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Geld für alle?
Das brächte ein großes Maß an Freiheit - und vor allem Fantasie und Mut zu neuen Wegen
30.11.2010

Wenn in diesem Kapitalismus namens soziale Marktwirtschaft etwas wächst, dann die Verunsicherung. Die jetzige Finanzmarkt-und Wirtschaftskrise treibt sie bloß noch auf die Spitze: die nie weichen wollende Sorge um Arbeit und Einkommen, um Rente und Ausbildungsplatz. Sie macht Menschen mürbe, weshalb, wie ich finde, diese selten wichtig genommene Frage die gesellschaftspolitisch wichtigste ist: Wie kriegen wir diese Angst raus aus der Gesellschaft?

Die Idee eines Grundeinkommens fasziniert mich

Die Idee eines Grundeinkommens fasziniert mich, weil sie sich genau dieser Herausforderung stellt und zudem etwas verspricht, was viele für unmöglich halten: mit einfachen politischen Beschlüssen und geringem Aufwand den Alltag der Bürger und damit das Leben in dieser Gesellschaft grundlegend zu verändern, zu verbessern. Die Idee fasziniert: den amtierenden Bundespräsidenten, viele Konservative, Grüne, Katholiken, Protestanten und ausgewiesene Linke. Ein veritabler Geist, der in Europa umgeht und die Mächtigen mächtig erschreckt, das ist die Idee noch nicht, aber immerhin geistert sie überall herum. Da sammle sich eine ziemlich "buntscheckige Koalition", so der renommierte Sozialwissenschaftler Claus Offe.

Ich scheue mich immer noch ein bisschen, für diese Idee zu werben, klingt sie doch in dieser so unbeirrt auf ihren starren Pfeilern Wachstum und Leistung stehenden Gesellschaft so irre, verrucht und schrill, dass der Ruf des Befürworters leicht in Mitleidenschaft gezogen werden kann: 500 Euro oder 1 000 oder gar 1 500 Euro bar auf die Hand, ohne dafür auch nur einen Handstreich tun zu müssen, ohne dafür auch nur eine Zeile eines zehnseitigen Bedürftigkeit-Kontrollbogens für die Sozialbürokratie ausfüllen zu müssen. Wenn das Gegenüber dann erst einmal mit einem merkwürdig betonten langgezogenen "Wie?" antwortet und die Fragen hinterherpurzeln, ob das eine Revolution, der Umsturz dieser Arbeitsgesellschaft oder das neue Reich für Faulenzer sei, dann kann man gelassen dazu animieren, einmal das Undenkbare zu denken.

Elke M. erzieht allein ihre beiden kleinen Kinder. Deshalb nimmt sie auch keine Erwerbsarbeit an. Sie erhält 750 Euro Grundeinkommen für sich - wie jeder andere erwachsene Bürger - und jeweils 250 Euro für ihre Kinder; zusammen 1250 Euro.

20 Jahre später: Die Kinder sind erwachsen, Elke M. ist in ihren erlernten Beruf zurückgekehrt, verdient 3000 Euro brutto. Nehmen wir einen Steuersatz von 35 Prozent an: Sie muss also 1050 Euro Einkommenssteuer bezahlen. Sie erhält, wir erinnern uns, für sich ein Grundeinkommen in Höhe von 750 Euro. Beides wird miteinander verrechnet, das Ergebnis: Elke M. bezahlt jeden Monat 300 Euro Einkommenssteuer an den Staat.

So könnten wir mit Elke M. noch andere Lebensphasen durchrechnen: mit einer Teilzeitarbeit und ihren Kindern in der Schule, als Betreuerin in einem kleinen privaten Kinderhort mit viel Freude an der allerdings gering bezahlten Arbeit, als Ruheständlerin mit 900 Euro Rente. Immer wird ihr Einkommen verrechnet mit Grundeinkommen und eventueller Steuer, immer lohnt es sich für sie, arbeiten zu gehen, aber wenn sie es nicht kann, hat sie trotzdem immer ein verlässliches, wenn auch bescheidenes finanzielles Fundament, das ihr keine Verordnung, keine Bedürftigkeitsprüfung und kein penibler Bürokrat streitig machen kann. Das steht ihr zu.

Das Grundeinkommen beruhigt, vertreibt Angst, entgiftet die Gesellschaft

Das Grundeinkommen beruhigt, vertreibt Angst, entgiftet diese Gesellschaft. Blicken wir auf unsere neue Arbeitswelt, dann sehen wir, wie rar das Gut Sicherheit wird: Eine reguläre Arbeit - Vollzeit und unbefristet - haben immer weniger Menschen. Jeder dritte Arbeitnehmer hat heute eine Leih- oder Teilzeitarbeit oder eine zeitlich befristete; selten aus freier Wahl, meist erzwungen mangels Alternativen. In Nordrhein-Westfalen hatten im Jahr 2003 bereits mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen unter 24 Jahren eine befristete Arbeit. Da ist beispielsweise der 21-jährige Mechatroniker, frisch ausgebildet, der darum bangt, ob seine Firma ihn übernimmt. Wenn er Glück hat: für zwei Jahre. Mit seiner Freundin will er eine Familie gründen. Aber was ist in zwei Jahren? Flexibel sein ist so modern - und macht so mürbe.

Jedoch: Das Grundeinkommen funktioniert nur im Verbund mit Mindestlöhnen. Sonst könnten Arbeitgeber zu Elke M. sagen: Sie erhalten doch sowieso 750 Euro jeden Monat, dann zahle ich Ihnen nur 4,50 Euro die Stunde, das reicht Ihnen gut, einverstanden? Es muss zweitens eine gute Infrastruktur geben: günstige Wohnungen für Geringverdiener, Kindergartenplätze mit geringen Gebühren, Hallenbäder, Bibliotheken. Denn Elke M. kann als alleinerziehende Mutter mit 1250 Euro keine hohe Miete bezahlen. Und es müsste ein Drittes gewährleistet sein: ein einfaches Steuersystem, das geringe und mittlere Einkommen begünstigt und die hohen belastet.

Die Bürger wären freier

Was wäre das für eine Gesellschaft, in der es den Alltag von Elke M. millionenfach gäbe? Die Bürger wären freier. Weil sie häufiger Nein sagen könnten - beispielsweise zu einem miesen Job. Weil sie reibungsloser Leben und Arbeit so kombinieren könnten, wie es ins Leben passt: Mal stehen die Kinder im Mittelpunkt und die Erwerbsarbeit wird verkürzt, mal ist es umgekehrt, wenn die Kinder groß sind. Natürlich gibt es noch vieles zu klären: Was wird aus den Sozialversicherungen? Antwort: Die bleiben erst einmal in Kraft, und auf alle steuerpflichtigen Einkommen müssen Sozialbeiträge entrichtet werden. Wie soll dieses Grundeinkommen finanziert werden? Antwort: mit Einsparungen, denn vom Arbeitslosengeld II über Bafög und Pflegegeld bis hin zum Kindergeld fallen viele Sozialleistungen weg. Hohe Einkommen, Erbschaften, Luxusgüter und Vermögen werden höher besteuert, und für Unternehmen, die mit modernster Technik und weniger Arbeit ihre Produktivität enorm steigern, fällt eine Wertschöpfungsabgabe an.

Grundeinkommen - das klingt, als gehe es um eine Fußnote in einem Referentenentwurf der Sozialbürokratie. Dabei leitet es eine Revolution ein. Eine Idee, die diese Arbeitsgesellschaft einfach auf die Füße stellt. Das Signal: Wir lassen niemanden hängen. Das Signal: Jeder Bürger erhält mehr Wahlmöglichkeiten. Das Signal: Endlich wird die Arbeit von Hausfrauen, Hausmännern und Müttern bezahlt - und damit respektiert. Das Signal: Wir kommen endlich von unserem bornierten Arbeitsbegriff weg, bei dem Erwerbsarbeit alles und Tätigkeiten in Vereinen, Sozialeinrichtungen und Bürgerinitiativen so gut wie nichts wert sind. Das Signal: Die Lust, neue Ideen zu denken, steigt, weil viel mehr verwirklicht werden kann und nicht Hirngespinst bleiben muss. Mit einem Grundeinkommen im Rücken können 15 Elternpaare viel leichter einen Kinderladen aufmachen und eine qualifizierte Erzieherin einstellen. Oder die Rentner machen sich ihren Traum von der Kleinkommune mit Pfleger wahr.

Das Grundeinkommen ist der Schlüssel zum Schloss

Der heutigen Arbeitsgesellschaft ginge es an die Substanz, würde doch mit ihren wichtigsten Regeln gebrochen. Die erste Regel: Nur wer arbeitet, soll auch essen. Die zweite: Jede Arbeit, auch die dreckigste, ist gut, weil jede Arbeit besser ist als keine. Die dritte Regel: Erwerbsarbeit kennt keine andere Tätigkeiten neben sich. Die vierte: Nur wer viel verdient, der ist via Sozialstaat gut abgesichert. Regel Nummer fünf: Da Erwerbsarbeit alles ist, ist sie für jeden Einzelnen unverzichtbar, nicht nur für Einkommen, sondern auch für Identität und Wertgefühl. Mit anderen Worten: Wer arbeitslos wird, fällt doppelt tief - weniger Geld, weniger Wert; das macht das Drama aus. Diese Regeln sind die Gitterstäbe unseres Gedankengefängnisses. Das Grundeinkommen ist der Schlüssel zum Schloss.

Mit diesem Projekt werden zwei große Ideen vereint, die sich bisher blockieren: Solidarität und persönliche Freiheit. Der politische Bürger ist auch dann Bürger, wenn er Sozialleistungen "empfängt". Er ist ein starkes Subjekt auch dann, wenn er sozial schwach und ohne Lohnarbeit ist, befähigt, das Heft selbst in die Hand zu nehmen.

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Schon möglich, Gewerkschaften wären beileibe nicht überflüssig. Vielleicht würde ein Umstand ihnen besonders zugute kommen, die Lidls, Metros und Schleckers würden kein Personal mehr finden. Pflege, Kinderbetreuung, Hausaufgabenhilfe könnten viel eher in Eigeninitiative im eigenen Wohnviertel organisiert werden - das würde für viele kommerzielle Anbieter das Aus bedeuten. Was den fehlenden günstigen Wohnraum angeht, den könnten Initiativen unter fachlicher Anleitung bisher arbeitsloser Ingenieure und Handwerker auch selbst in die Hand nehmen. Das bedingungslose Grundeinkommen kann nur in einer Kultur der gemeinschaftlichen Initiative gedeihen, das heutzutage bange bis gelähmte Warten auf unternehmerische Geschäftsideen hätte somit keine Grundlage und Berechtigung mehr.

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