Katja Hoffmann
Lieber Gott, mach mich fromm!
Fast 40 Prozent der Evangelischen glauben nicht an Gott oder sind unschlüssig. Es ist aber auch schwierig: Heiliger Geist, Auferstehung der Toten, solche Sachen.  Jetzt können Skeptische, Suchende und Anfänger einfach mal ausprobieren. chrismon-Reporterin Christine Holch war dabei
Tim Wegner
17.01.2014

"Ich bin keine Sünderin“, sagt eine Frau im Glaubenskurs in Nürnberg, „das lasse ich mir von niemandem einreden.“ ­
In einem württembergischen Gottesdienst sprechen die Leute nur jene Sätze des Glaubensbekenntnisses mit, die sie wirklich glauben. Es ist oft still. Und in einem hessischen Einkaufszentrum wird nach der Predigt geklatscht. Sofern sie gefiel.

Ganz schön was los in der evangelischen Kirche gerade. Es ist nicht immer lustig. Beispiel: In Rostock lassen sich Kirchenleute von Ungläubigen sagen, was die an christlichen Bestattungen befremdlich finden. Bang ist den Pastorinnen und Pastoren vor diesem Treffen. Aber es muss sein – in einer Zeit, in der für viele Menschen der Kontakt mit der Kirche nicht mehr selbstverständlich ist.

###mehr-extern###Wie erreicht man die Unerreichten? Das versuchen engagierte Christen und Christinnen landauf, landab in vielerlei Experimenten herauszufinden. Haben sie doch, davon sind sie überzeugt, eine befreiende Botschaft. Und tatsächlich, sie treffen auf Neugierige, manchmal sogar auf Sehnsüchtige.

Gar nicht so selten aber suchen die Menschen selbst, sie wollen „das mit dem Glauben“ ausprobieren. Und dann sehen sie lange niemanden, der ihnen entgegenkäme.

Mit 25 aus der Kirche raus

Verena Müller-Wieprecht zum Beispiel. Die Naturwissenschaftlerin war mit 25 aus der Kirche ausgetreten. Als Kind hatte sie sich für Religion interessiert, aber niemand beantwortete ihre Fragen. Was sollte sie machen, wenn Gott wie aus dem Nichts – puff – zu ihr sprechen würde? Das ließ sie nachts wach liegen. So wie all die gruseligen Dinge, von denen die Religionslehrerin erzählte: Der eine Mensch saß im Fisch, der andere im Brunnen, und vom Kreuz hing ein toter Jesus. Dann fiel der Konfirmanden­unterricht fast komplett aus.

Am Ende hatte sie mit der Kirche nichts mehr zu tun. Ihren Kindern stellte sie in einem selbst gebastelten Ritual „Lebens­paten“ zur Seite. Und schickte sie später doch zum Religions­unterricht. Darüber wunderte sie sich selbst.

Sie wurde 40, feierte ein großes Fest. Auch die Eltern kamen. Eine schwierige Beziehung. Die Eltern hatten sie als Kind über Jahre damit geängstigt, dass sie sich scheiden lassen wollten. Und an jedem Geburtstag erzählten sie ihr von dem Ring: Der Vater hatte ihn der Mutter geschenkt, weil er sie betrogen hatte, als sie hochschwanger in der Klinik lag. Lang her, dachte die Tochter, überwunden dank diverser Therapien.

Doch dann schenken ihr die Eltern zum 40. Geburtstag eben jenen Ring. Das kann jetzt nicht sein, dachte sie. Nicht wieder diese Angstanfälle! Nicht noch eine Therapie! Sie wollte eine Lösung. Bei einem evangelischen Frauenfrühstück irgendwo in der Region – das Thema „Lebenswege“ hatte sie interessiert – kreuzte sie auf dem Feedbackzettel das Kästchen „Ich möchte gern besucht werden“ an. Niemand meldete sich bei ihr.

Verena Müller-Wieprecht ist eine lebenstüchtige Frau, sie hat drei Kinder, unterrichtet Mathe und Chemie an einer Montessori­schule, sie lacht gern. Aber damals, mit 40, suchte sie dringend einen Haltepunkt außerhalb ihrer selbst.

Dabei hat sich die evangelische Kirche einiges einfallen lassen, damit Menschen zurück zum Glauben finden und auch zur Kirche – Wiedereintritt-Hotlines zum Beispiel und Eintrittsstellen in Stadtzentren. „Ich will wieder dazugehören“, sagen die meisten, die eine Eintrittsstelle betreten. Oft denken sie seit Jahren darüber nach, nun ist ein Anlass da: Sie sind als Taufpaten angefragt, sie haben beim Tod eines Angehörigen gute Erfahrungen mit der Pfarrerin gemacht, oder die Gründe für den Austritt haben sich erledigt, und jetzt will man die Biografie „in Ordnung bringen“. Wer die Tür einer Eintrittsstelle öffnet, hat sich entschieden.

Aber was gibt es vorher für Berührungspunkte? Wie es nicht funktioniert, erzählte der badische Oberkirchenrat Matthias Kreplin kürzlich auf der Tagung „Die Unerreichten“. Er hatte im Mitgliederverzeichnis geschaut, wer konfessionslose Angehörige hat. Diesen 2000 Menschen schrieb er einen Brief, in dem er für den Kircheneintritt warb. Kein Einziger trat ein, stattdessen waren viele wütend: Woher habt ihr überhaupt meine Adresse? Die Leute hatten den Eindruck, nur als zahlende Mitglieder für die Kirche interessant zu sein. Kreplin hat verstanden. „Es muss uns zuerst um die Menschen gehen und nicht um den Erhalt
unserer Organisation.“

Sie suchte einen Halt außerhalb ihrer selbst

Einer ganz anderen Fährte folgte Verena Müller-­Wieprecht: beiläufig verteilten Waschzetteln. Einen brachten die Kinder aus dem Reli-Unterricht mit – der neue Vikar bot am Samstag Kinderkirche in­klusive Mittagessen an. Gut, sagten sich die Eltern, da schicken wir die Jungs hin, drei Stunden, in denen wir mal was erledigt kriegen. Am Sonntag mussten dann natürlich die Eltern in die Kirche: Die Kinder stellten ihre gebastelten Sachen vor. Wieder wurde ein Blättchen verteilt – eine Einladung zum Gospel-Workshop. Wollte sie nicht schon immer mal singen?

Dass Gospel was mit Glauben zu tun hat, wusste sie nicht. Der Workshopleiter wollte erst einmal beten. Na toll, dachte sie. Der Pfarrer – „eigentlich ganz normal und sympathisch“ – dankte Gott für die Stimme und betete darum, dass jetzt alle Spaß ­haben. Kannte sie gar nicht, so eine freie Form. Das Singen fand sie großartig. Wobei sie oft gar nicht mitsingen konnte – „ich hab so geheult“. Besonders bei dem Lied „You Heal My Wounds, Lord“.

Sie brachte den Eltern den Ring zurück. Es half nichts. Der Boden unter ihr zerbröselte. Aber hing nicht im Schaukasten der Kirche dieser Spruch? „Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen.“ Sie fasste sich ein Herz, klingelte am Pfarrhaus und druckste ­heraus: „Ich müsste mal mit dem Pfarrer sprechen.“ Zweimal war sie dort und erzählte von der Vergangenheit, die sie nicht loswird. Am Ende lud der Pfarrer sie zu einer Art Glaubenskurs ein. ­Auf diesen Termin fieberte sie hin.

Glaubenskurse sind was für Konfessionslose. Denkt man. Dachte auch Markus Eisele, der im Hintertaunus nördlich von Wiesbaden Pfarrer ist. Lang brütete er über einem Brief an rund hundert Ausgetretene und Immer-schon-Ungläubige. Schließlich schrieb er: Er würde gern mit ihnen ins Gespräch kommen – „auch über Zweifel und Kritik an der Kirche“. Vielleicht hätten sie auch Lust auf einen Glaubenskurs?

Die Leute haben richtig darüber nachgedacht, erzählt Pfarrer Eisele. Einer geriet geradezu in Gewissensnot: Er habe die Kirche vor 30 Jahren im Stich gelassen – jetzt wieder einzutreten, sei dann doch zu einfach.

Berlin Mitte, ein Park auf dem Nordbahnhof.
"Nach allem, was ich erfahren habe, kann ich nicht mehr glauben"

Von den Konfessionslosen kommt am Ende keiner. Voll wird der Glaubenskurs trotzdem – mit 18 Gemeindemitgliedern, die sich von einem der Sätze in der Einladung angesprochen fühlten. „Das mit dem Glauben ist mir bisher immer irgendwie fremd geblieben.“ Oder: „Nach allem, was ich erfahren habe, kann ich nicht mehr glauben.“ Der Pfarrer hat versprochen: Niemand wird bedrängt, man darf auch künftig nur zu Weihnachten in die Kirche.

Mit Sekt und Buffet beginnt der erste Abend schon mal gastfreundlich. Pfarrer Eisele hält zunächst einen Vortrag über ­Gottesbilder. Etwa den Buchhaltergott, der angeblich alles sieht, notiert und später gegen einen wendet – „der stand im Zentrum einer ungenießbaren christlichen Erziehung“, sagt Eisele. Eine Frau hebt den Finger: Darf ich kommentieren? Na klar. „Im ­Mat­thäusevangelium droht Jesus mit Höllenstrafen“, sagt sie. „Dazu kommen wir noch“, sagt der Pfarrer. „Hier schon mal: ­„Geschätzte 365 Mal sagt Gott in der Bibel ‚Fürchte dich nicht!‘ Gott kommt uns mit seiner Liebe entgegen.“

Jetzt sind die Leute selbst dran. Da erzählen zum Beispiel eine Konferenzbetreuerin, ein städtischer Betriebswirt, eine Reiki-Meisterin, eine Bank-Controllerin, ein Abiturient einander von ihrem Gottesbild. Vielmehr: von ihren Fragen. Ist dieser Gott ein guter, fragt sich eine Frau, deren Kind überfahren wurde. Ein anderer fühlt sich im Verkehr beschützt, aber wie kann Gott auf Milliarden Menschen achten, oder muss man sich an seiner Seite ein Schutzengel-Geschwader vorstellen?

Glaubenskurse hatten bis vor wenigen Jahren einen schlechten Ruf, kamen sie doch aus der „frommen Ecke“, wo man ganz ungeniert von „Mission“ sprach. Nun hat man sich kirchenweit auf Grundregeln geeinigt: In diesen Kursen sollen die Menschen in aller evangelischen Freiheit ihr Verhältnis zum Glauben klären können. Keine Frage ist zu doof, keine zu kritisch. Es gibt keinen Druck, keine Überwältigung und kein Kursziel, das Ergebnis ist offen.

Seltsam nur: Die meisten, die sich anmelden, sind bereits ­Mitglied der Kirche. Was ist denn mit deren Glauben los?

Es gibt Zahlen dazu, und zwar aus der renommierten „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“: Rund 20 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder glauben nicht an Gott; weitere 18 Prozent wissen nicht, was sie glauben sollen. Warum sie trotzdem in der Kirche bleiben? Viele finden die kirchliche Zuwendung zu den Schwachen gut, sie schätzen die Kirche als eine Art Riegel gegen die Verrohung der Gesellschaft. Anderen liegt etwas an einer kirchlichen Bestattungsfeier.

38 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder glauben also nicht oder sind sich unschlüssig. Weitere 40 Prozent glauben an ein „höheres Wesen“, nur 22 Prozent an einen „persönlichen Gott“.

Ob höheres Wesen oder persönlicher Gott, ist das nicht egal? Nein, das mache einen erheblichen Unterschied, sagt der Online-Glaubenskurs, den die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ins Internet gestellt hat: „Wir glauben in Jesus an einen im wahrsten Sinn heruntergekommenen Gott, zu uns heruntergekommenen Gott. Jesus ist nicht höher, sondern ganz tief unten, und er ist kein Wesen, sondern eine Person. Zu einer Person können Sie ‚du‘ sagen; ein höheres Wesen huscht durch den Äther und rinnt Ihnen durch die Finger.“

Sind also ziemlich viele Evangelische schwach im ­Glauben? Man könnte das ja mal den Cheftheologen der evangelischen Kirche fragen: Thies Gundlach, theologischer Vize­präsident des Kirchenamtes der EKD.

Wie ist das mit den Schwachgläubigen?

Thies Gundlach: Das ist ja ein furchtbarer Ausdruck, eine Wertung! Ich würde sagen: Das ist ein suchender oder ein fragender Glaube, ein manchmal zweifelnder Glaube.  

Zweifeln Sie auch manchmal? 

Natürlich. So ein Glaubensleben atmet doch. Ich kenne auch ­Phasen, in denen Fragen und Zweifel die Oberhand gewinnen. Dann frage ich mich, ob Gott das eigentlich sieht, was ich mache. Sieht er meinen Weg, meinen Kummer, sieht er die Herausforderung, vor der ich stehe, begleitet er mich wirklich?

Und wenn ich nur an ein „höheres Wesen“ glaube – wahrer Chris­tenglauben ist das nicht, oder? 

Ich begegne solchen Menschen mit großem Respekt. Denn da ahnt jemand, dass es in dieser Welt mehr gibt als Schwarz und Weiß und Eins und Zwei. Solche religiöse Musikalität ist noch nicht identisch mit dem christlichen Glauben, aber die Übergänge sind fließend. Keiner soll über den Glauben des anderen urteilen. Es ist falsch zu sagen, wir dürften uns Gott erst nähern, wenn wir eine bestimmte Qualität erreicht haben – sei es des Wissens oder des Glaubens oder der Nächs­tenliebe. Reformatorische Theologie ist genau anders­herum: Gott nähert sich uns in vielerlei Form und manchmal eben auch sehr behutsam. 

Abends im Bett las sie ihrem nichtgläubigen Mann aus der Bibel vor

Nur: Wie kommt man vom Ahnen zum Glauben? ­Verena Müller-Wieprecht, die Frau, die so gern die Last der Vergangenheit abgeschüttelt hätte, wollte es nun wirklich wissen. Sie ging zu den „Gesprächs­abenden“ des Pfarrers; im Bett las sie ihrem Mann (ebenfalls ungläubig, ebenfalls Wissenschaftler) aus dem Buch „In 40 Tagen durch die Bibel“ vor, was der gutmütig hinnahm nach dem Motto: „Wenn es dir hilft“; und sie gründete einen „Hauskreis“.

Hauskreis – noch so ein Wort aus der frommen Ecke. Ihr war das egal. Zum Frühstück kamen nun einmal die Woche mehrere kirchennahe Frauen, um sich über ihren Glauben auszutauschen. Mittendrin eine glückliche Verena Müller-Wieprecht, die endlich all ihre Fragen loswurde. Muss man zum Beten immer in die Kirche, oder geht das auch mal eben schnell am Herd, wenn sie merkt, wie sie traurig wird? Oder: Was ist denn jetzt die gute Nachricht, was denn, bitte?

Und, was ist für sie die gute Nachricht? „Gott liebt jeden, wie er ist. Einfach so. Das ist die Essenz.“ Würde ein Kind sie fragen, was es machen soll, wenn Gott plötzlich aus dem Off mit ihm redet – diese Frage hatte sie ja selbst einst gequält –, sie würde antworten: „Rede einfach mit dem, denn der meint es gut mit dir.“

Sie wusste es schon aus ihren Therapien: Sie würde ihren ­Eltern verzeihen müssen, dass ihr als Kind so vieles gefehlt hat. Aber wie das gehen sollte, das konnte ihr nie jemand sagen. Erst mit dem Glauben kam ganz allmählich das Verzeihen. „Ich hab tief im Inneren gefühlt, da ist jemand, der liebt mich, egal, was ist. Das hat ganz viel geheilt.“

Und dann kam ein neuer Pfarrer. Mit seiner Art der Theologie konnte sie nicht. Sie suchte sich woanders eine Kirchengemeinde. Eine, in der sie Zuversicht und Freude spürte. Denn ganz alleine zu glauben, das klappte nicht.

Beten im Kino - geht auch

Gottesdienste für Suchende und Kirchenfrustrierte gibt es mittlerweile vielerorts. Besonders erfolgreich ist die Andreasgemeinde im Pendlergürtel von Frankfurt am Main mit ihrem „GoSpecial“. Es kommen so viele Menschen – bis zu 800 –, dass man in immer größere Räume zog, zuletzt ins Kino im Einkaufszentrum.

Kein Kreuz, kein Altar, kein Talar. Dafür eine Popband mit Profiqualität. Laien führen mit einem irren Sketch ins Thema ein: Toleranz. Stimmt es, dass Christen Gewalt verbreiten? ­Pfarrer Karsten Böhm lehnt sich für die Predigt an einen Bistrotisch und erklärt, warum sich kein Gewalttäter auf Jesus berufen könne. Dann muss er sich dem „Kreuzverhör“ stellen. Ein Besucher fragt aus seinem Kinosessel heraus: Kann man humanistische Grundwerte leben, ohne zu glauben? Ja, sagt der Pfarrer. Nach so viel Nachdenken gibt’s ein inniges Liebeslied an Gott. Der Text wird an die Wand gebeamt. Wie später auch das Vaterunser.

Zunächst finden viele einfach nur den Gottesdienst gut – und dann erliegen sie dem Sog der Gemeinde. So wie der Netzwerkadministrator und Musiker Frank K., 40, der beim ersten Kontakt mit dem Pfarrer sagte: O. k., ich spiel in eurer Band mit – aber ich möchte auf keinen Fall missioniert werden! Antwort des Pfarrers: So was machen wir hier nicht, das geschieht ganz von alleine. So war es dann auch. Frank K.: „Ich habe hier eine Gemeinschaft gefunden. Dass man über Glauben und Gott diskutieren kann! Und ich diskutiere gerne, davon können die hier ein Lied singen.“

"Mission" ist für viele ein Bäh-Wort

Ganz klar: Die Andreasgemeinde versteht sich als missio­narische Gemeinde. Von evangelikalen und charismatischen ­Gemeinden hat man sich einige Elemente abgeguckt, doch die Theo­logie sei liberal, sagt Pfarrer Böhm. Seine Predigt zum ­Thema „GoGay – warum die Kirche homosexueller werden muss“ wurde von den Besuchern in die Top-Ten-Liste gewählt.
So wie Frank K. arbeiten mindestens 400 Menschen ehrenamtlich in der Gemeinde mit. Neben dem Pfarrer gibt es noch acht Hauptamtliche – bezahlt über Spenden – etwa für die Jugend- und Seniorenarbeit. Und irgendwer muss ja auch die 40 Hauskreise koordinieren, die fünf Theatergruppen anleiten und all die neuen Ehrenamtlichen coachen.

Fiel hier eben das Wort Mission? Für viele auch in Kirchen­kreisen ein Bäh-Wort, man denke nur an die Schuld, die Missionare in kolonialisierten Ländern auf sich geladen haben. Manche sagen deshalb lieber „Kommunikation des Evangeliums“ oder, etwas weniger technisch, „Einladung zum Glauben und zur ­Gemeinschaft der Christen und Christinnen“.

Nur mit „taktvoller Zurückhaltung“ geht so was heute, darin sind sich die Kirchenleute einig. Auf keinen Fall von oben herab, sondern nach dem Motto: „Mission ist, wenn ein Bettler dem anderen sagt, wo es was zu essen gibt.“ Aber wie kommt man überhaupt mit den Menschen ins Gespräch?

Man muss „rausgehen“ zu ihnen, nicht warten, dass sie von sich aus kommen. Die einen denken da an die Gruppe der „Prekären“, getreu dem Motto des katholischen Theologen Paul Zulehner: „Wer in Gott eintaucht, taucht bei ­
den Armen wieder auf“; andere, etwa der Theologieprofessor Heinzpeter Hempelmann , möchten auch die kirchendistanzierten Studierten in den Blick nehmen – warum nicht Vortragsabende in Vier­sternehotels?

Eine neue Graswurzelbewegung namens „FreshX“ hat schon mal angefangen mit frischen Formen von Gemeinde: In einer anonymen Plattenbausiedlung grüßt der junge Pfarrer alle Leute, die ihm auf der Straße begegnen, ob er sie kennt oder nicht; er nennt es „missionarisches Grüßen“, es hat ihm schon manche Tür und manches Herz geöffnet. Andernorts werden Berufstätige zu After-Work-Veranstaltungen in angesagte Lokale eingeladen.

Wohlgemerkt: Man will Kontakt aufnehmen zu Ungläubigen außerhalb wie innerhalb der Kirche.

Taufen geht auch ohne Taufpaten

Wenn das Rausgehen nur nicht so peinlich wäre. Wie die Zeugen Jehovas kamen sich die Pfarrer und Pfarrerinnen vor, die rund um Stuttgart-Zuffenhausen an den Türen von Evangelischen klingelten, die ein ungetauftes Kind haben – die Daten hatten sie vom Einwohnermeldeamt. Die Leute sollten auf einem Fragebogen ankreuzen, was sie von der Taufe abhält. Schlugen sie die Tür zu? „Im Gegenteil“, erzählt Pfarrer Daniel Renz, ­„sie sagten: ‚Toll, dass meine Kirche mal vorbeikommt.‘“

Und, warum waren die Kinder nicht getauft? Ein kleiner Teil der Eltern hatte das nie vorgehabt. Andere fanden keine Paten, ­
die in der Kirche sind. Sie wussten nicht, dass man nicht zwingend Taufpaten braucht. Besonders viele kreuzten an: Bislang keine Zeit gehabt. Oder das Geld fehlt für ein Fest, das man sich aufwendig vorstellt. Und Alleinerziehende möchten ihre Familiensituation nicht vor der Gemeinde präsentieren.

Daran soll eine Taufe nicht scheitern, fanden Pfarrer Renz und sein Kollege. Das Fest machen wir, die Gemeinde, damit die Familien finanziell und emotional entlastet sind. Ein „Tauffest“ also: mit vielen Täuflingen und gemeinsamem Mittagessen. Das „Format“ gibt es seit drei Jahren, in Hamburg wurden schon mal 240 Kinder am Elbstrand getauft.

Zuffenhausen, einer der ärmeren Stadtteile Stuttgarts, Sonntag, elf Uhr: zehn Täuflinge, vom Baby im weißen Frack bis zum Schulkind in Jeans. Die Eltern sind Alleinerziehende oder auch Staatsanwaltsehepaare. Manche haben ihre Verwandten dabei, andere vor allem Arbeitskolleginnen. Posaunen sorgen für Schwung, das Klavier für Innigkeit. Der Clown, dessen Fragen der Pfarrer braucht, um die Sache mit der Taufe zu erklären, vergisst seinen Text. Kein Drama. Während der Taufen darf man herumwandern und mal beim einen, mal beim anderen Taufbecken zuschauen. Kurzum: Es geht herzlich zu, niemand muss sich falsch fühlen. Im Gemeindesaal gibt’s dann Rouladen mit Spätzle.

Priscilla G. ist glücklich. „Ich finde es so toll, dass alles organisiert wurde! Ich wusste nicht, dass eine Taufe nichts kostet.“ Sie arbeitet in einem Kindergarten, ein großes Fest wäre nicht drin gewesen. Aber natürlich hat ihr Sohn einen Anzug bekommen. Der kann sich an seinen Taufspruch schon nicht mehr erinnern, aber daran, dass der Pfarrer ihm mit Wasser ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet hat. Der Junge wird elf, die Mutter hat Sorge, dass er bald auch unguten Einflüssen ausgesetzt sein könnte. „Aber jetzt weißt du, dass Gott bei dir ist.“

Eine Taufe ist keine Schutzimpfung gegen alles Lebensunglück, das ist Priscilla G. klar. Manch anderen Eltern nicht. „Früher“, sagt der 31-jährige Pfarrer Renz, „war ich im Taufgespräch eher konfrontativ: Das passt nicht, das ist nicht genug. Heute würdige ich, dass Eltern Gutes für ihr Kind wollen und das bei uns suchen. Und dann gebe ich diesem Wunsch eine neue Richtung.

Wenn Leute die Kirchenrituale einfach "abschöpfen"...

Es gibt Eltern, die sehen die Kirche als reinen Dienstleister, nicht als Gemeinschaft: „O. k., wenn ich in der Kirche sein muss, damit mein Kind getauft wird, trete ich ein. Wann kann ich ­wieder austreten?“ Fachleute nennen dieses Verhalten Ritualabschöpfung. „Das ist natürlich kränkend“, sagt Pfarrer Renz, „aber soll ich da urteilen?“ Den Kontakt könne man ja verlängern und vertiefen – nach der Taufe besucht er die Familien zu Hause, auch die Kinderkirchmitarbeiterin kommt vorbei, und jeweils zum Tauftag erhalten die Familien einen Brief mit Tipps – welches Abendlied singe ich für Zweijährige, wie bete ich mit Vierjährigen?

„Man muss die Leute liebhaben, wenn man sie er­reichen will, und man darf sie nicht an der eigenen Elle messen“, sagt Heinzpeter Hempelmann von der evangelischen Hochschule Tabor. Er hat herausgefunden, „dass der klassische evangelische Gottesdienst maximal zehn Prozent der Kirchenmitglieder erreicht. Was bieten wir den anderen 90 Prozent für Touchpoints?“

Spiritualität zum Beispiel. Läuft super in der Friedenskirche in Ludwigsburg, im Schnitt strömen 900 Menschen in den „Nachteulengottesdienst“ am Sonntagabend. Unter neobarockem Stuck legen auch über 70-Jährige zum Beten testweise die Hände aufs Sonnengeflecht; sie folgen einer angeleiteten Meditation und übergeben innerlich einem Engel alles, was sie umtreibt; sie recken sich zum Wachwerden, um dann einem Gastredner zuzuhören. Ist diese „Rede vom Leben“ mal nicht so gut, sagen sie das ihrem Pfarrer Georg Schützler und verzeihen es ihm sogleich. Denn sie sind dankbar, dass er mit ihnen etwas ausprobiert. Viele sind wegen der „Nachteulengottesdienste“ wieder in die Kirche eingetreten, noch mehr sind deswegen Mitglied geblieben.

Muss man alles im Glaubensbekenntnis glauben?

Einmal sollten die Leute nur jene Sätze des Glaubensbekenntnisses laut sprechen, die sie glauben. Fast still war es bei „geboren von der Jungfrau Maria“, nur schwaches Murmeln war zu hören bei „Auferstehung der Toten“.
Das Glaubensbekenntnis macht vielen Evangelischen zu schaffen. Gerade mal die Hälfte glaubt an ein Leben nach dem Tod. Ist das schlimm? Das soll Thies Gundlach von der EKD beantworten.

Muss ich denn alles im Glaubensbekenntnis glauben?

Thies Gundlach: Es wäre ein maßloser Anspruch, wenn man alle diese Sätze zu hundert Prozent für sich persönlich übernehmen müsste. Es ist ein Geschenk, wenn man sie mit innerer Gewissheit mitsprechen kann. Manchmal aber ist es nur ein halber Satz – das darf dann so sein. Ich verstehe dieses jahrhundertealte Bekenntnis als ein riesiges Dach, das ich mit meinen kleinen Glaubenskräften ein Stück mittrage in die nächste Generation. 

Könnte man statt „Auferstehung“ etwas nüchterner sagen: „Ich glaube, dass ich nach dem Tod nicht von Gott getrennt werde“?

Ja, auch so kann man das übersetzen. Unser Leben endet in Gott und nicht weg von ihm. Das ist die ganz große Verheißung. Daran zu glauben, hat für mich etwas Befreiendes.

Aber wie kommt man denn nun zum Glauben – kann man das lernen? Die offizielle Antwort der evangelischen Kirche lautet: Nein und Ja. Glauben sei nicht erlernbar, weil Glaube Gottvertrauen sei; Gott selbst öffne den Menschen das Herz dafür. Aber es gebe eine Außenseite des Glaubens: Inhalte, die man sich erschließen kann; Gesten und Gebete, die man ausprobieren kann.

In Nürnberg steht heute Abend Beten auf dem Programm des Glaubenskurses in der evangelischen Stadtakademie „Haus Eckstein“. Genau der richtige Zeitpunkt für dieses Thema, denn die vorherigen Treffen waren emotional anstrengend. Am Sonntag war man zusammen bei einem Gottesdienst mit Abendmahl – einer Ungetauften war das zu viel: die düstere Kirche, die bedeutungsschweren Rituale. Davor hat die Gruppe lang mit dem Thema Sünde gekämpft. Einigen wurde als Kind mit einem strafenden Gott gedroht. Dabei meint Sünde im Kern, Gott zu misstrauen.

Hilft Beten? Eine muntere Debatte hebt an. Eine sagt: Wenn man etwas ganz doll will – lass es gut gehen, bitte! –, das
helfe. Aber was ist dann mit einem Krebskranken, der trotz ­Betens nicht wieder gesund wird, hat der nicht genug geglaubt, ist also selbst schuld? Gott ist doch kein Wunschautomat! „Nein“, sagt Pfarrerin Elke Wewetzer, „aber er leidet mit uns, und er lässt sich auch mal umstimmen von uns.“

Und dann wird ausprobiert: Beten mit den „Perlen des Glaubens“, einem kleinen bunten Perlenband. In einer geführten Meditation nehmen die 14 Männer und Frauen eine Perle nach der anderen zwischen die Finger – die Wüstenperle, die Perle der Gelassenheit, der Liebe – und stellen sich Fragen. Etwa diese: Wann bin ich durch die Wüste gegangen? Wovon möchte ich mich befreien? Fühle ich mich geliebt? Und wen liebe ich? Nach 20 Minuten öffnen sie die Augen wieder. Ihre Gesichtszüge sind weich. Still gehen die Leute auseinander und nach Hause.

Salben, Segnen, Handauflegen - Sinnliches ist der Renner

Sinnliches ist seit ein paar Jahren der Renner: Salben, Segnen, Handauflegen . . . Viele solcher wiederentdeckten ­Rituale bietet die „Thomasmesse“ an, ein Gottesdienst für „Ungläubige, Zweifler und andere gute Christen“, meist von Laien organisiert. Thomas war der Jünger, der Jesus erst für echt nahm, als er dessen Wunden berühren durfte.

Auch in einer Thomasmesse gibt es etwas zu spüren oder zu tun. Es sind symbolische Handlungen. In der Jakobskirche in Nürnberg etwa kann man einen Stein an einer „Klagemauer“ ablegen, eine Kerze anzünden oder sich in einem verschwiegenen Winkel der Kirche einzeln segnen lassen – man sagt seinen Namen und sein Anliegen, zum Beispiel: „Ich hab Streit in der Familie.“ Da fließen auch mal Tränen, erzählt Pfarrerin Petra Thumm. „Natürlich wissen alle seit dem Konfirmandenunterricht irgendwie: Gott nimmt dich wahr. Aber viele spüren erst bei einer Einzelsegnung den Zuspruch. Dass sie wirklich gemeint sind.“

Derzeit besonders beliebt: einen Brief an Gott schreiben – über Belastendes, eine Schuld, ein Geheimnis – und den Brief dann verbrennen. Vor der Friedenskirche in Hanau schüren Konfirmanden die Glut in einer Feuerschale. Über ihnen blinken Flugzeuge im Landeanflug, neben ihnen auf der Durchfahrtsstraße dröhnt Feierabendverkehr. Da kommen schon die Ersten aus der Thomasmesse und legen ihren Brief ins Feuer. Pfarrer Merten Rabenau kommt kaum nach: „Lobe den Herrn, meine Seele“, sagt er mit seinem Bass. Noch ein Umschlag. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“

Schweigend geht es dagegen beim „christlichen Handauflegen“ im evangelischen Kloster Bursfelde zu. Pfarrerin Silke Harms will gar nicht wissen, an was jemand konkret leidet, denn es gehe „um Heilwerdung in einem umfassenderen Sinn – um neue Kraft zum Leben und manchmal auch um neue Kraft zum Sterben“. Rund ­15 Minuten legt sie zusammen mit einer Kollegin – damit man im Fall dramatischer Besserung nicht weiß, wer’s war – ihre Hände auf und vertraut darauf, dass Gott wirkt.

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In Ostdeutschland wird so etwas „Aberglauben“ genannt. Aber wenn die Leipziger Pfarrerin Angelika Biskupski Kirchenmitglieder im Altenheim besucht, folgen ihr auch nichtgläubige Betreuerinnen und sagen: „Wie Sie den Leuten die Hand auflegen und den Segen zusprechen – das tut mir bestimmt auch gut.“ Schon strecken sie der Pfarrerin den Kopf zum Segnen hin.

Nein, man ist nicht abergläubisch im Osten. Und doch beobachten viele die Kirchenleute aus dem Augenwinkel. Irgendwann, oft nach Jahren, sind sie so neugierig, dass sie zu einer kirchlichen Veranstaltung gehen.

Die Kontaktanbahnung läuft meist über Brückenköpfe: Da will ein ungetauftes Mädchen zum ­Konfirmandenunterricht, weil die Freundin hingeht – die Mutter hat mit Religion „nüscht am Hut“, also muss die Tochter allein in die Gottesdienste – was wiederum die Großeltern nicht so toll finden; gehen eben sie mit – und merken: Irgend­etwas daran hat ihnen gutgetan.
Schließlich sitzen sie im Glaubenskurs von Angelika Biskupski in Leipzig. Der Kurs heißt schlicht „Was Christen glauben“. Vor allem die ersten beiden Sätze des Werbefaltblatts ziehen viele an: „Was trägt mein Leben durch Höhen und Tiefen? Und woran kann ich mich orientieren?“

Im Osten ist man nicht abergläubisch. Aber neugierig

Männer sagen bei der Selbstvorstellung im Kurs gern: „Ich bin ein naturwissenschaftlich denkender Mensch, aber seit ich bei der Geburt meines Kindes dabei war . . . Das war ein Wunder.“ Oder: „Meine Tochter will zum Religionsunterricht, weil ihre Freundin da hingeht. Das kann nicht sein, dass die mehr weiß als ich!“ Oder eine junge Frau, schwer krank: „Ich will nicht gottlos sterben.“

In ostdeutschen Glaubenskursen geht es um andere Fragen als in westdeutschen: Wie ist das denn jetzt mit Glaube und Naturwissenschaft? Kann man die vier Evangelien nicht zusammenschrumpfen, wenn sich doch eh so viel widerspricht? Und wieso die Zehn Gebote? Man hatte doch schon die „10 Gebote der Jungpioniere“.

Am meisten aber faszinieren die biblischen Geschichten. „Die Geschichten fehlen vielen“, sagt Pfarrerin Biskupski. Wenn sie Kinder durch die Nikolaikirche führt, bleibt sie vor einem Relief stehen – Jesus ist in Angst, doch die Jünger schlafen – und sagt: „So ist das, wenn man jemanden braucht.“ Dann fragen die Eltern, ob es solche Führungen auch für Erwachsene gebe? Nein, nicht die kunsthistorischen, sondern die, wo diese Geschichten erzählt werden! Vom Verrat an Jesus, von Noah und der Arche...

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Wissbegier auf Glaubensdinge im Osten ist wahrnehmbar, aber keine Massenbewegung. Ostdeutschland ist eine weitgehend „entkirchlichte“ Region. Das merken Pfarrer und Pfarrerinnen besonders bei Bestattungen von Kirchenmitgliedern, wenn sie in all die ratlosen oder verschlossenen Gesichter der kirchenfremden Trauergäste blicken. Und diese Gesichter sehen sie nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, sondern zunehmend auch in Hamburg.

Was verstehen Ungläubige von einer christlichen Bestattung? Finden sie die abschreckend oder in aller Fremdheit doch gut? Könnte man was besser machen? Das wollten jetzt in einem Hardcore-Experiment das Gottesdienstinstitut in Hamburg und die Arbeitsstelle „Kirche im Dialog“ in Rostock herausfinden. Einen Tag lang führten 20 Pastorinnen und Pastoren sechs konfessionslosen Gästen kirchliche Bestattungen vor – mit Orgel-App, Tisch als Sarg, Vase als Urne.

Am Morgen ist beiden Seiten bang, am Abend sind alle beglückt: Geistliche kann man sympathisch finden! Und Ungläubige sind viel menschlicher als vorgestellt! Und wie genau die hingeschaut haben! 

Der Student: Ich fand gut, zum Gebet „eingeladen“ zu werden, statt dass der Pfarrer nur streng sagt: „Im Namen des Vaters und des Sohnes“ – da fühle ich mich so ausgeschlossen. Angenehm der Vorschlag, das Lied auch nur mitzusummen.

Die Controllerin: Es war eine heilige Atmosphäre. Ich war ergriffen.

Der Coach: Wenn mich die Pfarrerin an der Tür mit Handschlag begrüßt, habe ich kein Problem, mir anschließend etwas anzuhören, was ich nicht kenne.

Die Logopädin: Psalm 23 kannte ich nicht, aber ich konnte ihm folgen, er brachte Wärme für mich rüber. Nur die Lesung – Paulus an die Korinther –, die ging bei mir zum einen Ohr rein und zum anderen raus.

Der Coach: Hat mich auch überfordert. Ein einfacher Text wär mir lieber.

Der Student: Ich finde immer wieder erstaunlich, was eingefleischte Kirchgänger für eine Auffassungsgabe haben.

Der Coach: Die verstehen das auch nicht.

Schwierig: eine kirchliche Bestattung mit nichtgläubigen Trauergästen

Eine Pastorin führte ihre schwierigste Bestattung vor: Sie hat nach langem Überlegen eine Ausgetretene bestattet, weil deren Schwiegersohn sie um eine „anständige“ Beerdigung gebeten hatte. Unter den Trauergästen kein einziges Kirchenmitglied. Die Pastorin sprach trotzdem Sätze wie diese: „Jesus Christus sagt: ‚Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht im
Dunkeln tappen.‘ Es wird nicht dunkel bleiben – das ist eine Zu­sage, die jedem von Ihnen gilt. Dass Ihre Trauer sich wandeln wird. Ich vertraue darauf, dass Gott uns allen sagt: ‚Du bleibst nicht im Dunkeln.‘ Für viele mag das schwer zu begreifen sein, ich würde mir wünschen, das möge auch Sie trösten.“

Die Beobachter sind sich einig: erfreulich wenig bibellastig. Wir fühlen uns in den Arm genommen.

In der Pause lässt man sich vorm Haus vom Ostseewind durchpusten. Findet die Logopädin Kirche und Glauben attraktiv? Sie sei gern in der Gemeinschaft von Gläubigen, sagt sie. „Und ich bete ja selbst auch, vorm Einschlafen; ich bin dann dankbar, zum Beispiel für Begegnungen.“ An was glaubt sie denn? Antwort: „An die Liebe?“ Bei einem Trauergottesdienst möchte sie sich nicht ausgeschlossen fühlen, auch wenn sie bei manchem aussteige – Auferstehung zum Beispiel, nee, da sei sie ganz irdisch nüchtern.

Und der Student, findet er den christlichen Glauben attraktiv? „Das ist jedenfalls die sympathischste Religion. Weil Gott Mensch war.“ Würde er gern glauben? „Ja. Aber das ist ein langer Weg. Wenn einem das nicht in die Wiege gelegt worden ist . . . “

Ist Glauben wirklich so schwierig? Die Frage geht an Thies Gundlach, den obersten Theologen der EKD:

Was ist der kleinstmögliche christliche Glaube? 

Thies Gundlach: Solange man noch Gott vermisst, solange man merkt, dass irgendetwas wehtut in einem Leben ohne Transzendenz. Viel strenger würde ich da nicht sein.

Was ist mit der Variante: „Ich halte Gott für möglich“? 

Das ist sehr akademisch formuliert. Aber auch da wirft jemand den Anker aus über das Vordergründige hinaus.

Verena Müller-Wieprecht, die Sucherin, hat mittlerweile ihren ungläubigen Mann zum kirchlichen Männertreffen geschickt. „Du musst auch gar nichts sagen! Und es dauert nur anderthalb Stunden, dann kannst du wieder gehen.“ Er kam erst nach Mitternacht heim, es sei so nett gewesen. Jetzt ist er sogar mit ihr im Vorbereitungsteam des nächsten Glaubenskurses. Und sie fällt demnächst in den Konfirmandenelternabend ein, „da mach ich dann den Werbeblock, als Neuglaubende“.
Das kann sie gut. Schon wie sie sagt: „Endlich mal ein Angebot für Nichtkinder, Nichtsenioren, Nichtkranke –
einfach für Menschen, die mitten im Leben stehen, die sich aber trotzdem gern mal mit solchen Dingen auseinandersetzen wollen.“

Nun hat sich ihr mittlerer Sohn taufen lassen, einige Wochen vor der Konfirmation. Der Pfarrer befragte ihn zuvor kritisch. Der 14-Jährige antwortete: Doch, er glaube irgendwie an Gott, bloß sei ihm immer noch nicht ganz klar, warum er sich dafür konfirmieren lassen müsse – aber er könne es ja so machen wie seine Eltern und sich mit 40 noch einmal genauer damit auseinandersetzen.

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DasTitelthema LIEBER GOTT MACH MICH FROMM finde ich inhaltlich gut gelungen, aber der häufig ironische Sprachstil, z.B. "Sinnliches ist seit ein paar Jahren der Renner: Salben, Segnen, Handauflegen" erinnert mich genau an die typisch kirchliche Überheblichkeit, die ich aus meiner Kindheit, evangelisch und katholisch, kenne. Journalistisches Stilmittel in Form dieser Ironie finde ich bei diesem Thema nicht pasend.
Andrea Praus

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In diesem Artikel antwortet Herr Gundlach auf die Frage:

„Was ist der kleinstmögliche christliche Glaube?“:

„Solange man noch Gott vermisst, solange man merkt, dass irgendetwas weh tut in einem Leben ohne Transzendenz. Viel strenger würde ich da nicht sein“

Ich vermute, dass die Antwort vielleicht auf die Frage gegeben werden sollte:„Was ist der kleinstmögliche evangelische Glaube“,weil ich mir nicht vorstellen kann, dass auch überzeugte Katholiken mit dieser Antwort einverstanden sein könnten.

Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass dann eigentlich von dem speziell „evangelischen“ Glauben nicht sehr viel übrig geblieben ist. Der Glaube an Christus als "Gottes Sohn", den heiligen Geist,die Auferstehung,die Bibel,die 10 Gebote usw.sind danach nicht (mehr) Voraussetzung, um sich als „Christ“ bezeichnen zu können. Außerdem dürften sich alle monotheistischen Religionen, die meisten „unchristlichen“ Sinnsucher und wohl auch die Agnostiker mit dieser Aussage anfreunden können, weil hier das speziell „christliche“ nicht mehr erkennbar ist.

Im übrigen wäre es sehr zu begrüßen, wenn sich alle Religionen dieser Erde auf diesen Kernsatz reduzieren würden. Dies würde der Menschheit viel Leid ersparen.

Dr. Olaf Hofmann

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Also, eigentlich wollte ich mich eines Kommentars enthalten. Aber .. Ich verstehe die Intention des Artikels irgendwie nicht. Kritisch oder Werbung für diese moderne Art der "Mission" ?
Ich finde das Beschriebene schrecklich, und das hat nichts mehr mit dem biblischen Glauben zu tun. Es ist genau das, wovor uns der Herr Jesus selbst und seine Apostel warnen.
Wenn das alles so "einfach" wäre und so angelegt auf das alleinige diesseitige Wohlfühlen und permanentes In-den Arm-genommen-werden-wollen, wozu musste der HERR dann am Kreuz sterben ?
Wozu riskieren Gläubige in Ländern wie dem Iran, in Nordkorea, Ägypten, in vielen islamischen Ländern, in Indien Verfolgung und Tod - wenn dieser seichte Glaube wahr wäre ?
Und was Herr Gundlach da von sich gibt, das Glaubensbekenntnis betreffend, ist ein Schlag ins Gesicht und fast schon gotteslästerlich.
Ich habe mich vor ein paar Jahren bekehrt, so wie es in der Bibel steht und kämpfe nun den guten Kampf... ja, es kostet was, aber ich habe die Verheissung Gottes, dass Er mir hilft in Jesus Christus im Glauben zu wachsen und Erkenntnis und Weisheit zu gewinnen. ( siehe Epheserbrief )
Es geht immerhin um das ewige Leben. Und um die richtige Wahl.
Alles das was im obigen Artikel beschrieben ist, findet man zuhauf in der Esoterik auch. Das weiss ich, da komme ich her. Und das ist nicht tragfähig. Da braucht man keinen christlichen Glauben. Das im obigen Artikel Beschriebene ist Betrug an Menschen, denen ernsthaft daran liegt, zum Glauben zu kommen und die Bibel als Gottes Wort kennenzulernen ( um eine wirkliche Wahl zu haben ) und im Gehorsam zu wachsen. Aber das klingt jetzt für die meisten sicherlich intolerant, lieblos, altbacken, nach Hölle, usw...
Aber leider ja, die Hölle gibt es... aber wir sind ja soooooooooo modern und aufgeklärt ... wir machen ja nichts falsch und schuld sind immer die anderen .. Erziehung, der falsche Partner, DIE Gesellschaft ,,,

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