Zwischen bunten Bauklötzen ist ein Leerraum in Form eines Kreuzes.
Zwischen bunten Bauklötzen ist ein Leerraum in Form eines Kreuzes.
Foto: Colourbox.de/Valery Voennyy/evangelisch.de (M)
Bauklötze staunen
Tim Wegner
13.10.2017

Es soll ja Eltern geben, die froh sind, wenn ihr Kind mal vom Handy weg ist. Oder vom Tablet. Ich wünsche mir manchmal insgeheim, mein Sohn würde sich langsam mal endgültig vom pädagogisch wertvollen Holzspielzeug verabschieden. Und zwar immer dann, wenn er das - in Form von Bauklötzen, Eisenbahnschienen oder Waffen - mit anderem pädagogisch mehr oder weniger wertvollem Spielzeug wie Legosteinen, Playmobilmännchen, Miniaturautos und Buntstiften mischt und als Barfußfallen auf dem Zimmerboden verteilt. So ein Aufräumtag – immer sehr hart erkämpft – kann dann schon mal vier bis acht Stunden dauern. Und damit ein halbes Wochenende kosten. In der Regel den Samstag, denn der Sonntag ist uns ja (mehr oder weniger) heilig und arbeitsfrei. Für alle.

Und manchmal gehen wir dann an so einem Sonntag in den Familiengottesdienst. Das machen die Verantwortlichen in unserer Heimatgemeinde sehr schön, oft in Zusammenarbeit mit dem Kindergarten oder Jugendlichen aus der Gemeinde. Wirklich sinnvoll finde ich zum Beispiel, wenn die Lieder, aber auch Gebete oder Psalmen, mit Bewegungen gemacht werden. Damit verlieren sie einiges an Langeweilefaktor für die Kleinen. Manchmal aber haben die Erwachsenen auch mehr Spaß als die Kinder, zum Beispiel wenn das Anspiel der Kita-Kinder allzu putzig gerät. Dann grinsen die anwesenden Eltern in sich hinein, die jungen Menschen im Publikum aber haben wenig Verständnis für unverständlichen Text und kreative angedeutete Verkleidungen ("Papa, was soll das sein? Ein Apfelbaum? Echt jetzt?"). Und wenn dann noch die Lesung, die Abkündigungen oder sonst ein naturgemäß nicht ganz so kindgerechter Teil des Gottesdienstes folgt, kann es eben doch mal unruhig werden in den Bänken.

Notfallplan Spielecke versus Fürbittengebet

Unsere Kirchengemeinde hat dafür aber einen wunderbaren Notfallplan: In der hinteren rechten Ecke der Kirche ist eine Spielecke aufgebaut. Und zwar nicht nur, wie es das ja oft gibt, mit ein paar Stiften und zwei bis drei Bilderbüchern. Nein, hier gibt es zum Beispiel auch eine ganze Menge - na? – pädagogisch wertvoller Bauklötze! Als ich das zum ersten Mal sah, hatte ich grausame Visionen: Wie der kleine Luca oder Alexander schon beim Orgelvorspiel seiner Schwester krachend einen Klotz ans Ohr wirft. Oder wie das Fürbittengebet unterbrochen wird von einem laut polternd zusammenstürzenden Bauklotz-Turm zu Babel: Herr erbarme dich!

Aber: Nichts! Vollkommene Stille. Obwohl diverse Kinder in dieser Ecke mit den Bauklötzen spielten. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen bzw. mit eigenen Ohren – nicht - gehört. Ich schwöre! Ein Wunder? Soll es ja geben, manchmal. Allerdings eher in Gottesdiensten von Pfingstkirchen als bei einer unierten Gemeinde in Hessen-Nassau. Also beschloss ich als aufgeklärter Mensch und neugieriger Journalist, direkt nach dem Schlusssegen meine Recherchen aufzunehmen und der Sache investigativ auf den Grund zu gehen. Und siehe da, bereits auf einige Schritte herangekommen, konnte ich den großen, extrem schalldämpfenden Spielteppich erkennen, der dem Ganzen zugrunde lag. Aber das konnte doch nicht des Rätsels alleinige Lösung sein? Also nahm ich einen dieser Bauklötze zur genaueren Untersuchung in die Hand und staunte sogleich ebensolche: Sie waren alle aus Schaumstoff! Wenn es noch eines Beweises für den praktischen Pragmatismus der Protestanten bedurft hätte: Bitte sehr…!

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