15.11.2010

"Da müssen wir mal grundsätzlich sprechen", sagt Dagmar zu ihrem Mann, nachdem die beiden sich wieder über die Verteilung der Hausarbeit gestritten haben. - "Der Ärger mit deinem Chef liegt dir ja schwer im Magen", meint eine Freundin zur anderen. "Du kannst jederzeit zu mir kommen und dich aussprechen." Durch Gespräche kann man Konflikte in Partnerschaft und Familie, unter Freunden und am Arbeitsplatz ansprechen, statt sie unter den Teppich zu kehren. Wer sich mit anderen zusammen- oder auseinandersetzt, kann in Ruhe seine Gefühle aussprechen, sich mitteilen - und muss nicht schlucken, was ihm sonst wochenlang im Magen läge.

Reden verhindert emotionale Schwelbrände, die lange unbemerkt bleiben und dann plötzlich unerwartet richtig zu brennen beginnen oder gar explodieren. Und trotzdem: Bei aller Notwendigkeit, Worte für sich, für die eigenen Empfindungen und Vorstellungen zu finden, irgendwann muss auch mal Schluss sein. Es bringt nämlich nicht unbedingt weiter, wenn man abendliche Beziehungsdiskussionen bis in die Nacht hinein ausdehnt - meist nimmt der Alkoholkonsum zu, die gereizte Schärfe im Ton auch, Schlaf fehlt, und am nächsten Morgen ist man keinen Schritt weiter, aber dafür wie gerädert.

"Lass es jetzt bitte gut sein"

"Es tadelt einer oft seinen Nächsten zur Unzeit, doch wäre es klüger, wenn er schwiege" (Sirach 20,1), heißt es weise in der Bibel. "Lass es jetzt bitte gut sein" - wenn ein Partner diesen Satz sagt, dann sollte man ihn in Ruhe lassen. Das ist ein Signal, Distanzbedürfnisse zu achten und dem anderen die Möglichkeit zu geben, sich mit dem zu beschäftigen, was zur Sprache kam. Die amerikanische Redeweise "talking is over, action is on" kann man auch beschaulich in die Tat umsetzen: Nach einer längeren Diskussion alleine oder miteinander einen Spaziergang machen, ohne Worte. Dadurch kommt vieles in Bewegung, was sich sonst vielleicht festgesetzt hätte.

Es ist gelegentlich vernünftiger zu handeln, als stundenlang zu reden. Hausarbeit mag ein großartiges Streitthema sein - besser wäre es, sie anzugehen und den Müll rauszutragen und endlich Staub zu saugen. Den Ärger mit dem Chef kann man zum Dauerbrenner bei Telefonaten mit Freundinnen machen. Verändern tut sich dadurch nichts - es sei denn, man stärkt sich durch die Gespräche so, dass man auf den Chef zugeht. Alles Reden muss irgendwann ein Ende haben, damit Gesagtes und Gehörtes in der Stille - oder durch die Tat - seine Wirkung entfalten kann.

Es wäre ein Irrtum, zu glauben, ausschließlich durch viel Reden käme man Problemlösungen näher. Man kann auch Musik hören, ein Bild malen oder stumm dasitzen und aus dem Fenster schauen, warten, was für Gedanken und Bilder in einem aufsteigen. Manchmal kommen die besten Ideen nicht in einem wortreichen Gefecht, sondern dann, wenn man sich, noch aufgebracht oder schon wieder gelassen, zurücklehnt. Die Wut über den vergesslichen Freund, der schon wieder einen Termin vermasselt hat, verraucht. Oder sie gewinnt eine konstruktive Gestalt, so dass einem einfällt, was man tun könnte - auch mal eine Verabredung nicht einhalten etwa.

Einsichtig sagt der Prophet Jesaja: "Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht" (Jesaja 30,15). Vielleicht sollte man einfach mal wollen. Und erleben, dass es Merkmal einer glücklichen Partnerschaft und stabilen Freundschaft ist, wenn zwei miteinander auch ab und zu schweigen - in guten und in den schweren Tagen.

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