Susanne Breit-Keßler
Susanne Breit-Keßler
Monika Höfler
Furcht ist gut, sie ist konkret. Aber wer sich diffuser Angst überlässt, steht sich selbst im Weg und kann nicht klar denken.
30.12.2014

Um zehn nach acht abends ruft normalerweise niemand an. Höchstens Sabine, denn die schaut schon lange nicht mehr die „Tagesschau“. Bei der Zeitung hält sie sich an den Lokalteil. Die Nachrichten aus der Welt beunruhigen sie zu sehr. Wie soll das alles nur weitergehen? Sabine ist voller Mitgefühl für die, die im Nahen Osten von den Truppen des IS terrorisiert werden, die in Afrika an Ebola sterben, mit allen, die auf der Flucht sind und in Armut leben. Auch hier, in Deutschland. Und wer weiß, vielleicht trifft sie selber bald ein echter Schicksalsschlag?

Es gibt Menschen, die von sich behaupten, keine Furcht zu kennen. Für Susanne Breit-Keßler sind solche Menschen Dummköpfe. Sie rät dazu, Ängste zu erkennen und ihnen einen Namen zu geben.

Wirtschaftliche Sorgen, persönliche Einbrüche plagen Menschen in unserem Freundeskreis. Das Herz wird eng – mancher kriegt Angst. Weltuntergangsstimmung. „Ich komme mir vor wie gelähmt“, sagt eine in der abendlichen Runde mit Freunden. „Man kann ja einfach nichts machen gegen all diese Probleme“, sagt ein anderer. Selbst die „heute-show“ im ZDF, sonst meist zu geistreichem Unfug aufgelegt, müht sich etwas krampfhaft, mit einer „Peschmerga-Kochshow“ zu amüsieren. Manche Freunde erzählen, dass sie froh sind, wenn sie die alltäglichen Aufgaben bewältigen. Angst, das ist das Dumme, macht hilflos. Diese Art von Angst. Sie ist diffus, unbestimmt – und verstellt einem den klaren Blick auf die Welt.

Aber es gibt auch andere Angst, nennen wir sie mal Furcht. Sie ist die Reaktion auf eine konkrete Bedrohung. Ich merke, dass ich regelmäßig nach dem Essen Bauchschmerzen bekomme oder dass der Kollege morgens immer auffällig überdreht ist. Im einen Fall melde ich mich zügig beim Arzt an und im andern muss ich das Gespräch suchen – da sind vermutlich Drogen im Spiel. Wer aber diese diffuse Angst hat, die ein langer Winter noch verstärkt, ist beunruhigt, steht sich selbst im Weg und wird oft genug von seinen Gefühlen so überwältigt, dass er nicht mehr klar denken kann. Wer sich fürchtet, ist ganz und gar bei Trost. Der überlegt und agiert zielgerichtet – damit er den Anlass der Furcht bewältigen kann.

Wer sich etwa bei einem Volksfest vor einer Horde zechender Landsleute fürchtet und lieber das Weite sucht, statt in ihrer Nähe zu bleiben, bis sie nicht mehr wissen, was sie tun, der ist einfach gescheit. Nur Dummköpfe kennen keine Furcht. Und die Welt-lage? Bei der man nun wirklich selber nicht einfach rettend eingreifen oder sich umgekehrt sorglos vom Acker machen kann? Auch da macht Angst starr oder panisch – Furcht dagegen sorgt dafür, dass man Probleme erst einmal präzise wahrnimmt.

Syrische Asylbewerber kommen ins Dorf und wohnen in der alten Schule? Wer Angst hat, tut gar nichts oder das Falsche. Wer sich zuerst mal vor der Herausforderung fürchtet, schaut sich die Sache genau an, nimmt eine Haltung dazu ein und sucht mit ­anderen nach Lösungen. Dann besucht man vielleicht miteinander die Fremden, übt mit ihnen geduldig Deutsch, begleitet sie auf Ämter, bittet für sie um Beratung, hört ihre schlimmen Geschichten an, gibt ihnen das Gefühl, willkommen zu sein – bis sie vielleicht Freunde werden. Wegen anfänglicher Furcht braucht man sich da nicht zu schämen.

Und wie kriegt man es jetzt hin, den Kopf aus den Strudeln der Angst zu heben? Erst mal ruhig atmen, ein und noch viel länger aus. Die Bilder im Kopf sorgfältig sortieren: Vor was genau habe ich Angst? Warum? An welche Seiten meiner Seele rührt diese Angst? Was kann schlimmstenfalls geschehen? Was könnte ich dann tun? Wem könnte ich diese Angst anvertrauen und mit wem darüber sprechen? Wer Angst hat, braucht ein Gegenüber, mit dem er reden kann. Und auch eine Portion Gottvertrauen.
Der hat ja immerhin gesagt: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16,33)

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