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Gottloser Osten?
Gottloser Osten? Warum im Stammland der Reformation viele Menschen den Glauben verloren
26.06.2012

Eine wissenschaftliche Erhebung der Universität Chicago erbrachte ein ungewöhnliches Ergebnis: Im Osten Deutschlands glauben weniger Menschen an Gott als in irgendeiner anderen Region der Welt. Demnach ist der Glauben an Gott auf den Philippinen mit 94 Prozent der Befragten am höchsten, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR mit 13 Prozent am niedrigsten. Daten aus 30 überwiegend christlich geprägten Ländern liegen der Studie zugrunde. Seit 1991 waren dort mindestens zwei Mal religiöse Überzeugungen abgefragt worden.

Martin Mosebachs gewagte Behauptung

Nun werde ich ständig mit einer eigenwilligen Interpretation dieser Untersuchung konfrontiert: Der Schriftsteller Martin Mosebach hält das für eine Konsequenz der Reformation und erklärt, dass „der Protestantismus...mit seinem Hang zur Säkularisierung fast notwendig zur Schwächung des Glaubens geführt hat. Sonst hätte der Kommunismus den Glauben dort nicht so nachhaltig zerstören können“ („Die Welt“ vom 21. April 2012). Eine gewagte Behauptung! Und eine steile Vorlage für alle, die das Reformationsjubiläum 2017 nicht unter Beteiligung der Katholiken begehen wollen, sondern sich, wie Mosebach, lieber zurück vor das Zweite Vatikanische Konzil und seine neue ökumenische Zielbestimmung begeben wollen. 

Einspruch, Martin Mosebach! Gewiss, Ostdeutschland führt die Liste der glaubensleeren Regionen an. Aber Tschechien und Frankreich folgen auf dem Fuße: auf Platz zwei und fünf. Tschechien hat wie Ostdeutschland erleben müssen, wie ein Regime, das sich der kommunistischen Ideologie verpflichtet wusste, den Menschen ihren Glauben als „Opium des Volkes“ systematisch austreiben wollte. Die Deutschen haben das einmal wieder offensichtlich mit größter Gründlichkeit getan. Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht ging dabei einmal so weit zu verbieten, polnische Weihnachstsgänse zu importieren und Tannen zu fällen – nur um diese Bräuche zu zerstören.

Aufklärung und Säkularisierung waren doch keine Irrwege!

Und Frankreich? Es galt wahrhaftig nie als Land der Reformation. Aber mit dem Ruf des Volkes nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wurde eine Kirche kritisch hinterfragt, die sich mit der politischen Macht verbunden hatte und eben diese Parolen nicht mittragen wollte.
Es ist eine zentrale Errungenschaft der Reformation, dass Glaube und Vernunft beieinanderbleiben. Aufklärung und Säkularisierung waren doch keine Irrwege! Es ist gut, dass Staat und Religion getrennt sind – für beide Seiten! Eine Art „Gottesstaat“ oder auch „Diktat der Religion“ fördert die Freiheit nicht. Gott sei Dank leben wir in einer Gesellschaft, in der Menschen Mitglied einer Religionsgemeinschaft sein können oder auch nicht. Das entspricht der „Freiheit eines Christenmenschen“, von der Luther sprach.

Wer heute durch den Osten Deutschlands fährt, entdeckt eine Kulturlandschaft, die einem großen religiösen Aufbruch in die Freiheit Raum verschaffte. Und kann mit Menschen sprechen, die ihren Glauben bewahrt haben in schweren Zeiten. Menschen, deren Glaubenskraft am Ende die Mauer gewaltfrei zum Einstürzen brachte. Davor habe ich allergrößten Respekt. Ich wünsche mir, dass wir das im Jahr 2017 gemeinsam feiern. Die Kirche ist eine. Menschen haben sie geteilt – am Anfang des zweiten Jahrtausends in eine Ost- und eine Westkirche. Im 16. Jahrhundert in zwei konfessionelle Stränge. Sie ist heute geteilt in viele Facetten, auch in Arme und Reiche in aller Welt, in allzu Satte und die, die es hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Es gilt, das Gemeinsame zu sehen und zu feiern, statt Spaltungen festzuschreiben

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Aha, die "Glaubenskraft" der Menschen in den Neuen Bundesländern hat also "die Mauer gewaltfrei zum Einstürzen gebracht."
Es war also nicht der völlige wirtschaftliche Ruin des DDR-Regimes,welches seine Bürger nur noch mit Milliardenkrediten aus dem Westen vor dem Verhungern bewahren konnte... Oder die Einsicht der UdSSR, daß ihr mit der westlichen Nachrüstung und mit dem ABM-Programm der USA ihre einzige Trumpfkarte - die Streitkräfte - aus der Hand geschlagen worden war ...
Oder die konsequente Ablehnung des kommunistischen Regimes durch die katholische Kirche ... wohlgemerkt nicht durch die protestantische !

Die protestantische Kirche in Deutschland kann für sich nur wenig Verdienst am Fall der Mauer in Anspruch nehmen !

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Man müßte sicher eine lange Geschichte schreiben, wie sie ich und viele andere erlebt haben. Da finden sich noch andere Erklärungen. An der Frage, warum sich die Kirche nach 1990 nicht wieder "erholt" hat, wird aber deutlich, dass die Kirche das Vertrauen und die Hoffnung und die Spiritualität des Wendejahres - deutlich an den vollen Gotteshäusern - nicht aufnehmen konnte. Die Kirche dachte, es wird nun wieder wie es früher war und statt sich auf die Menschen nun noch ganz anders und in Freiheit auszurichten, hat man versucht, zu restaurieren. Ob in Gebäuden (der Wiederaufbau der Frauenkirche war heftig umstritten!), ob, hier weiß ich es ganz genau, in der Frage der Konfirmation, oder in vielen anderen Formen. Am 31.Oktober 1990 war der Gottesdienst zum Reformationsfest rappeldickevoll, ein Jahr später leer wie immer. Das eine Mal kamen die, für die eine Tradition um "unseren Vater Luther" wieder belebt schien, die mir Geschichten von den im Ort noch stehenden Luther-Eichen erzählten und - ich übertreibe nicht - unter Tränen "ein feste Burg" sangen, aber dann begann der bundesdeutsche Alltag mit den ersten Arbeitsämtern im Januar 1991 - es war nicht die heile Welt und auch nicht die heile Kirchenwelt, in die wir uns gewendet hatten. Kirche schafft es bis heute nicht, in dieser und nun schon wieder anderen Welt auf die Menschen so zuzugehen, wie sie es brauchen. Das ist auch im Westen so, nur gab es hier nie diesen Druck wie in der DDR. An den vielen Experimenten und Veränderungen in der westlichen Konfirmandenarbeit wird aber deutlich, dass man sich auch im Westen schwer tut, Menschen zu erreichen. Ich wünschte mir, wir kämen endlich mal von den einseitigen DDR-Erklärungen weg und würden untersuchen, was denn bei den Kirchen hausgemacht war und ist. Die Kirchen haben zu DDR-Zeiten durch manche starre Haltung und dem Beharren auf dem Gestern viele Menschen vor den Kopf gestoßen und es ihnen doppelt schwer gemacht, dabei zu bleiben. Junge Menschen, die vom Staat zur Jugendweihe gedrängt wurden, mußten dann von der Kirche auch noch hören, dass sie gesündigt haben. Sie durften ein Jahr später als die eigentlich nicht richtigen (Sprachgebrauch von damals!!!) Konfirmanden diese Feier nachholen. Dieser Teil der Geschichte und vieles andere muß aufgearbeitet werden, denn das hat die Mitgliederschrumpfung zumindest beschleunigt.
Im ürbigen wage ich zu fragen, ob es Glaubenskrft war, die die Mauer zum Einstürzen brachte, sondern vielmehr die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit, die sie in den Mauern und Formen der Kirche friedlich umsetzen konnten. Dabei kam ein geschwächtes System, ein abtrünniger Freund und Bruder Gorbatschow und vieles andere entgegen. Die Kirche hat den Menschen Kerzen gegeben und das mitunter gar nicht mit so sehr Glaubenskraft, sondern begleitet von großen Ängsten, dass es kippen könnte. Es sah vor Ort schon ganz anders aus, als jetzt glorifizierend gesagt wird.

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Ich persönlich sehe das Problem nicht unbedingt in unserer Vergangenheit der DDR. Ich klage viel mehr die heutigen Medien an, welche den Glauben in der Bevölkerung zerstören. Wer natürlich immer nur schlechte Nachrichten über die Kirche liest, wird dieser natürlich auch nicht beitreten. Dass Religion aber auch vielen Menschen Trost spendet wird nie mit auch nur einem einzigen Wort erwähnt. Dabei sehen wir, dass die von der Politik geleiteten Medien nichts weiter tun, als der Bevölkerung keine positiven Nachrichten über die Kirche zu bringen da die deutschen Politiker selber als Götter fungieren wollen. Sie wollen den Glauben in der Bevölkerung zerstören, damit die Leute sie quasi für Götter halten. Wenn die Menschen nämlich nicht den Herrn fürchten, sondern unsere Politiker, erhalten die Politiker mehr Macht und die Menschen würden alles tun was die Politiker sagen. Würden die Menschen nämlich an Gott glauben und ihn als den Herrn ansehen, würden sie sich nicht jeden Mist von der deutschen Regierung gefallen lassen, weil sie erkennen würden, dass der Herr weit über unseren Politikern steht und viel mächtiger ist als unsere Politiker jemals sein würden. Schauen wir uns doch nur die CDU an. Was heißt CDU? Christlich-demokratisch. Aber sind sie wirklich Christen? Befolgen sie die Lehren und Gesetze der Bibel? Kein bisschen. Ganz im Gegenteil. Wenn sie wirklich christlich wären, würden sie nicht so exorbitant selbst von den Ärmsten der Armen nehmen. Von all den anderen Parteien ganz zu schweigen. Selbst die sogenannte "Partei der bibeltreuen Christen" ist nichts weiter als eine Ansammlung von Extremisten, welche das Bild unserer Religion in der Bevölkerung natürlich noch verschlimmert.

Und die Politik hat dabei nicht nur durch die Medien schuld, welche von der Politik geleitet und zensiert werden. Es liegt auch an der hohen Arbeitslosigkeit, gerade hier in Ostdeutschland. Die arbeitslosen Menschen haben sämtlichen Glauben an das Leben und dessen Sinn dank unserer kapitalistischen Politik, welche diese Arbeitslosigkeit verschuldet hat, verloren. Wer keine Hoffnung und keinen Sinn in seinem Dasein sieht, der ist auch oft nicht bereit an den Herrn zu glauben.

Ich habe Kontakt im Internet zu einigen Filipinos. Ja, sie sind sehr christlich geprägt, dabei muss ich aber betonen, dass dies nur für die Nordhälfte des Landes gilt. Die Südhälfte des Landes ist zum Großteil muslimisch geprägt. Beide Religionen leben dort in Frieden miteinander. Und genau das verschweigen die deutschen Medien. Denn die deutsche Politik möchte nicht die Bilder von Menschen unterschiedlicher Religionen zeigen, welche friedlich zusammen leben. Sie möchten viel lieber mit Bildern von Krieg und Gewalt Angst schüren vor Muslimen und Christen gleichermaßen, damit die deutsche Bevölkerung nicht an Gott und seinen Gläubigen glaubt, sondern vielmehr an unsere machtgierigen Politiker.

Solche "Schriftsteller" wie Martin Mosebach wollen dieses Bild mit ihren Schriften doch nur noch mehr schüren. Natürlich wird dann anstatt unserer jetzigen kapitalistischen Politiker der Erzfeind der Kapitalisten, nämlich der Kommunismus, als Grund für die Gottlosigkeit in der Bevölkerung aufgeführt damit die Bevölkerung nicht auf die Idee kommt, dass in Wahrheit die jetzige Regierung Deutschlands daran schuld ist, dass immer weniger Menschen Gottesfürchtig sind.

Und trotz dieser schweren Zeit, weiß ich dank des alten Testaments, dass uns der Zorn Gottes so lange erspart bleibt, solange wenigstens 10 Menschen in einer Stadt an den Herrn Glauben. Dies kann man nachlesen im Buch Genesis Kapitel 18.

Martin Luther kämpfte mit Wort und Feder gegen die Lügen der römisch-katholischen Kirche. Ich wünschte, es würde jemanden wie ihn geben, der mit Wort und Stift öffentlich gegen die Lügen unserer Politiker aussagen würde und nicht nur in irgendeinem kleinen Internetblog der von zwei Leuten pro Tag gelesen wird.

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Doktor Murkes gesammeltes Schweigen ist der Titel einer Kurzgeschichte von Heinrich Böll. Erstveröffentlicht wurde sie 1955 in den Frankfurter Heften, eine erweiterte und überarbeitete Fassung erschien 1958 in dem Sammelband Doktor Murkes gesammeltes Schweigen und andere Satiren. Thema ist die intellektuelle Kontinuität zwischen NS-Ideologie und der Kultur der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik.

Heinrich Böll siedelt die Geschichte beim Rundfunk und insbesondere dessen Kulturabteilung an, die als Spielball politischer Interessen dargestellt werden. Der Intendant des Senders verhilft einem bereits zur NS-Zeit hochgelobten Intellektuellen zu einem Podium. Diesen Typus verkörpert der Literat Bur-Malottke, der plötzlich wegen „religiöser Bedenken“ darauf besteht, dass in seinen in der frühen Nachkriegszeit produzierten Vorträgen nachträglich das Wort „Gott“ durch „jenes höhere Wesen, das wir verehren“, ersetzt wird. Damit nimmt Bur-Malottke seine zur NS-Zeit opportune antikirchliche Richtung wieder auf.

Könnte auf die heutige Zeit übertragen werden!

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Autor des folgenden Beitrages ist Iwan der Schreckliche. Zitat aus dem Artikel: "Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht ging dabei einmal so weit zu verbieten, polnische Weihnachstsgänse zu importieren und Tannen zu fällen - nur um diese Bräuche zu zerstören." Ein echt fieser atheistischer Anschlag auf eine zentrale christliche Glaubensgewissheit! Wie soll man glauben können, dass Gott Mensch geworden ist, wenn es dazu nur ungarische Gänse zu futtern gibt. ____________________________ Zitat: "Demnach ist der Glauben an Gott auf den Philippinen mit 94 Prozent der Befragten am höchsten, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR mit 13 Prozent am niedrigsten." Da heißt es, die Glaubensärmel hochzukrempeln und die Neuevangelisation im heidnischen Osten auf höhere Touren zu bringen. Filipinos haben echt was drauf in Glaubensdingen. Auch dieses Jahr wurden neun Männer mit Dornenkronen auf dem Kopf vor den Augen der Zuschauer in dem Dorf San Pedro Cutud für einige Minuten ans Kreuz genagelt. In benachbarten Dörfern fanden mindestens acht Kreuzigungen statt. (dapd-Meldung nach Freie Presse vom 06.04.2012). Zum Reformationsjubiläum 2017 bleiben Hammer, Nägel und Dornenkronen in Deutschland natürlich weg, aber die in diesen schönen christlichen Bräuchen sichtbar werdende Glaubensstärke ist vorbildlich. Da mögen atheistische Staatsratsvorsitzende noch so toben...

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Das Ergebnis der Umfrage ist erschütternd. Meines Erachtens nach liegt die Ursache einerseits in der SED-Kirchenpolitik mit den Schwerpunkt Jugendweihe, dem gezielten Hintenansetzen von Christen in der Bildung (Verweigerung des Abiturs oder Weiterbildungsmaßnahmen die zur besseren Karriere führten), die latente Atheismuspropaganda und das Umgarnen der Kirchenführungen. Die Propagierung der "Kirche im Sozialismus" hat viele Menschen abgeschreckt. Länder, in denen die Kirche wahrhaft Märtyrerkirche war (Rumänien, Bulgarien und Sowjetunion u.a.) stehen statistisch besser da. Warum wohl? Nun die Kirche war glaubhafter. Das Ergebnis, wenn man es so nennen kann, zeigt auch auf, dass die Kirche nicht glaubhaft geglaubt und bekannt hat. Ich weiß von was ich spreche, denn ich habe in der DDR als Christ gelebt und wurde zweimal aus politischen Gründen inhaftiert, habe 1 1/2 Jahre in DDR-Gefängnissen verbringen müssen. Als ich nach meiner Entlassung aus der Haft mit einem Pfarrer sprechen wollte, lehnte es dieser ab. Die Begründung: Ich hätte das Vertrauensverhältnis zwischen Kirche und Staat gestört. Den gleichen Satz hatte ich auch durch den Stasi-Vernehmer gehört. Also, wo war da die Glaubwürdigkeit? Die Kirchen der DDR haben es auch nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes nicht zustande gebracht mit einem Schuldbekenntnis vor Gott und die Welt zu treten. Dass die Opposition sich in den Räumen der Kirche formieren konnte, ist nicht das Verdienst der Amtskirche. Harte Worte. Ich weiß und diese Worte mache ich auch mir zu eigen. Auch ich habe zu wenig geglaubt und bekannt. Der Herr vergebe mir. Was ist zu tun? Einfach gesagt: Mission. Ich vermisse den missionarischen Charakter in unseren Kirchen. Was ist mit dem Missionsbefehl Jesu? Wird er nicht ernst genommen? Beschäftigen wir uns nur mit Angelegenheiten, die lt. Heiliger Schrift gar nicht sein dürften? Kirche muss wieder glaubhaft werden! Christen müssen glaubhaft werden! Auch ich muss glaubhaft werden. Jesus sagt: bittet, dass er Arbeiter in seine Ernte sende Mt9,38. Beten wir darum, prüfen wir uns, ob nicht wir diese Arbeiter sind. Es gilt nicht, dass wir jammern. Unsere Aufgabe ist glauben, hoffen und wagen. Der Herr Jesus gibt uns die Kraft und den Segen dazu. Dessen bin ich mir sicher. Verkündigung und nicht theologische (Schein)-Diskussionen sind jetzt angebracht. Wir haben Gnade empfangen - Also lasst sie uns weitergeben. Gott helfe uns hierzu.

"Es ist eine zentrale Errungenschaft der Reformation, dass Glaube und Vernunft zusammenbleiben."

So Margot Käßmann.

Der große Reformator Martin Luther selbst dachte freilich anders über die "Hure Vernunft":

"Wer ein Christ sein will, der steche seiner Vernunft die Augen aus."

Und:

"Wenn ich weiß, dass es Gottes Wort ist und Gott also geredet hat, so frage ich danach nicht weiter, wie es könne wahr sein, und lasse mir allein an dem Worte Gottes genügen, es reime sich mit der Vernunft, wie es wolle.

Die Vernunft ist in göttlichen Dingen stock- und starblind; vermessen ist sie genug, dass sie auch darauf fällt und plump hinein wie ein blind Pferd; aber alles, was sie örtert und schleusst, das ist so gewisslich falsch und irrig, als Gott lebet."

Das Glaube und Vernunft einander nicht widersprechen, dass es vernünftige Gründe gibt, an Gott zu glauben, dies lehrte nicht Martin Luther, sondern der Hl. Thomas v. Aquin:

"It was the very life of the Thomist teaching that Reason can be trusted: it was the very life of Lutheran teaching that Reason is utterly untrustworthy. Luther destroyed Reason (...) Sentence by sentence it burned, and syllogism by syllogism; and the golden maxims turned to golden flames in that last and dying glory of all that had once been the great wisdom of the Greeks. The great central Synthesis of history, that was to have linked the ancient with the modern world, went up in smoke and, for half the world, was forgotten like a vapour."(G.K. Chesterton, St. Thomas Aquinas)

Wie wird jemand, der die elementarsten Tatsachen der Kirchen- und Reformationsgeschichte nicht kennt, Botschafterin der evangelischen Kirche für das Reformationsjahr 2017?

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Ihre Polemik (im Original bezeichnender Weise "Wieder mal Käse" betitelt, siehe hierzu: http://morgenlaenders-notizbuch.blogspot.de) in allen Ehren, aber sie fällt wohl eher auf den Autor zurück.

Die Reformation allein auf Luther und einige wenige Zitate zu reduzieren, ist schon einigermaßen dreist. Aber was will man von einem ultramontanen Konvertiten und Vertreter eines buchstäblichen römisch-katholischen Glaubens auch anderes erwarten.

Zum Thema Luther, Glaube und Vernunft mehr bei einem wesentlich Berufeneren:

faz.net/themenarchiv/2.1198/religion-im-21-jahrhundert-glaube-und-vernunft-1382168.html

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Morgenländer hat recht und doch nicht recht. Luther misstraute der Vernunft als Kriterium für den Glauben. Dazu auch von mir ein Lutherzitat: "Anfang, Mitte und Ende aller Irrtümer ist, dass man von den einfältigen Worten Gottes abweicht und mit der Vernunft in göttlichen Wundern handeln und die Sache bessern will." Luther konnte aber auch anders reden: "Das ist freilich wahr, dass die Vernunft eine Wirklichkeit und das Haupt aller Dinge ist und dass sie gemessen an den übrigen Dingen dieses Lebens das Allerbeste, ja etwas Göttliches sei." Aber es soll hier nicht um das Für und Wider in Zitaten gehen. Ich glaube, dass man sich mit Zitaten, vor allem von Luther gegeneinander "totschlagen" kann. Das ist nicht mein Ding!
Wir steuern, so Gott will, auf das Jahr 2017 zu. Ein Jahr, in dem wir besonders für die befreiende Botschaft der Rechtfertigung aus den Glauben danken können. Meine kritische Anfrage ist: Können wir wirklich dieses Befreiende glaubhaft vermitteln? Wie ernst nehmen wir die Botschaft Gottes, wie glaubhaft geben wir sie weiter, wie erreichen wir diejenigen, die nicht (mehr) glauben können? Wie ernst nehmen wir "das Wort sie sollen lassen stahn." Ist wirklich alles was die Kirche tut aus dem Gehorsam gegenüber Gottes Wort? Wie ernst nehmen wir Glaube und Bekenntnis? Gerade bei letzteren fällt mir eine Begebenheit ein, als in einem Gottesdienst die Pfarrerin das Augsburger Bekenntnis in einen Papierkorb mit den Worten: "Das brauche ich nicht, denn ich habe einen Traum" warf.
Wenn wir feiern wollen, dann ist zuerst Besinnung, Rückbesinnung angesagt.

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Morgenländer zitiert am 5. Juli 2012 um 22:21 aus dem Artikel: "Es ist eine zentrale Errungenschaft der Reformation, dass Glaube und Vernunft zusammenbleiben." Dieser Gedanke ist schon allein deshalb irrig, weil er so tut, als wären Glaube und Vernunft je beieinander gewesen und es gelte, unnötigen und unschönen Zerwürfnissen innerhalb dieses Traumpaares vorzubeugen. Das Gegenteil ist der Fall. Wer glaubt, kann glauben, was er will. Bevorzugt wird der Glaube gemäß der Vorgabe eines der untereinander heftigst zerstrittenen gewesenen Obergläubigen. Kühne Mischungen und gelegentliche Neuschöpfungen sind dabei nicht ausgeschlossen. Irgendwelche Grenzen sind der Fantasie nicht gesetzt. Vernunft hingegen will wissen, was Sache ist und nicht ein Traumgebilde auf das nächste setzen. Glaube und Vernunft widersprechen sich. ________________________________ Ausgehend von diesem Widerspruch geben die Gläubigen heiße Tipps, wie damit umzugehen sei. Dabei trifft Luther - ohne es selber zu ahnen - die Sache auf den Kopf mit "...was sie örtert und schleusst, das ist so gewisslich falsch und irrig, als Gott lebet." Ganz recht gesprochen! Der systematische Irrtum namens Gott korrespondiert dazu, ob die Vernunft grundsätzlich beim Örtern und Schleussen daneben liegt oder doch nicht. ________________________ Veuve Clicquot schrieb am 6. Juli 2012 um 20:19: "Die Reformation allein auf Luther und einige wenige Zitate zu reduzieren, ist schon einigermaßen dreist." Und was kommt raus, wenn man undreist Luthers Elogen an die Vernunft ebenfalls zur Kenntnis nimmt? "Es ist was Ausgemachtes, dass die Vernunft unter allen Sachen das Vornehmste, und von allen andern Dingen dieses Lebens das Beste, ja, was Göttliches sei." Zitiert nach David Friedrich Strauss, "Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft dargestellt". Es läuft wie auch heute darauf raus, dass für das sich Einrichten in den zumeist unschönen Zwängen des Alltags energisch auf die Vernunft verwiesen wird. Dieser Vernunft allerdings Hinweise zu entnehmen, dass die glaubensvolle Interpretation dieses Alltags wohl ein ebenso frommer wie für den Normalmenschen schädlicher Irrtum ist, das ist streng verboten.

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Vielleicht hat Martin Mosebach doch nicht so Unrecht, wie Frau Käßmann meint, wenn er behauptet, dass „der Protestantismus … mit seinem Hang zur Säkularisierung fast notwendig zur Schwächung des Glaubens geführt hat“, und damit den massiven Rückgang des Glaubens an Gott im Osten Deutschlands erklären will – anders als Frau Käßmann, die dafür in erster Linie die Jahrzehnte lange kommunistische Indoktrination verantwortlich machen will. Ganz kann das aber nicht stimmen, denn andere Untersuchungen, wie z.B. der von Robert Inglehart ausgewertete „World Value Survey“, zeigen ganz deutlich, dass der Säkularisierungsprozess in allen protestantischen Ländern Europas, also vor allem in Deutschland und in Skandinavien, am weitesten fortgeschritten ist, so dass der Einfluss des Kommunismus zwar als verstärkender, aber sicher nicht als ursächlicher Faktor in Frage kommt.
Im Unterschied zu Mosebach würde ich allerdings nicht in erster Linie auf die Reformation verweisen, sondern auf die Aufklärung. Anders nämlich als in Frankreich sind die Aufklärung und der aufgeklärte Protestantismus in Deutschland immer davon ausgegangen, dass Aufklärung und Glaube nicht im Gegensatz zueinander stehen. Dieses Dogma gilt im Grunde bis heute und wird offenbar auch von Frau Käßmann geteilt, wenn sie davon spricht, „dass Glaube und Vernunft beieinanderbleiben“. Wobei allerdings die – wegen ihrer Unschärfe vielleicht bewusst gewählte – Formulierung „beieinanderbleiben“ die wesentlichen Fragen offen lässt.
Das „Beieinander“ von Glaube und Vernunft ist in Europa lange überwiegend so gehandhabt worden und wird es immer noch, dass entweder die Vernunft auf eine rein instrumentelle Funktion beschränkt worden ist, wie etwa bei der Erforschung der biblischen Schriften, oder aber nur in verkürzter, domestizierter Form angewandt worden ist, also unter Konditionen, die letztlich durch die Religion selbst definiert werden ohne sich auf die der Vernunft eigene Dynamik wirklich einzulassen.
Dort aber, wo als Folge der Aufklärung die Vernunft uneingeschränkt zum Zuge gekommen ist (und anders kann sie ihrem eigenen Wesen nach eigentlich nicht gebraucht werden), hat dies zu einer tiefgreifenden und immer noch andauernden Transformation des christlichen Glaubens geführt, mit gravierenden Folgen für das Verständnis zentraler christlicher Begriffe wie Gott, Erlösung, Auferstehung, heilig usw. Nach und nach sind alle diese Begriffe ihres religiösen, sich auf die Transzendenz beziehenden Charakters beraubt worden und haben dadurch ihren Platz im Zusammenhang der christlichen „großen Erzählung“, die traditionell als Heilsgeschichte bezeichnet wird, verloren, wo es doch erst diese Geschichte gewesen ist, durch die jene Begriffe und viele andere mehr ihre eigentliche Bedeutung erhalten haben. Die moderne protestantische Theologie hat dieses traditionelle Konzept durch eine Art „Desubstantiation“ vollkommen entzaubert und durch andere Konzepte ersetzt, in denen die traditionellen Begriffe nur noch in funktionalisierter Form vorkommen. Ein so funktionalisierter „Gott“ ist aber ein ganz anderer (besser: etwas ganz anderes) als – um mit Pascal zu sprechen – „der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jacobs“, und eben „nicht der Philosophen und der Gelehrten“. An einen solchen funktionalisierten und deshalb im Grunde virtuellen Gott kann man nämlich gar nicht glauben, geschweige denn zu ihm beten.
Anders als Frau Käßmann denke ich, dass hier doch eine der wesentlichen Ursachen der von Mosebach beklagten Schwächung des Glaubens liegt. Es ist also auch und vielleicht sogar in erster Linie der Protestantismus selbst mit seiner Theologie, und nicht der Kommunismus oder überhaupt die neuzeitliche Religionskritik, die für dafür verantwortlich sind.
Das eigentlich Fatale daran ist nun aber, dass diese Entwicklung alternativlos ist. Nachdem die traditionelle Religion demontiert worden ist, kann man nicht so einfach dahin zurück, wie Mosebach und – konfessionsübergreifend – andere Traditionalisten sich das vorstellen, denn diese Demontage war dann unvermeidlich, als die Kirchen und die protestantische Theologie in Deutschland – anders als in Frankreich – nicht einen Konfrontationskurs gegen die Aufklärung einschlugen, sondern zu ihren wichtigsten Agenten wurden.
Wer wollte das rückgängig machen? Das könnten wir ohnehin nur, wenn wir vieles, was wir von der Welt wissen, vergessen oder von uns abspalten würden – was allerdings oft genug geschieht. Nun ist es aber leider so, dass die protestantische Theologie und vor allem die Kirchen immer noch glauben, sie könnten beides haben: Auf der einen Seite auf der Höhe der Zeit zu stehen, mindestens aber den Eindruck zu erwecken, es sei so, und auf der anderen Seite als Hüterin der christlichen Überlieferung aufzutreten. Das ist das, was dann als „Beieinandersein“ von Glaube und Vernunft bezeichnet wird und zu einer im wahrsten Sinne des Wortes heillosen Sprachverwirrung geführt hat. Wir verwenden immer noch die uns vertrauten traditionellen Begriffe wie Gott, Schöpfung, Auferstehung, Erlösung usw., meinen aber inzwischen etwas ganz anderes damit.

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Walter Reichel schrieb am 8. Juli 2012 um 9:48: "Wir verwenden immer noch die uns vertrauten traditionellen Begriffe wie Gott, Schöpfung, Auferstehung, Erlösung usw., meinen aber inzwischen etwas ganz anderes damit." Das ist aber keine "heillose Sprachverwirrung", sondern Vorsatz. Moderne Theologen, Pfarrer und Hobbygläubige wollen damit ja vorsätzlich zum Ausdruck bringen, dass es keineswegs erwiesener Unfug ist, von Erlösung, Auferstehung, Schöpfung und Gott zu reden. Daraus folgt, dass es mit der Aufklärung nicht sehr weit her ist. Wer zwar zur Kenntnis nimmt, dass auch vor 2000 Jahren kein Toter aus dem Grab gerumpelt ist, aber dennoch von Auferstehung redet und die dann als theologisches "Alles neu macht der Meu" oder Prinzip Hoffnung oder sonst wie vorstellig macht, verweigert sich der Aufklärung. Aufklärung wäre, einen Irrtum oder Schwindel eben Irrtum oder Schwindel zu nennen und damit diese Vorstellung als kritisiert zu den Akten zu legen. Genau das soll nicht sein. _____________________________ Wer zwar die biblischen Schöpfungsberichte als Mythen erkannt hat und auf die Ergebnisse der Naturwissenschaften verweist, jetzt aber zu hoher Form aufläuft in der Konstruktion alternativer Schöpfungsvorstellungen, versucht ebenfalls die Aufklärung abzuwehren. Die Erkenntnis, dass die Welt eben nicht geschaffen worden ist und somit keinerlei Schöpfung und kein wie auch immer gearteter Schöpfer am Werk waren oder sind, soll verhindert werden. Das ist nicht weniger antiaufklärerisch als das fundihafte Festhalten am 6-Tage-Werk des klassischen Gottes. Im Gegenteil. Die traditionalistische Schöpfungsvorstellung trifft auf die als automatische Bremse wirkende Fähigkeit des Menschen zum Heiterkeitsausbruch. Der Predigt-Vortrag von einschlägig bekannten gläubigen, hochqualifizierten Physikern zieht hingegen Scharen von sich als gebildet verstehenden Zeitgenossen an und erntet viel Bewunderung und Lob statt fröhlichen Gelächters. Insofern ist das die gefährlichere Form von Antiaufklärung. ___________________________________ Wer erzählt, dass Gott ganz anders sei, als bisher angenommen oder gleich der "Ganz Andere" sei oder tot sei oder eine Hand sei, die jeden Sturz nach unten begrenzt oder was sonst in schneller Reihenfolge auf dem Theomarkt noch auftaucht, hat ebenfalls mit Aufklärung nichts am Hut. Aufklärung wäre, zu erklären, warum die diversen Vorstellungen eines Gottes jeweils falsch sind und diesen altehrwürdigen, ursprünglich wohl unvermeidlichen und bis heute sehr gefährlichen Fehler von Stund' an sein zu lassen. _________________________ Das Geheimnis des vieldiskutierten Verhältnisses von Glauben und Vernunft lässt sich somit leicht darlegen: Die Aufklärung ist kaum vorangekommen.

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Bei allem Lamento ist eine Frage noch nicht gestellt: Wieso empfinden die Glaubenslosen die Abwesenheit von Glauben nicht als Defizit? Vielleicht haben sie die Erfahrung gemacht, dass Religion ihnen keine große Hilfe in ihrem irdischen Dasein ist. Immerhin sind auch 22 Jahre nach der Wende die Heerscharen der Glaubensrückkehrer ausgeblieben und es sieht ganz so aus, als würde da auch keiner weiter kommen, obwohl Staatssozialismus und Staatssicherheit schon längst untergegangen sind, sie also keiner zwingt, dem Glauben fern zu bleiben.
Den Menschen geht es nicht um die Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft, sondern um den Alltagsnutzen des Glaubens.
Immerhin kommen alle Menschen ja als Atheisten auf die Welt. Es ist also anzunehmen, dass Atheismus ein Naturzustand ist. Um diesen Naturzustand zu "verbessern" Richtung Glauben bedarf es aber einen Extraaufwand. Dann sollte aber auch ein Nutzen garantiert sein, denn sonst müsste man ja verrückt sein, einen Aufwand zu betreiben, wo Erfolglosigkeit vorprogrammiert ist.

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Leserzuschrift zu „auf ein wort“ von Frau Dr. Käßmann in Chrismon 07.2012

Die in der Kolumne „auf ein wort“ (Chrismon 07.2012) angesprochene wissenschaftliche Erhebung der Universität Chicago, wonach im Osten Deutschlands, also im Kernland der Reformation, weniger Menschen an Gott glauben als in irgendeiner anderen Region der Welt, sollte nicht zu falschen Schlüssen führen. Für die Autorin Dr. Käßmann führt Ostdeutschland somit „die Liste der glaubensleeren Regionen an“. Das Fehlen eines Glaubens an Gott im Sinne des Christentums oder einer anderen Religion ist nicht selbstverständlich schon Glaubensleere.

Der „Massenabfall vom Christentum“ , wie ihn beispielsweise schon der renommierte evangelische Kirchenhistoriker Heinrich Hermelink in einem grundlegenden Werk („Das Christentum in der Weltgeschichte. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart“) dargestellt hat, „ist religionsgeschichtlich betrachtet, nichts anderes als die Stiftung neuer Religionen, die Schaffung eines Ersatzes des Christentums für die Massen“.

Für Hermelink sind das schon mit Beginn des 19. Jahrhunderts eine religiöse Verabsolutierung des Staates und die Anbetung von Heroen und „Führern“ (Napoleon, Hitler, Stalin etc.), ferner die „Ich-Religion des deutschen Idealismus“, dann „die der Masse besonders zusagende Vergottung der Materie und des sinnlichen Eros“, schließlich auch eine religiöse Verklärung der Berufs- und Arbeitswelt bis hin zur „Firmenvergottung“. Zuletzt entstehe eine „neue Apokalyptik des Diesseitsparadieses“.Für den Historiker sind also noch andere Gründe für das Zurückdrängen des Christentums denkbar als die von dem Schriftsteller Martin Mosebach angeführten konfessionellen, die allerdings im Kontext der Thesen Hermelinks durchaus zu berücksichtigen sind.

Von Seiten der christlichen Kirchen sind missionarische Unternehmungen gefordert, eine neue mit Einfallsreichtum und Leidenschaft gestaltete entscheidende Öffnung zur Verkündung des Evangeliums, die erfahrbar machen kann, dass christlicher Glaube nicht etwa eine mehr oder weniger interessante Theorie, sondern eine umfassende Lebenswelt ist. Mit Strukturdebatten, akademischen Diskursen oder der Verabreichung weichgespülter mittelmäßiger Rezepte zur Alltagsbewältigung wird das allerdings nicht zu machen sein. Es gibt offensichtlich nicht genug Christen, deren Bekenntnis vor allem von Liebe zur Kirche durchdrungen ist.

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EBSW schrieb am 10. Juli 2012 um 17:42: "Immerhin kommen alle Menschen ja als Atheisten auf die Welt." Das dürfte nur in dem Sinne korrekt sein, wie auch alle Menschen als Vegetarier auf die Welt kommen. Sie haben eben noch nie Fleisch gegessen. Sollte man sich unter einem Vegetarier allerdings jemanden vorstellen, der Gründe vortragen kann, warum er auf Currywurst verzichtet, dann kommt niemand als Vegetarier auf die Welt. Wer bei einem Atheisten an jemanden denkt, der begründet vom Glauben Abstand nimmt, wird einen unschuldigen Säugling damit nicht überfordern. _________________ Zitat: "denn sonst müsste man ja verrückt sein, einen Aufwand zu betreiben, wo Erfolglosigkeit vorprogrammiert ist." Diese von Ihnen sehr zutreffend als Verrücktheit bezeichnete Sitte, einen Aufwand zu betreiben, wo Erfolglosigkeit vorprogrammiert ist, kennzeichnet allerdings treffend das, was in modernen Zeiten das Selbstverständlichste für einen Normalverdiener ist. Er muss ein Arbeitsleben lang hinklotzen und ist trotzdem dauernd am Einteilen und sich Beschränken. Wäre es denkbar, dass zu diesen Verhältnissen der christliche Glaube mit seiner ähnlich gestalteten Nutzen-Aufwand-Beziehung ganz hervorragend passt?

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Sehr geehrte Frau Dr. Käßmann,

Ihrem Beitrag „Gottloser Osten“ insbesondere Ihrer Meinung zu den Ursachen der Glaubenslosigkeit und Ihrer Aussage zum gewaltlosen Einstürzen der Mauer kann ich aus meiner erlebten Erfahrung nicht zustimmen.
Zu der Glaubenslosigkeit im Osten
Bereits vor dem Krieg hat es in Mitteldeutschland eine größere Distanz zu den Kirchen gegeben, die sich nach der Installation des sowjetisch gelenkten Teilstaates durchaus auch freiwillig ausbreitete. In keinem anderen Ostblockstaat hatten die Kirchen eine bessere Infrastruktur und eine größere Unterstützung (aus dem Westen) als in der „DDR“. Wenn man in den 60iger bis 80iger Jahren darüber im Bekannten/Freundes/Kollegenkreis diskutierte und das habe ich oft getan, dann konnte man eine große Ablehnung des politischen Systems aber gleichzeitig eine große Distanz zu den Kirchen erleben. Man hatte oftmals das Gefühl, dass man dem politisch/ideologische System in dieser Beziehung Positives abgewann - man konnte sich gefahrlos von den Kirchen abwenden.
In den 80iger Jahren wurde Kirche dann benutzt um die Ausreise in den Westen zu erleichtern. Fast alle unsere Verwandten, Freunde und Bekannten die in dieser Zeit ausgereist sind, waren zuvor recht „aktiv“ in der Kirche und sind im Westen dann ausgetreten oder haben sich gar nicht erst in der neuen Gemeinde angemeldet. Im Übrigen spricht z. B. die Situation in Polen oder in der damaligen Sowjetunion gegen die These die kommunistische Ideologie hätte hier mit Gründlichkeit den Menschen den Glauben ausgetrieben. In Russland ist die Kirche nach über 70 Jahren Kommunismus mehr denn je auf dem Vormarsch und in Polen auf dem Rückzug. Die Gründe für die Glaubenslosigkeit liegen meines Erachtens viel tiefer. Sie haben etwas mit der Glaubwürdigkeit der Kirchen im Allgemeinen und mit der nicht vorhandenen Zuwendung der kirchlichen Mitarbeiter und Repräsentanten zu den einfachen Menschen und ihren Problemen zu tun und dies setzte viel früher ein und setzt sich bis heute fort.

Zu dem gewaltlosen Einstürzen der Mauer
Das Ende der soz. Staaten hatte seine Ursache im kompletten Scheitern des komm./bolsch. Wirtschaftssystem. Dieses Scheitern hat insbesondere die Führungsmacht Sowjetunion in die Situation gebracht, dass sie ihren Herrschaftsanspruch gegenüber dem Ostblock nicht mehr aufrecht erhalten konnte. In der "DDR" wurde diese Situation nur durch immense private und staatliche Hilfe aus der Bundesrepublik überdeckt. Denken Sie nur an das Kirchenbauprogramm u. ä. Bereits Anfang 1989 war die „DDR“ – Führung nicht mehr in der Lage ihre Wirtschaftsplanung auf den Weg zu bringen. Damit waren den Betrieben im Wesentlichen ihre Handlungsmöglichkeiten entzogen. Die Menschen fingen auf breiter Front an zu machen was sie wollten. Der Unzufriedenheit der Bevölkerung und ihrem Aufbegehren konnte immer weniger begegnet werden. Mit dem Ende des sowj. Machtanspruches auf die „DDR“ war deren Ende und damit das Ende der Mauer besiegelt. Dies ist die eigentliche Ursache der Wende. Bitte bedenken Sie auch, dass bis in die Funktionärsschicht hinein vielleicht eine gewisse „Staatstreue“ vorhanden war, aber durchgängig eine Abneigung gegen die sowj/russ. Ideologie und Mentalität.
Vielleicht war es ein Wunder, dass in der Sowjetunion ein Mann an die Staatsspitze gelangte der die hoffnungslose Lage seines Landes und seiner Einflusssphäre erkannte und einen friedlichen Ausweg gesucht hat. Aus meiner Sicht erfolgt in diesem Zusammenhang leider keine korrekte Aufarbeitung des Themas und damit ist der Mythenbildung Tor und Tür geöffnet.

10. Juli 2012

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In Ihrem Artikel begeben Sie sich, historisch gesehen, auf eine recht abenteuerliche tour de force.

Ich stimme zu, dass die Verbindung von Protestantismus und Säkularisierung an den Haaren herbeigezogen ist, aber wer bringt Sie auf die Idee, Frankreich wäre nie ein Land der Reformation gewesen? War nicht das ganze 16. und 17. Jhd. der Süden Frankreichs protestantisch? Gab es nicht erbitterten Streit von der Bartholomäusnacht bis zur Belagerung von la Rochelle? Gab es nicht auch ein sehr kluges Edikt von Nantes, das erstmalig mit religiöser Toleranz ernst machte?

Gewiss, in einem Anfall von Fundamentalismus wurden die letzten Hugenotten von Ludwig XIV vertrieben. Und wohin? Genau in die ostdeutschen Gefilde, wo durch sie der Säkularismus geblüht haben soll!

Wem verdanken wir die Kulturgüter des Ostens? Ich denke mehr diesen Flüchtlingen als den Herrschern von Sachsen, Sachen Anhalt und Brandenburg, denen die Reformation wohl mindestens eben sosehr ein Königsweg zur Befreiung von kaiserlicher Hegemonie war wie inneres religiöses Bedürfnis. Insofern hatten diese Herren mit Walter Ulbrich schon einiges gemein. Die Reformation ist ein früher Durchbruch der Aufklärung  ohne den die Geschichte Europas heute nicht zu denken ist. Davon profitieren heute Protestanten, Katholiken und Atheisten gleichermaßen.

8. Juli 2012

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