Lena Uphoff
15.11.2010

Ich habe mich an dieser Stelle des Öfteren mit den Sprichwörtern beschäftigt, in denen die Lebensmaximen der Altvorderen auf uns und unsere Kinder kommen. Sie fallen mir leider immer gerade dann ein, wenn ich gegen sie verstoßen habe.

Jedes Ding an seinen Ort, spart viel Müh und böse Wort

Eine dieser Alltagsweisheiten, die mir beinahe täglich in den Sinn kommen, ist die schlichte Formel vom Nutzen der Ordnung: Jedes Ding an seinen Ort, spart viel Müh und böse Wort.

Nach dem Frühstück, wenn ich mich aufmache, ins Büro zu fahren, muss ich erst einmal die Gegenstände des täglichen Bedarfs einsammeln. Die Lesebrille. Wo ist die Lesebrille? Auf dem Nachttisch! Da ist sie nicht. Ohne Lesebrille kann ich nicht lesen. Wo­ist­die­Lesebrille?, murmle ich. Meine Frau: Was fragst du mich, woher soll ich wissen, wo deine Lesebrille ist? ­ Ich fage dich doch gar nicht, sage ich. Hast du sie gesehen? ­ "Wen soll ich gesehen haben?" ­ Na die Lesebrille! ­ "Du fragst mich also doch. Ich habe sie nicht gehabt, deine Lesebrille!" ­ Sag ich doch gar nicht. Aber du könntest sie gesehen haben. ­ "Im Flur habe ich eine Brille gesehen." Aber das ist nicht meine Lese-, sondern meine normale Brille. Die Lesebrille finde ich, kurz nachdem ich aufgegeben habe sie zu suchen, auf dem Klo.

Mein Portemonnaie. Wo ist das Portemonnaie? Ach hier, in der Küche. Das ging heute schnell. Als ich vom Bäcker zurückgekommen war, hatte ich es mit der Brötchentüte in der Küche abgelegt. Aber wo ist mein Schlüsselbund? Ich habe ihn diesmal leider nicht wie sonst mit dem Portemonnaie in der Küche gelassen. Auf dem Esstisch ist er auch nicht. "In deiner Jacke vielleicht", vermutet meine Frau. Fehlanzeige. Als ich die Taschen durchsuche, finde ich das Brillenputztuch und den Umschlag mit der Telefonrechnung. Wo ist mein Mobiltelefon? "Ich dachte, du suchst deinen Schlüsselbund", sagt mein Sohn irritiert. Auch, knurre ich genervt.

Wann hänge ich je meinen Schlüsselbund ans Schlüsselbrett!

"Jedes Ding an seinen Ort ...", doziert der Junge. Jaaa, ich weiß, fauche ich gereizt zurück. Das Telefon. Wo ist das Telefon? "Ich habe mir übrigens dein Ladegerät ausgeliehen, aber es passt nicht an meines", teilt meine Frau mit. Sehr nützlich! Und der Schlüsselbund? ­ "Hast du schon mal am Schlüsselbrett nachgesehen?" Da is'er sicher nicht. Wann hänge ich je meinen Schlüsselbund ans Schlüsselbrett!

In meiner Not, mehr aus Resignation als aus Überzeugung, tappe ich doch in den Flur, um nachzusehen. Nicht zu fassen, da hängt er tatsächlich! Ich bin ordentlicher, als ich geglaubt habe. Was auch auf das Handy zutrifft, das ich schließlich in meiner Aktentasche finde. Längst gewissenhaft verstaut. Ich wusste es nur nicht mehr.

So. Jetzt habe ich alles: Brille, Portemonnaie, Telefon, Schlüsselbund. Aber durch die hektische Sucherei bin ich völlig fertig und wieder mal spät dran. Und jetzt? Den Müll hätte ich fast vergessen; den wollte ich doch noch raustragen. "Das mache ich", spricht meine Frau erlösend, "schau, dass du jetzt fortkommst." Dafür muss ich sie einfach noch einmal in den Arm nehmen. Und tschüss! Als ich erschöpft, aber dankbar im Auto sitze, steht meine Frau in der Tür und schwenkt meine Aktentasche. Die hatte ich zu ihren Füßen abgestellt, als ich sie umarmte.

Neulich war alles anders. Nichts musste ich suchen. In wenigen Minuten war ich für den Bürotag gerüstet. Pfeifend marschierte ich zu meinem Parkplatz. Und doch: Irgendwie war mir dieser reibungslose Aufbruch nicht ganz geheuer. War ich zum Pedanten geworden? Ein penibler Spießer ­ jedes Ding an seinem Ort? Immer wieder verfiel ich an diesem Tag ins Grübeln. Auf dem Nachhauseweg wollte ich tanken. Dabei stellte ich fest, dass ich meine Brieftasche im Büro hatte liegen lassen. Alles in Ordnung. Ich bin ich. Wie war ich erleichtert.

 

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