Foto: Elias Hassos
Die Trauer darf nicht mit einer Lüge beginnen. Über einen Selbstmord, einen Suizid, muss man in der Familie reden
20.09.2012

Wir waren noch Studenten, da fiel uns auf, dass wir einen von uns schon länger nicht mehr gesehen hatten. Besonders beliebt war er nicht, immer ein bisschen schrullig und zu oft in die Falsche verliebt, manchmal sogar etwas aufdringlich. Ein Kommilitone brachte dann die schreckliche Nachricht: Er hat sich umgebracht.

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Susanne Breit-Keßler im chrismon-Gespräch über den Selbstmord und was man dazu bei der Beerdigung auf keinen Fall verschweigen sollte

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Mehr erfuhren wir nicht. Ein Selbstmord, oft zurückhalten­der als Suizid bezeichnet, ist nichts, worüber Menschen gerne sprechen – vor allem nicht die Angehörigen. Wenn sich jemand das Leben genommen hat, dann sind Familie und Freunde fassungslos und entsetzt. Warum hat er oder sie das getan? Und ganz schnell stellen sich Schuldgefühle ein: Habe ich nicht genau hingeschaut und hingehört? Haben wir uns zu wenig gekümmert? Hätte ich den Suizid verhindern können?

Kein Thema zum Tratschen

Scham stellt sich ein, es ist einem peinlich, dass „so etwas“ in der eigenen Familie passiert. Bei Gesprächen mit Trauernden ­habe ich es schon manches Mal erlebt, dass die Familie zunächst darum bat, die Selbsttötung der Tochter oder des Ehemannes im Gottesdienst bloß nicht zu thematisieren. Nur lange und intensive Begegnungen konnten sie überzeugen, dass Schweigen nichts besser macht – im Gegenteil. Die Art und Weise, wie ein Mensch aus dem Leben geschieden ist, zumal wenn er es „freiwillig“ getan hat, ist wichtig für das Abschiednehmen, für die Trauer. Wer mit Schweigen oder einer Lüge beginnt, dem fällt es schwerer, als wenn er sich der Wahrheit stellt. Besonders wichtig für diese Trauerarbeit ist ihr eigentlicher Beginn, die Beerdigung – wenn bei ihr gelogen wird, bleibt meist eine Zentnerlast zurück.

Natürlich muss man nicht jedem jedes Detail auf die Nase ­binden. Es gibt eine voyeuristische Neugier, die unbefriedigt bleiben soll. Ein Suizid ist kein Thema für Klatsch und Tratsch. Aber diejenigen, die ehrlich mit einem trauern, sollten wissen, was passiert ist. Dann kann man sich nämlich sein Entsetzen und Elend offen und ehrlich von der Seele reden oder schreien, kann zornig werden, wütend, kann sich gegenseitig in seiner Wahr­nehmung bestätigen und hinterfragen, Szenen mit dem Verstorbenen erinnern und wiederholen. Das alles hilft, um den Suizid irgendwann, oft erst nach Jahren, in das eigene Leben einiger­maßen zu integrieren – auch wenn letztlich nie ganz klar sein wird, warum ein Mensch auf sein Leben verzichtet hat und keinen anderen Ausweg gesehen hat, als sich selbst zu töten.

Was vor allem hilft, ist da sein

Wem vertrauensvoll Anteil gegeben wird an einer so dramatischen Lebensgeschichte, der sollte vor allem zuhören können – und keinesfalls den Suizid kommentieren und bewerten. Schon gar nicht abschätzig oder leichtfertig, unbedacht sich äußern: „Das hätte sie doch wirklich nicht tun müssen, da hätte es sicher Wege gegeben!“ Oder: „Er hat es eigentlich ganz gut gehabt...“ Nachträgliche Werturteile oder viel zu spät aufgemachte Alter­nativen helfen niemandem – denn der Mensch hat eben keine andere Möglichkeit für sich gesehen, so traurig und schmerzlich das auch ist. Was jetzt nur noch hilft, ist, für die Hinterbliebenen da zu sein, ihre Verzweiflung und ihre Fragen zu teilen, mit ihnen nach Antworten zu suchen, wenn es sie denn gibt.

Im Alten Testament heißt es von denen, die gegangen sind: „Aber ich will sie aus dem Totenreich erlösen und vom Tode erretten.“ Das ist Gottes Sache. Die Aufgabe von uns Überlebenden ist es, mit seiner Hilfe tapfer die ersten Schritte in ein Leben ohne den oder die Verstorbene zu gehen – und andere dabei liebevoll zu begleiten.

Ein Suizid bleibt oft ein Familiengeheimnis. Aber was sind
die ­Folgen? Schreiben Sie einen Kommentar, diskutieren Sie mit.

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Den Tod eines Familienmitglieds habe ich in einer extremen Situation mit drei Kleinkindern und dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes während des Erziehungsurlaubs erlebt. Ich hatte deshalb keine Zeit zur Trauer, da es galt die Existenz zu sichern und drei Kinder auf zu ziehen und den Nachlass zu regeln.
Die Person wurde im Freien tot aufgefunden. Ich habe den Obduktionsbericht umgehend angefordert. Die Todesursache konnte damit festgestellt werden. Die Frage ob das Leben freiwillig oder durch Unfall beendet wurde, ging daraus nicht hervor. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich das mangels Zeit nicht klären.
Meine Familie wählte sofort für Außenstehende die Unfallvariante und im kleinsten Kreis ging es um Freitod oder nicht.

Nach weit mehr als 10 Jahren hatte ich Zeit, mich mit diesem Tod auseinander zu setzen.
Unterstützung fand ich bei einer Beratungsstelle der evangelischen Kirche. Es ging um Freitod oder nicht. Aus der damaligen Lebenssituation – Scheidungsstress bis zum geht nicht mehr und Kindesunterhalt – und dem Fundort der Person und der Obduktion war für mich in guten 10 Minuten klar, dass es Freitod war. Die Erkenntnis war auch nach so vielen Jahren umwerfend.
Mein Partner war keine Hilfe, sondern hat die Belastung noch verstärkt, dadurch, dass angeblich aus Geldmangel Haushaltsgegenstände genutzt werden mußten.

Ich habe dann die letzten Fotos für mich nachgemacht, alle Gegenstände dieser Person aus meinem Haushalt entfernt und einige Dinge in eine eigene Schachtel verpackt, jedem meiner Kinder ein Andenken gegeben.

Die Folgen sind:
der fehlende Abschied: Geht ein Kind ohne Gruß weg, finde ich das nicht gut.
Ich mache mir schnell Sorgen, wenn ein Kind sich längere Zeit nicht meldet.
Wenn ich weniger Stress mit Dienst und Kindern gehabt hätte, hätte ich den Ort rechtzeitig gefunden.
Um die Person zu retten, hätte das Umfeld geändert werden müssen.
Bestimmte Gerüche stören mich sehr.
Personen, die nach dem Todesfall zu Bekannten wurden, wußten nichts davon. Das halbwaise Kind wird mit Namen und als Verwandter von mir vorgestellt. Meine Kinder sagen klar wer das andere Kind ist.
Dieses Kind betreibt gelegentlich extremen Sport.
Der Vater des Kindes, ein Vertreter der Staatsgewalt, gilt mit seinem unendlichen Streit als Ursache.
Meine alten Eltern schließen sich ein, seit die Polizei unbefugt deren Wohnung öffnete und meine Mutter zu Tode erschreckten, um die Nachricht zu überbringen und wurden beide krank.
Meinen Kindern eine Scheidung zu ersparen, was bei einem gewalttätigen Partner nicht gelungen ist.
Es gibt viele Scheidungstraumata und Suizid und das ist Verzweiflung.
Ein Mensch fehlt immer.
Trauer braucht Zeit und Raum und auf keinen Fall Verspätung und Verdrängung.
Ich hatte zwei Personen, die teilweise etwas waren, was die andere Person ausmachte.
Rund um den Jahrestag haben alle Betroffenen keinen Kontakt, aber dennoch weiss jeder wie es dem anderen geht.
Der Todesfall stellte auch eine Zäsur dar zwischen Bekannten vorher und nachher.
Meine Kinder sind durch den Tod und den drohenden Arbeitsplatzverlust gleichzeitig betroffen.
Neben Fakten gilt es immer auch soft skills zu beachten.

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Liebe Frau Breit-Kessler,

es ist doch so, dass das Schweigen vorher in den meisten Fällen zu einem Selbstmord geführt hat. Der Selbstmord ist doch oft nur der letzte Möglichkeit, die Mauer des Schweigens endlich zu durchbrechen. Der ultimative Versuch, sich endlich mitteilen zu können. Das, was Sie als "Scham" der Hinterbliebenen bezeichnen ist in meinen Augen doch nur die Verleugnung von Verantwortung, ein Zudecken und Verstecken von Schuldgefühlen. Jemand, der sich dafür schämt, den lässt man doch in Ruhe. Man will ihn ja nicht "blosstellen". So kann er sich aus der Verantwortung stehlen.

So etwas verhindern kann man eigentlich nur durch vorher "zuhören wollen". Das Gefühl erleben zu dürfen, doch nicht ganz alleine zu sein. Aber oft sind selbst nahe Freunde nicht bereit oder auch unfähig, Probleme des Gegenübers auch als solche anzunehmen.
Leider haben die meisten Selbstmörder vorher kein Ohr gefunden, bei dem sie ihr Elend und ihr Entsetzen von der Seele hätten reden können, weil sie oft trotz verzweifelter Suche keines gefunden haben.

Ich will Ihnen dazu meine Geschichte erzählen:

Selbstmordgedanken

Ich war in der 6. Klasse, als ich ziemlich konkret an einen Selbstmord gedacht habe. Meine Mutter beschimpfte und schlug und misshandelte mich. Mein Vater peitschte mich mit dem Ledergürtel aus, wenn meine Mutter es verlangte. Meine Schwestern schlossen mich aus ihrer Gemeinschaft aus oder hänselten mich. Niemanden konnte ich irgendetwas recht machen. Ich hatte niemanden auf dieser Welt, dem ich mein Leid klagen konnte, bei dem ich mich mal ausweinen konnte. Alles Schreckliche, was mir passierte, musste ich runterschlucken, in mir vergraben und mit mir rumtragen. Ich war so völlig allein, so absolut einsam und total verloren auf dieser Welt. Das Leben war für mich einfach unerträglich geworden. Wenn ich im tiefsten Winter abends vom täglichen Milch holen auf dem Heimweg war, habe ich bei klarem Himmel die Sterne gesehen und eine Ahnung von der Unendlichkeit des Weltalls bekommen. Dabei habe mich manchmal gefragt, was ich denn wohl in einem früheren Leben verbrochen habe, dass ich jetzt in so einem friedlosen, freudlosen und lieblosen Leben leben musste, warum mir so ein Schicksal zugedacht war. Warum mich niemand, aber auch wirklich gar niemand, wenigstens nur ein ganz kleines Bisschen gern hatte. Zuhause wartete zwar eine physisch warme Wohnung auf mich, aber auch eine emotionale Eiseskälte, angereichert mit der nackten, rohen und zügellosen Brutalität meiner Mutter. So bin ich selbst an sehr kalten Wintertagen immer langsamer geworden, je mehr ich mich dem Zuhause näherte. Ich wollte einfach den Zeitpunkt hinauszögern, an dem ich wieder mich in diese emotionale Eiseskälte begeben und gleichzeitig all meine Gefühle und Gedanken vor dieser so feindlichen und gnadenlosen Umgebung verbergen musste.

Mehrere Wochen habe ich mich mit dem Gedanken an einem Selbstmord beschäftigt und war auf der Suche nach einer möglichst schnellen und schmerzfreien Art, dieser Qual, die mein Leben bedeutete, ein Ende zu machen. Mich vor einen Lastwagen zu werfen erschien mir eine sehr schnelle und plausible Methode. Was Schmerzen bedeuteten, wusste ich ja durch die jahrelangen Misshandlungen, denen ich ausgesetzt war. Die Steigerungen waren Ohrfeigen, Schläge mit der Hand, Kochlöffel, Ledergürtel, Besenstiel. Jedes Mal waren die Schmerzen größer und schlimmer. Deswegen waren die ein bis zwei Sekunden, die bis zum Eintritt des Todes unter einem Lastwagen vergingen, für mich ein großes Problem. Das mussten ja viel größere Schmerzen sein als ich bisher ausgesetzt war. Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Anderseits habe ich mir gedacht: Das sind doch nur Sekunden und dann ist es vorbei. So bin ich öfters am Straßenrand gestanden, wenn Lastwagen in weniger als einem Meter Entfernung an mir vorbeigedonnert sind, habe ihnen nachgeschaut und gedacht: Jetzt hättest du es schon hinter dir haben können. Manchmal habe ich mich dabei über meine Feigheit geärgert und mich gefragt, wann ich denn endlich den Mut dazu aufbringen würde, diesen einen letzten Schritt zu machen.

Wenn ich in diesen Wochen und Monaten wieder irgendwelche Strafen Zuhause oder in der Schule bekommen habe, habe ich sie schicksalsergeben über mich ergehen lassen. Und mir gedacht: Was soll’s? Bald ist es eh vorbei. Dann hab ich’s hinter mir. Einmal las mir der Pfarrer im Religionsunterricht wieder mal die Leviten. Ich habe mir dabei überlegt, wie er denn wohl reagieren würde, wenn er am nächsten Tag von meinem Selbstmord erfahren würde. Ob sich bei ihm wohl irgendein Schuldbewusstsein über die heutige Standpauke regen würde? Dass er etwa zu weit gegangen sei? Und welche Lügen er wohl drei bis vier Tage später bei meiner Beerdigung erzählen würde? Was von „unverständlich, dass sich so ein junger Mensch das Leben nimmt. Und er lässt trauernde und verzweifelte und ratlose Eltern und Geschwister zurück.“ Ich habe mir gedacht, dass innerhalb meiner Familie jedem schon klar gewesen wäre, warum ich diesen Ausgang genommen habe. Auch wenn meine Mutter die Verantwortung dafür wieder weit von sich gewiesen hätte. So wie sie ja niemals Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernommen hat.

Dann las ich der Zeitung von einer Frau, die von einem Lastwagen überfahren worden war, überlebt hatte und jetzt den Rest ihres Lebens ein Pflegefall war. Im Rollstuhl oder bettlägerig wäre ich ja dieser Furie von Mutter und ihrer Gnade und ihren Launen völlig wehrlos völlig ausgeliefert gewesen und könnte nicht mal mehr theoretisch weglaufen. So wollte ich auf gar keinen Fall enden. Da wäre ich ja vom Regen in die Traufe gekommen, das wäre der absolute Albtraum für mich geworden.

So seltsam es klingen mag, aber die katholische Kirche hat mich davon abgehalten. Diejenige katholische Kirche, der ich nicht mal angehörte und die ich heute noch für einen Haufen verlogener, bigotter, verklemmter und machtgieriger alter Männer halte. Ich hatte irgendwo gelesen, dass nach ihrer Meinung die Selbstmörder alle in die Hölle kommen. Zuerst schob ich diesen Gedanken beiseite nach dem Motto, dass er für mich als Evangelischen gar nicht zutreffe. Aber so hundertprozentig sicher war ich mir dann doch nicht. Was wäre, wenn die katholische Kirche doch Recht hatte? Nun war mein Leben schon die Hölle auf Erden und weil ich diesem Leben entfliehen wollte, sollte ich dann als Strafe dafür für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren!? Das fand ich höchst ungerecht, das hatte ich meiner Meinung nach nicht verdient und das hat mich letztendlich davon abgehalten.

Aus: Stumme Schreie - Ein Mann auf der Suche nach seinen Gefühlen, Band I: Verzweiflung, von Balthasar Müller erschienen als ebook bei Amazon, http://www.amazon.de/Verzweiflung-Stumme-Schreie-Gef%C3%BChlen-ebook/dp/B009KJI3HO/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1349380342&sr=8-1

Anmerkung: Leider ist es eher üblich, bei einem Selbstmord die Angehörigen in Ruhe zu lassen, wenn sie das so wollen. Nach dem Motto: Die sind ja eh schon gestraft genug. So findet dann wieder keine Kommunikation statt. Obwohl fast jeder Selbstmord ja eigentlich ein Schrei nach Kommunikation ist.

Balthasar Müller

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Sehr geehrte Frau Susanne Breit-Kessler, danke für Ihren wertvollen Artikel. Er lehrte mich einiges, wofür ich dankbar bin. - - Was ich zur Veränderung beitragen will: Das die böse Bezeichnung – Selbstmord - endlich durch – Selbsttötung - ersetzt wird. Wieso ist das mir so wichtig? Ein (Selbst)MORD ist charakterisiert durch die Eigenschaften – Heimtücke - und - niedere Beweggründe -. Das einem Menschen (indirekt) nach dem Sterben hinterherzubrüllen, ist kein Akt der Liebe (und fast immer eine Lüge), denn 90% aller Selbsttötungen finden in einem kranken Zustand statt (der Depression – Mortalitätsrate 30%) . Krank zu sein, ist im Gegensatz zum Mittelalter (Krankheit war eine Strafe Gottes für Sünden), nicht mehr schuldhaft, höchstens ursächlich bewertet. --- - Sie boten als Tandem das Wort – Suizid – an. Das geht, ist nur leider nicht volkgebräuchlich. - - Das Wort – Freitod – (gebraucht von Gast 4.10.2012) sollte auf die Verbotsliste kommen. Unsere Seele verlässt wegen Gottes unbedingter Liebe zwar dieses Reich des Relativen immer freiwillig, doch wird das von Körper und Ratio nur selten so erlebt. Und beim Suizid vermutlich nie. - - Die Scham bei einer Selbsttötung liegt sicher hauptsächlich im Gefühl, eine allgemein übliche Leistung (leben bleiben = selbstfähig zum Leben zu sein) nicht erbracht zu haben. – Die Hoffnung liegt sicher im Ende einer Bedrängung (Höchst-Stress – Selbst- und Fremdvorwürfe). Die Angst macht die Religion, die Gott unterstellt, Er/Sie verhänge dafür die Höchststrafe (Ausschlagen des Gottesgeschenkes Bio-Leben). Schlecht reden über Gott (Behauptung: Gott liebe nur bedingt) ist eine böse Theologie.

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Sehr geehrte Frau Breit-Keßler,
es ist schwer, auf so wenig Platz ein so komplexes Thema zu behandeln. Und da Sie sich entschieden haben sowohl das Handeln bzw. NIcht-handeln von direkt Betroffenen wie auch das von Außenstehenden zu benennen und Empfehlungen abzugeben, reißen Sie mit Ihren zwnagsläufig kaum abgewogenen Worten Wunden auf. Zumindest bei mir (und ein Kommentar wie der von Herrn Balthasar Müller macht es wahrlich nicht besser).
Ich habe nicht geschwiegen und erlebte zerrissene Familienbande, als Kondolenzbriefe getarnte massive schriftliche Attacken, nächtliche Telefonanrufe, eine Schändüng des Grabes, Schuldzuweisungen (wobei die längst nicht so schlimm sind wie die eigenen), Lügen, Verleumdungen. Ich erfuhr aber auch Freundschaft, Unterstützung, Hilfe. Dennoch, beständig erwarten die Menschen "richtiges" Verhalten. Sie auch. Wieviel Sprechen, wieviel Schweigen, wie und wie lange Trauern, Leben - alle um einen herum scheinen zu wissen, wie das geht. Ich selbst habe damit zu tun zu überleben, meinem Kind eine dennoch glückliche Kindheit und Jugend zu ermöglichen, Arbeit und Geld zu sichern. Und nun soll ich auch noch perfekt verarbeiten.
Das schaffe ich nicht. Allerdings möchte ich Ihnen dank sagen für den Hinweis an Außenstehende, welche Worte sie im Gespräch mit HInterbliebenen wählen. Eine Weile konnte ich mir nur mit schwarzem Humor darüber hinweghelfen und habe eine Liste der dümmsten Kommentare geführt. Bis heute führen die Liste an "Wer weiß, wofür es gut ist" und "Sieh's als Chance". Ganz ehrlich, bitte besser schweigen.

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Sehr geehrte Frau Susanne Breit-Kessler,
vielen Dank, dass Sie das Thema "Selbsttötung" ansprechen. Für mich ist es ein Tabu.
Als ich 24 Jahre alt war hat sich meine Mutter das Leben genommen. Ich bin jetzt 43 Jahre alt. Noch nie habe ich das jemanden erzählt.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich das erzählen kann. Wie kann man so etwas sagen. Ich möchte nicht vor anderen in die Knie gehen, weinen, stammeln, Was für Reaktionen würde ich sehen? Langsames Verstehen. Und dann? Betroffenheit, Mitleid, entsetzte Ablehnung, Verlegenheit?
Und dann, mittelfristig: würde es nicht immer ein ungutes Gefühl bei zukünftigen Begegnungen geben?
Was ist mit g
läubigen Katholiken?
Auch bei mir gibt es den Schnitt in der Zeitrechnung: vorher, nachher.
Ich trage nun schon lange das Problem mit mir herum ob und wie ich es meinen Kindern sagen soll.
Ich wollte sie schonen und ich wollte mich schonen.
Ich wollte nicht beiläufigen Bemerkungen, Herausposaunten und im Streitfall wütenden Angriffen mit zutiefst verletzenden Kommentaren ausgesetzt sein.
Ich habe vier Kinder und das ist manchmal sowieso nicht so leicht.
Mein Mann findet es besser, den Kindern nichts zu sagen.
Andererseits weiß ich, dass solche Geheimnisse schlecht sind für das Miteinander.

Was soll ich tun? Wie soll ich da Herangehen? Bitte, geben Sie mir einen Rat!

Viele Grüße

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Lieber Gast vom 11.10.
ich wollte mit Sicherheit nicht auch noch Salz in Ihre offene Wunden streuen.
Wenn man sich in der psychologischen Literatur kundig macht, so liegt die Ursache für einen Selbstmord demnach in fast allen Fällen in einer problematischen bis gestörten Eltern-Kind-Beziehung. Es fehlt dem Kind das Urvertrauen und damit auch später das Vertrauen in die eigene Fähigkeiten und das Selbstwertgefühl. Wie es ja auch bei mir der Fall gewesen wäre. Ein späterer Partner kann diese Defizite manchmal kaum bis gar nicht auf Dauer auffangen. Dieses Trauma begleitet einen oft das ganze Leben. Nun ist es leider so, dass das ursächliche Problem innerhalb der Familie oft totgeschwiegen bzw. tabuisiert wird. Meine Wut über dieses Schweigen, die Sie meinem Beitrag vom 04.10. entnommen habe, bezieht sich daher eigentlich nur auf meine Mutter. Das größte Eingeständnis, was sie zu ihre "Kindererziehung" jemals gesagt hatte, war eine Bemerkung zu einer meiner Schwestern, "sie hätte es ja nur gut gemeint, sie hätte nur unser Bestes gewollt". Mich über Jahre hinweg halbtotschlagen und es als "gut gemeint" bezeichnen. Dagegen richtete sich meine Meinung, meine Wut, die Angehörigen (eigentlich meine Mutter) nicht mit Schweigen davonkommen zu lassen. Leider ist in solchen Familienverhältnissen oft nicht nur die Eltern-Kind-Beziehung gestört, sondern die Beziehungen untereinander auch. Dieses Schweigen und die Tabuisierung können spätere Partner nicht notwendiger Weise durchbrechen, sondern es ruft Aggressionen hervor, sobald sie versuchen, an dieser Oberfläche etwas zu kratzen. In meiner Verwandschaft glaubt mir auch niemand, was ich durchgemacht habe. Daher diskutiere ich das nicht mit ihnen, was von meiner Seite ja oft eine Rechtfertigung für mein eigenes Verhalten war. Wenn sie sich doch dazu äußern, spreche ich ihnen jedes Recht ab, über mich zu urteilen bzw. mich zu verurteilen. Diesen Schuh ziehe ich mir nicht mehr an. Heute weiß ich dass meine Mutter eine "Borderline Queen and Witch" war. Ihre Beziehungen zu ihrer Familie basierten nur auf Macht und negativen Gefühlen, sobald diese Macht infrage gestellt wurde. Nach außenhin spielte sie aber die immer bemühte, treusorgende Mutter.
Nochmal: Die Partner sind in den seltensten Fällen verantwortlich. Die Gründe liegen viel weiter zurück.
Balthasar Müller

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Guten Tag Frau Breit-Keßler
"Über einen Selbstmord, einen Suizid, muss man in der Familie reden". Da haben Sie Recht, man muss darüber reden! Aber wo ist der Unterschied zwischen dem Selbstmord und dem Suizid?
Das Strafgesetzbuch sagt: § 211 Mord (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.

Wir wissen doch heute wie verzweifelt und krank Menschen sind die sich suizidieren. Ich dachte Sie wissen es.
Was hat sie bewogen "über einen Selbstmord, einen Suizid..." zu schreiben? Warum diese Aufzählung?
Vor vier Jahren starb meine 21 jährige Tochter durch einen Schienensuizid. Sie war bipolar und voller Leben.
Es war kein Freitod und sie tötete sich nicht selbst. Sie ließ es geschehen. Wie nennt man diese Art des Sterbens?
Ein Tod ist ein Tod und jeder Mensch der nicht vorsätzlich mordet hat das Recht auf Würde und würdevollen Umgang mit seinem Tod.
Meine Liebe zu meiner Tochter und der Glaube an Got gaben mir die Kraft zum leben und reden.
Danke, dass Sie darüber schreiben.

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Hallo

ich hatte auch einen Selbstmord in der Familie, vor etwa 25 Jahren. Dennoch würde ich dies den Kindern nur dann sagen, wenn es sich im Kontext ergibt. Ansonsten wäre es vermutlich besser, zunächst zu sagen die Oma ist früh verstorben o.Ä.. Das wäre u.U. besser für die Enkelkinder. (m.M.)

Ciao

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Zum Beitrag von S. Breit-Keßler:
Die Trauer darf nicht mit einer Lüge beginnen,
lohnt es sich, einmal das Bilder-Buch:
"Darüber spricht man nicht. Wie Jakob den Suizid
seines Vaters erlebt. Von M. u. H. Hüsch.
Für Kinder sehr hilfreich und kompetent.

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