Tasche aus 2 Vinyl-Single-Schallplatten
Tasche aus 2 Vinyl-Single-Schallplatten
Foto: Claudius Grigat
Karaoke und Pippi Langstrumpf
Tim Wegner
14.07.2017

Ich bin bekennender Musik-Nerd. Unter anderem deswegen schreibe ich ja auch bei chrismon immer die Musiktipps. Als Musik-Nerd ist man in der Regel extrem offen, was Musikrichtungen, -Stile, -Spielarten und vor allem Neues und Aufregendes betrifft. Und man ist sehr intolerant bei Musik, die einem die Gehörgänge beleidigt – oder die man gar für langweilig oder niveaulos hält.

Leider ist letzteres oft bei Musik der Fall, die meine Kinder gerne hören. Natürlich. Tendenz steigend. Zu einem Problem wird das immer bei längeren gemeinsamen Autofahrten. Vor allem meine Tochter kann da sehr beharrlich sein: "Warum müssen wir immer Erwachsenen-Musik hören? Kinder haben auch Rechte…!" Also gut, dann laufen halt wieder die Hit-mp3s aus den Bibi und Tina-Filmen eins bis vier (sind ganz schöne Ohrwürmer, hat unter anderem Peter Plate (der von Rosenstolz) verbrochen). Wenn die Lieder einmal alle durch sind, kommt die eigentliche Nervenzerreißprobe: Das Ganze noch einmal, in den Karaoke-Versionen. Und alle so: "Der beste Sommer, der besteheeeeeeheeee…"

Jazzer Georg Riedel - die Rettung?

Und wenn das überstanden ist? Gerne immer wieder "Best of Astrid Lindgren". Die Songs aus den Filmen und Fernsehserien, von Pippi Langstrumpf, Karlsson vom Dach, Wir Kinder aus Bullerbü, Michel aus Lönneberga, Madita, Saltkrokan, Ronja, Kalle Blomquist undsoweiterundsofort. Auch die können wir alle längst auswendig.

Aber dann kam der Tag, an dem ich entdeckte, dass viele der Kompositionen aus den Original-Filmen vom schwedischen Jazz-Virtuosen Georg Riedel stammen. Eine kleine Internetrecherche brachte es an den Tag: Es gibt tatsächlich ein Album von ihm mit seinen sämtlichen Astrid Lindgren-Werken, in verschiedenen Variationen/Arrangements und mit hochkarätigen Ensembles in exquisiten Aufnahmen eingespielt: "Barn Pa Nytt". Echter Tipp!

"Was soll das für ein Lied sein?"

Also wagte ich es bei nächster Gelegenheit, das Ganze als Kompromissvorschlag zu verkaufen und diese CD im Autoradio einzulegen: "Hört mal, Kinder, Astrid Lindgren-Lieder." Augenblicklich schwelge ich in perlenden Pianoläufen und einem tollen Tenorsaxofon-Solo. Instrumentale Meisterstücke! Aber eben überwiegend instrumental. Und in Jazz-Interpretationen, alles andere als geradlinig. Und so dauert es nicht lange, bis mein Sohn von hinten sich bemerkbar macht: "Was soll das für ein Lied sein?" Ich schaue auf der CD-Hülle nach. Da steht: "Idas Sommarvisa". "Na, das ist doch das Sommerlied von Ida, der kleinen Schwester vom Michel. Ist doch klar. Oder?" Schon bei "Här kommer Pippi Langstrump" und seinen jazzigen Beats wird der Protest so groß, dass wir wieder zu der alten CD zurückkehren müssen, auf der Kinder die gewohnten Melodien und vor allem Worte singen, auf Deutsch.

Nur meine Tochter ist so ungewohnt still in der ganzen Debatte. Und irgendwann, so nach zwei oder drei Liedern, meldet sie sich dann doch überraschend: "Papa, können wir jetzt vielleicht nochmal so eine Karaoke-Version von deiner CD hören?" Ich nenne es einen Etappensieg…

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