chrismon-Chef­redakteur Arnd Brummer
Sven Paustian
Der German Wings-Absturz führt uns vor Augen: Katastrophen sind Teil unserer Existenz.
Lena Uphoff
08.04.2015

Wie ist das möglich? Kann man so etwas denn nicht verhindern? Nach der Flugzeugkatastrophe mit 150 Todesopfern in den ­französischen Alpen am 24. März geisterten Fragen wie diese durch Wohnzimmer, Büros und alle Medien. Zuerst: Dieser Mist von Technik! Computergesteuerte Maschinen! Dann: Der Kopilot! Alleine! Geschlossene Türe! Psychisch krank!

In Zeiten der Not treibt die Verzweiflung die seltsamsten ­Blüten. Das war zu allen Zeiten so. Und es wird so bleiben. Hilf uns! – Die an die Adresse der Götter oder des einen Gottes gerichteten Notgebete bekunden die Ohnmacht angesichts des Entsetzlichen. Die Suche nach Schuldigen – verbunden mit der Bitte um himmlische Hilfe dabei – und die Frage, ob das Unglück nicht lehre, ähnlich Höllisches künftig vermeiden zu können, sind ­legitim. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass es das Wesen der Katastrophe ist, Menschen ihre irdische Unvollkommenheit vor Augen zu führen.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Ein (vermutlich erfundenes) Zitat Lenins geht mir durch den Kopf: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Lenins Schüler ­haben im real existierenden Sozialismus das Leitwort zu realisieren versucht. Einer der konsequen­testen Umsetzer dieser Haltung hieß Erich Mielke. Als im Januar 1990 Aktivisten der friedlichen Revolution die Ostberliner Zentrale der Staatssicherheit besetzten, trauten sie ihren Augen kaum. Mit der berüchtigten Perfektion deutscher Behörden­mentalität hatten Mielke und Co. versucht, jeden Winkel ihrer Gesellschaft auszukundschaften. Sie scheuten – wie im Falle der Vera Lengsfeld – nicht einmal davor zurück, Ehepartner zu ­informellen Mitarbeitern zu machen. Das Ergebnis: Die totale Kontrolle erstickte die sozialistische Welt. Und die Idee der Freiheit feierte einen Sieg.

Vom Flugzeugunglück in den totalitären Staat? Ist das nicht ein ziemlich seltsamer Pfad in diesen Notizen? Ja! Und: Nein! Totalitarismus kann auch ein medizinisches oder ein technologisches Gesicht haben. Als Sehnsucht nach mehr Sicherheit, nach Frieden und Freiheit von Gewalt und Tod, ist die Idee zu achten. Es ist aber auch nötig, vor ihrer vollständigen Realisierung zu warnen. Das Unglück in den französischen Alpen liefert einen wichtigen Hinweis für diese Warnung. Wenn die Tür zum Cockpit von ­innen so verriegelt war, dass der Chefpilot sie bei seiner Rückkehr nicht zu öffnen vermochte, lag das an den Erfahrungen mit dem ­massenmörderischen Terror am 11. September 2001. Nie wieder sollte es Tätern gelingen, in die Kanzel der Piloten einzudringen. Der Versuch, ein Risiko zu beseitigen, erzeugte ein anderes.

Die Menschen müssen Maß bleiben

Das Leben selbst ist ein „Wagnis“ – so lautet die Übersetzung des Wortes „Risiko“ ins Deutsche. Jede Tragödie, jedes Unglück sollte uns darauf hinweisen, dass es die andere Seite des Lebens gibt: Vertrauen wagen. Die millionenfache Zahl von Situationen, in denen man sich als Mensch vertrauensvoll in die Hände anderer begibt, ohne dass etwas schiefgeht. Busse, Straßenbahnen, Züge – und Flugzeuge. Ohne Vertrauen in Menschen oder menschlich produzierte Technik kann man nicht mal vor seinem Fernseher sitzen. Alles Vollständige, alles Totale und Perfekte ist und soll außer­irdisch bleiben. Übermenschlich wird unter irdischen Bedingungen unmenschlich. Die Menschen müssen Maß bleiben.

###autor###Gerade in dem Monat, da vor 70 Jahren der schrecklichste aller Kriege jenes System zerstörte, das den millionenfachen Massenmord an „Untermenschen“ praktizierte, sollte man sich dies vor Augen führen. „Wollt ihr den totalen Krieg?“, brüllte Joseph Goebbels in die Menge. „Jaaa!“, antwortete sein Publikum. Noch mal Goebbels: „Und wir gehen in ihn wie in einen Gottesdienst!“ Nach zwölf Jahren war das „Tausendjährige Reich“ am Ende – Gott sei Dank. Und die Retter? Verursachten 1945 die Atombombenexplosionen über Hiroshima und Nagasaki.

Fehler, Katastrophen, Unglücke sind Teile unserer Existenz. Ich plädiere dafür, einander zu vertrauen, zu unterstützen und nachsichtig zu sein. Sicherheit kann nur da wachsen, wo die Freiheit nicht im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode kommt.

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