außenpolitischen Krisenherden und sagen: „Die Lage ist so verfahren – was kann man da schon ausrichten?“

Wenn ich das höre, denke ich an die Warnung von Dorothee Sölle: Man dürfe sich von der Ohnmacht nicht überwältigen lassen. „Da kann man nichts machen“, fand die Theologin, sei ein gottloser Satz. Und deshalb sage ich immer wieder: Doch, selbst in festgefahrenen Konflikten kann Außenpolitik etwas bewegen. Mit Augenmaß, Geduld, Gradlinigkeit und dem unbeirrbaren Willen, zu verhandeln und auch andere Standpunkte wahrzunehmen. Und in dem Wissen, dass es immer Alternativen zum Krieg gibt.

Aber natürlich heißt Reformation mehr als mitmachen. Wir sollen das nach christlichen Maßstäben tun. Unser evangelischer Glaube gibt uns ein Fundament, eine Richtschnur für unser Handeln. Er ruft uns auf, Überzeugungen zu haben, zu ihnen zu stehen, Fragen zu stellen und uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen – und nicht die Geduld zu verlieren. Auch das trifft sich gut mit meinem eigenen Erleben in der Politik. Denn in der Außenpolitik, bei allem Leid, Elend und Blutvergießen, können wir den Erwartungen nach schnellen Erfolgen, nach richtigen Lösungen noch viel weniger gerecht werden als in der Innen­politik. Unser Geschäft ist es eher, dass wir uns auch im Zustand totaler Aussichtslosigkeit um kleinste Fortschritte bemühen. Immer gibt es Hoffnung – und Rückschläge. Genau dazwischen liegen unsere Möglichkeiten, immer wieder.

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Mit der Betonung "Luther hatte eine klare Botschaft: Mischt euch ein!" versucht unser Außenminister die gegenwärtige Außenpolitik des Westens zu rechtfertigen. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat diese Einmischung immer wieder zu "heißen" Kriegen geführt, das heißt eben nicht für Versöhnung und nicht für Liebe. Herr Steinmeier widerspricht sich selbst. Der Prinzip "Nichteinmischung" wurde 1975 in Helsinki durch Westen auch unterschrieben, was damals maßgeblich zur Entspannung beigetragen hat. Wen eine Seite den Friedensvertrag bricht, dann wird auch Luther nicht helfen. Auch Gott nicht.

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