Lena Uphoff
15.11.2010

Am Sonntagabend haben wir es uns gemütlich gemacht und die DVD mit dem "Herrn Karl" von Helmut Qualtinger abgespielt. Während meine Frau und ich dem wunderbaren kabarettistischen Monolog folgten, tauchte unser 14-jähriger Sohn auf, warf einen Blick auf dem Bildschirm und sagte: "Schwarz-weiß? Moment, das haben wir gleich" - und machte sich an der Fernbedienung zu schaffen. Mein Hinweis, es handele sich um einen originalen Fernsehmitschnitt aus dem Jahr 1961 verwirrte ihn ein wenig. "Hmm, das ist ja echt anstrengend anzugucken."

Als ich das meinem Bekannten Michael erzählte, sagte er nur: "Es gibt Dinge, an denen man merkt, wie alt man geworden ist." Er habe mit seinen beiden Kindern, ebenfalls Teenager, Woody Allens "Mach's noch einmal, Sam" ansehen wollen. Dass Sams bester Freund in dem Film, der Börsenbroker Dick Christie, überall, wo er hinkommt, sofort das nächste Telefon sucht, um in seinem Büro zu hinterlassen, unter welcher Nummer er nun erreichbar sei, löste bei Michaels Nachwuchs ungläubiges Staunen aus: "Warum benutzt er denn nicht sein Handy?" Der Running Gag des Streifens ist mausetot.

Im Laufe des Abends kamen wir noch auf die heilende Kraft wundersamer Öle, Salben und Wässer zu sprechen. Ich erzählte von meiner in Eichstätt geborenen Großmutter, der ich von dort stets das sogenannte Walburgisöl mitbringen musste, das bis heute von den Nonnen im Kloster St. Walburg verkauft wird. Es handelt sich vermutlich um Kondenswasser aus dem Grab der namensgebenden Heiligen, soll aber gegen allerlei Gebrechen helfen.

Habt Geduld, alles geht vorbei. Nur die Ewigkeit bleibt

Dazu fiel Michael folgender Witz ein: Ein Lourdes-Pilger wird an der französisch-deutschen Grenze von einem Zöllner gefragt, ob er etwas zu verzollen habe. Er antwortet mit Nein. Darauf der Beamte: "Und was ist das für eine Flasche auf dem Rücksitz?" - "Lourdes-Wasser", antwortet der Pilger. Der Zöllner öffnet die Flasche und riecht daran. "Das ist Cognac! ", ruft er aus. Der Pilger: "Ein Wunder! " Liebe Kinder, die ihr in Schengenland aufgewachsen seid, versteht ihr noch Zöllner- und Schmugglerwitze? Wahrscheinlich könnt ihr damit ebenso wenig anfangen wie mit Scherzen über Gasableser, über Stechuhren oder über Briefe im Zeitalter des Postverkehrs. Auch Witze haben eine Halbwertzeit. Sie vergehen mit dem Verschwinden der Phänomene, auf die sie sich beziehen.

"Apropos Wunder", sagte Michael, "als überzeugter Katholik wünsche ich mir die gerade jetzt zahlreich und an vielen Orten. Und ich wünsche mir, dass meine Enkel einmal all die Witze über Priester nicht mehr verstehen können, die am Zwangszölibat scheitern." Immerhin habe sich ja in Augsburg vor ein paar Wochen eine Art Wunder ereignet und ein Bischof sei zurückgetreten, von dem er dies nicht erwartet hätte. Der war ja zuvor auch mal Bischof von Eichstätt, fiel mir ein. Und ich musste an das Walburgisöl meiner Oma denken. "Beten und Hoffen schaden nie", so hieß eine ihrer zentralen Lebenserfahrungen, die sie so freigiebig wie ihre Liebe an Kinder und Enkel verschenkte.

Meine vor zwanzig Jahren verstorbene Oma hätte es vermutlich auch als Wunder betrachtet, wie harmonisch die Christen beider großen Konfessionen inzwischen miteinander leben können. 1904 geboren und in Mittelfranken aufgewachsen, verfügte sie über einen großen Schatz von Anekdoten, Beispielen und erlebten Geschichten, die von eiferndem Konfessionalismus handelten. Sie selbst durfte ihre erste große Liebe nicht heiraten, weil er das "falsche Gesangbuch" hatte. Und als dieser evangelische Freund sie am Tage der Priesterweihe ihres Cousins ins Kino einladen wollte, verbot es ihr Vater mit dem Hinweis, dies würde den Zorn Gottes über die Familie bringen.

Und alle, die unter der gegenwärtigen Gestalt ihrer Kirche leiden, würde Oma Lina mit dem Satz des seligen Benediktiner-Bruders Meinrad Eugster trösten: "Habt Geduld, alles geht vorbei. Nur die Ewigkeit bleibt." - "So ist es", seufzte Michael.

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