Aber das Leben gerät aus der Balance - ­ und das Selbstbewusstsein
15.11.2010

7.30 Uhr, Zeit fürs Büro. Peter verlässt mit der Aktentasche unterm Arm das Haus. Andreas packt hastig seine Siebensachen, gleich fährt der Bus. Alles scheint in bester Ordnung. Das Problem ist nur: Beide sind arbeitslos. Die zwei Männer haben es noch nicht über sich gebracht, ihren Frauen, der Familie und den Freunden die Wahrheit zu sagen. Ihre ganze Energie stecken sie in den Erhalt der Alltagsroutine. Natürlich geht das nicht lange gut. Bei beiden dauert es nur wenige Wochen, bis allen in ihrem Umfeld klar ist: Der hat keinen Job mehr. Aus der Heimlichtuerei wird eine fürchterliche Offenbarung ­ und viele zusätzliche Konflikte kommen auf sie zu. Andere versuchen zwar nicht, die Situation zu vertuschen, sind aber genauso deprimiert: Wer arbeitslos wird, sieht sein ganzes Leben in Frage gestellt.

Wer arbeitslos wird, sieht sein ganzes Leben in Frage gestellt.

Unsere Gesellschaft hat die Möglichkeit zu arbeiten noch nie garantiert ­ und inzwischen ist es alles andre als selbstverständlich, in "Lohn und Brot" zu stehen. Rund fünf Millionen Arbeitslose wissen nicht, wie sie den Alltag bewältigen sollen. Dazu kommt der Verlust des eigenen Selbstwertgefühls. Früh bekommt man eingetrichtert, dass man erst etwas vorzeigen muss, bevor Anerkennung oder Zuneigung folgen: Erst sind es gute Noten und Schulabschlüsse, dann kommen Aussehen, Vitalität, Erfolg, Karriere und Geld dazu. Schließlich macht man sich zu Eigen, was auf Dauer kaputt und krank macht ­ dass man nur dann etwas taugt, wenn man etwas leistet und dafür entsprechend honoriert wird.

Der Werbespruch "Weil ich es mir wert bin" ist dann nur noch ein weiterer Pflasterstein auf dem Weg der Anpassung ­ an Bilder, die diese Gesellschaft als Ideal vorgaukelt. Denn natürlich muss man auch dieses Produkt kaufen, für das da geworben wird, um wirklich dabei zu sein bei den tollen Leuten. Frustrierend, wenn es nicht gelingt, erfolgreich zu sein und sich das leisten zu können, was einen zu einem "Insider" macht.

Wer arbeitslos ist oder es war, der weiß, wie weh es tut, wenn man die eigenen Gaben und Fähigkeiten nicht mehr im Beruf einsetzen kann. Man steht voll in Saft und Kraft und hat doch nichts zu tun, als abzuwarten und mit der oft vergeblichen Hoffnung auf eine neue Chance den Tag herumzubringen. Obendrein ist man finanziell abhängig von Staat oder Familie. Ähnlich geht es Müttern und Hausfrauen, die kein eigenes Einkommen haben und absurderweise manchmal nicht ernst genommen werden. Wertlos fühlen sich oft auch ältere Menschen, die in Ruhestand gegangen sind, und die, die schwer krank oder behindert sind: Was tragen sie bei zu dieser Gesellschaft, die trunken ist vor lauter Effizienz, in der alles und jeder oft nur noch nach dem Nutzen beurteilt wird? Viel. Aber so, wie man sich Segen nicht selber zusprechen kann, kann man sich auch nicht einfach selber sagen, dass man ein wertvoller Mensch ist ­ obwohl das stimmt.

Wer irgend kann, sollte einem anderen, der an sich zweifelt, durch Worte, Gesten, Taten klar machen, wie liebenswert er ist: Mit einem Lächeln, mit Ruhe, Verlässlichkeit und Wut, mit Reden, Schweigen, Energie oder Witz ­ ganz einfach, weil dieser Mensch so ist, wie er ist. Und weil er eben nicht aufgeht in Erfolg und Effekt. Es ist wichtig, diejenigen, die gerade nicht das angemessene Ansehen bekommen für das, was sie können, um ihr Engagement zu bitten ­- damit sie auch in den Phasen, in denen sie arbeitslos sind, zeigen dürfen, was an Talenten in ihnen steckt.

Warum nicht einmal etwas Ungewohntes ausprobieren?

Wer keinen Job hat, sollte sich neben der staatlichen Unterstützung alle Hilfe holen, die möglich ist. Mancherorts gibt es etwa in Kirchengemeinden oder von der Diakonie das Angebot, sich beraten zu lassen in Fragen von Bewerbung und passendem Outfit. Zudem kann man mit anderen, die einen schätzen und die eigenen Fähigkeiten erkennen, trainieren, sich selbstbewusst um neue Aufgaben zu bemühen. Man kann gemeinsam überlegen, welche Herausforderungen es gibt, von denen man glaubte, sie seien für einen nicht geeignet. Warum nicht einmal etwas Ungewohntes ausprobieren? Es kann auch gut tun, sich eine Zeit lang ehrenamtlich zu engagieren, um dadurch zu spüren: Ich bin wichtig, ich werde gebraucht mit dem, was gerade ich kann. Kinder betreuen, Finanzen verwalten, schreinern, kochen, Reden schreiben, malern, Autos reparieren, bei Computerproblemen helfen, vorlesen, Kranke besuchen, Obdachlosen die Haare schneiden (siehe auch letzte Seite). Oft entdecken Menschen erst auf diese Weise, was alles in ihnen steckt und nach Entfaltung ruft.

"Rechtfertigung allein aus Gnaden" hat der Reformator Luther genannt, was Menschen heute nötiger als alles andere haben, um ihr Leben zuversichtlich anzupacken und auch aushalten zu können. "Was machen Sie beruflich?" Diese nur scheinbar peinliche Frage darf jeder Arbeitslose seelenruhig mit dem Hinweis auf das beantworten, was er ist. Auf jeden Fall ist er mehr als die Summe seiner bezahlten Leistungen ­ nämlich eine von Gott geliebte, einmalige Persönlichkeit, die ein Recht auf die Achtung, Begleitung und Unterstützung anderer hat, in starken und schwachen Zeiten.

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meine lästernde nachbarin ( sie war schon immer ein "tratschmaul" (sorry....;), die lächle ich auch immer freundlich an, wenn sie mich strafenden blickes klein machen will. Sie weiss nichts, nur, dass ich viel zuhause bin. daraus zieht sie ihre schlüsse. sie sieht nicht die vielen absagen, die ich seit 1 jahr erhalte. sie verreisst sich einfach nur ihren mund. wie gerne würde ich sie auf den §130 Artikel 1 hinweisen: "Pauschales Beschimpfen von Arbeitslosen erfüllt einen Straftatbestand".
man muss schon im nahen umfeld ganz hart an sich arbeiten, um beherrscht zu bleiben. manchemal denke ich, ich tapeziere jetzt das treppenhaus mit den absagen. und dann denke ich wieder, ihr dürft mich alle gern haben.
und dennoch tut es einfach nur weh. keiner fragt, jeder urteilt einfach. das finde ich das schlimmste.

danke für ihren schönen artikel.

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