Anne Schšnharting
Auf mich wartet doch keiner
Kinder brauchen Liebe und Geborgenheit. Aber wie bekommt man die, wenn man in einer „Einrichtung“ aufwächst? Die Schriftstellerin Mirijam Günter erzählt, was ehemalige Heimkinder in ihren Schreibwerkstätten berichten.
Frank May/dpa/picture alliance
15.12.2011

Sie haben es mir immer wieder erklärt, trotzdem habe ich nicht kapiert, warum ich weg von meiner Mama musste. Sie war einfach nicht mehr da und sie kam nie mehr, um mich zu be­suchen, geschweige denn mich nach Hause zu holen, wie sie es mir versprochen hatte. Mit dreizehn habe ich dann beschlossen, dass ­meine Mutter gestorben ist; dann hörten die Fragen endlich auf. Tote Mütter können einen ja nicht besuchen. Den Erwachsenen, die in den Heimen waren, denen konnte ich nicht trauen. Ich bin eh ständig überall geflogen; so hatte ich das Gefühl, alle rasen durch mein Leben wie eine Achterbahn, aber immer saßen da andere Leute drin. / Olaf, 19

Ein junger Mensch kommt in ein Heim. Wie soll er verstehen können, dass er im Stich gelassen wird, fallengelassen wurde und vielleicht gar nicht geliebt wird? In einem Heim lebe ich mit fremden Kindern oder Jugendlichen zusammen und mit Erwachsenen, die sich nicht Eltern nennen, sondern Erzieher oder Sozialpädagogen. Diese Erwachsenen, die da um mich herum sind, sind nicht bei mir, weil sie meine Eltern sind und sie mich lieben, sondern weil ich der Beruf bin und zwar immer dann, wenn sie sich mit mir beschäftigen. Der große Mensch da kümmert sich nicht um mich, weil ich sein Kind bin, sondern weil ich seine Arbeit bin. Egal, was er macht, ob er mich morgens weckt oder mir abends bei den Hausaufgaben hilft, er macht dies, weil es sein Job ist. Und anders als bei Mama und Papa wechselt der Name derer, die mich wecken und mir bei den Hausaufgaben helfen.


Da, wo ich wohne, wohnt der Erwachsene nicht. Nach seinem Feierabend fährt er in sein eigenes Zuhause, zu Menschen, die er liebt. Er macht Feierabend von mir, und er fährt in Urlaub, um sich von mir, seiner Arbeit, zu erholen. Er stöhnt zuweilen, wie anstrengend sein Job, also ich, sei.

Kinder sind gemein, wenn sie um Liebe konkurrieren

Wenn ich einen der Beschäftigten in meinem Heim liebe, führt das trotzdem nicht dazu, dass er nachmittags da ist, wenn ich Sorgen habe; denn dann hat er Feierabend oder frei von mir. Und dieser Erwachsene kommt nicht zu meiner Schulaufführung, weil er sich an dem Tag extra frei genommen hat, um stattdessen zur Schulvorstellung seiner Tochter zu gehen. Das haben mir die anderen aus meiner Gruppe erzählt, obwohl sie dem Erzieher versprochen hatten, nichts zu sagen; aber Kinder sind ganz schön gemein, vor allen Dingen, wenn sie um Erwachsene konkurrieren müssen. Manchmal kommt dieser Pädagoge auf die Idee, das Kind aus dem Heim mit nach Hause zu nehmen. Dann sieht es die glückliche Familie, die es selbst nie hatte, und fängt an, sich zu hassen – denn an wem außer ihm selbst soll es denn gelegen haben, dass es nicht so viel Glück besitzt?

Ich vertraue einem Erwachsenen im Heim, und dann kommt der Fall, dass ich ihn brauche. Aber er ist nicht da. Dafür ein anderer, den ich nicht leiden kann. Zusammen mit anderen buhle ich trotzdem um seine Gunst. Zu meinem Pech weiß er, dass ich ihn nicht leiden kann, und er hat nicht vergessen, dass ich ihm, dem Morgenmuffel, morgens um Viertel nach sieben Salz in den Kaffee geschüttet hatte. Kein Wunder, dass er lieber mit einem anderen Jugendlichen Tischtennis spielen geht; das ist vielleicht nicht professionell, aber menschlich komplett nachvollziehbar.

Und montags erzählen die anderen ihre Familiengeschichten 

Überhaupt ist mein Leben fast ausschließlich vom Kampf um etwas Aufmerksamkeit geprägt. Ich muss kämpfen, auch in der Schule, wo alle wissen, wo ich herkomme. Und keiner von denen stellt sich vor, wie das so ist, wenn man sich nachts die Augen ausweint, weil einen keiner liebt, weil einen keiner besucht und man der einsamste kleine Menschen auf Erden ist, und am nächsten Tag erzählen die anderen Kinder von Opas und Omas und Eisessen und solche Familiengeschichten.

Also versuche ich die Aufmerksamkeit der normalen Menschen zu bekommen. Die Konkurrenz ist groß, also muss ich besser sein. Und mein Glück ist, dass sie mir alles zutrauen. Also er­zähle ich meinen Klassenkameraden, dass ich einem Jungen, der viel größer als ich war, ein Messer an den Hals gehalten habe, und dann dem Richter, der mich verurteilen wollte, ins Gesicht gespuckt habe. Mit offenen Mündern starren mich die Mamakinder bewundernd an. Ich stehe im Mittelpunkt und genieße ihre Aufmerksamkeit. Auch wenn ich bisher nur ein Brotmesser in der Hand hatte und erst dreizehn bin.
Die junge Lehrerin, die ich gerne als Mama hätte, habe ich ges­tern dabei beobachtet, wie sie ein Mädchen getröstet hat, das ganz böse von ihrer Mama ausgeschimpft worden war. Die Geschichten, die ich über meine Mutter erfinde, treiben der jungen Frau Tränen in die Augen und sie kümmert sich hingebungsvoll um mich.

Ich habe mich so in meine Fantasiegeschichten geflüchtet, dass ich nachher gar nicht mehr wusste, was wahr war; manchmal ertappe ich mich noch heute dabei, dass ich, wenn es mir schlechtgeht, einfach Geschichten erfinde, damit sich mal jemand um mich kümmert. / Anja, 23

Ich erfinde auch mal einen Vater, der als Kapitän auf einem Dampfer durch die Welt fahren muss, damit er genug Geld verdient, um einen aus der Not herauszuholen. Egal, ob es tatsächlich einen Vater gibt oder der statt auf dem Hochseedampfer glücklich mit seiner richtigen Familie im Sauerland sitzt und einen längst vergessen hat. Das habe ich einfach komplett verdrängt. Der Fußballtrainer, der zweimal die Woche nur mit mir Elfmeterschießen übt, weil er weiß, dass ich ein großartiger Fußballspieler bin, macht die anderen richtig neidisch. Hoffentlich bekommt keiner heraus, dass es ihn gar nicht gibt und ich stattdessen zwei Nachmittage die Woche alleine in der Stadt herumlungere.

Ich nutze meine Fantasie, weil ich das Gefühl habe, an der Realität zu zerbrechen, denn gerade hat mein Lieblingserzieher Herr K. gekündigt (ich denke, er geht meinetwegen). Er wechselt den Job, weil er etwas Interessanteres gefunden hat (ich bin also nicht mehr interessant); er verdient woanders besser und hat bessere Arbeitsbedingungen (da, wo ich wohne, ist es also schlecht). Er möchte sich eine Auszeit nehmen (von mir). Alles Unsinns­fan­tasien? Nein. Sosehr ich bettele und vielleicht ein letztes Mal für lange Zeit weine, er bleibt nicht da. Wieder verlässt mich jemand, den ich liebe. Und dann sagt er mir, dass er mich auch vermissen würde und dass ihm die Entscheidung schwergefallen sei. Und ich verstehe nicht, warum er sie dann getroffen hat. Oder belügt er mich und wird mich gar nicht vermissen. Vielleicht ist er ja froh, dass er von mir weg ist?

Ich habe alle verloren, die mich beschützen

Mein Lieblingserzieher und meine beste Freundin Nicole, die von ihrer Mutter nach Hause geholt wurde, sind weggegangen von mir. Und dann wird mir noch mitgeteilt, dass man sich fortan meine Geschichten nicht mehr bieten lassen würde, jetzt wo Herr K. weg sei. Jetzt würden andere Zeiten für mich anbrechen. Und ich höre nur: Ich habe alle verloren, die mich beschützen können.

Und dann ist die Zeit gekommen, da muss auch ich gehen.  Weil ich zu alt bin. Ich komme in eine neue Gruppe, muss mich wieder behaupten und mich an neue Menschen gewöhnen.
Mein Zuhause war nur ein Zuhause auf Zeit; die, die mich mochten, mochten mich nur so lange, bis ich gehen musste.

Ich habe beschlossen, Kinder zu bekommen, weil ein Kind mich nie verlassen würde. Ich wollte endlich eine eigene Fa­milie, so wie alle. Max wollte das ebenfalls. Er meinte, wenn er ein Kind hätte, würde er keine Scheiße mehr bauen. Na ja, das hat nicht so ganz geklappt; erst war er im Knast und dann hat er mich verlassen. Aber meine beiden Kinder, die kann mir keiner nehmen, die sind alles, was ich habe... / Anja

Und nach dem Heim? Manchmal kann man denken, es hört niemals auf. Man ist auf ewig anders und alleine. Jugendämter wollen einem fünfzehn Jahre später kein Kind zur Adoption oder Pflege vermitteln (wie in Köln geschehen). Viele Menschen behandeln einen schlagartig anders, sobald sie wissen, dass man keinen familiären Rückhalt hat – dass kein Professorenpapa bei der seit Jahren volljährigen Tochter mal ein wichtiges Wort einlegt oder eine brave Angestellte zur Furie wird, wenn ihr erwachsener Sohn ungerecht behandelt wird. Mit dem Ende des Heimaufenthalts endet ein Vertrag, der in einer Familie niemals aufhören sollte.

Als ich aus dem Heim entlassen wurde, fiel ich erst mal in ein Loch. Die Heimleitung hat mir zwar geholfen, aber ich hatte auf einmal das Gefühl, als hätte ich mein Leben auf einem anderen Planeten als meine Mitmenschen verbracht. Ich empfand das so, als wenn ich komplett anders fühlen und denken würde als sie. Ich weiß immer noch nicht, ob das stimmt. Und dann wollte ich einfach wissen, ob es irgendjemanden auf dieser Welt gibt, der an mir hängt und mich liebt. Ich habe die Schraube immer schneller gedreht, bis sie rausgeflogen ist und ich im Knast saß. Jetzt habe ich eine Antwort auf meine Frage. An mir hängt keiner, in dreizehn Monaten, in denen ich hier sitze, hat mich keiner besucht. Nicht einer von denen kam, mit denen ich mein bisheriges Leben verbracht habe. / Olaf

Aber vielleicht hören auch all die Kümmernisse mal auf und dann kehrt vielleicht das Glück ein, denn irgendwann wird eine Seele, die nicht Mutter heißt, einen finden, obwohl man allein ist, und vielleicht wird man feststellen, dass Gott einen, schon aus Trotz, niemals fallenlassen wird. Manchmal trifft man Engel, die ganz bürgerliche Namen haben, die zeigen einem so lange die Herrlichkeiten der Natur, bis man all die Traurigkeiten vergessen hat.

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Auch ich war ein Heimkind . Erlebte eine Kindheit
im Elternhaus ohne Liebe.

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Beeindruckend und bedrückend, wie man es von dieser Schriftstellerin aus ihren eindrucksvollen Romanen und Zeitungsessays kennt.

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Menschen, die das Glück haben/hatten in einer intakten Familie groß zu werden, haben eventuell Schwierigkeiten, die hier geschilderten Gefühle nachvollziehen zu können. Etwas exentielles fehlt, die elterliche Liebe. Eine bedingungslose Liebe, Zutrauen, Vertrauen. Diese Gefühle können einem Kind nur Eltern vermitteln, da helfen nicht die besten Pädagogen oder Therapeuten.
Ich verstehe diese Zeilen unter keinen Umständen als Angriff auf die zahlreichen Helfer, welche es glücklicherweise gibt, aber es ist eben so, wie hier beschrieben: Sie sind nicht die Eltern und können diese nicht wirklich ersetzen, was nichts mit ihrem Können oder Wollen zu tun hat, es liegt einfach in der Natur der Dinge.
Ich wünsche allen Menschen, die das Gefühl der Leere leider internalisiert haben, die Kraft und den Mut diese Leere zu füllen. Es ist steiniger Weg der einem zwar die elterliche Liebe nicht geben kann, aber am Wegesrand stehen immer wieder Menschen, die einem ein bischen Nähe, Liebe, Zutrauen und Geborgenheit geben. Um diese Menschen zu treffen, lohnt es sich, sich auf den Weg zu machen.

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Ich bin selbst Erzieherin und es ist mir vollkommen bewusst, dass Heimerzieher eben kein optimaler Elternersatz sind, aber ich denke: Sie geben alles, um zu versuchen, ein solcher zu sein. Hinzu kommt, dass viele Heimerzieher überhaupt keine eigenen Kinder haben und auch gar nicht haben wollen! Bei der Schichtarbeit im Heim, ist es auch sehr schwierig gleichzeitig einer eigenen Familie gerecht zu werden!
Natürlich ist es nur ein Beruf, der bezahlt wird. Aber er wird nicht besonders gut bezahlt. Ein Grund mehr, keine eigene Familie zu haben!
Die Frage ist, wie viele Eltern den Vorstellungen von Heimkindern gerecht werden. Nur wenige Eltern sind so perfekt, wie Heimkinder sie sich wünschen. Im Gegensatz zum bezahlten Erzieher, der zumindest anwesend ist, gibt es genügend Eltern, die aus finanziellen Gründen gar nicht anwesend sein können (Arbeit, alleinerziehend, Pflege von Familienangehörigen) und von den Kindern manchmal tagelang gar nicht zu Gesicht bekommen werden.
Der Erzieher konkurriert stets mit den leiblichen Eltern, was zu vielen Schwierigkeiten führt.
Aber, und da in ich mir ganz sicher: Fast alle Erzieher lieben "ihre" Kinder ...und zwar fast genauso wie eigene Kinder. Wenn sie das nicht täten, wären sie nie im Leben Erzieher geworden!

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Ich habe auch in einem Heim gewohnt es ist auch garnicht solange her. Und die anfangszeit war für mich die schlimmste, den von heim aus gab es eine spezial Gruppe. Genauer ein Pflegefamilie es war das schlimmste für mich neue Umgebung,neue Stadt,neue Schule und vor allem eine neue Familie. Das war für mich unerträglich. Zum glück habe ich nur 6 monate in dieser Familie gewohnt denn dieses Familieäre verhältniss hat mich gestört denn es ist ja eben nicht meine. Auch wenn ich es versucht habe dann doch das beste daraus zu machen hat es nicht geklappt. Dann kam ich in eine der AWG's und dort war das Heimklima ziemlich hoch. Wenigstens war das Familieäre verhältniss geringer denn ich möchte nicht zu jemanden Mama sagen der an mir sein Geld verdient.
Im Heim ist es schon so das viele nach Aufmerksamkeit, Liebe, Geborgenheit,Verständnis,vertrauens Personen und Anerkennung ringen, man kommt sich vor wie im Tierkäfig wenn das essen gebracht wird.
Dennoch ist es mir passiert das mir ein Betreuer ganz besonders in erinnerung bleibt, ich hatte mir auch mal gedacht wieso kann er nicht mein vater sein aber ich musste versucht es zu unterdrücken den er meinte ich ersätze keinem sein Vater doch mir so hatte ich das gefühl hat er am meisten vertraut.
Im Heim selber darf das aber nicht so offentsichtlich gezeigt werden ansonsten wirst du von allen gehasst, fertig gemacht usw. du gehörst dann nicht mehr dazu. Auser deinem Betreuer hast du dann niemanden mehr. Aber alles in einem unterstreiche ich diesen Artikel und kann ihn 1zu1 nachvollziehen. In einem Heim zu wohnen wünsche ich keinem denn diese Erlebnisse und Eindrücke werde ich niemals vergessen...

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Der Artikel geht unter die Haut.
Und macht mir wieder deutlich wie wichtig es ist diesen Kindern ein
Zuhause zu geben.

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Ich habe heute Ihren Artikel im Zeitmagazin Chrismon gelesen und war davon sehr bewegt. Der Autorin muss man dafür außerordentlich danken. Die Erzählperspektive ist für mich sehr interessant und berührend, ich habe noch nichts ähnliches in die Hände gekommen. Ich bin 34, stamme auch aus einer zerrütteten Familie und studiere nun, nach Maurerlehre und 12 Jahren Bundeswehr, Erziehungswissenschaften in Marburg. Die Jugendhilfe wird später einmal mein Arbeitsfeld, so weit bin ich mir sicher. Deshalb beschäftige ich mich im Studium auch mit all den Fragen rund um die Betreuung und Erziehung "elternloser" Kinder und Jugendlicher. Ich werde mir demnächst unbedingt die anderen Bücher von Frau Günter anschauen, vielleicht helfen sie die Probleme aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, aus dem der Betroffenen und nicht aus dem der Menschen, die an einem "rummachen", um es vielleicht mal aus der Perspektive der Betroffenen auszudrücken.
Die Frage nach der Befriedigung des so großem Bedürfnisses nach Liebe und Anerkennung ist existenziell und Antworten darauf sind dringender denn je. Vielleicht hilft Frau Günter dabei mit ihren Werken.

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Eindringlicher und aufrüttelnder Artikel.

Es ist gut zu wissen, dass es Menschen wie Frau Günter gibt, die sich so für andere engagieren. Danke dafür!

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Ja gut, im Heim bin ich nicht groß geworden. Da gab es immer jemanden. Aber von Rückhalt kann ich nicht sprechen. Vater, Mutter, Schwester, die Großeltern waren eine Familie, ich war immer der Außenseiter. Das schwarze Schaf würden die Menschen dazu sagen. Ich erinnere mich an alles, was früher einmal passierte und es war nichts gutes. Für meine Ehrlichkeit, meine Güte, mein großes Herz wollte mir meine Familie immer die Schuld an allem geben. Bis heute spüre ich ein Loch in meinem Herzen. Ein Kind braucht nicht nur ein Zuhause sondern Menschen die sich um einen kümmern, die den Kind helfen, es motieren, ihm zu hören und auch mal sagen "Ich bin stolz auf dich". Dazu ist es leider nie gekommen, bis heute nicht. Am liebsten hätte ich mit jemandem getauscht, dann wäre ich meine persönliche Hölle los geworden. Und noch schlimmer ist noch immer dort zu wohnen. Ich frage mich ob sie mich jemals geliebt haben oder traurig wären wenn ich nicht mehr da wäre. Sie würden garantiert all meine Sachen wegwerfen, meine Storys löschen und mich vergessen. Naja mit was anderem hatte ich nicht gerechnet. Irgend wann muss ich auch sterben und dann frage ich Gott ob er mich liebt und stolz auf mich ist! Ob es richtig war was ich getan habe! Meine Erfahrung bringt mich in die Lage anderen zu helfen, da ich sehr sehr viel erfahren habe und durch viel durch musste. Zum Großteil erinnere ich mich an schlechtes. Überall gibt es schlimmes, wieso tun so wenige Leute etwas dagegen? Ich bewundere Menschen die mit Workshops versuchen einen angerichteten Schaden zu beheben.
Ich habe mir immer geschworen ein viel besserer Vater zu sein. Meine Kinder sollten an einem guten Ort aufwachsen, Werte vermittelt bekommen und auch anderen helfen, weil ihr Vater das immer sehr gerne getan hatte. Es war etwas sinnvolles. Ansonsten wäre ihr Vater längst nicht mehr da. Ich wollte immer einen Sinn im Leben. Etwas bedeuten.

Ich habe in meinem Freundes und Bekanntenkreis junge Menschen kennen gelernt, die in einem Heim aufwuchsen oder dorthin abgeschoben wurden. Das fand ich schon immer richtig mies. Wie ist es möglich Kinder zu zeugen und sich später nicht um sie zu kümmern?! Das habe ich niemals verstanden. Ich habe niemals verstanden wieso andere Menschen die schwächeren fertig machen und niemand tut etwas dagegen. Oder wieso ich nicht in der Lage bin, gegen jedes Leid etwas zu unternehmen. Jemand sagte einmal zu mir, ich solle mir nicht jeden Schuh anziehen. Aber was soll ich sonst tun, wenn kaum etwas etwas dagegen unternehmen möchte. Weggucken werde ich niemals können!!! Jedes Leben ist kostbar. Ob Heimkind oder eigene Kinder. Ich möchte sehr gerne einmal Kinder haben. Und wenn ich viele Kinder und Jugendliche da draußen gibt die an einem guten Ort leben möchten, einem Ort den sie Heim nennen können, werde ich alles tun um ihnen das zu ermöglichen!

Eigene Kinder hätten mich gefreut. Es hätte mich interessiert ob sie so rebelisch, verrückt und hilfsbereit wären wie ihr Papi. Ein Gendefekt macht daß unmöglich. Das war heftig und das tut auch weh und doch muss das Leben weiter gehen. Wo ich meine Ausbildung mache, habe ich Jahre später gute Freunde, Vorbilder und einen Sinn gefunden. Dort gibt es junge Menschen mit ähnlichen Problemen die eine Schulter zum anlehnen brauchen und andere die behütet werden müssen. Einige sehen in mir eine Vaterfigur, in anderen sehe ich ein großes Vorbild. Ich denke dass es Schicksal war dorthin zu kommen, mich zu entwickeln, zu lernen und zu lieben. Mir wurde einmal gesagt "ich werde einmal viele Kinder haben" vielleicht waren diese jungen Leute in der Ausbildungsstätte damit gemeint?! Bald ist meine Zeit dort vorbei. 4 Jahre waren lange, stressig, hart und amüsant. Und trotzdem können meine Kinder immer nach mir rufen und ich werde kommen wenn sie mich brauchen. Und natürlich auch für die, die noch kommen werden. Wenn wir Menschen aufhören einander zu helfen, haben wir es nicht verdient weiter zu leben.

Es ist erst vorbei, wenns vorbei ist!

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Das große Dilemma der Heimerziehung ist, dass alle Fähigkeiten, die Erzieher/innen haben können, oft nicht ausreichen für die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Und das ist nicht ihre Schuld oder ihr Versagen. Es liegt in der Natur der Sache. Im Kindergarten, im Hort, im Jugendzentrum genügen meistens Verständnis, Geduld, eine gelassene Frohgemutheit, verbunden mit guter Professionalität (all das ist nicht wenig!), damit alle zufrieden sind. Geliebt wird ja zu Hause (auch nicht immer genug). Wie es ist, wenn dieser Grundstoff, die ganz unspektakuläre selbstverständliche familiäre Liebe fehlt, das zeigt Mirijam Günter auf überaus feinfühlige eindringliche Weise. Wir müssen das wissen und es uns eingestehen.

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Die Dinge müssen an der Wurzel bearbeitet werden, ungefähr wie beim Zahnarzt, der gute Ratschläge verteilt. In der Tat, eine Ehe, die sich noch in der Gründungsphase befand, ein Kind wird geboren, bis hierhin alles im grünen Bereich. Leider trennen sich die "Kinder", aus welchem Grunde auch immer, sei dahingestellt, und das Kindeskind bleibt auf der Strecke, da dem leiblichen Vater vom Kreisjugendamt kein Besuchsrecht einräumt. Die monatlichen Zahlungen an die Mutter sind sichergestellt und erfolgen pünktlich. "Zum Wohle des Kindes" erhält der Vater keine Besuchsrecht. Ausgenommen davon sind "natürlich" auch die Großeltern "väterlicherseits". Den Schilderungen hier folgend, macht es mehr als nur wütend, wenn "programmgemäß" dem Wunsche der Mutter, die sofort einen anderen Partner präsent hatte, stattgegeben wird. Das Kind konnte bisher keine Antworten geben. Wenn jedoch später Fragen auftauchen wird jedenfalls, nach der Lesart, verdrängt, verschwiegen, verweigert, Leben bereits im Ansatz problematisch.

Diese Gesellschaft bedient das Recht des "vermeintlich" Stärkeren, auf die Rechte des "Schwächeren" eingehen wollen, schafft offensichtlich einer Behörde für den Moment weniger Probleme; denn was scheren in Zukunft diese Dinge das zwischenzeitlich ausgetauschte Personal? Nichts! So entstehen "hausgemachte" Probleme, derer es in diesem Lande bereits schon zuviele gibt und keiner schaut so richtig hin. Warum? Karriere und Geld zählen, Menschen offensichtlich weniger bis nichts.

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Irmgard Koch (nicht überprüft) schrieb am 7. Januar 2012 um 21:10: "Es liegt in der Natur der Sache." Was ist hier bitte die Sache und welcher Natur soll sie sein? Zitat: "Wie es ist, wenn dieser Grundstoff, die ganz unspektakuläre selbstverständliche familiäre Liebe fehlt, das zeigt Mirijam Günter auf überaus feinfühlige eindringliche Weise." ___________________________ Mit dieser Vorstellung dürften sowohl die Sache wie auch deren Natur ziemlich verfehlt werden. Die Sache ist, dass es ziemlich vielen Heimzöglingen ziemlich dreckig ergangen ist und geht. Es irrt allerdings derjenige, der daraus den Schluss zieht, dass das Heranwachsen als Familieninsasse im Regelfall ein Zuckerschlecken sei. Ein literarischer Workshop zu diesem Thema könnte ebenfalls flächendeckende Ungemütlichkeiten aufzeigen. Und wer zwar zur Kenntnis nimmt, dass im trauten Familienkreis sowohl die tatsächlichen wie auch die übertragenen Fetzen fliegen, das aber auf mangelnde Liebe zurückführt, dürfte auch an der sogenannten Natur der Sache vorbeidenken. Es handelt sich nämlich nicht um die Natur, sondern um die Gesellschaft, die verlangt, dass aus kleinen Kindern brauchbare Arbeitskräfte und gehorsame Staatsbürger werden. Diese beinharte Angelegenheit wird von der pädagogischen und psychologischen Weltsicht umgedeutet in ein mehr oder weniger gelungenes Liebeswerk von Eltern und Erziehern. Dass die ideologischen Spezialisten für die Liebe, die Christen, bei dieser grundsätzlichen Verkennung der Wirklichkeit mit Eifer dabei sind, braucht dann auch nicht mehr zu verwundern.

Ich war von 1965- 1972 in zwei Heimen und würde dann adoptiert, so schaffte ich es aus der Hölle in den Vorhof selbiger.
Das alles ist eine lange Geschichte die hier sicherlich den Rahmen sprengen würde.

Und heute?

Heute bin ich fast 55 und seit 10 Jahren Frührentner mit einer Rente die gerade so zum Leben reicht ohne Aufstocken oder Flaschen sammeln zu müssen.
Ob ich jemals glücklich war? Nein!

Klöster und hohe Mauern machen mir Angst ebenso Menschen, aus diesem Grund lebe ich sehr zurück gezogen ohne weitere Sozialkontakte.
Seit fast 7 Jahren nun lebe ich in einer festen und sehr guten Beziehung die aber nur funktioniert weil Sie meine Freundin ebenfalls eher Menschenscheu ist.

Die Heimzeit aber vergisst man nie, niemals bis zum Tode.
Wie wir litten und weinten eingesperrt und verprügelt, sind der Isolierzellecauf dem Betonboden liegend mit nur einer Decke auf den wir den Kopf legten.

Man sagte uns ihr seid nichts und aus euch wird nichts, die sollten Recht halten.
Ich war zuerst Soldat und dann Landwirt, heute bin ich per Deffinition arm
Mein Leben begann in einem Kinderheim und wird in keinem Altenheim sein Ende finden, das steht fest.

Ich schieb einmal

Irgendwann werden Sie, ihre Geschichten und Leiden vergessen sein, die Kirchen aber existieren weiter als hätte es uns nie gegeben, als wäre all dies nie geschehen.

Mit 38 Jahren waren alle Spuren meiner Anwesenheit auf dem Hof meiner Adoptiveltern vernichtet so als wäre ich nie dort gewesen.
Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.

Mein Adoprivvater meinte einmal er hätte alle Aufwendungen schriftlich festgehalten, also alle Kosten die durch mich entstanden waren einschliesslich Essen, trinken und Kleidung.

Ich war auch dort nur ein Kostenfsktor.

Nein glücklich war ich noch nie

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Interessante Reaktionen.
Sind die Leser selbst Heimkinder oder Ehemalige, stimmen sie der Autorin zu. Sind sie beruflich "professionell" mit dem "Thema" befasst, ergehen sie sich in Rechtfertigung oder Absichtserklärung. Und dann noch jene, die eine Runde Betroffenheit aussprechen. Das trifft so ziemlich die gesellschaftliche Wirklichkeit. Überhaupt die Wirklichkeit, mit der hat man als "Gutbürgerlicher" ja so seine Probleme. Über die liest man gern, es läuft einem ein Gruselschauer über den Rücken und dann legt man sich zurück in seinen Sessel und ist froh um sein eigenes trautes (und heiles) Heim. Vielleicht überlegt man, für die Aktion Weihnachtslicht zu spenden. Nächstes Jahr. Aber wehe, es steht eine Abstimmung über längeres gemeinsames Lernen an, über den Bau einer Metadonausgabe in der Nachbarschaft oder sozialschwache oder gar behinderte Kinder sollen in die Klasse der eigenen Blagen kommen, dann sieht es plötzlich ganz anders aus, dann werden Schutzwälle hochgezogen, was das Zeug hält. Das wäre zu viel Realität. Schnell die Staßenseite wechseln. Sich selbst die Blöße zu geben, sich so zu öffnen und Verletzbarkeit zu geben, um in-sich-zerrissenen Menschen mit entsprechender Biographie nicht nur auf gleicher Augen- sondern auch Herzenshöhe begenen zu können, dazu braucht es anderer Fähigkeiten. Die lernt man hierzulande üblicherweise nicht beim G-8-Abi und auch nicht an der Uni. Für diese Fähigkeit gibt es auch eigentlich gar kein aktuell übliches Wort mehr. Herzensgüte vielleicht? Ich nehme mich da selbst nicht aus.

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Ich bin entsetzt über die illusionslosen Beschreibungen des persönlichen Erlebens der in Heimen aufgewachsenen Kinder, Jungendlichen, jungen Erwachsenen! Entsetzt über eine Gesellschaft, die Kinder ausgrenzt, nicht nur Kinder, überhaupt ist Ausgrenzung für Deutschland allgemein das geringste Problem, und das obwohl, oder gerade wegen eines gut funktionierenden Wohlfahrtssystems, damit kennt man / frau sich hier sehr gut aus, damit lernt es sich im Laufe des Lebens zu leben, der Bürger arrangiert sich... Heute weht ein neuer Wind durch die Reihen der sozialen Fachwelt, einer, der ebenso verseucht ist, wie die Erde mit atomarem Müll, eine Endzeitstimmung wird heraufbeschworen, weil man der sozialen Brennpunkte sich am wirksamsten zu entledigen glaubt, indem man die Menschen zum Schein, der Aufklärung überlässt, ihnen gleichzeitig die Hoffnung auf ein glückliches Erdenleben nimmt, ihnen die Erlösung bei Gott verspricht, und somit den Schaden der Auflösung einzudämmen versucht. Es wohnt keine Hoffnung in Deutschland, eben so wenig wie in mir... Verseuchte Erde bringt keine Liebe hervor, verseucht mit unzähligen Toten, deren Leben ungesühnt bleibt, weil die atheistische Welt keine Liebe kennt, wohl die der Paarung, nicht aber die der Nächstenliebe. "Der Bunker ohne Fenster" ( das Bild aus der Papstrede vor dem Bundestag! ), "ohne Leben spendendes Sonnenlicht " (ebd ) wird mir gerade hier sehr deutlich. Wer ohne Liebe aufwächst, ist für eine eiskalte Welt gut geeignet. Und ist der Arbeitsmarkt, und der andere Rest nicht wie ein "Bunker ohne Sonnenlicht" ? Eingeschlossen für immer in dieser "wunderbaren" Schein DEMOKRATIE, dem leblosen Geschwätz hochgezüchteter Elite lauschend?!
Gott, bewahre uns vor diesem Albtraum!!!
Ich kann nur allen Kindern dieser Erde zu so viel unverdorbener, lebensbejahender Einsicht raten, dass sie eine Welt erschaffen, in der jede Bevölkerungsexplosion statt zur Überforderung,wie noch heute, stets zu einer HERAUSFORDERUNG wird, in der Art, wie Jesus es tat, bei der Speisung der Massen!
Viel Glück für eine sonnige Zukunft!

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Glückwunsch zu diesem Artikel. Traurig wird man beim Lesen – weil es traurig i s t. Der eindringlichen Darstellung dessen, wie es sich anfühlt, ein „Heimkind“ zu sein, wie vielfältig, dramatisch die „leisen“, unauffälligen, von anderen mitunter weder wahrgenommenen noch grundsätzlich übel gemeinten Formen der Zurückweisungen sind – und welche Strategien notwendig werden, um damit irgendwie zu Recht zu kommen, kann sich niemand entziehen.
„Sich-nur-als-Arbeit-fühlen“ als Aspekt, über den ich neu nachdenke.
Privat und beruflich habe ich mich auf den verschiedensten Ebenen mit dem Thema Familie versus Heim / Fremdunterbringung auseinander gesetzt. Unbestritten ist, dass Liebe, Aufmerksamkeit und stabile Bindungen für eine gesunde Entwicklung von größter Bedeutung sind. Tatsache ist aber auch, dass viele Kinder unter weit weniger günstigen Bedingungen im Elternhaus aufwachsen; dass es Lebensumstände oder derart zerstörte und damit zerstörerische Familienverhältnisse gibt, die das Leben und die gesunde Entwicklung eines Kindes faktisch bedrohen.
Die Tatsache, dass Menschen nicht in der Lage sind oder sich nicht in der Lage sehen, einem Kind ein zu Hause bieten zu können, ist nicht zu verurteilen und vor allem nicht zu leugnen. Wie eine Gesellschaft damit umgeht, welche Alternativen und Hilfen wir bieten, steht auf einem anderen Blatt. Dazu gehört eine gründliche Überprüfung der derzeitigen Adoptionsgesetzte ebenso hinzu wie die generelle gesellschaftliche Bedeutung und den Umgang mit Kindern. Von uns allen.

Bei allen Veränderungen in Form und Inhalt der Heimunterbringung - das Dilemma bleibt bestehen. Alles echte Bemühen und Engagement kann aus (übrigens nicht gut) bezahlten MitarbeiterInnen keine Eltern „machen“. Kinder spüren das ebenso wie die ErzieherInnen. Und für alle Beteiligten ist es auf der jeweiligen – wenn auch nicht vergleichbaren – Ebene problematisch. Das wir in diesem Artikel mehr als deutlich.

Dies ist kein neuer Aspekt. Sich nur als Arbeit fühlen. „Arbeit-Sein“ als Selbstdefinition musste ich neu an mich heranlassen. Es fühlte sich nicht gut an. Aber die Umstände, die es erzeugen, sind und bleiben real vorhanden. Das ist traurig – kann aber auch als Appell verstanden werden, grundsätzlich Augen, Herz und Ohren „offen“zu halten für die „Anderen“, mit-zu-fühlen und zu handeln, wenn es nötig ist. „Bürgerlicher“ Engel halt.
Gut, noch einmal daran erinnert zu werden – Dank an die Autorin.

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Einmal mehr hat sich Mirijam Günter in ihrer eigenen, authentischen Art zu Wort gemeldet. Der Artikel will aus meiner Sicht keine fachliche Diskusson über den Sinn oder Unsinn von Heimerziehung darstellen. Aber es ist so wie es ist.
Die menschliche Sehnsucht nach Anerkennung, Geborgenheit und Liebe ist immer in jedem Menschen in jedem Alter da. Als katholischer Gefängnisseelsorger, der mit Mirijam Günter schon verschiedene Projekte gemacht hat, treffe ich täglich junge Menschen, denen diese Dinge selten oder nie zuteil geworden sind.
Nicht in ihren Familien und nicht in der professionellen Jugendhilfe. Für diese Menschen ist und bleibt das Leben der von Mirijam Günter beschrieben Kampf.
Dabei ist die Wahl der Mittel nicht immer der Richtige. Der Neubau eines Jugendgefängnisses in Wuppertal-Ronsdorf für 510 Jugendliche! aber ist jedenfalls eine gesellschaftliche Bankrotterklärung. Wenn Mirijam Günter demnächst auch dort eine ihrer vielen Literaturwerkstätten durchführt, dann erleben die jungen Männer für eine Zeit Würde, Respekt und Wertschätzung. Und finden Worte und hören und lesen Worte, die sie bisher noch nicht kannten.
Und am Ende steht oft viel Dankbarkeit. Deswegen: Niemals aufgeben!

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Günter Berkenbrink (nicht überprüft) schrieb am 16. Januar 2012 um 9:03: "Der Neubau eines Jugendgefängnisses in Wuppertal-Ronsdorf für 510 Jugendliche! aber ist jedenfalls eine gesellschaftliche Bankrotterklärung." _____________________________________________ Wie bitte? Ausgerechnet der Bau eines Gefängnisses soll eine Bankrotterklärung sein? Die Planung, der Bau und Betrieb eines Gefängnisses zeigen vielmehr, dass der Bauherr und Betreiber, der Staat, ziemlich gut im Saft steht, sonst könnte er nämlich keine Gefängnisse bauen. Und auch die Gesellschaft ist sehr weit weg von jeder Form von Bankrott. Sie steuert gehörig dazu bei, dass Gefängnisse zu den Selbstverständlichkeiten eines modernen Gemeinwesens gehören, z.B. durch die Bereitstellung von Betreuungsdiensten wie der Gefängnisseelsorge oder literarisch ambitionierten Aktionen. Auch alle Debatten um Gefängnisse kreisen immer nur um die Frage, wie der fraglos edle Zweck eines Gefängnisses noch hübscher erreicht werden könnte, also ob mehr oder weniger Bürger länger oder kürzer dort hinein gehören, der Alltag noch härter oder lockerer gestaltet werden sollte, das Wachpersonal, die eingesetzten Psychologen, kooperierenden Sozialarbeiter und Pfarrer personell aufgestockt, anders fortgebildet oder sonst wie in Schuss gehalten werden sollten. Ein Bankrott schaut anders aus. ___________________________________ Für Heime gelten ähnliche Überlegungen wie für Gefängnisse.

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Das ist Mirijam Günter, so wie wir sie schon mehrfach kennenlernen durften. Eindrucksvoll, ehrlich und schonungslos berichtet sie von jungen Schicksalen. Gerade deshalb gehen uns ihre Schilderungen nahe. Sie sind authentisch.
Ich kann nur jedem empfehlen, ihre Bücher zu lesen ("Heim" und "Ameisensiedlung"und diese weiter zu empfehlen. Institutionen sind gut damit beraten, sie zu Lesungen einzuladen oder - soweit sie Jugendliche betreuen - mit Mirijam Günter eine Literatur-Werkstatt abzuhalten. Klasse, echt!

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Der Artikel geht unter die Haut! Vielen Dank an Mirijam Günter, die ein Sprachrohr für die Sprachlosen ist und es mit ihren Texten immer wieder versteht, die (vermeintlichen) Profis wachzurütteln und zu sensibilisieren.

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Warum sollte ein Erzieher denn den Anspruch haben, "seine" Heimkinder zu lieben, ihnen eine Art Elternersatz zu sein? Es gibt doch nichts schlimmeres als die, die alle lieben wollen und sich dabei auch noch ganz toll finden! Ich glaube, es gibt immer ein Problem, wenn der Anspruch größer ist, als das "Handwerk", das man vermitteln möchte.

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Gernot Schmidt (nicht überprüft) schrieb am 19. Januar 2012 um 22:27: "Warum sollte ein Erzieher denn den Anspruch haben, "seine" Heimkinder zu lieben, ihnen eine Art Elternersatz zu sein?" Der Befehl zu diesem Anspruch stammt von Gott persönlich und bildet unter der Bezeichnung Doppelgebot der Liebe den Kernbereich des Markenproduktes "christlicher Glaube". _____________________ Zitat: "Es gibt doch nichts schlimmeres als die, die alle lieben wollen und sich dabei auch noch ganz toll finden!" Diesem Vorwurf begegnet der geschulte christliche Apologet damit, dass man gefälligst nicht alle, sondern Gott, sich selbst und seine Nächsten zu lieben habe. Und sich ganz toll finden ist sowieso grundböse. Auf der nach oben hin offenen Schlimmheitsskala dürfte allerdings auch dieser modifizierte Standpunkt einen vorderen Rang einnehmen. Ein ernstzunehmendes Verständnis des Treibens der Zweibeiner - Heimkinder, Erzieher und Eltern eingschlossen - dürfte wohl von anderen Dingen zu handeln haben als von regelmäßigen Verstößen und gelegentlichen Befolgungen eines Liebesgebotes. Aber Gott sieht das grundsätzlich anders.

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Vielen Dank an Mirijam Günter für diesen Artikel. Und auch der Fotografin Anne Schönharting. Bild und Text zusammen erinnern mich daran, immer die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie hart ist und jungen Menschen nur zu versprechen, was ich halten kann.

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Nach dem Vorlesen des Artikels schrieben meine Schüler folgende Kommentare:
Ich möchte nicht mit den Personen tauschen. Sie wurden in der Zeit, in der sie im Heim lebten schlecht behandelt, da kann ich die Reaktionen von ihnen verstehen. ( Til)
Ich denke dass die meisten Kinder traurig sind und ihre Familie vermissen. Ich möchte nicht mein ganzes Leben in einem Heim wohnen, weil ich mich dann selbst traurig und verlassen fühlte. Ich fand den Text sehr gut. ( Daniel)
Die Kinder haben keine Eltern und ihnen geht es nicht soc gut wie uns. Sie haben kein zuhause. Es kümmert sich keiner um sie und sie erfahren keine Aufmerksamkeit. ( David)
Dieser Aufsatz ist mir sehr nahe gegangen. Das muss sehr schwer für das Kind ( Frau Günter? )
gewesen sein. Ich könnte das nicht mitmachen, das ist kein schönes Leben. Ich weis wie sich Heimkinder fühlen. Ich habe mit Heimkindern zu tun gehabt und ich war mal mit einem zusammen. ( Marina)
Es ist traurig, so was zu hören, wie es anderen Kindern geht, die keine Familie haben, aber sich gerne eine wünschen. Die Kinder im Heim haben es nicht so gut, wie die, die bei ihren Eltern leben. man muss sich am viel neue Menschen gewöhnen und man hat niemanden, mit dem man besser reden kann als mit seinen Eltern. (Melina)

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Meine eigenen Erfahrungen in einem Kölner Kinderheim liegen nun schon rund 40 Jahre zurück. Rückblickend bin ich froh, dass ich nicht bei meinem leiblichen Vater oder meiner Großmutter aufwachsen musste; es wäre mir seelisch sehr schlecht ergangen und auch die Bildungschancen wären minimal gewesen. Die seelischen Wunden durch die oft lieblose Erziehung katholischer Nonnen sind dank jahrelanger, aktiver Aufarbeitung größtenteils verheilt. Es hat mir geholfen, dass ich früh akzeptiert habe, für mich und mein Leben allein verantwortlich zu sein. Aktuell bin ich mehr geschockt von der Reaktion der aufgefundenen Verwandschaft 2. Grades. Hier haben vermutlich Schuld- und Schamgefühle zu einer lebenslangen Ablehnung und Abkapselung in die Kleinfamilie geführt, was letztendlich aber auch akzeptiert werden kann und zu weiterer innerer Freiheit führt. Wirklich ein Jeder ist seines Glückes Schmied!
P.S.: Nur mit Hilfe noch lebender Dorfbewohner ist es mir gelungen, ein Foto meiner Mutter zu erhalten!

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Ich lese viele Texte, Artikel, Bücher. Bedauerlicherweise vergesse ich das meiste in der Regel wieder. Bei den Texten von Myriam Günter ist das anders. Statt Banalitäten zu Sensationsmeldungen aufzumotzen, wie es häufig der Fall ist, schreibt sie unspektakulär über alltägliche Tragödien, die sehr nahe gehen, weil in ihnen Kinder und Jugendliche zu Wort kommen, die normalerweise nicht gehört werden und deren Aussagen und Ansichten im Gedächtnis bleiben. Herzlichen Dank für die authentischen Einblicke in das Gefühlsleben Jugendlicher, die es sich in einem Alltag einrichten müssen, in dem es keine Eltern gibt.
Was es bedeutet am Rand der Gesellschaft mit Eltern aufzuwachsen, die dieser Rolle in keiner Weise gewachsen sind, schildert der schwedische Roman "Bessere Zeiten" von Susanna Alakoski, den ich letzte Woche las. Ebenfalls sehr empfehlenswert.
Marion Schäfer

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Kinder die nicht geliebt werden, werden Erwachsene die nicht lieben können.
Jeder Mensch hat es verdient geliebt zu werden, egal ob dünn oder dick,
Alt oder Jung, Homosexuell oder hetero.
Denn liebe ist doch das einzigste was uns noch alle irgendwie zusammen
Hält oder etwa nicht?

Meine berufliche Arbeit als Pädagoge begann ich vor mehr als dreißig Jahren in einem damals sehr fortschrittlichen Kinderheim in der Südpfalz. Ich hatte die Gelegenheit ohne Ausbildung, aber glücklicherweise mit einem gesunden Menschverstand ausgestattet, als Gruppenerzieher arbeiten zu können. Diese 16 Monate haben mein ganzes späteres Berufsleben geprägt. Die Ausbildung habe ich sozusagen auf meine damals erworbene Grundhaltung aufgesattelt:

Das Wichtigste in der pädagogischen Arbeit ist, so lernte ich damals, dass die dir vertrauenden, dir (zumindest meist emotional) ausgelieferten jungen Menschen dich authentisch erleben. Als jemand, der nicht vorgibt, etwas für dich zu tun und dabei nur seinen Feierabend im Sinn hat. Als jemand, der sich ärgert, der mal traurig ist, der ernst genommen und geliebt werden will, der auch wütend werden kann - der einfach ein Mensch ist. Und gleichzeitig muss ich diese Haltung aber auch gegenüber den zu Betreuenden haben: Auch hier habe ich es mit Menschen mit all ihren Problemen, Ängsten, Hoffnungen, Enttäuschungen, Verletzungen, Erfolgen, Freuden zu tun. Und auch diese muss ich ernst nehmen.

Wenn ich dann gleichzeitig gelernt habe - und dabei unterstützt werde - mein Tun zu reflektieren, einen gesunden Menschverstand habe und die Grenzen meiner beruflichen Tätigkeit anerkenne und wahre, kann ich schon fast nichts mehr verkehrt machen.
Natürlich lernt man als Pägagoge noch viele nützliche Dinge, die einem helfen, anderen professionell zu helfen, in der Arbeit nicht abzustumpfen, nicht zynisch oder überheblich zu werden - aber die Grundhaltung ist doch immer noch am Wichtigsten.
Ich hatte nun schon zweimal die Gelegenheit Mirijam Günter einzuladen und kennenzulernen (einmal zu einer Lesung und dann zu einer Schreibwerkstatt) . Es ist dabei faszinierend, wie in der Lesung aus dem Buch "Heim" mehr als 80 junge Leute, die von ausgebildeten PädagogInnen oft nur schwer erreicht werden, der Autorin zwei Stunden förmlich an den Lippen hingen. Hier sprach zu den jungen Leuten endlich einmal jemand so wie "ihr der Schnabel gewachsen" war, ohne sich verbiegen zu lassen, oder falsche Rücksicht zu nehmen. In der Schreibwerkstatt, die vor wenigen Wochen stattfand, schaffte Mirijam Günter es dann alle TeilnehmerInnen so zu stärken, dass Sie Ihre selbst verfassten Texte vor einer ZuhörerInnenschaft von fast fünfzig Leuten vorzutragen - für PädagogInnen ein schier unerreichbares Ziel.

Ich denke, dass das große Plus von Frau Günter ihre "Authentizität" ist, dass sie die jungen Leute mit all ihren Stärken und Schwächen - so wie sie sind - ernst nimmt. Die jungen Menschen in ihren Lesungen und Schreibwerkstätten spüren dies sehr schnell.

Die derzeitige Debatte um Inklusion rankt sich darum, dass es nicht mehr die Pflicht der an den an den Rand gedrängten Menschen sein soll, sich möglichst schnell, kostengünstig und wiederstandslos so weit als möglich in die Gesellschaft (wieder-)einzugliedern, sondern dass die Gesellschaft, all diesen Menschen mit ihren Stärken und Schwächen einen Platz in ihrer Gesellschaft anbieten, Ihnen Teilhabemöglichkeiten in allen Facetten anbieten muss. Wir wären hier schon ein gutes Stück weiter, wenn wir die Haltung, die Frau Günter gegenüber ihren ZuhörerInnen und WerkstattteilnehmerInnen an den Tag legt, zumindest versuchen würden zu übernehmen.

In diesem Sinne ist eine Lesung oder eine Schreibwerkstatt mit Mirijam Günter auch eine Lehrstunde in Inklusion - und manchmal eine Zumutung für die PädagogInnen (Und das ist gut so!).

Jochen Eisold (bbw Südhessen)

P.S.: In Manchem erinnert mich Frau Günter an meine vor vier Jahren verstorbene Schwiegermutter, die in der Zeit des Nationalsozialismus im Heim aufgewachsen ist und trotz vieler schrecklicher Erfahrungen auf ihre sehr direkte Art die Menschen geliebt hat. Ich vermisse sie sehr und widme ihr diesen Kommentar.

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Der Text von Mirijam Günter zeigt gut auf wie "Heimkinder" ihre Welt wahrnehmen und wie schwer es ist mit der fehlenden Liebe der Eltern umgehen zu lernen. Natürlich kann eine Wohngruppe die "heile" Familie nicht ersetzen, vielfach gibt es jedoch kaum Alternativen. Daneben stellt sich die Frage, welche Familie wirklich intakt ist - und ob selbst dort alle Kinder wirklich die Liebe bekommen, die sie benötigen - also was eigentlich hinter der Fassade steckt. Dabei denke ich besonders an die Kinder, die verhungert sind, emotional vernachlässigt wurden oder zu Tode gequält wurden und nicht aus der Familie herausgenommen wurden. Hier versagen die staatlichen Hilfssysteme - Ein Gedankenanstoss: "Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf." (afrikanisches Sprichwort).
Manchmal gibt es leider keine Alternative zu einer Trennung von der Herkunftsfamilie. Ich habe schon einige Kinder / Jugendliche auf diesem Weg - so hart wie dieser auch ist - begleitet.

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Ich hatte das Glück, das ich meine Biographie als ehemaliges Heimkind
(1961 - 1977) in dem fach Psychologie schreiben konnte.
Ich habe um meine eigene Biographie zu schreiben 1Jahr gebraucht, weil die Erinnerungen zu Schmerzhaft waren und ich Tageweise nicht weiter schreiben konnte.
Wir sind im Heim viel geschlagen worden, aber schlimmer als die körperlische Mißhandlung waren die wunden in der " Seele ".Die körperlichen Schmerzen" vergehen " irgendwann , aber die "Seele" vergisst nicht.
Und das ungeliebte Kind leidet noch heute in mir.

Unterstützt wurde ich von meinem Mann und von einem Therapeuten.
Nach dem Heim habe ich 10 Jahre , als Kinderpflegerin in einer Obdachlosen Siedlung gearbeitet .Mein Mann überzeugte mich dann zu Studieren,was ich mir selbst nie zugetraut hätte.

Heute bin ich diplom Sozialpädagogin. Ich lebe mit meinem Mann, mit drei Pflegekindern,Hund,Katze und Fischen in einem schönen Haus.

Diesen drei Kindern, (die einen schweren Start ins leben hatten), ein zu Hause zu geben ihnen Geborgenheit und Liebe zu geben, das macht uns glücklich. Ich könte noch Tagelang schreiben, aber es würde zu vielen wiederholungen führen, die andere Menchen schon geschildert haben.
Gerne würde ich meine Biographie ca.300 Seiten veröffendlichen, aber wo und wie?
Mit freundlichen Grüßen
Roswitha Achilles

Wenn dieses Statement auch reichlich spät erscheint, so möchte ich hier für spätere Zaungäste nicht versäumt haben, meine Verwunderung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass in keinem der hier dargelegten Kommentare auf die Notwendigkeit eingegangen wird, etwas zur Veränderungen beizutragen, die geeignet wären allen Kindern in unserem Land eine würdevollere und liebenswertere Kinderstube zu ermöglichen, statt die gröbsten Auswüchse verunglückter Erziehungsbemühungen jenen fragwürdigen Institutionen zu überlassen, die hier in der Nachbetrachtung der Betroffenen durch Mirijam Günters Worte als eher zweifelhaft, bedrückend und lieblos deklariert wurden.

Zweifellos werden Heimeinweisungen auch in Zukunft noch als kleineres Übel ihre Daseinsberechtigung erhalten, doch vermisse ich ein echtes Bemühen, künftigen Eltern die notwendigen Hilfen an die Hand zu geben, die sie zu fachlichen Eltern qualifizieren, um ihren Kindern nicht nur liebevoll, sondern auch auf die zahlreichen entwicklungsbedingten Erfordernisse ihrer Kinder mit dem nötigen Sachverstand einzugehen. So wie es etwa als einzigem Bundesland in der Bayrischen Verfassung deklariert wird, um Kinder und Jugendlichen bereits in den Schulen, in besonderer Weise in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft zu unterweisen.
Leider wird auch in Bayern dieser Vorgabe in der Realität so gut wie kaum entsprochen.
Aber genau hier gehört, ein solch entsprechender Bildungsauftrag hin. Insbesondere, da fortlaufende Statistiken immer augenfälliger die Überforderung zahlreicher Eltern in Erziehungsfragen nachweisen.
Doch so lange unsere Lehrpläne in erster Linie mit wirtschaftsdienlichen Vorgaben gespickt bleiben, wird sich an der gegenwärtigen Entwicklung erodierender Familien, mangelndem Respekt und zunehmenden Ellbogenmentalitäten, nichts positiv verändern können. Statt demnach der Wirtschaft zu dienen, müsste unser Bildungswesen endlich dazu ausgerichtet werden, um Persönlichkeiten junger Menschen und deren Neigungen, Talente und Stärken zu fördern. Punkt aus.
Denn ein in sich ruhender Mensch benötigt später keine materiellen Krücken mehr, um defizitäre Anerkennungsbedürfnisse, mit der Anhäufung ökologisch/ökonomisch fragwürdiger Statussymbole zu kompensieren.
Das sind doch ganz einfach durchschaubare Zusammenhänge, die nur deshalb nicht thematisiert werden, weil die Wirtschaft und deren Millionärselite von all diesen Übertreibungen profitieren.
Statt demnach über das Für und Wider von Heimerziehung zu diskutieren, oder deren Betroffene zu bedauern, müssten in aller Konsequenz Bildungsreformen eingefordert werden.

Angefangen im Kindergärten, in denen junge Menschen altersgerecht beigebrecht wird,

- wie Gewalt entsteht?
- was Gewalt eigentlich ist?
- in welchen Formen Gewalt zum Ausdruck kommt?
- wie sich Gewalt auf die Betroffenen auswirkt?
- wie man Gewalt deeskalierend vermeiden kann?

Dieses Programm müsste mit zunehmenden Alter mit anspruchsvollen Rollenspielen vertieft werden, sowie weiter eine Grundlage zur eigenen als auch sozialen Verantwortung gelegt werden. Dies beinhaltet eben auch jenen Part der frühen Schulung um auf die späteren Erfordernisse als Eltern entsprechend adäquat vorbereitet zu werden, um Kinder nicht unabsichtlich überforderungsbedingt zu beschädigen.
Hier gehört eben auch jene Förderung zu, die unseren Kindern und Jugendlichen ermöglichen ihre eigenen Stärken und Talente zu fördern die es ihnen erlauben ihre Berufung für ihr späteres Berufsleben zu finden.
Warum solch einfachsten und logisch nachvollziehbaren Grunderfordernisse zu einer zufriedeneren Gesellschaft noch immer stiefmütterlich behandelt werden, kann nur darauf zurückzuführen sein, weil wir alle zuvor dieses destruktive Bildungssystem durchlaufen haben von dem wir alle glauben, dass es normal ist wie die Luft zum atmen.
DIESE Erfordernisse, müssten endlich ins öffentliche Bewusstsein gebracht werden um Inhalte und Vorgehensweisen abzustimmen.
Hierauf möchte ich mit allem Nachdruck hinweisen.
Klaus Klüber

Der selbst unter widrigsten Bedingungen aufwuchs und erst Mitte 40 ein Gefühl dafür zu entwickeln begann, dass all die bedrückenden und schmerzhaften Kindheitserfahrungen alles andere als normal waren, wie ich sie bis dahin als Bestandteil meiner vermeintlichen Normalität noch verinnerlicht hatte und mich seit der Zeit des Erwachens für notwendige Bildungsreformen einzusetzen versuche.

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Ich finde mich in dem Text gut wieder.
Ich hatte ganz wenig Glück in meinem Leben mit Sachen Liebe:
Als "Splittergattung" kam ich mit meiner größeren Schwester auf die Welt und hatten keinerlei Kontakt zu der restlichen Familie. Meine Mutter und mein Vater waren psychisch krank und er beging deshalb vor 20 Jahren Suizid.
Meiner Mutter ging es auch nicht besser, so wurden meine Schwester und ich 1999 wegen Kindeswohlgefährdung seitens meiner Mutter ins Heim gesteckt, erstmal ins Clearing.
Schon da konnte ich die Gefühle des Überwältigentseins und der Verlassenheit spüren, die Scham zwang mich aber diese für mich zu behalten und zu überspielen, um zu überleben.
Das Dilemma verschärfte sich immer weiter und mein Schicksal als Sozialwaise wurde für mich als Halbwaise schon früh besiegelt:
Meine Schwester kam wieder zu meiner Mutter, ich zu einer Pflegefamilie. Dort konnte ich mich zumindest kurzweilig zuhause fühlen. Dann zog meine Schwester dazu, die Pflegeeltern trennten sich und ich durfte mir ein neues zuhause suchen, während sie da blieb, da alle männlichen Bewohner ausziehen mussten... und kurze Zeit später war auch mein ehemaliger Pflegevater, damals eine wichtige Bezugsperson für mich, auch tot (ebenfalls Suizid).
Zum ersten Mal wurde ich im Alter von 11 Jahren alleine ohne Familie durch die Welt geschickt, insgesamt noch 5-mal in verschiedene Einrichtungen inklusive einer weiteren Pflegefamilie und mein Leidensdruck wurde immer stärker (war aber scheinbar keiner der Menschen um mich herum wirklich bewusst).
In den späteren Einrichtungen wurde ich desöfteren behandelt, als sei ich den Betreuern bzw. Pflegeeltern teilweise gleichgültig, da sie nicht in der Lage waren, meine unstillbaren emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen, sodass ich mit der Zeit passiver, depressiver und apathischer wurde.
So war ich spätestens mit 13 Jahren völlig entwurzelt von meiner Familie und kämpfe bis heute noch erfolglos um den Kontakt zu den weiteren Familienmitgliedern. Sich selbst zu behaupten ist unter diesen Umständen sehr schwierig und muss häufiger härter auftreten, um den Respekt seiner Umgebung nicht zu verlieren. Auch wird man nachgiebiger, wenn man schlecht behandelt wird, aus Angst, weitere Freundschaften zu verlieren, da man schon durch diese schwere Schädigung nicht mehr wirklich in der Lage ist, zu vertrauen.
Verständnis und Vertrautheit erlebe ich nur selten in Episoden, aber auch lange Durststrecken zwischen ihnen, wenn es mal brennt, weil kaum einer diese Probleme versteht und im betreuten mobilen Wohnen wenn überhaupt nur einmal die Woche ein Betreuer zur Verfügung steht.
Deshalb bin ich heutzutage meist mürrisch, schlecht gelaunt, distanziert und emotional nicht bei der Sache bzw. tot und bange manchmal um meine weitere Zukunft.
Mein unerschütterlicher Wille und ein bisschen Trotz aus diesem Loch herauszukommen und es allen zu beweisen, dass man auch mit einem solchen Hintergrund es weit schaffen kann, haben mich dennoch so weit getragen, dass ich zumindest schulisch und in meiner Ausbildung erfolgreich war, auch wenn der zwischenmenschliche Erfolg fehlt, und denke manchmal daran, ob es nicht leichter wäre alles hinzuschmeißen...
Da ich aber weiß, dass ich nicht der einzige bin, der ein solches Schicksal erlitten hat, versuche ich wo es geht mit meinem Wissen zu helfen und Mut zu machen, dass die Würde und Hoffnung niemals verloren gehen kann, da sie einer keiner nehmen kann, außer man tut es sich selber an...
Ich freue mich über jedes kleine bisschen Bestätigung, dass ich mit meinen Gefühlen nicht völlig falsch liege, wie es mir öfters meine Umwelt zu erzählen versucht... einfach weil sie es nicht kennen...

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Niemand kann gute Eltern ersetzen, und wenn sie dem Kind wenig geben können, dann bleibt ein tiefer Schmerz, der anerkannt werden muß. Sonst gibt es keine Entwicklung, nur ein Verharren in Wut, Verzweiflung, Zukurzgekommensein und die trügerische Hoffnung auf das große Wunder irgendeiner Rettung.

Sich nicht im Mangel gefangenzugeben, sondern das Gute, das jetzt da ist, sehen und vor allem fühlen zu lernen, das macht Entwicklung möglich. Erzieherinnen und Erzieher haben die Aufgabe, den Kindern beim Fühlen des Schmerzes und des Guten in ihrem Leben beizustehen und sie zu begleiten.

Daß die Eltern nicht besser für das Kind sorgen konnten, war eine Realität. Das zu sehen hilft dem Kind zu begreifen, daß es selbst nicht schuld ist an der Situation und daß es den Eltern nicht helfen oder sie ändern kann.
Seine alltägliche Sicherheit findet das Kind in Beziehung zu denjenigen Menschen, die jetzt für das Kind da sind, die ihm Struktur und Sicherheit, zuverlässige Versorgung und ihre Aufmerksamkeit geben, und gewiß auch Zuneigung. Das ist viel, mehr als sie von ihren Eltern bekommen konnten.

Ich wünsche den Kindern, mit denen Mirjam Günter arbeitet, daß die positiven Erfahrungen viel Raum in der Schreibwerkstatt einnehmen, damit das Gute, das die Kinder erfahren, ihnen in Herz und Seele zu blühen beginnt.

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Herzlichen Glückwunsch zu Ihren Heften, ausnahmslos alle.
Besonders hat mich aber im Januarheft 2012 der Artikel von Mirijam Günter berührt über die Heimkinder. Sie zeigte uns eindrucksvoll, dass wir selbst in den besten Heimen die Familie nicht ersetzen können.
Neugierig wäre ich aber über einen Vergleich mit den SOS-Kinderdörfern.
Ich wünsche der Redaktion alles Gute im Neuen Jahr und noch viele schöne Hefte.

9.1.2012

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Der Artikel „Auf mich warte doch keiner“ bewegt einen tief. Als Heilpraktikerin eingeschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie und Familienpatin kann ich die Gedanken eines solchen Kindes sehr gut nachvollziehen.

„Du tust das nur für Geld“ scheint die Beziehung zu „Heimeltern“ richtig zu charakterisieren. Aber eigentlich tun Eltern, die eine gute Beziehung zu ihrem Kind haben, das gleiche. Nur die Währung ist eine andere. 
Jeder Säugling kommt auf die Welt und streckt im Prinzip mit beiden Händen der Mutter etwas entgegen. Wenn die Mutter es annimmt und wieder gibt und wieder annimmt, wird sie in den Strukturen ihres Gehirnes reich belohnt. Wenn diese Interaktion allerdings gestört wird durch Krankheit, durch ungünstige Bedingungen, falsche Erziehungsmaximen oder Krieg und Hunger, muss bald oder später für „echtes“ Geld geeltert werden. Trotzdem wirft kein Kind seinen Eltern vor, dass sie es nur liebten, weil „nur“ Neurotransmitter ihre Gefühle und ihr Verhalten ihm gegenüber sie dazu bewegten.
Mir diese Zusammenhänge bewusst zu machen, dass solche guten Beziehungen nicht unser Verdienst sondern ein Geschenk sind, wissend, dass dieser Gedanke einem Kind natürlich nichts nutzen würde, motiviert mich bei meinem ehrenamtlichen Engagement immer wieder.

 

20.1.2012

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Ich wohne im Heim und es gibt Schwierige Zeiten aber die gehen vorbei
Mann kann erzieherinen nicht Mama nennen weil es einfach nicht die Mama ist.
Ich würde gerne bei meinen Eltern leben aber ea geht halt nicht

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