Wie wir einladen und dabei genießen können
15.11.2010

Ich kenne das Gesicht, das mein Mann macht, wenn wir Gäste eingeladen haben. Es ist geprägt von liebevoller Besorgnis und der Ahnung, dass alles, was er zum geplanten Festmahl sagt, nichts fruchten wird. Er meint nämlich, dass es nicht immer acht oder zehn Gänge sein müssen, an denen sich Freunde und Kollegen delektieren. Warum, fragt er, können wir nicht einmal eine feine Käse - und Schinkenplatte servieren, mit Oliven und Trauben, frischem Brot und einem besonderen Wein ­- oder Teller mit herrlichen Vorspeisen, die wir beim Türken kaufen? Warum musst du einen ganzen Tag in der Küche herumwirtschaften, einkaufen nicht mitgerechnet, um in dieser Fülle aufzutischen?

Ich verspreche, darüber nachzudenken. Gerne bin ich ja selber bei anderen eingeladen, wenn sie gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt sind und italienische Delikatessen wie Trophäen aus Beutezügen auf dem Tisch ausbreiten, dazu den Roten oder Weißen anbieten, den sie auf einem Landgut gekauft haben. Wie schnell ist das alles hergerichtet, wie wenig strapaziert wirken die Gastgebenden. Ein Stück zart schmelzenden Käses im Mund, ofenwarmes Weißbrot, ein Schluck aus dem Glas, Kerzenlicht und Gespräche ohne Eile -­ kann es Schöneres geben? So eine Festivität lässt sich im Alltag unterbringen, ohne dass berufstätige Menschen oder solche, die ihre Arbeitskraft der Familie widmen, in Atemnot kommen.

Gastgeber müssen ja nicht alles selber zahlen

Natürlich können auch Einladungen in eine Kneipe oder in ein Restaurant schön sein, wenn der Betreffende eine zu kleine Wohnung hat oder einfach keine Lust, sich in Vorbereitungen zu stürzen. Gastgeber müssen ja nicht alles selber zahlen; jeder kann sein Scherflein dazu beitragen, dass es ein "verratschtes" nachmittägliches Kuchenessen oder ein heiterer Abend mitten in der Woche wird. In Studentenzeiten feierten wir Feste, zu denen alle etwas mitbrachten ­ ohne vorherige Organisation ging das aber eher schief, weil es viel Reissalat und kaum Dessert gab. Heute wird einem präzise aufgetragen, was man mitbringen soll. Spezielle Fertigkeiten ­ "Mach doch bitte Thunfischmousse" oder "dieses gefüllte Brot, du weißt schon" ­ sprechen sich schnell herum.

Mit Schrecken erinnere ich mich allerdings an Abende, an denen ich mit knurrendem Magen um acht Uhr abends eintraf und dann ohne Vorwarnung mit Salzstangen und Crackern abgefüllt wurde, was zwar meinen Magen, nicht aber meine Stimmung hob. Hätte ich gewusst, was mich erwartet, wäre ich genauso gern gekommen, aber mit einem Abendessen im Bauch. Bei einer groß angekündigten Einladung zum Fondue zeigte sich die Gastgeberin dermaßen sparsam, dass die Gäste beständig darüber nachdachten, wie sie an etwas Essbares kommen könnten, um schlimmere Schwächezustände zu verhindern. Reich muss man nicht sein, um einzuladen, nur einfallsreich. Wer eingeladen ist, spürt nicht, wie viel das Essen gekostet hat, sondern welche Liebenswürdigkeit waltet ­ sei es, dass eine kleine Praline als Nachtisch hervorgezaubert oder wegen des duftenden Nudelauflaufs weise auf jede Vorspeise verzichtet wird.

"Es ist alles bereit. Kommt, schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist."

In der Einladung zum gottesdienstlichen Abendmahl heißt es aufmunternd: "Es ist alles bereit. Kommt, schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist." Gastmähler außerhalb der Kirche, die nicht den sakramentalen Charakter des Abendmahls tragen, können dennoch etwas von der sinnlichen Tiefe dieser Einladung ahnen lassen: Sie wird ausgesprochen, damit Menschen in Bewegung geraten, eine noch bestehende Distanz überwinden und der Einladung gerne folgen. Wer kommt, der soll dann sehen und schmecken, soll mit allen Sinnen spüren, dass das Vorbereitete ihm oder ihr ganz persönlich gilt, dass es ein Glück, ein Segen ist, gemeinsam essen und trinken zu dürfen, ganz bei sich und den eigenen Bedürfnissen, zugleich auch ganz beim anderen zu sein.

Wenn weltliche Abendmähler gelingen, gibt es bei Tisch tiefgründige Gespräche, die Gott und die Welt zum Thema haben. Liebevoll zelebrierte Einladungen hinterlassen in allen Sinnen und dem Verstand ein Wohlgefühl, das simple Sattheit bei weitem übersteigt. Man geht vom Ort des Geschehens weg, beflügelt, beschwingt, dem Alltag für einige Stunden enthoben und dadurch gekräftigt, ihm wieder ins Auge zu sehen.

Das Ende einer Einladung sollte man mit Rücksicht auf die Einladenden mitbestimmen, um sie nicht zu erschöpften Opfern eigener Gastfreundschaft zu machen. Wer einlädt, darf selbst beschränken. Menschliche Hingabe hat ­ anders als göttliche ­ Grenzen, die es zu respektieren gilt. Nicht jedes Fest muss bis Mitternacht dauern, und man kann um der eigenen Ruhe willen getrost auch Übernachtungsbesuch ablehnen.

Gastfreundschaft hat vielerlei Gestalt. Sie reicht von märchenhafter, arabischer Üppigkeit ganz ohne Alkohol bis hin zu einem gemeinsamen Bier am Abend. Nur sollte der eine wissen, wozu er geladen ist, und die andere, was sie sich selbst an lustvollen Vorbereitungen zumuten möchte. Wir jedenfalls bekommen demnächst wieder Gäste. Das Menü mit den vielen Gängen steht bereits fest; mit Wonne werde ich mich in die Küche stellen, damit der Tisch sich in paradiesischer Fülle biegen kann. Mag sein, dass ich, wiewohl längst vertrieben, mich einfach nicht vom Garten Eden verabschieden mag. Gut ­ beim nächsten Mal dann könnte es wirklich eine Käseplatte werden. Vielleicht noch ein paar Antipasti, ein Dessert dürfte allerdings auch nicht fehlen . . . Mal sehen.

 

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