Sanderson
Die Schläge hatten so eine Wucht, dass ich mit dem Kopf gegen die Wand flog
Auch Akademiker misshandeln ihre Frauen. Die Scham ist groß. Hier bricht eine Frau ihr Schweigen
Tim Wegner
13.03.2012

Er stand neben dem Messerblock und schrie: „Ich mach dich kalt, du Sau!“ Elisa Bern sah es schon vor sich, wie ihre Kinder sie am Morgen blutüberströmt auf dem ­Küchenboden finden würden. Dieses Bild müssten sie ihr Leben lang mit sich tragen. Das wollte sie nicht.

Nach Mitternacht, als ihr Mann endlich schlief, weckte sie den achtjährigen Sohn – er durfte ein Kuscheltier mitnehmen und wählte das größte, den Delfin; sie nahm die schlaftrunkenen vierjährigen Zwillinge auf den Arm und schlich aus dem Haus.

Das war das Ende der 13-jährigen Gewaltbeziehung zwischen der Juristin Elisa Bern und dem Arzt Tilman Bern.
Ein Akademiker, der seine Frau schlägt? Bestimmt ein Einzelfall, möchte man denken. Doch eine Befragung von 10 000 Frauen im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ergab: Jede sechste Frau hat Gewalt mit Verletzungsfolgen von ihrem Partner erlebt. Und: Höher Gebildete – zum Beispiel mit Abitur oder auch Studium – schlagen ihre Partnerin nicht seltener als Männer mit weniger Bildung, sagt Monika Schröttle, Wissenschaftlerin an der Uni Bielefeld und Studienleiterin.

Aber wo sind all diese Frauen? Fast keine sucht in Frauenhäusern Zuflucht, fast alle schweigen, nur wenige zeigen den Täter an. Die Scham ist groß.

Toll, dachte Elisa, der kümmert sich um mich. Doch aus dem Kümmern wurde Kontrolle...

Auch Elisa Bern hatte mit niemandem über die Gewalt in ihrer Beziehung gesprochen. Aber jetzt, anderthalb Jahre nach ihrer Flucht, will sie davon erzählen. Von der schleichenden Vernichtung, an deren Ende sie sich fast selbst aufgegeben hatte. Sie will andere Frauen ermutigen, früher zu reagieren. Ihr Name jedoch und einige weitere Details müssten geändert werden, ihr Mann habe teure Anwälte.

So, wie sie da sitzt, mit ihren strahlenden Augen, so klug, sortiert und selbstironisch, wie sie erzählt – es ist nicht recht vorstellbar, wie sie da hineingeraten konnte. Und warum sie 13 Jahre bei diesem Mann geblieben ist.

Elisa war 24, als sie Tilman kennenlernte, beide studierten noch. Auf einer Fete erzählte er derart begeistert von seinen Einsätzen als Sanitäter auf einem Rettungshubschrauber und von seinem Plan, später im Ausland zu arbeiten, dass sie dachte: Was für ein Mann! Sie selbst war auf dem Land aufgewachsen, war die erste Studierende ihrer Familie, wollte endlich raus in die Welt. Auch Tilman fand Elisa interessant, obwohl sie, wie er es ausdrückte, nicht in sein Beuteschema passe.

Als er dann, lang geplant, verreist war, rief er jeden Tag an und fragte, was sie gerade mache. Toll, dachte Elisa, der kümmert sich um mich, selbst aus der Ferne. Sie leerte seinen Briefkasten, stellte Blumen auf den Tisch und legte einen Zettel dazu, dass sie leider am Tag seiner Rückkehr eine Klausur habe. Statt nach der Klausur mit den Kommilitonen noch einen Kaffee zu trinken, raste sie zu ihm. Er saß auf dem Sofa, begrüßte sie nicht, sondern sagte vorwurfsvoll: „Musste das sein mit der Klausur!“ Sie hatte etwas anderes wichtiger genommen als ihn.

Das verstörte sie durchaus. Gleichzeitig dachte sie: „So einen kriege ich nie wieder.“ Plötzlich bekam sie Angst, allein zu bleiben. Sie sei schließlich nie ein „Männerschwarm“ gewesen, nie habe sie sich schlank genug gefunden.

Der erste Faustschlag

Nach einem Jahr zogen die beiden zusammen. Kurz nach dem Umzug verschwand Tilman. Elisa war in Sorge, rief schließlich ihren früheren Freund Robert an. Nach drei Tagen war Tilman wieder da, er hatte einen Spontanurlaub gemacht. Zwei Wochen darauf, sie kam gerade von der Uni, konnte sie die Wohnungstür nicht öffnen, weil innen der Schlüssel steckte. Sie klingelte, Tilman öffnete und versetzte ihr einen Faustschlag ins Gesicht, dass sie die Treppe hinunterstürzte. Dann zeigte er ihr den Einzelverbindungsnachweis der Telekom: „Du hast mit Robert tele­foniert! Warst du mit ihm im Bett?“

Elisa war damals Referendarin am Amtsgericht, vertrat den Richter, leitete Verhandlungen. Draußen. Drinnen verlangte Tilman von ihr, Robert nie wieder anzurufen. Dann müsse er auch nicht wieder so ausrasten. Das wolle er doch eigentlich gar nicht, sie schlagen. Na gut, dachte Elisa, ich habe so unregelmäßig Kontakt mit Robert, ich verliere ja nichts.

Heute weiß sie: Natürlich verlor sie etwas, als sie Tilman die Kontrolle über ihre Freundschaften zugestand. Und keineswegs hatte sie mit dem Kontaktabbruch den Grund aus der Welt geschafft, warum Tilman sie schlagen „musste“. Denn er fand immer neue Gründe.

Bald darauf hatte sie Geburtstag, Tilmans alter Freund kam und überreichte ihr einen Strauß gelber Rosen. Kaum war er ­wieder weg, ohrfeigte Tilman Elisa. Wieso der Freund ihr Rosen schenke? Weil ich Geburtstag habe, sagte Elisa, und es sind doch keine roten Rosen. Sie musste die Blumen draußen in die Mülltonne stopfen.

Jede Frau kann an einen solchen Mann geraten...

Jede Frau kann an einen solchen Mann geraten, sagt Sabine Hartwig vom Weißen Ring in Berlin, denn kaum einer ist bereits am Anfang einer Beziehung gewalttätig. Meist fängt es mit kontrollierender Eifersucht an oder damit, dass der Mann seine Partnerin verächtlich behandelt.

Jede Frau kann Opfer werden, aber nicht jede bleibt, schon gar nicht so lange. Gut die Hälfte der geschlagenen Frauen verlässt den Mann spätestens nach einem Jahr. Das Risiko, dass es in einer Beziehung zu mehrfacher Gewalt kommt und über Jahre hinweg, ist zum Beispiel dann erhöht, wenn die Frau als Kind Gewalt erlitten oder bei den Eltern Gewalt miterlebt hat – diesen Frauen fällt es schwerer, sich nach den ersten Gewaltvorfällen zu trennen.

Gab es da was bei Elisa Bern? Ja, doch, sie hatte einen fünf ­Jahre älteren Bruder, der tyrannisierte die ganze Familie: Die Mutter stieß er die Treppe runter; und wenn er in sein Zimmer ging, vorbei an Elisas Bett im Durchgangszimmer, versetzte er Elisa jedes Mal einen Schlag. Sie erlitt mehrere Gehirnerschütterungen, weil er sie gegen die Wand geschleudert hatte. Mit 16 zog Elisa zu Hause aus. Sie schwor sich, dass niemals wieder jemand sie schlägt.

Tilman zu verlassen, das erwog sie durchaus, damals im zweiten Jahr ihrer Beziehung. Aber sie war mitten im zweiten Staatsexamen. „Ich hatte weder die Zeit noch die Kraft zu gehen. Ich hatte aber die Kraft, es auszuhalten. Das fand ich weniger anstrengend.“

... aber nicht jede bleibt so lange

Man mag das dumm finden, aber waren nicht fast alle schon mal länger in einer Beziehung, als ihnen gutgetan hat? Und: Man kann Menschen relativ zügig fertigmachen. Aus der Forschung zu Mobbing im Betrieb weiß man: Es wird dann sehr schnell sehr schwierig, sich noch zu wehren.

Zunehmend setzte nun Tilman die Regeln. Nie war er zufrieden, nicht mit sich und erst recht nicht mit Elisa. Egal wie gelungen ein Fest war, das sie organisiert hatte, kaum waren die Gäste weg, hielt er ihr vor, was alles angeblich nicht geklappt habe. Immer öfter ließ Elisa Tilman seine Sicht der Dinge, nur damit er sich wieder beruhigte. Sie brach mit Freunden und Freundinnen, die er nicht leiden konnte. Und sollte ihr doch noch mal jemand zum Geburtstag einen Strauß mitbringen, rief sie Tilman quer durch die Wohnung zu: „Schatz, wohin möchtest du deinen Strauß gestellt haben?“ Alles nur Kleinigkeiten, dachte sie. Wichtiger sei doch, dass sie ein Team waren, wie es Tilman immer beschwor. Ein Team, das eine Familie aufbauen und durch die Welt ziehen wollte.

Elisa legte ein gutes Examen hin, sie fing als Anwältin in einer Kanzlei an und bekam nach kurzer Zeit die Teilhaberschaft angeboten. Mehrere Jahre verdiente sie den Löwenanteil, Tilman war noch in der Arztausbildung.

Als sie ihn bei einem Hilfseinsatz in Asien besuchte, lud er sie zu einem Hubschrauberrundflug ein, im Sinkflug über einem weißen Strand machte er ihr einen Heiratsantrag. Sie dachte: „Was sagste jetzt? Kannst ja erst mal Ja sagen. Sonst stößt er dich noch aus dem Helikopter.“ Er steckte ihr einen Verlobungsring an den Finger. Am Boden wartete ein Empfangskomitee mit Champagner. Welche Frau kriegt das schon, dachte Elisa.

Dann fand Tilman seine erste Stelle als Assistenzarzt – in einer weit entfernten Großstadt. Elisa zog mit, begann in einer neuen Kanzlei, bekam bald auch hier die Teilhaberschaft angeboten – und stellte fest, dass sie schwanger war. Tilman wollte nun, im fünften Jahr der Beziehung, heiraten. Ein Jagdschloss hielt er für standesgemäß. Für die Organisation der Hochzeit fuhr Elisa mit dem Säugling im Auto viele Hundert Kilometer. Zeit zum Nachdenken: „Willst du das eigentlich, den heiraten?“ Und wieder die Frage, was anstrengender ist. Allein mit Kind wäre noch anstrengender, fand sie. Sie wollte eine intakte Familie.

Sie glaubt: Wenn sie sich anders verhält, schlägt er sie nicht. Ein Irrtum

Elisa glaubte immer noch, wenn sie sich anders verhielte, würde er sie nicht schlagen. Sie gab sich noch mehr Mühe.
Als das Kind ein Jahr alt war, fing sie wieder an zu arbeiten, in der größten Kanzlei am Platz, einer Schlangengrube. 20 Stunden standen im Vertrag, sie musste über 40 arbeiten. Wenn Tilman abends zur Tür reinkam und es roch nicht nach Essen, weil sie noch mit dem Kind zu tun hatte, schrie er bereits. Wie oft war sie in Panik: „Mein Mann kommt in zehn Minuten heim, hier liegt noch was rum, das ist noch nicht gemacht...“ Sie bekam ein ­Magengeschwür.

Dann war Weihnachtsfeier in der Kanzlei. Elisa sagte, sie sei gegen 22 Uhr zurück. Das wollte sie einhalten. Doch um diese Zeit war noch nicht einmal das Dessert serviert, und der Chef hatte sie in ein Gespräch verwickelt. Zu Hause anzurufen war sinnlos, weil das Telefon wegen des Kindes leise gestellt war.

Um Mitternacht war sie zu Hause, wollte im Dunkeln die Treppe zum Hochbett hochsteigen, als flutlichtartig das Licht anging. Tilman hatte unterm Hochbett gewartet. Mit wem sie im Bett gewesen sei? „Da hab ich das erste Mal richtig Prügel bezogen.“ Er verfolgte sie tretend und schlagend durch die ganze Wohnung, nirgends konnte sie sich in Sicherheit bringen. Sie hatte Prellungen, geschwollene Wangen und ein blaues Auge.

Es wurde immer schlimmer. Wieder ein Umzug in eine andere Stadt, Tilman hatte eine bessere Stelle gefunden, sie aber fand nicht gleich eine. Er beschimpfte sie: Du bist eine Null! Du
hast keine Arbeit! Und wieso schreit das Kind, wenn ich nach Hause komme, du hattest doch den ganzen Tag Zeit, es zu bespaßen!

Sie wollte sich tatsächlich trennen, damals, im siebten Jahr. Doch dann war ihr Mann mal wieder nett. Er umwarb sie, schenkte ihr Blumen über Blumen, Konzertkarten, kleine Überraschungsreisen... Dieser Kreislauf aus Gewaltausbruch und romantischen Phasen ist der Forschung bekannt, für die geschlagenen Frauen aber schwer zu erkennen. Sie schöpfen jedes Mal neu Hoffnung, dass dieses Mal wirklich das letzte Mal war. Hoffnung kann Menschen lange binden.

"Küss mich", sagte er, nachdem er sie geschlagen hatte

Nach einem Gewaltausbruch war Tilman meist bestürzt. „Kannst du nicht beim nächsten Mal besser aufpassen, dass du mich nicht so reizt!“ Elisa tröstete ihn dann: Das kriegen wir schon hin, tut mir leid, dass ich mich so bescheuert benommen habe. Die Unterwerfung ging so weit, erzählt sie, dass es nach den Schlägen zu Dialogen wie diesem kam. Er: Möchtest du dich jetzt entschuldigen? Sie: Ja. Er: Dann ist es ja wieder gut. Küss mich!

Dass Tilman leicht ausrastet, wussten viele. Kollegen kannten ihn so, seine Mutter ohnehin, Freunde verlor er dadurch. Aber dass er seine Frau schlug, ahnte niemand. Nach außen waren die Berns die perfekte Familie. Beide berufstätig – Elisa hatte mittlerweile mit einem Kollegen eine eigene Kanzlei aufgemacht –, tolles Kind, alles gemeistert und gewuppt, ständig Küsschen. „Egal, was für ein Krach gewesen ist, wenn es anschließend eine Einladung gab, hat er das schönste Lächeln aufgesetzt“, sagt Elisa.

Im zehnten Jahr bekam Elisa Zwillinge und Tilman eine Oberarztstelle. Sein Karriereplan schien aufzugehen. Doch der neue Chef, die Arbeitszeiten – alles eine Katastrophe. Elisa könne jetzt nicht mehr arbeiten gehen, sagte er, sie müsse sich um die Familie kümmern.

Nun war sie finanziell abhängig von ihrem Mann, er gab ihr Haushaltsgeld. Sie hatte kaum noch Kontakte. Spätabends kam er heim, sie servierte ihm sein Essen, dann legte er sich aufs Sofa, verlangte Bier. „Keine Woche mehr ohne Schläge und Schubsen.“

"Er trat ich ins Gesäß, dass ich tagelang nicht laufen konnte"

Schubsen? „Er hat mich wie ein Vieh vor sich her geschubst. Die Schläge hatten so eine Wucht, dass man davongeflogen ist, und wenn da eine Wand war, eben gegen die Wand, vorzugsweise mit dem Kopf. Und er trat mich ins Gesäß, dass ich tagelang nicht laufen konnte.“

Warum um Himmels willen ging sie denn nicht endlich? Das kann doch für eine gebildete Frau, die im Berufs­leben erfolgreich ist, nicht so schwer sein!

Doch Elisa hatte da schon kein Selbstbewusstsein mehr. In den ersten Jahren hatte sie noch in zwei getrennten Welten gelebt – erfolgreich im Beruf, gedemütigt zu Hause – , hatte eine Art doppelter Buchführung betrieben. Doch zunehmend entwertete Tilman auch ihre beruflichen Erfolge, zerlegte das Lob, das sie von Chefs, Kollegen und Klienten bekam: So ein toller Anwalt sei ihr Chef nicht, und was irgendwelche Kollegen oder Klienten sagen, gelte sowieso nicht. Ohne ihn, Tilman, sei Elisa gar nichts. „Guck dich doch mal an, wie du aussiehst!“ Irgendwann glaubte sie ihm, dass sie nichts kann, nichts wert ist, niemals alleine in der Welt bestehen könnte. Und dass sie die Schläge verdient.

Hätte jemand sie gefragt: „Sag mal, schlägt dein Mann dich?“, Elisa hätte geantwortet: „Spinnst du?“ Häusliche Gewalt gab es in der Unterschicht, stand doch überall, also musste sie die einzige Akademikerin sein, der das passierte. Sie schämte sich.

Die Kontrolle wird immer engmaschiger: Telefonierverbot

Endlich fand Tilman eine bessere Stelle, in den USA, mit hohem Forschungsanteil, befristet auf drei Jahre. Von dort wollte er als Chefarzt zurückkommen. Er flog schon voraus, sie packte mal wieder den ganzen Hausstand ein. Zeit zum Nachdenken: „Er ist weit weg, er kann dich nicht drangsalieren, der ideale Zeitpunkt, dich zu trennen. Was willst du eigentlich in Amerika?“ Andererseits: Sollte sie den Kindern diese Erfahrung vorenthalten? Sie könnte sich doch in drei Jahren immer noch trennen, und vielleicht würde in Amerika doch noch alles gut!

Der Anfang war tatsächlich traumhaft. Es war Sommer, es ­waren Ferien, und die ausländischen Wissenschaftler wurden von Party zu Party gereicht. Dann ging es weiter wie zuvor. Sie bediente ihn, er war nie zufrieden. Sie musste perfekte Wochenenden planen, mit langen Fahrten, weil ihn Autofahren entspannte – die Kinder durften keinen Mucks machen. Immer öfter ohrfeigte er nun auch die Kinder. Elisa durfte nicht mehr ans Telefon, wenn es klingelte. Die Kontrolle wurde immer engmaschiger.

Dann schenkte er ihr zum Geburtstag einen Flugscheinkurs. Mit einem Flugzeug könnte man wochenends noch tollere Ausflüge machen, so sein Plan. Vielleicht war das der Beginn der Wende. Denn in den Flugstunden merkte Elisa plötzlich: Ich bin nicht blöd! Die Leute finden mich sogar nett! Das spürte Tilman wohl, denn eines Abends raunzte er sie an: „Ich glaub, du hast zu viel Spaß am Leben.“ Dieser Satz traf sie tiefer als alle Schläge zuvor. „Als hätte sich neben mir die Erde aufgetan. Ich wünsche doch den Menschen, die ich mag, dass es ihnen gutgeht, auch wenn es mir selbst gerade schlechtgeht!“

Doch bevor sie die Kraft fand zu gehen, musste sie erst noch in Lebensgefahr geraten.

Ihr Vater war schwer krebskrank, er kam ins Krankenhaus. Und sie war auf einem anderen Kontinent! Sie erinnerte sich, dass ihr Jugendfreund Robert in diesem Krankenhaus gearbeitet hatte. Sie googelte ihn, aber er arbeitete nicht mehr dort. Am Abend stellte Tilman sie zur Rede. Er hatte die Internetchronik auf ihrem Computer kontrolliert. Sie betrüge ihn, schrie er. Sie kam gar nicht dazu, sich zu erklären. „Da wurde mir zum ersten Mal klar, dass es ganz egal ist, was ich tue oder sage. Er schlägt mich sowieso.“ Hoffentlich, dachte sie noch, ist es bald vorbei.

Dann nimmt er ihr die Autoschlüssel ab

Zum ersten Mal trat er sie, als sie bereits am Boden lag. „Wie einen Fußball. Dabei brüllte er die ganze Zeit: ‚Steh auf!‘ Ich hab geweint und geschrien: ‚Hör auf! Lass mich in Ruhe!‘“ Er ver­schwand in seinem Zimmer, sie atmete auf, er kam zurück. So ging das die ganze Nacht.

Am nächsten Morgen, einem Samstag, fuhr Tilman mit dem Rennrad eine Spritztour. Danach verlangte er von ihr die Scheckvordrucke. Dann sollte sie sich entschuldigen und ihn küssen. Sie weigerte sich und sagte, vielmehr müsse er sich entschuldigen.

Am Nachmittag nahm er die Autoschlüssel an sich, wollte auch die Ersatzschlüssel. Elisa aber wusste nicht mehr, wo die waren. Sie schlotterte vor Angst. Sie sagte ihm, dass sie fürchte, er schlage sie tot. Die Angst sei berechtigt, sagte er, er werde sie umbringen. Die Kinder seien gar nicht von ihm. Jetzt betrüge sie ihn auch noch mit dem Fluglehrer, er habe ihren Tacho kontrolliert, da seien vier unerklärliche Meilen drauf. Dann gab er ihr eine Ohrfeige, dass sie dachte, der Kopf fliege ihr weg.

Mitten in der Nacht flüchtet sie. Sie zeigt ihren Mann an

Endlich ging er ins Bett. Und plötzlich fiel ihr ein, wo noch ein Autoschlüssel war: in der Fototasche. Auch eine alte Kreditkarte fand sie. Dann wartete sie und lauschte. Gegen ein Uhr packte sie die Kinder ins Auto, rollte leise vom Grundstück auf die Straße. Über Handy bat sie ihre Mutter in Deutschland, Flüge zu reser­vieren und ihr dann Bescheid zu sagen.

Um vier Uhr stellte sie fest, dass ihr Handy nicht mehr funktionierte. Tilman musste es gesperrt haben. Er war wohl bereits hinter ihr her. Noch am Flughafen stand sie Todesängste aus, weil der Ticketschalter erst Stunden später öffnete. Endlich saß sie mit den drei Kindern im Flugzeug.

In Deutschland, wo Elisa zunächst bei ihren Eltern unterschlüpfte, erstattete sie Anzeige gegen ihren Mann. Ein Arzt be­stätigte schmerzhafte Prellungen an Kopf, Oberkörper, Gesäß. Tilman, der ihr nach Deutschland hinterhergereist war, wurde von der Polizei zur Vernehmung geladen.

Er gab zu, seine Frau geschlagen zu haben, auch schon vorher, immer dann, wenn er unter Stress stand, „dies war teilweise auch beruflich bedingt“, sagte er laut Polizeiprotokoll. Ob er seine Frau beim jetzigen Vorfall auch bedroht habe, fragte der Beamte. Ja, sagte Tilman, „ich wollte sie damit aber nur unter Druck setzen und damit meine Gefühle zum Ausdruck bringen“. Er habe auf ihrem Computer die Homepage eines ehemaligen Freundes gefunden, und er sei stark eifersüchtig. „Da ich meine Frau sehr liebe, bin ich in diesem Moment irgendwie ausgerastet, ich kann es mir selbst nicht mehr erklären. Es tut mir jetzt alles sehr leid.“ (Ein Interview dazu, wie es den Männern mit ihrer Gewalttätigkeit geht, und wie sie lernen können, nicht mehr zu schlagen, finden Sie hier.)

Weil Tilman einsichtig war und nicht vorbestraft, stellte das Gericht das Verfahren gegen Geldbuße ein. Er hatte inzwischen in einer anderen Stadt eine gehobene Klinikposition gefunden.

Jetzt ist sie allein. "Aber ich fühle mich wunderbar dabei"

Unter großer Anstrengung baute sich Elisa in ihrer Heimatstadt nun eine neue Exis­tenz auf. Sie arbeitete Teilzeit als An­wältin in einer Kanzlei. Sie freute sich über Winzigkeiten: Die Wohnung musste nicht mehr permanent picobello aufgeräumt sein, sondern durfte aussehen wie eine Wohnung, in der Kinder leben; sie konnte endlich wieder spontan mit einer Freundin ­einen Kaffee trinken gehen, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. Einmal stand sie einfach nur vor einer früh erblühten Forsythie und schaute und schaute.

Geradezu normal, für Elisa aber unerwartet, fiel sie ein Jahr nach der Flucht in eine Depression. Und machte in der Therapie überraschende Erfahrungen: „Ich lernte, dass ich auch liebenswert bin, wenn ich nicht alles wuppe; dass ich mich gut fühlen kann, auch wenn ich Fehler mache. Ein harter Lern­prozess für mich.“

Die Kinder besuchten den Vater regelmäßig. Bei einer der Übergaben auf einem Parkplatz kam es zum Streit. Tilman warf den Kindersitz gegen Elisa. Sie floh in Panik und zeigte ihn erneut an. Alles wies darauf hin, dass er diesmal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt würde. Dann würde er seine Approbation verlieren, könnte nie mehr als Arzt arbeiten – und damit auch nicht für die Kinder und ihre Ausbildung zahlen. Deswegen stellte das Gericht gegen Geldbuße vorläufig ein.

Und heute? Mittlerweile hat auch der zehnjährige Sohn eine Therapie gemacht. Seither will er den Vater nicht mehr be­suchen. Denn der Papa lasse ihm als Erstes immer die Haare ganz kurz schneiden. Und der Papa schlage ihn. Doch Tilman lässt nicht locker: Er verlangt nun vorm Familiengericht, dass die Kinder ganz zu ihm ziehen. Elisa mit ihrer Depression sei zur Sorge nicht in der Lage. Elisas Arzt widerspricht, aber es hilft nichts.

Und trotzdem, sagt Elisa, habe sich die Flucht gelohnt. „Weil ich endlich wieder das Gefühl habe, dass ich lebe.“ Es war knapp gewesen, sie hatte sich fast schon aufgegeben. Doch dann fand sie doch noch so was wie einen heilen Kern in sich und damit die Kraft zu gehen. Nun ist sie allein. Davor hatte sie sich immer gefürchtet. „Aber ich fühle mich wunderbar dabei.“

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Was ist häusliche Gewalt: Hier geht es zum Faktendossier

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und zwar Ihretwegen, Frau Bern.
Meine Geschichte beginnt exakt gleich, auch ich hatte einen tyranischen Bruder, auch ich habe mit 16 seinetwegen meine Familie verlassen. Genau wie Sie hatte ich kein Selbstvertrauen weshalb ich auch in der Schule noch grauenvolles Mobbing ertragen musste. Nach den Schlägen meines Bruders war auch ich der Schuldige, der Meinung meiner Eltern nach, ich hätte Ihn ja nicht provozieren sollen. Und schon als kleines Kind erkannte ich wieviel Schwachsinn in den Sätzen meiner Eltern lag. Ich hasste meinen Bruder nicht,ich bemitleidete ihn, denn ich wusste was er für ein krankes Schwein war. Ich wusste das er nicht anders konnte, und ich wusste das er nie aufhören würde, mich zu schlagen. Und ich wusste das seine Schläge immer stärker wurden.
Und während er mir mit der Faust ins Gesicht schlug und ich mit den Rücken auf den Boden knallte, schwor ich mir, niemals zuzulassen das ein weiterer Mann mich je schlagen würde, ohne das ich Ihm die Nase vertrümmern würde! Nicht weil ich mich liebe, nicht weil ich Vertrauen in mich habe, sondern weil ich niemals jemand wieder Macht über mich geben würde. (Dies ist Gottseidank nie eingetreten, ich lebe in einer glücklichen Beziehung)
Haben Sie keine ähnlichen Eide gegenüber sich selbst geschworen, damals als Sie noch Kind waren?
Wieso haben Sie sich nicht nach dem ersten Schlag daran erinnert?
Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, dass Sie Ihren Exmann nach dem ersten Schlag nicht angezeigt haben, auch keinen das Sie sich nach dem ersten Schlag nicht gewehrt haben. Aber warum haben Sie Ihn nicht sofort verlassen? Warum sind Sie bei Ihm geblieben?

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Diese Geschichte erregt mein Mitleid nicht. Das Menetekel war mit dem ersten Faustschlag erkennbar. Trennung war ohne Probleme machbar.
Mich dauern Frauen mit Kindern, deren finanzielle Abhängigkeit oft so groß ist, dass sie ständig auf die Einsicht des schlagenden Mannes hoffen.
Und was soll die reißerische Erkenntnis, "Auch Akademiker misshandeln ihre Frauen" ?
1. ist das nicht neu und
2. sind Akademiker nicht per se die besseren Menschen.

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Ich habe die Reportage im Zug gelesen, die Geschichte hat mich wirklich gepackt. Ich denke, es ist nicht angebracht, über die Entscheidung der Protagonistin zu urteilen. Ich freue mich, dass Frau Bern mit ihrem Leben nun zufrieden ist. Diese Geschichte macht kurz vor den Ostertagen Mut, dass jeder einen Neubeginn schaffen kann. Lob an Christine Holch für die schöne Schreibe!

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"„So einen kriege ich nie wieder.“ Plötzlich bekam sie Angst, allein zu bleiben. Sie sei schließlich nie ein „Männerschwarm“ gewesen, nie habe sie sich schlank genug gefunden."

Ist es nicht erschreckend, wie unmündig diese Frau ist? Sie ist wahlberechtigt, darf ein Fahrzeug steuern und Kinder erziehen, aber eigenverantwortlich leben kann sie nicht. Sie ist in Gänze abhängig von fremder Beurteilung. Wo ist der Unterschied zu Frauen von 50 oder 100 Jahren?

Mich widert dieses Duckmäusertum geradezu an.

Ja, es ist erschreckend. Aber mich widert an, wie wenig Einfühlungsvermögen Sie in andere Menschen haben, die nicht so stark und toll sind wie Sie.
Hatten Sie schon immer so ein tolles Selbstwertgefühl? Oder verdanken Sie es Ihren Eltern, die Sie immer stark gemacht haben? Oder mussten Sie sich ihr Selbstwertgefühl mühsam erkämpfen?
Es gibt so viele Gründe, warum Menschen nicht dorthin kommen. Weil sie immer und immer wieder verletzt und gedemütigt wurden. Weil sie immer in einer Form von Abhängigkeit gehalten wurden, aus der sie bis jetzt nicht ausbrechen konnten. "Selber schuld"? Es ist perfide, wie Sie das Vorurteil des "Selber schuld" variieren und ein Opfer zum Täter machen.

Sagen wir es so: vielleicht geht es hier nicht darum, wie toll, oder nicht, jemand ist, der solche Gefühle äußert, sondern darum was Sie persönlich dazu bewegt, sich auf diese persönliche Meinung zu beziehen : Dampf ablassen ? Das wäre unfair. ehrliche Gefühle snd wichtiger ! ---------------
Das "Einfühlungsvermögen " verliert dann seine Bedeutung, wenn man unterscheidet zwischen echter Not, und der Manipulation. "Eine lange Kette von Demütigungen " fördert ein entsprechendes Verhalten zutage, d.h. dass die Eigenverantwortung besteht, und erst wenn man sich diese zugesteht, und lernt, erwächst das Selbstbewusstsein , welches hilft, einer solchen Beziehung zu entwachsen.-------------------- Und in der tat: ich habe wenig Verständnis, für jemand, der seine Demütigung mit so prahlerischen Worten beschreibt, wie : `Die Schläge hatten so eine Wucht, dass ich mit dem Kopf gegen die Wand flog." An dieser Stelle, allerdings, wäre die Frage an die Journalistin angebracht, inwiefern sie selbst über genügend " Einfühlungsvermögen " verfüge, denn sie ist es ja, die für den Text bürgt, finden Sie nicht, verehrter `anderer Gast `?

Angst vor Fremdbeurteilung, vor den diskriminierenden Konsequenzen, Duckmäusertum als Folge : das sind die Argumente, die es wichtig ist, herauszukehren, weil sie dazu führen, dass man zu lange in Beziehungen ausharrt, die einem nicht gut tun. Ich finde, im Gegensatz zu "Anderer Gast" , den kritisierten Kommentar sehr mutig, weil er nicht auf Moral und soziale Kompetenz anspielt. Mitgefühl, oder Mitleid sind nicht meine spirituelle Aufgabe, schon gar nicht Moral von Schuld und Sühne. Ich klage an.

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Warum hat sie ihn nicht sofort verlassen? Ganz einfach, weil sie von ihrer psychischen Situation nicht anders konnte. Es ist einfach zu fordern, dass sie ihn hätte sofort verlassen müssen (aber Frau respektive Mann geht meist oder immer von sich aus, im Beurteilen von anderen). Wenn sie denn anders wäre, hätte sie ihn sofort oder viel viel früher verlassen. EInfühlung, sofern sie denn bei manchen Personen vorhanden ist, wäre hilfreicher, anstatt heftig abzuurteilen.

Nun zum Artikel und ich, als Mann, finde diese Aussage "es kann jeder Frau passieren" (Sabine Harwig, Weißer Ring) schon starker Tobak, denn das impliziert, alle Männer können gewaltig sein. Das stelle ich klar in Abrede. Das soll Gewalt von Männern - wieviele es sind, entzieht sich meiner Kenntnis - nicht verniedlichen, aber die Männer im allgemeinen nicht dahin bringen, wo sie auch nichts verloren haben.
Die extreme bis extremste Gewalttätigkeit von Frauen, oft in Trennungssituationen, bedeutet jedenfalls nicht, dass alle Frauen so sind.

Beim Lesen dieser Leserkommentare frag ich mich, ob Mitgefuehl in Deutschland selten geworden ist. Ich sage- "Mitgefuehl"- das kommt von mit-fuehlen mit jemand anderem, selbst wenn man denkt man hat aehnliches schon selbst erlebt. Es hat was mit Annahme zu tun und gar nichts mit Rationalisieren und Erklaeren. Schon garnicht mit Verurteilen.Beide Leser sind offensichtlich nicht in der Lage, sich in diese Geschichte einzufuehlen.
Wenn wir versuchen wuerden wie Jesus zu reagieren, z. B. wnn er die Ehebrecherin trifft oder die Frau am Brunnen, die ganz offensichtlich eine Geschichte von ungluecklichen Partnerschaften hinter sich hat- dann sehen wir dass er nicht rationalisiert, nicht urteilt, nicht fragt, sondern ganz und gar die Menschen annimmt wo sie sind, mit ihrem ganzen emotionalen und anderem Balast und sie damit aufrichtet.
Die Frage hier ist nicht: Warum hat sie das nicht schon frueher getan?
Die Frage ist: Was koennen wir tun, um Frauen aus solchen Beziehungen herauszuhelfen, sie zu beschuetzen und sie aufzurichten.

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Liebe Kommentarschreiber!!! Wie unsensibel kann man in unserer Welt sein!
Können Sie sich nicht wirklich vorstellen, dass diese Frau und andere auch geliebt haben?
Dass sie einfach glauben wollten, dass ihre Liebe stark genug ist diesen Mann zu verändern? Klar sieht man von außen klarer .... aber wie kann man schreiben selber schuld!!! Stellen Sie sich doch auch mal vor, welche Arbeit und Erschöpfung Zwillinge bedeuten ... ein Weggehen braucht Kraft und Mut und eben das komplett volle Maß. Da sind Sie ja ganz anders gestrickt.... aber Ostern lässt hoffen, dass auch SIE einfühlsamer und gnädiger mit anderen werden!

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Es ist sicherlich für viele nicht zu verstehen, wieso solche Beziehungen lange, viel zu lange, halten. Freuen Sie sich, in einer "anderen Welt" zu leben. Aber ein solches Unverständnis sollte nicht in eben das münden, was Menschen so lange in solch zerstörenden Beziehungen hält: nämlich Geringschätzung, Abwertung, Verachtung, etc..
Es ist fantastisch, wenn Menschen, die geschlagen werden, Wut empfinden und sich damit eine bessere Zukunft schaffen, wie im Kommentar vom 29. März. Aber das schafft nicht Jede/r.
Denn körperliche Gewalt ist nur die Spitze vom Eisberg, vom Eisberg aus psychischer Gewalt. Körperliche Gewalt lässt sich relativ einfach beschreiben, psychische Gewalt hingegen ist schwer darzustellen und zu erfassen. pychische Gewalt ist wie ein unsichtbarer Strudel, in dem man als Ertrinkender ums Überleben kämpft und in diesem Kampf werden alle Kräfte aufgezehrt, so dass man das (rettende) Ufer nicht mal sehen kann.

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Liebe Leser und Kommentarschreiber - leider erreichten uns zu diesem Artikel auch einige sehr unsachliche und polemische Schreiben, die wir nicht veröffentlichen können. Bitte bleiben Sie im Ton sachlich, dann freuen wir uns über die Debatte. Ihre chrismon.de-Redaktion.
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Wie kann es zu diesem Thema Diskussionen geben? Häusliche Gewalt ist schlimm, und es gibt Wege hinaus, das ist doch völlig ausreichend. Allein der Titel kommt mit einer Wucht daher, als würde man selbst die Schläge empfangen, das finde ich unerträglich, und sinnlos. Allein zum Ehemann, dem Arzt gäbe es etwas zu sagen, d.h. dass er einer Anzeige entkommt, und somit zu einer möglichen Gefahr für Patienten werden kann, nicht in dieser puren Gewalt zwar, aber in seinem krankhaft arroganten Wesen, das finde ich bedenklich. Eine Diskussion zum Thema, wie hier von Chrismon gewünscht, halte ich für geschmacklos, entblössend, zur Schau getragenes Leid, medial aufbereitet. Nein. Es gibt zwar sehr viele Punkte, die biografisch von Bedeutung sind, aber das soll hier keine Therapie sein.

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Autor des folgenden Beitrages ist Iwan der Schreckliche. Gast schrieb am 6. April 2012 um 15:23: "Ist es nicht erschreckend, wie unmündig diese Frau ist? Sie ist wahlberechtigt..." An einer Frau, die jahrelang angedrohte und ausgeübte Gewalt eines Menschen hingenommen hat, den sie aus freien Stücken zum Mann gewählt hat, soll man Unmündigkeit erkennen. An einem Wähler hingegen soll man Mündigkeit bemerken. Da dürfte ein ebenso verbreiteter wie folgenschwerer Irrtum vorliegen. Der Wähler geht aus freien Stücken hin und ermächtigt durch seine Stimmabgabe andere Menschen, die ins Amt Gewählten nämlich, mit massiver Gewalt über ihn, den Wähler, zu herrschen. Nur weil ein Abgeordneter oder ein Minister seine Wähler nicht persönlich mit Faustschlägen traktiert, sondern noch viel wirksamer zum Gehorsam zwingt mit Gesetzen und Verordnungen und einem Gewaltapparat namens Polizei und Justiz, der diesen Gesetzen Geltung verschafft, soll das plötzlich keine Gewalt mehr sein? ____________________ Es ist in der Tat erschreckend, was sich die Buchautorin hat gefallen lassen. Es ist allerdings noch viel erschreckender, dass nur die persönliche, häusliche Gewalt als zum Aufschrei reizend empfunden wird, die der gesamten Gesellschaft zugrunde liegende demokratische, rechtsstaatliche Staatsgewalt hingegen als wahrer Segen aufgefasst wird. Von diesem als völlig selbstverständlich, normal und begrüßenswert geltenden Gewaltmonopol des Staates ausgehend würde sich übrigens erklären lassen, dass manche Zeitgenossinnen noch eins drauflegen und ihren prügelnden Gatten auch noch ertragen. Statt dessen wird nun der Verprügelten die heiße Alternative aufgemacht zwischen einerseits dem moralischen Vorwurf, sie habe sich dieses Unterordnungsverhältnis gefallen lassen, obwohl das doch gar nicht nötig gewesen wäre und andererseits der Krankerklärung mit Begriffen aus der psychologischen Weltsicht. Welch anheimelnde Wahlmöglichkeit!

Meine Tochter und mich hat dieser Artikel sehr erschüttert. Ich verstehe nicht, wieso die Kinder dieses Paares anscheinend vom Gericht dem Vater zugesprochen worden sind, obwohl der zehnjährige Sohn auch von ihm misshandelt wird! Im begleitenden Beitrag des Psychotherapeuten wurde doch gesagt, dass diese Verhaltensweisen, wenn unbehandelt, von den Eltern an die Kinder weiter gegeben werden!
Außerdem kann ich mir nur schwer vorstellen, dass die Mutter sich "wunderbar" fühlt, wenn sie nun ohne ihre Kinder leben muss, die sich beim Vater in zweifelhafter Obhut befinden.

Zitat aus dem Artikel: "Und heute? Mittlerweile hat auch der zehnjährige Sohn eine Therapie gemacht. Seither will er den Vater nicht mehr be suchen. Denn der Papa lasse ihm als Erstes immer die Haare ganz kurz schneiden. Und der Papa schlage ihn. Doch Tilman lässt nicht locker: Er verlangt nun vorm Familiengericht, dass die Kinder ganz zu ihm ziehen. Elisa mit ihrer Depression sei zur Sorge nicht in der Lage. Elisas Arzt widerspricht, aber es hilft nichts.

Und trotzdem, sagt Elisa, habe sich die Flucht gelohnt. „Weil ich endlich wieder das Gefühl habe, dass ich lebe.“ Es war knapp gewesen, sie hatte sich fast schon aufgegeben. Doch dann fand sie doch noch so was wie einen heilen Kern in sich und damit die Kraft zu gehen. Nun ist sie allein. Davor hatte sie sich immer gefürchtet. „Aber ich fühle mich wunderbar dabei.“"

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Warum man bei einem solchen Mann bleibt? Weil man der Meinung ist, dass der Ausbruch aus einer solchen Beziehung und alles was damit verbunden ist (Erklärungen Dritten gegenüber etc) noch schlimmer ist. Man befürchtet, dass einem nicht gelaubt wird, man möchte anderen nicht zumuten so etwas hören zu müssen, man möchte es sich nicht eingestehen und man hofft ewig auf Besserung (die teilweise ja sogar versprochen wird) und schließlich hält man ja "in guten wie ich schlechten Tagen" zusammen.
Das mag für Aussenstehende unfassbar sein, aber es ist so.
Erst wenn das "eigene Maß" voll ist, kann man gehen. Und diesen Zeitpunkt kann nur derjenige selbst bestimmen.
Ich komme gerade aus so einer Beziehung! Und teilweise haben sich die Ängste sogar bestätigt. Aussagen der Polizei wie "wir verstehen gar nicht, dass jetzt noch Ängste bestehen....und anzeigen im Nachhinein: das geht jetzt nicht" lassen einen nicht unbedingt ruhig schlafen.
Die Erinnerung verblasst zeitweise, aber sie verschwindet nie, spätestens mit den Überresten der Verletzungen ist sie immer präsent.
Das Einzige was nachlässt ist der Hass........im gleichen Maß wie die Selbstliebe zunimmt.
Irgendwann wird auch diesem Mann eine gerechte Strafe zukommen. Wie oder wodurch auch immer. Auch dann wird er irgendwen oder irgendwas finden was er dafür verantwortlich machen kann.....
Wie auch immer, die erlangte Freiheit ist mehr wert als alles andere !

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Am bemerkenswertesten an diesem Artikel fand ich, dass es ganz zu Beginn der Bekanntschaft einen Moment gegeben hat, bei dem Elisa Bern "aufgemerkt" hat (das Verhalten ihres Freundes nach ihrer Klausur). Sie hat aber ihrer Intuition nicht vertraut. Ich glaube, dass es ganz vielen Leuten so geht.

Ein weiser Mensch (ich weiß leider nicht mehr wer) hat vor kurzem gesagt, dass an den Schulen ein Fach "Lebenskunde" unterrichtet werden müsste. Es enthielte Themen wie "Trost", "Trauer", "Umgang mit Ängsten", "Vertrauen", "Grenzen setzen" etc. Wenn solch ein Fach souverän und kompetent unterrichtet würde, dann hätten junge Leute vielleicht mehr Einsichten - und ich meine nicht die intellektuellen - und mehr Selbstvertrauen und -bewußtsein. Deshalb stimmt  es traurig, dass mit G8 Schulen ein Schulsystem forciert wird, in dem solche Unterrichtsfächer buchstäblich keinen Platz haben.

Vielen Dank für all die interessanten und "gegen den Strich gebürsteten" Artikel von chrismon!

2.4.2012

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Der Artikel  über die Misshandlung  der Juristin  Elisa macht betroffen. Er ist wichtig, um deutlich zu machen, dass Gewalt in Beziehungen kein schichtenspezifisches Problem ist.

Was mich stark verunsichert  und bestürzt hat, ist der letzte Absatz des Artikels, wo der Eindruck entsteht, dass  Elisa aufgerund ihrer Depression  die Kinder entzogen wurden und  das Familiengericht dem Vater - der inzwischen auch durch Gewalt an seinen Kindern  auffällt - , die Kinder zugesprochen  wurden ( 'der Arzt Elias wiederspricht, aber es hilft nichts....... nun ist sie allein.....').   Das kann doch nicht sein!  Es ist hoffentlich eine missverständliche Wiedergabe der Situation.

2.4.2012

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Liebe Redaktion,
ich finde es mutig von dieser Frau, einen Weg gefunden zu haben, der Hölle zu entkommen. Artikel dieser Art müßten viel öfter in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt werden, um Frauen in ähnlichen Situation zu helfen

- mit Verständnis, daß sie nunmal nicht die einzigen sind, egal welche Berufsgruppe, welches Alter und Religion. Und diese Artikel machen Mut, daß es die Möglichkeit eines Ausweges gibt.

Dennoch macht mich in dem Artikel etwas sehr wütend und traurig. Die Frau kämpft jahrelang mit sich, innerlich gegen ihren Mann und hält aus für ihre Kinder. Und am Ende soll doch das Böse gewinnen, indem ihr ihre drei Kinder weggenommen werden?? Weil sie sie wegen der Depression nicht versorgen kann. Was ist das denn für ein Widerspruch, wenn die Frau mit ihren Kindern vom jahrelang gewalttätigen Mann flieht und der Staat spricht das Sorgerecht dem Vater zu, weil die Mutter ihre Erlebnisse verarbeiten muß. Ohne Kinder kann sich die Depression verschlimmern und hinzu kommt die ständige Sorge, wie stark die Kinder geschlagen werden.  Und da frag ich mich, wo es schlimmer ist als Kind zu leben: bei einer Mutter, die phasenweise Depressionnen hat ( und nicht die einzige depressive Mutter mit wohlversorgten! Kindern ist - ich hab auch seit 2 jahren eine Depression und ein Kind und ich kann es sehr gut versorgen!!), aber ihre Kinder liebt und denen das auch körperlich zeigt oder bei einem Vater leben, der die Kinder bereits geschlagen hat, Choleriker ist und bei dem die Kinder nie glücklich und verhaltensgestört werden! Das kann doch nicht sein, und wahrscheinlich nur, weil er bessere Anwälte hat? Ihm geht es doch gar nicht um die Kinder, sondern nur um das Machtspiel gegen seine Frau. Ihm dürfte niemals das Sorgerecht zugesprochen werden, noch dazu wo er zweimal fast zu Gefängnisstrafe verurteilt worden wäre. Ich finde, Sie als Redaktion sollten dieser Frau Hilfe anbieten und ihr mit Rechtbeiständen helfen, das Sorgerecht zu behalten!! Ich würde mich über eine Rückmeldung, ob es dieser Frau gelungen ist, ihre Kinder zu behalten, freuen.  Freundliche Grüße Nancy M.

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