Der asiatische Weihnachtsbraten
Mamas Festessen sind legendär. Traditionell, köstlich, heimelig. Jetzt übernehmen die Kinder – aber mit Feingefühl
12.11.2012

Weihnachten – das geht nur mit einer Gans. Am zweiten Feiertag, damit erst mal jede Familie für sich feiern kann. Aber dann gibt es kein Halten mehr: Auf zu Muttern, die um sechs Uhr aufge­standen ist, den Vogel wunderbar gefüllt in den Ofen geschoben, zweierlei Knödel vorbereitet, Blaukraut mit Apfel gekocht und den Selleriesalat mit gedünsteten Zwiebelchen versehen hat. Das muss so sein, sonst ist nicht Weihnachten. Söhne, Töchter, Enkel kommen wie die biblischen Völker aus allen Himmelsrichtungen und hauen richtig rein. Das ganze Jahr über freuen sich alle ­darauf. Aber in diesem Jahr ist es anders als sonst. Vater hat sich bei einem Sturz mit dem Mofa das Bein gebrochen. Und Mutter wirkt irgendwie müde.

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Natürlich gibt sie das nicht zu – ihr ganzes Leben lang hat sie die Kinder verwöhnt: Wieso sollte es jetzt anders sein? Und ­Söhne und Töchter möchten ja auch am liebsten alles beim Alten lassen. Aber dann gehen Telefonanrufe und Mails hin und her: Die Eltern sind einfach nicht mehr so fit. Vater hat sowieso nie einen Handschlag gemacht, höchstens die Weinflaschen geöffnet. Und Mutter – mit seiner Pflege wahrlich ausgelastet – ist so zart, so zerbrechlich geworden. Sie schafft das nicht mehr. Aber darf man das den beiden so sagen?

Es braucht Feingefühl, um die Eltern nicht knallhart mit ihrem Altwerden zu konfrontieren: „Lasst das Getue einfach, wir können essen gehen.“ Oder noch nüchterner: „Dann machen wir halt Spaghetti – schmeckt doch auch!“ Solche Sätze entwerten mit einem Schlag die Mühen der vergangenen Jahrzehnte – so, als wären all die Liebe, all die Sorgfalt ohne Bedeutung gewesen. Als hätte man sich das genauso gut schenken können. Und das stimmt ja einfach nicht! Es war immer wunderbar – heimelig, köstlich, warm. Selbst die kleinen Kabbeleien über den Fettgehalt der Suppe und die schrecklich üppige Sahnecreme haben dazugehört. Das wird einem fehlen, ohne Zweifel.

Nach lebenslanger Fürsorge sind die Kinder mal dran!

Wenn sie sehen und erkennen, dass die Eltern nicht mehr recht können, dann sollten Kinder und Enkel ihnen liebevoll nahelegen: Wir sind jetzt mal dran, nachdem wir ein Leben lang eure Für­sorge genossen haben. Die umgekehrte Einladung muss ja nicht gleich als neue Tradition verkauft werden – es kann doch erst einmal eine Ausnahme sein. Vielleicht hat eines der Kinder einen neuen Herd angeschafft und mag die ganze Sippe stolz mit der ersten selbst gebratenen Gans bewirten. Oder eine der Enkelinnen ist mit ihrem Freund zusammengezogen – die beiden brennen förmlich drauf, ihre gemeinsamen Kochkünste den Großeltern, Onkeln und Tanten vorzuführen.

Wichtig wird sein, eine solche Einladung mit Respekt vor der Vergangenheit zu vermitteln. Man kann der Mutter, der Oma sagen: „Du, wir wissen nicht, ob wir das so super hinkriegen wie du immer – aber wir würden es gern mal probieren!“ Man kann vorher um Rat fragen, wenn man ihn wirklich haben will – oder während die Gans brät, kurz anrufen: „Wie oft muss ich sie gleich wieder begießen?“ Das zeigt, wie wichtig man Eltern, Großeltern und ihre Erfahrung nimmt. Im nächsten Jahr wird man dann sehen, ob es der Mutter vielleicht wieder besser geht und sie richtig Lust auf Kochen hat. Oder ob ein anderes der Kinder und Enkel in den edlen Wettstreit eintritt, wer eine gute Gans macht. Vielleicht sogar mal asiatisch?

Die Ausnahme kann zu einer neuen, schönen Gewohnheit werden – eine, die ihnen zeigt: Wir sind bei den Jungen überall willkommen. Mal sehen, was sie diesmal auftischen...

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Als ich las, dass da jemand auch erst am zweiten Weihnachtstag die Gans serviert, ebenfalls aus Rücksicht auf die anreisenden erwachsenen Kinder, musste ich schmunzeln. Wie oft hatte ich selbst es schon gehört: " Eure Weihnachtsgans gibts erst am 2. Feiertag? Na, bei uns gibt es die am ersten!"

Ich bin für meine Familie einen anderen Weg gegangen:
Weil unsere Kinder alle lange Wege fahren müssen und es auch die typischen Festtagsdiskussionen um "Zuerst zu Deinen Eltern, oder zu meinen?" gab, haben mein Mann und ich ihnen für Weihnachten "frei gegeben".
Dafür trifft sich die ganze Familie, mittlerweile schon traditionell, im November oder zum 1. Advent, in einem Hotel, mittig gelegen zwischen den Wohnorten. Da geht es dann sehr entspannt zu, und wir haben mehr Zeit füreinander als über die Feiertage.
Wer möchte, ist zu Weihnachten "daheim" natürlich weiterhin herzlich willkommen!

Nicht nur die Kinder, auch wir haben dabei gewonnen!

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Viele Jahre hat uns Kinder und Enkelkinder unsere früh verwitwete Mutter am 2. Weihnachtstag zum traditionellen Sauerbratenessen zu sich in ihre Mietwohnung eingeladen. Zu Anfang gesellten sich neun, später mit Partnern der Enkelkinder ca. zwölf Familienmitglieder um die Mutti und Oma, und alle genossen das leckere Gericht und die Gelegenheit zum Wiedersehen und zu Gesprächen mit Nichten, Neffen, Cousinen und Cousins. Als Urenkelkinder schließlich dazu kamen, wurde es zu aufwändig für die Mama mit ihren 85 Jahren und zu eng in der kleinen Wohnung. So fanden wir eine für alle passende Lösung: Der Tisch wurde von nun an bei mir, ihrer jüngsten Tochter, für neunzehn Personen gedeckt, die Beilagen und der Nachtisch unter den Kindern aufgeteilt und nur die Hauptsache, den Sauerbraten, ließ sich unsere Mutter nicht nehmen zuzubereiten und brachte ihn stolz zusammen mit den Knödeln mit. Das ging noch einige Male so, bis zum letzten Jahr, in dem sie leider verstarb. Wie es nun weitergehen wird und ob überhaupt, haben wir noch nicht entschieden...!

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