Arnd Brummer, was ich notiert habe
Arnd Brummer ist Chefredakteur von chrismon
Foto: Sven Paustian
Redet und schreibt endlich Klartext!
"-ung" statt Verben, Passiv statt Aktiv. Arnd Brummer ist genervt von der Verwaltungs- und Wissenschaftssprache
Lena Uphoff
09.10.2016

Die Verwirklichung der Durchführung der Vollendung der Niederschrift des sich aus einem Anhören einer Vorlesung in dem intellektuellen Wahrnehmen des potenziellen Autors ergebenden Sachverhalts bzw. seiner Überlegungen sind Gegenstand dieser Darlegung. Auf Deutsch: Ich schreibe darüber, dass mich die Substantivierung in Reden deutscher Wissenschaftler nervt. Offenbar sind angehäufte „-ung-Wörter“, Passive und Partizipialkonstruktionen Hinweise auf eine sachliche Behandlung des Stoffes.

Das „Ich“ ist blanke Sünde. Es ist Subjekt. Objektiv sein! Das ist Kern und Sinn der Wissenschaft! Abstraktion statt konkreter Aussage. Da habe ich nichts dagegen. Nur: Das kann „man“ auch einfach formulieren.

Hunde haben immer Hunger. Wenn es was zu fressen gibt, schnappen sie zu. Wölfe in der Wildnis mussten so sein, um am Leben zu bleiben. Und ihre haustierischen Nachkommen haben das noch im Gemüt. Mein Hund kann nach leer gefressener ­Schale sofort wieder hungrig aussehen. Für Herrchen und Frauchen heißt das: Seid vorsichtig, reagiert nicht auf jeden Bettelblick aus braunen Dackelaugen! Und so formuliert das ein Biologe: „Übermäßiges Belohnen mit Leckerlis zwischen den Fütterungszeiten kann zu einer Energieüberversorgung ­führen.“ Ach, du dicker Hund!

Die Kunst der Abstraktion

„Die Zwangsläufigkeit der gestiegenen Wahrscheinlichkeit eines Erkrankungsrisikos kann also auch unter der Realbedingung gelebter Tierfreundlichkeit im Sinne einer Energieüberversorgung nicht außer Acht gelassen werden.“

Die Entmenschlichung geschriebener Texte hat in Deutschland nicht nur in der Wissenschaft Tradition. Sie ist gleichzeitig ein Ausweis dessen, was unsere Kultur dem Erdkreis geschenkt hat: die behördliche Verwaltung. Die Kunst der Abstraktion soll eigentlich den Eindruck vermitteln, dass Vorschläge, Anordnungen – oder Befehle – für alle gelten. Ohne Ansehen der Person.

Während der Umsetzung der Verschriftlichung dieser Notizen fiel mir ein, dass mir schon vor ein paar Jahren ein Text begegnet ist, der den breiten Fluss zwischen Anspruch und Wirklichkeit in allergrößter sprachlicher Neutralität zu überqueren suchte. Ich kramte in meiner Schreibtischschublade. Und siehe, in all dem Chaos fand ich den obskuren Text wieder: eine „Arbeitshilfe ­für Pflegekräfte in Altenheimen“. Aufgabe: Pflegerinnen und ­Pfleger zu beraten, wie sie Sterbende am besten begleiten.

"Eine Koordination der Umsetzung der Durchführung..."

Und ­das las sich dann so: „Eine Koordination zur Umsetzung der ,Vernetzten Sterbebegleitung‘ in einer Einrichtung muss die Um­setzung der...Anforderungen im Auge behalten. Hierbei sind räumliche Voraussetzungen zur Gestaltung der Abschieds­kultur zu schaffen. Dazu müssen...Handlungsstrategien zur Um­setzung für die jeweilige Einrichtung erstellt werden.“

Leute, hört auf! Redet Klartext! Das hat im Übrigen schon vor 500 Jahren der 2017 groß gefeierte Martin Luther gefordert: Wer redet und schreibt, muss das so tun, dass die Leute ihn verstehen. Die Autoren sollen deshalb „dem Volk aufs Maul schauen!“ Wer die Zugänge eng macht oder gar verstopft, will seinem Publikum keinen Dienst erweisen, will nicht dienen, sondern ist im wahrsten Sinne des Wortes überheblich: Wenn du nicht begreifst, was ich meine, bist du selbst schuld. Wahrscheinlich hast du nicht genügend gelernt, bist ungebildet und somit einfach nicht gut genug, mich und meine klugen Erkenntnisse zu verstehen.

Ich klage die Schreiber aus Wissenschaft und Verwaltung an! Sie sind feige. Sie verstecken sich hinter Hauptwort-Ungeheuern, Passiven und Infinitiven. Auslöser dieser Notizen war ein Vortrag über Wirtschaft. Der Redner wollte die Politiker auffordern, dafür zu sorgen, dass Rentner und Arbeitslose anständig leben ­können. Renten und Arbeitslosengeld dürften nicht weiter sinken. Er ­formulierte, es gelte „die Zwänge der Knappheitsbewältigung“ zu akzeptieren. Andererseits sei die „Kreislaufhaftigkeit“ solcher Leistungen wahrzunehmen. Deutsch: Wenn Rentner und arme Leute genügend zum Leben haben, fließt ein Teil ihres Geldes ­zurück in die Wirtschaft, weil sie Essen, Kopfkissen und Fern­seher kaufen können. Aber so darf man das als Ökonom natürlich nicht sagen. Zumindest nicht am Rednerpult.

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Sehr geehrter Herr Brummer, Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Ich bin Biologe, wenn auch ein sehr alter (73 Jahre) und aboniere noch relativ viele naturwissenschaftliche Zeitschriften. Der Sprachstil, der sich dort eingebürgert hat - substantivierter, partizipierender Stil - ist einfach katastrophal, insbesondere die Zusammenfassungen sind unleserlich. Spitzenreiter ist das Journal for Ornithologie - die deutschen Zusammenfassung ist einfach unverständlich. Vielen Dank für den Bericht.
Walter Bednarek - ich habe auch mal ein Buch geschrieben und bin bis heute meinem Lektor dankbar, wie er mich korrigiert hat, denn ich habe viele Komplimente für den angenehm lesbaren Stil - nicht mein Verdienst - bekommen.

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Lieber Herr Brummer,

mit Ihrer Kolumne „Redet und schreibt endlich Klartext!“ in der letzten Ausgabe von Chrismon sprechen Sie mir aus dem Herzen. Ich bin emeritierter evang. Pfarrer der rheinischen Kirche, und da ich aus dem Saarland stamme, habe ich seit meiner Kindheit durch den dort üblichen Dialekt gelernt, nach Möglichkeit Hauptwörter zu vermeiden und stattdessen Zeitwörter anzuwenden. Das führt dann zu einer lebendigen Ausdrucksweise, (was für die Predigt nicht von Nachteil war!). Nach diesem Prinzip habe ich nach meiner Pensionierung z.B. die vier Evangelien in die saarländische Mundart übersetzt, und zwar, um nur ja nicht auf eine verführerische akademische Ausdrucksweise zu verfallen, ausschließlich den griechischen Urtext als Vorlage genommen. (Das Ergebnis finden Sie in meinem Buch „Em Zimmermanns Jupp sei Äldschder“.) Eindeutiger wird es bei der Übersetzung der 10 Gebote ins Saarländische und Ruhrdeutsche, wo der Verlag (der inzwischen aufgelöste Medienverband der EKiR) unbedingt den Titel „Wegweiser“ durchsetzen wollte. Ich habe mich mit Erfolg gewehrt: Mein saarländisches Heftchen heißt „Wo’s lang geht“, und meine Ruhrgebietsauflage trägt den Titel „Wat Sache is“. Ganz in Ihrem Sinne …

 

Herzlich grüßt

Walther Henßen

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"Während der Umsetzung der Verschriftlichung..." Glashaus? Steine? Weil Kirchens ja genauso texten, ist unser aller Sprachpapst -in der Konfession der Profitexter- ja auch kein Pfarrer mehr, sondern ein agnostischer Konservativer Schneider. Die Totholz-Verlautbarungen der EKD sind nur noch Futter für die Altpapier-Tonne und die Gottesdienste leer. Aber es ist ja immer der Theo in uns Allen, gell?

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Als ich die Überschrift las, habe ich an den Brief von H. von Hirschhausen gedacht. Weit gefehlt. Zwar ist Herrn Brummer zuzustimmen aber auch dem Umkehrschluß bezüglich der Religionssprache. Dann lautet die Forderung: "Konkrete Aussagen statt Abstraktion". Da es aber im Glauben nicht um Wissenschaft, wohl aber in Teilen auch um eine Abstraktion des Irdischen gehen kann, ist KONKRET leider häufig zuviel verlangt. Aber auch ganz richtig: "Leute hört auf! Redet Klartext"! Luther fordert: "Wer redet und schreibt, muss das so tun, dass die Leute ihn verstehen". Sehr schön im Text von H. Brummer das Eingeständnis: "Wenn Du nicht begreifst, was ich meine, bist Du selbst schuld". Ehrlicher, wenn es so gemeint ist, kann man in Anbetracht der Forderung von Fr. Käßmann und des Briefes von H. v. Hirschhausen, dass die Sprache in der Kirche wieder näher bei den Menschen und den Problemen sein soll, nicht sein. Ich klage auch die Kanzeln an, dass sie wieder konkreter, wieder präziser und befreit von belastenden politischen Idealen, hinter denen die eigenen belanglos erscheinen, sein sollen.

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Sehr geehrter Herr Arnd Brummer,

meinen Dank zu Ihrem Aufruf, Hauptwörter und Substantivierungen zu lassen! Mich erinnert er an meine Berliner und Heidelberger Studentenzeit, als ´ Hermeneutiker ` bei der Übersetzung alter Sprachen schon früh nach 1945 und im Gefolge Heideggers darauf verwiesen , sprachlich-verbale Formate zu wählen.

Zwei Theologieprofessoren stritten z.B. darüber, was eine Katze ausmache. Der eine versteifte sich auf die These: ´ Das hermeneutische Prinzip für die Katze sei eine Maus. ` Da werde im Zusammmenhang deutlich, was eine Katze eigentlich sei . - Sein Kontrahent meinte darauf hin: ´ Ein Schälchen Milch tut´s auch! ` Gemeinsam nach 1945 aber hatten sie die Steigerungen im ´ Wörterbuch eines Unmenschen ` gerade hinter sich ( vgl. NSDAP - SS - OK der Wehrmacht , später STASI - Vopo und noch später z.B. die VIP´s ) . Die ´ Entmenschlichung ` geschriebener und gesprochener Wörter im Kürzel sollte bei scheinbarer Neutralität zugleich geheimnisvoll und bedrohlich wirken .

Bei Heidegger war es zuvor schon der Wunsch , sich aus den Wurzeln seiner römischen Geschichte zu befreien. Leider - und nicht nur in der Wirtschaft und Wissenschaft - gibt es zu den von Arnd Brummer genannten Blüten auch bei Kirchens immer noch solche Sprachungetüme . Das Bayerisch Münzkontor gab z.B. eine Medaillen-Sammlung zur Bibel heraus. Einzelne Prägungen lauten: "Erschaffung Adams"; " Die Findung Mosis ; "Kreuztragung Christi "; " Beweinung Christi " .

Die Frage ist , als tradiere sich auf die Weise eine dogmatische Gehorsams-Moral römischer Legionen : ´ Im Gleichschritt - Marsch ` .

Diese Legionen erschufen in großer Stosskraft ein Weltreich XXL ( s. "Arte" ) . Doch kannten sie kaum den Dialog einer hellenistischen Ethik . Bei Paulus sind das die ´ sich widerstreitenden Gedanken ` ( Syneidesis ) , die etwas riskieren und dabei auch schuldig werden können . In der Bergpredigt war es gegenüber den Gesetzeslehrern jenes kontra-punktische : ´Ich aber sage euch ` !

In dem Sinn paßt dieser Chrismon-Aufruf ins Jahr der 95 Thesen , die im reformatorischen Abwägen zur ´Disputation` aufriefen und weniger zum Erhalt von Systemen .

Dafür also meinen Dank , Paul H. Kroh

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Wir scheinen alle, die wir hier schreiben, Hinz wie Kunz, Groß wie Klein, Christ oder Nicht, Autor , Schreiber usw. , eines gemeinsam zu haben, nämlich die Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung. Ganz gleich, was wir auch tun, es ist nie genug. Und wird es bleiben.
Ich danke Ihnen herzlich, dass ich wenigstens hier einmal die Wahrheit sagen darf.
Dann und wann, ist es wichtig. Oh, ja !
Hier noch eine kleine Geschichte von Robert Walser zum Besten :
"Der Hanswurst "
"Da ist einer, sie nennen ihn Hanswurst, weil er so ein dummer Mensch ist, der zu nichts Rechtem zu gebrauchen ist. Ich kenne ihn wohl, den liederlichen, unklugen Burschen. Es ist mir im Leben noch keiner begegnet, zu dem ich rascher hätte sagen mögen : > Du bist ein Schelm < , und keiner, der mich mehr nötigte, über ihn zu lachen. Wenn dumme und ungesunde Einfälle Zinsen eintragen, so gehört er zu den reichen Leuten, aber die Wahrheit ist: er ist arm wie eine Spitzmaus. Ein Sperling hat nicht so wenig Aussicht, es in der Welt zu etwas zu bringen, als er, und dennoch kennt er nur Fröhlichkeit, und es ist mir noch nie gegönnt gewesen, einen Zug von Unlust in seinem Spitzbubengesicht zu entdecken. Einmal wollte ihn jemand befördern, Hanswusrt aber ergriff die Flucht vor der Beförderung, als wenn es ein Unheil sei; so dumm benahm er sich im wichtigsten Moment seines Lebens. Er ist und bleibt ein Kind, ein Dummkopf, der das Bedeutende vom Unbedeutenden, das Schätzenswerte vom Wertlosen nicht zu unterscheiden vermag. Oder sollte er am Ende klüger sein, als er selber ahnt, sollte er mehr Witz haben, als er selber fähig ist zu verantworten ? Liebe Frage , ich bitte dich, bleibe hübsch unbeantwortet. Hanswurst ist jedenfalls glücklich in seiner Haut. Eine Zukunft hat er nicht, aber er begehrt auch gar nicht, etwas derartiges zu haben. Was soll aus ihm werden ? Bete doch einer für ihn ! Er selber ist zu dumm dazu. "

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