Foto: Sven Paustian
Lena Uphoff
13.05.2011

Neulich traf ich Pit nach vielen Jahren wieder. Zufällig, an der Kasse im Baumarkt. Ich wusste gar nicht, dass wir in derselben Gegend leben. Wir erkannten einander sofort. Und da wir beide nicht in Eile waren, gingen wir einen Kaffee trinken. Als ich Pit kennenlernte, war er überzeugter Atheist und deklinierte den einen Satz des Philosophen Ludwig Feuerbach rauf und runter, wonach der Mensch Gott nach seinem Bilde geschaffen habe und nicht umgekehrt. Sobald Pit volljährig war, trat er aus der Kirche aus, wollte mit dem „Pfaffengeschwätz“ nichts mehr zu tun haben. Er studierte Architektur, engagierte sich für eine linke Splittergruppe und in der Friedensbewegung.

Wir trafen einander in Stuttgart, wo ich damals arbeitete, häufiger auf Festen, weil sich unsere Bekanntenkreise überschnitten. Und obwohl uns politisch wie religiös mehr trennte als vereinte, kamen wir gut miteinander aus. Manche mieden uns auf diesen Feten, weil wir, wie es einer meiner Kumpels formulierte, „nächte lang darüber stritten, wer Himmel und Erde erschaffen hat“. Als wir beide das Schwäbische hinter uns ließen, verloren wir einander aus den Augen.

„Na“, eröffnete Pit die Unterhaltung, „und jetzt arbeitest du also für die Firma Gott und Sohn, machst dieses Heft.“ Und er? Rentner, aber mit Leib und Seele Hobbywinzer mit einer kleinen Rebfläche vor den Toren von Mainz. Und immer noch „gottfrei“, wie er sich selbst früher bezeichnet hatte? „Klar, dass du das fragst. Eigentlich schon. Aber nachdem ich den Marxismus als Welt erklärung ad acta gelegt habe, fühle ich mich merkwürdig.“

Wir kamen auf Fukushima zu sprechen, auf Erdbeben und Flutwellen. Er runzelte die Stirn, senkte die Stimme und raunte mir zu: „Die gequälte Erde setzt sich zur Wehr, sie schlägt zurück!“ Also doch gläubig? „Nein, keine Spur!“ Warum redet er dann wie die Alten von der Erde als Wesen? Als wäre sie die geschundene Göttin – Gäa oder Demeter? Warum rückt er Erdbeben und Flutwellen in die Nähe „göttlicher Strafen“ vom Typ Sintflut?

Der Maßstab! Wie heißt der Maßstab? Sag es!

Er schweigt. Dann murmelt er: „Genau das frage ich mich auch. Ich suche eine Erklärung. Und dabei merke ich, dass ich ein religiöses Vokabular benutze, dass ich gar keine anderen Begriffe kenne.“ Noah und die Flut, der Turmbau von Babel, die Apokalypse. „Wie geht dir das, als frommem Bruder?“ Höre ich da Polemik? „Ein bisschen.“

Also gut: Ich glaube nicht an einen strafenden Gott. Ich halte es da mit dem evangelischen Theologen Friedrich Schleiermacher. Ich glaube an einen Gott, der wusste, was er tat, als er Menschen schuf. Er hat nicht zufällig fehlbaren Typen das Leben eingehaucht, die einen freien Willen haben, nach Erkenntnis streben und dabei alle möglichen Torheiten begehen. Und den größten Mist machen sie, wenn sie es gut meinen. Warum aber soll Gott sie dafür bestrafen, dass er sie so geschaffen hat? 

Gefiel ihm nicht, dem alten Streitfreund, gefiel ihm gar nicht. „Dann können wir ja machen, was wir wollen!“ Nein, es gibt Maßstäbe und die Fähigkeit, aus Fehlern und Sünden zu lernen, auch aus denen, die wir begehen, weil wir eigentlich etwas Gutes tun wollen. „Und wie heißt der Maßstab? Hä? Der heißt doch: Etwas ist gut, wenn es Gott gefällt. So sagt ihr das doch! Also ist es schlecht, wenn es ihm nicht gefällt! Und dann droht die Strafe.“

Ich wollte nicht ins Predigen kommen. Aber er ließ mich nicht gehen: „Was ist der Maßstab? Sag es!“ Der Maßstab Jesu Christi heißt: Menschenliebe. Ich sah ihn denken, denken und endlich lächeln: „Das hört sich einfach an, ist aber, wie du wahrscheinlich auch weißt, extrem schwer. Gnade Gott!“ Da fiel ich dem alten Pit ins Wort: Das ist übrigens das Wichtigste, was er da gerade gesagt hat: Bei jedem Fehler, den wir gemacht haben und den wir erkennen, dürfen wir auf die Gnade Gottes hoffen, der seine Geschöpfe liebt. Schweigen. „Hört sich gut an – aber ob ich so was glauben kann? Ich glaub nicht. Aber schön, dich mal wieder getroffen zu haben.“ Tschüss, Pit, viel Spaß im Weinberg! „Und die Gnade eines guten Jahrgangs!“ Genau.  

Das ist der unterirdischste Beitrag in Chrismon seit langer Zeit. Er ist schlichtweg nicht evangelisch - und damit auch nicht "christlich". Warum? Zum Beispiel weil bereits die Titelfrage eine falsche Antwort suggeriert. Die Annahme, Gott habe den Menschen als Sünder geschaffen, steht dem christlichen Bekenntnis diametral entgegen - vergleiche dazu gerne sämtliche altkirchlichen Bekenntnisse, die Bekenntnisschriften der Reformation oder - gleich ad fontes! - die Bibel selbst. Wer die Frage "Warum aber soll Gott sie dafür bestrafen, dass er sie so geschaffen hat?" nicht nur als rhetorischen Einstieg in eine viel komplexere Diskussion stellt und dabei ernsthaft Christ bleiben möchte, der sollte wenigstens die beispielhafte Entfaltung der mit dieser Frage angesprochenen Problematik, wie sie im Römerbrief überliefert ist, nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Oder doch zumindest erkennen lassen, dass er den Römerbrief schon einmal gelesen hat. Wer den Sündenbegriff lieber etwas philosophischer behandelt wissen möchte, weil ihm so viel biblische Fundierung schon suspekt ist, der darf auch gerne einmal mit den Begrifflichkeiten Essenz und Existenz, Sein und Entfremdung hantieren und beobachten, ob sich ein Paul Tillich bei einem solchen Fazit nicht heimlich im Grabe umdreht. Dabei geht es gar nicht einmal um eine definitive Beantwortung der Frage, ob Gott straft. Die könnte man ja immerhin noch so intelligent umformulieren, dass sie lautet: "Wie straft Gott eigentlich, wenn er überhaupt straft?" Es geht ganz einfach darum, dass evangelische Freiheit kein Freibrief dafür ist, sich mit den billigsten (nicht den einfachsten!) Antworten vor schwierigen Fragen zu drücken und damit im Grunde wieder billige Gnade in Anspruch nehmen zu wollen.
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Die Zeugungskraft bzw. die Hervorbringungskraft der göttlichen Schöpfung ist nicht nach den ersten sieben Tagen beendet, obwohl ich zunächst einmal demjenigen Recht geben muss, der vor mir seinen "geharnischten" Kommentar abgegeben hat. Die Schöpfung des ersten Menschen bezieht sich jedoch nicht nur auf den ersten Menschen, sondern vor allem auf das geistliche Prinzip, was dahinter steht, d.h. es ist erst der Heilige Geist, der diesen Adam zum vollkommenen Menschen macht und zwar ohne den freien Willen Adams, da sich jener nicht selbst des Heiligen Geistes bemächtigen konnte. Daneben wäre zu fragen, ob Eva auch ein vollkommener Mensch gewesen sein könnte, was aber nicht der Fall war, da sie nicht von dem Heiligen Geist "gegessen" hat. In diesem Fall ist nun zweitrangig, ob Eva als Frau sündigte. Aus diesem Grund stellt sich die Frage an den Begriff der Sünde, was er im Groben und Ganzen enthält. Dies könnte man so beantworten, indem man formuliert, dass die Menschen nach Adam, aber zusammen mit Eva, nicht mit dem Heiligen Geist bedacht wurden, so dass die für diesen Artikel eingangs gestellte Frage durchaus falsch gestellt ist, weil der Fragesteller nach einem "Warum" fragt und nicht nach einem "Wann". Denn diese Frage ist wesentlicher, sofern es einem auffallen möge, dass sogar alle Kinder von Gott kommen und nicht durch die menschliche Zeugung im Geschlechtsakt. Wann soll also Gott seine Geschöpfe bestrafen, die er als Sünder geschaffen hat ? Diese Frage impliziert daher nachhaltig die Eigenschaft des Menschen nach dem so genannten Sündenfall Evas, an dem Adam beteiligt war, weil er sich Eva anhängte. Die Eigenschaft jedes weiteren Menschen bestimmt sich nunmehr nach dem so genannten Sündenfall, indem der Makel der Ursünde, nicht mehr mit dem Heiligen Geist von Gott bedacht worden zu sein, jetzt auf alle anderen Menschen fällt, die sich nun aufgrund ihrer von Gott gegebenen, innewohnenden Bestimmung, sich durch die bereits von Gott geschaffenene Zeugungskraft bzw. durch die von Gott geschaffenene Hervorbringungskraft fortzupflanzen, weiterhin Teilhaber der göttlichen Schöpfung bleiben, indem der Vermehrungsprozess des "irdischen" Menschen trotzdem vorangetrieben wurde, ohne dass es zugleich auch zu einer Vermehrung des "geistlichen" Menschen kam. In diesem Sinne scheint der Autor mit dem Titel des Artikel erst einmal darauf hinweisen zu wollen, dass auch die nach dem Sündenfall geschaffenen Menschen ein Werk Gottes sind, obwohl sie Sünder sind. Erst danach sollte man zur Frage gelangen, warum Gott seine Geschöpfe bestraft, die er als Sünder geschaffen hat. Die Gnade Gottes bezieht sich dann danach, wenn Menschen wieder mit dem Heiligen Geist bedacht werden, indem sie erkennen, dass sie aus der Sicht Gottes erlösungsbedürftig sind und deshalb auch nach einem Retter suchen. Diesen Retter dürfen jetzt die an Jesus Christus gläubig gewordenen Menschen entdecken und annehmen, indem sie bemerken, dass Gott seine Geschöpfe letztendlich doch alle bestraft, die er nicht mit dem Heiligen Geist bedacht hat. Der gläubige Christ weiß daher, dass er, obwohl er ein Sünder ist, nicht in die Bestrafung Gottes hineinkommt, weil nämlich seine Strafe Gott selbst übernommen hat, indem er eben seinen Sohn Jesus Christus dazu bestimmt und gesandt hat, die Bestrafung aller Menschen auf sich zu nehmen. Da dieses Stellvertretungsmerkmal aber nicht wirklich allen Menschen zukommt, weil nun einmal nicht alle Menschen wirklich an Jesus Christus gläubig sind, so fällt dennoch nicht das tatsächliche Strafmass mit dem von Gott eigentlich geplanten Strafmass auseinander, denn es gilt bei aller Berücksichtigung von theologischen Aspekten zu erkennen, dass es Gott ist, der den Glauben und den Heiligen Geist nicht nach Maß gibt, sondern nach Gnade. Aus diesem Grunde müsste die im Titel gestellte Frage dahingehend erweitert werden, indem gefragt wird, warum Gott seine Geschöpe nicht bestrafen soll, die er als Sünder geschaffen hat. Oliver Rau
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Immer wenn ich solche Artikel unter dem Begriff "evangelisch" lese, weiß ich einmal mehr, wie richtig es war, die evangelische Kirche zu verlassen. Denn so etwas hat mit evangelischem Glaube gar nichts mehr zu tun.
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Zitat aus dem Artikel: "Bei jedem Fehler, den wir gemacht haben und den wir erkennen, dürfen wir auf die Gnade Gottes hoffen, der seine Geschöpfe liebt." ------------------------ Dann ist der Herr Pit aus der Geschichte auf goldrichtigem Weg. In jungen Jahren leistet er sich manch hässlichen Fehler. Er ist Atheist und tritt aus der Kirche aus. Schlimm genug, aber er treibt es noch bunter. Er tummelt sich bei einer linken Splittergruppe herum, statt anständiges SPD-Mitglied zu werden oder sich beim Arbeitnehmerflügel der CDU zu engagieren. ------------------------ Doch mit zunehmendem Alter erkennt er die Sündhaftigkeit seines Treibens. Zumindest den Marxismus wirft er über Bord. Diesen löblichen Sinneswandel belohnt Gott "mit einer kleinen Rebfläche vor den Toren von Mainz". Das sollen sich mal alle die hinter die Ohren schreiben, die meinen, Gott hätte irgend etwas mit Strafen am Hut. ------------------------ Zitat: "Ich glaube an einen Gott, der wusste, was er tat, als er Menschen schuf." Ich mutmaße, Gott wusste, als er Herrn Pit schuf, dass aus dem doch noch mal was Leidliches werden könnte.
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Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich staune immer wieder über die Wandlungsfähigkeit gerade der evangelischen Kirche und ihrer Vertreter. Seit Jahrhunderten hat die Kirche ihre Gläubigen mit der Angst vor dem höchsten Gericht bei der Stange gehalten. Himmel und Hölle. Der Mensch konnte entscheiden, ob er ein "guter Christ" sein oder als unverbesserlicher Sünder der "ewigen Verdammnis" ausgeliefert sein wollte. Wer - wie ich - in einem Kirchenchor mitsingt,  kann davon - im wahrsten Sinne des Wortes - ein Lied singen.

 

Und nun - es gibt nur noch den liebenden Gott. Und der "alte Atheist", der schon immer Probleme damit hatte, dass es eine Instanz geben soll, die den Menschen dafür im Jenseits auch noch bestraft, dass er hier auf Erden - bedingt durch Anlage und Umwelt - ein verpfuschtes und "sündiges Leben" hatte, sieht plötzlich ganz alt aus.

 

Der Artikel von Herrn Brummer sind zwar gut geschrieben; verstecken aber mit ihrem verbindlichen Stil eine ganz schön dicke - unchristliche - Portion Überheblichkeit gegenüber Andersdenkenden.

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr.Olaf Hofmann

Der Mann hat Recht.

Letztlich bleibt als Kernaussage nur noch die christliche Menschenfreundlichkeit als Alleinstellungsmerkmal. Auch ist die Angst vor dem Jenseits für alle Religionen eine unverzichtbare systemimmanente Voraussetzung. Ohne die Angst keine folgsamen Schäfchen. Für mich ist der Ausgangstext eine hilflose Verschwurbelung von Versatzstücken. Die Pit’s der Welt sind so nicht zu erreichen. Die Demontage der Kirche nimmt ihren Weg.

Neuerdings wird ja angeblich auch in der Kirche darüber diskutiert, ob man nicht das AT wegen den Gewalttätigkeiten in die Ablage versenken sollte. Kann man machen. Man kann man sich so der eigenen Basis entledigen. Man kann man so religiösen Suizid begehen. Gäbe es die Bedeutung des AT nicht mehr, gäbe es auch keine ernst zu nehmenden Prophezeiungen. Was bliebe dann noch übrig? Noch mehr Beliebigkeit? Selbst unser Gottverständnis und die Schöpfung wären abgelegt. Außerdem hat sich Jesus ja immer wieder auf das AT als Basis, Rechtfertigung und gültiges Geschichtsbuch berufen. Mit der Ablage des AT wäre dann ja auch Jesus seines Ursprungs oder doch zumindest seiner göttlichen Berechtigung beraubt. Nur weiter so. Der IS wartet nur darauf.

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Der französische Philosoph Louis Cattiaux (1904–1953), “Die Wiedergefundene Botschaft” (Herder, 2010, S.340), schreibt: «Alle Gelegenheiten zu hören und zu glauben, zu sehen und zu berühren, werden jedem gegeben worden sein, damit sich beim Jüngsten Gericht keine Beschwerde erhebe».

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