Aber wie kann man sich schön fühlen?
15.11.2010

Bei einem Damenfrühstück raunt mir eine über 60-jährige Frau zu: "Lassen Sie was machen?" Wie ­ was machen? Es dauert, bis ich begreife: Die Dame will von mir wissen, ob ich mit schönheitschirurgischen Eingriffen liebäugle. Sie sagt: "Jeder lässt doch heute was machen. Meinen Sie nicht, man sollte sich auch ein bisschen herrichten lassen, damit man mithalten kann?" Immer öfter begegne ich solchen Überlegungen. Eine Frau ist gertenschlank und bildhübsch, aber da, über der Oberlippe, kann man diese elenden Knitterfältchen nicht wegkriegen? Kosmetikerinnen schauen einem besorgt ins Gesicht und entdecken Schlupflider, gegen die man mehr unternehmen soll, als sie nur einzucremen und in den Farben der Saison zu schminken.

Mann und Frau wollen so aussehen, wie man auszusehen hat

Die Zahl der Schönheitsoperationen in Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren verachtfacht. Inzwischen legen sich jährlich 800 000 Deutsche unters Messer, vor allem Frauen, aber auch Männer­ Tendenz steigend. Gefragt sind vor allem Veränderungen von Brust, Nase, Ohren und Lidern, Hautstraffungen sowie Fettabsaugungen. Zehn Prozent der Operierten sind unter 20 Jahre alt. Manches Mädchen wünscht sich heute zum Abitur eine Brustkorrektur. Mann und Frau wollen so aussehen, wie man auszusehen hat, nämlich jung, schön, faltenlos ­ gleichgeschaltet von der mimikfreien Zone auf der Stirn bis zum Waschbrettbauch.

Aber Vorsicht vor voreiliger Kritik: Sich selbst oder einen anderen zu verschönern, gehört zur kreativen Begabung eines Menschen. Und das Christentum, zu manchen Zeiten recht leibfeindlich, ist eigentlich ein Glaube, der dazu auffordert, sich die Welt anzueignen und mit ihr in schöpferischer Freiheit intelligent umzugehen. Es gehört zur Natur von Christenmenschen, das, was ist, zu überschreiten auf ein Besseres hin. Wer Sport treibt, Wellness liebt, sich schön anzieht und pflegt, tut ja auch etwas dafür, um besser auszusehen ­ Ausdruck der Dankbarkeit für den eigenen Körper, der einem geschenkt wurde. Warum also nicht eingreifen, wenn es etwas zu vervollkommnen gibt?

Jeder wird verstehen, wenn jemand Eingriffe ausdrücklich wünscht, weil er oder sie etwas an sich selbst als Entstellung empfindet. Man denke nur an Verletzungen und Vernarbungen der Haut durch Verbrennung oder chemische Stoffe, an Tumore oder Kiefer- und Gaumenspalten. Oder an den Verlust der Brust wegen einer Krebserkrankung. Ärzte vollbringen mit plastischer Chirurgie Meisterliches zum Wohl von Menschen, die ansonsten ein Leben lang leiden würden unter den Blicken anderer. Jesus heilt ganz selbstverständlich von körperlichen Makeln und Gebrechen. Alle Wundergeschichten der Bibel malen Bilder vom unversehrten Leben: Die verkrümmte Frau (Lukas 13,10 ff.) wird zu einer, die aufgerichtet und sich ihrer Würde neu bewusst wird.

Schwieriger ist es, wenn jemand etwas subjektiv als Schönheitsfehler empfindet, obwohl Familie und Freunde das anders sehen. Das können abstehende Ohren, lange Nasen oder ähnlich liebenswerte Eigenheiten sein. Kein anderer stört sich daran, nur der Betreffende plagt sich damit herum. In solchen Fällen braucht es einfühlsame Berater, die überlegen, ob eine Operation wirklich notwendig ist. Ob anliegende Ohren und ein Hollywoodnäschen das Lebensgefühl entscheidend verbessern. Wird man fideler, wenn die Altersflecken auf der Hand verschwunden sind? Hat das Leben mehr Sinn, weil die Reiterhosen entfernt wurden? Wird man hinterher glücklicher, erfolgreicher und beliebter sein?

"Ich habe ein Vermögen dafür ausgegeben, um so billig auszusehen"

Oscar Wilde zeigt in seinem Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" einen Mann, der nicht altern will und dafür seine Seele verkauft. Verantwortungsbewusste Schönheitschirurgen wissen um die Sorge, nicht attraktiv genug zu sein. Sie kennen die Angst vor dem Alter, die Frauen und Männer in die Praxen treibt ­ beeinflusst von Bildern aus den Medien, die einem zeigen, wie man zu sein hat. Wer spürt, dass ein Mensch, nur getrieben von Seifenopern oder spektakulären Operationen im Fernsehen, sich optisch verändern will, der wird ihm oder ihr hoffentlich abraten von Eingriffen. Durch die hohe Kunst der Chirurgie allein wird niemand glücklicher. Dolly Parton, die vollbusige Western-Blondine, hat einmal ironisch gesagt: "Ich habe ein Vermögen dafür ausgegeben, um so billig auszusehen, wie ich es heute tue."

Kreativ tätig zu sein, das schließt die Fähigkeit mit ein, sich selbstkritisch Grenzen zu setzen. Welche das in der Schönheitschirurgie sind, das muss jeder und jede für sich selbst herausfinden. Vielleicht hilft einem die Einsicht, dass kein Mensch makellos durchs Leben geht. Jeder trägt früher oder später Falten, Narben, Wunden auf Körper und Seele und gehört gerade so zu Gottes wunderbaren Töchtern und Söhnen. Man sollte gnädig mit sich und anderen umgehen ­ auch in der Frage "Bin ich schön?". Richtig ist auf jeden Fall, die Lust an kleinen oder großen Eigenheiten zu pflegen und sich dadurch selbst zu akzeptieren, wie man ist.

Es ist ein herrliches Gefühl der Freiheit, wenn man sich freundlich im Spiegel betrachtet. Und auch mit Falten und Waschbärbauch fröhlich ist.

 

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