Susanne Breit-Keßler
Susanne Breit-Keßler, Chrismon
Foto: Elias Hassos/chrismon
Manchmal kann man die Schuld sogar erlassen!
15.11.2010

Bei Geld hört die Freundschaft auf, sagt man. Warum eigentlich? Ich erinnere mich, dass ich als Mädchen einem von mir angeschmachteten Jungen acht Mark lieh ­ in den Sechzigern geradezu eine Unsumme. Es war mein gesamtes Taschengeld, auf das ich sonst immer sorgsam achtete. Zu Hause gab es keinen Nachschub, wenn ich etwas ausgegeben hatte. Mein Idol verprasste leichtfertig das mühsam Ersparte und dachte nicht im Traum daran, es zurückzugeben. Zu dieser Enttäuschung kam die Demütigung. Rolf, so hieß der Knabe, prahlte vor seinen Freunden damit, dass er mich sozusagen übers Ohr gehauen hatte. Die zogen mich wochenlang lautstark mit meinen Forderungen nach der entliehenen Summe auf.

Irgendwann habe ich meine acht Mark wiederbekommen

Irgendwann, nach Monaten, habe ich meine acht Mark wiederbekommen. Mit dem Anschmachten war es natürlich vorbei ­ bei so viel Gemeinheit hört die Freundschaft tatsächlich auf. Aber muss man eine schlechte Erfahrung verallgemeinern? Martin Luther hat immer wieder betont, dass man so leihen oder borgen soll, "dass ich mein Gut hingebe und es zurücknehme, falls mir's zurückgebracht wird, es aber entbehren muss, wenn man's nicht zurückbringt". Er hat, zugegeben, auch empfohlen, dass ein Mensch anderen das zur Verfügung stellt, was er nach der Versorgung der eigenen und der familiären Bedürfnisse noch zur Verfügung hat. Es war also ziemlich unklug von mir, mein gesamtes Taschengeld zu opfern. Aber immerhin ­ Luther hat stets davon gesprochen, dass man von Herzen gern leihen und helfen soll.

Ich habe seitdem immer wieder Menschen, die mir sehr nahe sind, Geld geliehen ­ im Studium, in den ersten Berufsjahren und danach. Eine Freundin stand durch unglückliche Umstände kurz vor dem Offenbarungseid. Einer anderen fehlte eine kleine Summe, um ihr Hochzeitsfest schön zu gestalten. Einer brauchte ein Bett für seine Studentenbude, der nächste eine Sitzgarnitur für sein erstes Wohnzimmer. Schön dumm, könnte man sagen. Oder: Warum sehen die nicht selber zu, wie sie klarkommen, und leihen bei der Bank? Ich denke, man hat Freunde nicht nur für die guten Zeiten im Leben, sondern auch für die, in denen es einem dreckig geht. Oder in denen man aus guten Gründen kurzfristig Hilfe braucht und sich schwer tut mit den Zinsen einer Bank.

Bei Freunden und in der Familie fällt es schwerer zu mahnen

Natürlich fällt es bei Freunden und in der Familie schwerer zu mahnen und zu erinnern, dass zurückgegeben werden muss, was man sich geliehen hat. Es kostet Überwindung, bei einem lieben Menschen freundlich bis energisch einzuklagen, was einem zusteht. Eine unangenehme Situation. Und für den anderen ist es peinlich, gemahnt zu werden und das geliehene Geld vielleicht immer noch nicht zurückzahlen zu können. Das kann die Beziehungen sehr beeinträchtigen: Man sucht bewusst die Begegnung, um das Gespräch geschickt auf das vermaledeite Geld zu bringen ­ oder man geht sich aus dem Weg, um ja nicht dieses heiße Eisen anfassen zu müssen. Auf jeden Fall verändert sich die Kommunikation, sie wird bestimmt vom (un-)heimlichen Thema Geld.

Manche wissen sich und anderen zu helfen. Da wird genau aufgeschrieben, was einer geliehen und bis wann er es zurückzugeben hat. Auf Heller und Pfennig. Mit Datum. Diese unmissverständliche Klarheit hilft beiden Seiten: Der, der gibt, hat Brief und Siegel darauf, was er verliehen

hat. Wer sich etwas ausborgt, weiß, wie lange er unterstützt wird und wann er die Summe zurückzahlen muss. Bei schriftlichen Vereinbarungen kennt sich jeder aus. Niemand muss sich verbiegen, um wieder an sein Geld zu kommen. Die leihende Freundin ist nicht als Almosenempfängerin, sondern als "Geschäftspartnerin" ernst genommen. Das ist besonders wichtig, wenn es um hohe Beträge geht, die man eben nicht mal so entbehren kann.

Solche Genauigkeit in der Familie oder unter Freunden hat eine schöne Seite: Wenn man merkt, er oder sie packt es nicht mit der Rückzahlung, und man will das Geld gar nicht mehr zurück, kann man so eine Vereinbarung zerreißen ­ ein deutliches Symbol dafür, dass die Schuld erlassen ist. Fort mit den Schnipseln. Vergessen, vorbei. Eine Leichtigkeit, mit der das Gewissen der Freundin entlastet und ihr alle Sorgen genommen werden. Aber ein solcher Erlass kann nicht von vornherein das Ziel sein. Sonst achtet man sich gegenseitig nicht. Wer Geld gibt und verleiht, kann das nur in dem Vertrauen tun, es auch zurückzubekommen. Er glaubt einem Versprechen. Wer leiht, gibt sein Wort, dass er gerade steht für das, was er tut. Und erweist sich mit dem Zurückzahlen, und sei es nach langer Zeit, als faires Gegenüber.

Im vergangenen Jahr hat Wirtschaftsprofessor Mohammad Junus aus Bangladesch den Friedensnobelpreis bekommen: Für seine Mikrokredite ohne jede finanzielle Sicherheit an Kleinstunternehmer, darunter viele Frauen. Solche großherzige Finanzpolitik bekämpft Armut, fördert den Wohlstand ­ und bestärkt Menschen in ihrer Würde. Bei Geld hört die Freundschaft auf. Manchmal fängt sie damit auch an und hält ein ganzes Leben.

Das meinen Leserinnen und Leser

 

Ich habe es getan und bereue es bitterlich. 15000 Euro. Eigentlich wurde ich gebeten, die Tochter meines Schulkameraden während des Studiums zu unterstützen, was ich vier, fünf Jahre tat ­ in der Hoffnung, wenn die Tochter anfängt zu verdienen, bekomme ich mein Geld zurück. So war es ausgemacht. Weit gefehlt! Als ich nach dem Geld fragte, bekam ich zu hören: "Ich hatte mit dir keinen Vertrag."

Jasna Gruden, 63 Jahre, per E-Mail


Beim Umgang mit Geld sind vor allem rationale Überlegungen gefragt und eben nicht emotionale "Zwischenmensch-Gefühlslagen".

Ulrich Barkow, 48 Jahre, Berlin

Im Laufe meines Lebens habe ich immer wieder Freunden Geld geliehen. In keinem Fall habe ich dieses Geld wiederbekommen, und die Freundschaften selbst haben das auch nicht überlebt. Einen schriftlichen Vertrag gab es jeweils nicht, weil mir das unter Freunden doch als etwas absurd erschienen wäre ­ war es aber offensichtlich doch nicht. Also lautet meine Antwort: Grundsätzlich ja. Aber nur mit einem Vertrag.

Martin Flemming, 66 Jahre, Fintel


"Kein Borger sei, auch kein Verleiher nicht. Sich und den Freund verliert das Darlehn oft, und Borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab." Polonius in Shakespeares "Hamlet".

Irmgard Fischenich, 82 Jahre, Köln

Immer habe ich gespart! Heute, wo ich mir alles leisten kann, wird Geld eigentlich langweilig. Geld muss mehr Kraft haben, zum Beispiel helfende Kraft. Deswegen verleihe ich. Aufgrund verschiedener Erfahrungen nehme ich einen kleinen Zins und schließe einen knappen Vertrag. Ein Betrug würde mich ärgern, aber er tangiert ja nicht meinen Lebensstil.

Berthold Angstmann, 60 Jahre, Frankfurt/ Main


Grundsätzlich verleihe ich nur eine Summe, die ich bei Nichtrückzahlung vergessen kann. Es ist mir passiert, dass bei freundlicher Erinnerung einer Rückzahlung die Freundschaft beendet wurde mit der Bemerkung: "Stell dich nicht so an, den kleinen Betrag kannst du wohl verkraften!"

Ilse Stolze, 77 Jahre, Hamburg

 

Bei Betrug hat die Freundschaft lange aufgehört. Ich habe es getan, gegenüber den Getreuesten, Vertrauten, Freunden. Lange und viel habe ich ihnen entwendet. Habe ihnen materiellen Schaden zugefügt und, schlimmer noch, sie verletzt und ratlos zurückgelassen. Weil ich spielen musste! Weil alle Freundschaft im Rausch der Sucht verblassen musste. Ich stellte mich der irdischen Verantwortung, bekam sechs Jahre und sechs Monate. Ich möchte es wiedergutmachen. Bei Geld könnte hier Freundschaft wieder anfangen.

Burghard Seidel, JVA Mannheim


Wenn es meine Freundin ist, dann würde ich ihr Geld leihen ­ viel Geld. Wenn ich viel Geld hätte. Und wenn ich genau wüsste, dass ich es wieder zurückbekomme. Sonst könnte ich es ihr ja gleich schenken. Ich würde mir Geld nur borgen, wenn ich mir sicher wäre, dass ich es auch zurückzahlen kann.

Erhard Jakob, 57 Jahre, Pulsnitz