Aber der respektvolle Umgang miteinander leidet
15.11.2010

"Potz sapperlot!" Die Gattin stöhnt, sie ist nicht begeistert: Ihr Mann, der Dorfpastor, bekommt zum 50. Geburtstag einen kleinen Bären geschenkt. Weiter heißt es in Arto Paasilinnas Geschichte "Der Bär im Betstuhl": "Der Pastor warf seiner Frau einen vernichtenden Blick zu. Dies war nicht der richtige Moment für Kraftausdrücke. . ." Man stutzt ­ "Potz sapperlot", das klingt doch harmlos angesichts dessen, was sich Leute an den Kopf werfen. Aber manch markiges Wort wird eben nicht gleich als solches erkannt. "Potz" kommt aus dem Mittel- und Frühhochdeutschen: "Pocks" und "botz" waren dort Entstellungen von "Gott". "Sapperlot" kommt vom französischen "sackerlot" ­ eine Verballhornung von "sacré nom de Dieu" ­- heiliger Name Gottes. Genau genommen spricht die Pastorengattin öffentlich eine veritable Verwünschung aus -­ da kann man den Unmut des Pfarrers schon verstehen.

"Affe!!!" "Dämliche Ziege!" "Ja, so eine blöde Pute!"

Kraftausdrücke und Schimpfwörter erwecken immer den Eindruck, dass derjenige, der sie von sich gibt, unbeherrscht ist und sich peinlich benimmt. Ein kleiner Einkaufsbummel gefällig? "Kann diese dumme Kuh nicht besser auf ihr Balg aufpassen?" "Schau dir bloß die Verkäuferin an. Guckt wie ein Schaf, als ob sie noch nie was von MP3-Playern gehört hätte!" "Affe!!!" "Dämliche Ziege, stell deine Pakete doch woanders hin!" "Ja, so eine blöde Pute, das ist ja nicht zu fassen!" Für das Arsenal an Schimpfwörtern müssen vor allem Tiere herhalten; solche, von denen man glaubt, sie seien schwach und dumm, bestenfalls nützlich.

Kinder sagen gelegentlich Wörter, bei denen Eltern hoffen, dass niemand in der Nähe ist. Sie haben im Kindergarten oder bei Freunden etwas aufgeschnappt, das sie zu Hause unbedingt testen müssen. Ein Vater, der sich mit der Bezeichnung "Hurensohn" konfrontiert sieht, wird sich das ebenso verbitten wie die Tante, die als "Vollidiotin" tituliert wird. Wer klug ist, echauffiert sich nicht ­ denn das freut die Übermittler solcher Wortkreationen und spornt zu neuen Taten an. Man überhört entweder geflissentlich, was Sohn oder Tochter von sich gegeben hat, und hofft, die Phase gehe vorbei. Oder man erläutert ihnen in Ruhe, was diese Schimpfwörter eigentlich bedeuten und wie sehr sie anderen damit wehtun können.

"Ach du Sch. . .!"

Anders als Kinder verschaffen sich Erwachsene mit Kraftausdrücken Luft. Oft ist der Stress groß, die Familie nervt, die Arbeit, der Chef, und dann staut sich auch noch der Verkehr. Oder Menschen bequatschen einen und rauben einem die letzte freie Minute. Müllfahrer poltern auf der Straße, in aller Herrgottsfrüh und genau an dem einen Tag, an dem man hätte ausschlafen können. Das Honigglas, das ausgerechnet dann herunterfällt und zerbricht, wenn man dringend wegmuss ­ da kann einem schon gewaltig der Kragen platzen: "Ach du Sch. . .!" Das Bedürfnis, endlich voranzukommen, die Sehnsucht nach Abstand, nach Rücksicht und Ruhe -­ sie sind so groß und im Augenblick so wenig zu befriedigen, dass ein verbaler Befreiungsschlag hermuss.

Meistens wirkt er, wenn auch nur kurz: Dadurch, dass man sich nicht wie sonst beherrscht, sondern spontan reagiert, mit der wörtlichen Explosion einen Haufen Luft ausstößt ­ und wieder schön tief einatmet. Aber an der eigentlichen, misslichen Situation ändert sich durch einen solchen Ausbruch eher wenig. Den Stau muss man ebenso abwarten wie das Geklebe auf dem Küchenboden aufwischen, und genauso muss man das Geklappere der Mülltonnen ertragen. Häufen sich die Kraftausdrücke und Schimpfwörter bei einem selbst, sollte man überlegen, was den Puls nach oben jagt: Wie groß ist der Druck, unter dem ich stehe? Kann ich Dampf ablassen, dass es mir, meiner Seele und meinem Körper nicht nur kurzfristig, sondern auf Dauer dient? Habe ich ausreichend Zeit für mich selbst? Wer sich Platz schafft, braucht nicht zu explodieren.

In der Bergpredigt erklärt Jesus rigide, dass, wer zu seinem Bruder sagt: "Du Narr!", der sei "des höllischen Feuers schuldig"(Matthäus 5,22) Das ist lebensklug und psychologisch einfühlsam. Wer einen anderen mit einem Wort abqualifiziert, der ist schon mit ihm als Mensch fertig ­ der andere, wertlos, zählt nicht mehr. Solche Missachtung ist der erste gefährliche Schritt hin zu dem Wunsch und Willen, er möge verschwinden, nicht mehr da sein. Umgekehrt: Wenn man sich aufregt, wütend, stocksauer ist, dann bringt es für das Miteinander unendlich viel, sich Zeit zu nehmen und sich gegenseitig die Ehre der Auseinandersetzung zu gönnen. Es ist lohnend, das eine Zeit lang auszuprobieren: Statt heimlich oder laut über andere herzuziehen, die direkte Konfrontation zu suchen und zu sagen, was einem auf der Seele liegt. Eine ausführliche Unterredung macht zwar wesentlich mehr Mühe als ein abschätziges "A. . .", ­ respektiert aber den anderen als Gesprächspartner. Und: Es tut einem wohl, nicht mit Worten zu schlagen, sondern sich klar, unmissverständlich, zugleich voll Achtung anderen und sich selbst gegenüber auszudrücken. "Sprache ist Ausdruck des Geistes", sagt der Dichter Novalis. Er hat Recht.

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