Susanne Breit-Keßler
Susanne Breit-Keßler
Monika Höfler
Und der Glückwunsch kommt spät. Dabei tut es so gut, wenn der andere an einen denkt und das auch zeigt
05.05.2015

Andreas kommt nach Hause. Seine Frau bleibt vor dem Fernseher sitzen und winkt ihm mit einer Hand zu. Das politische Magazin, das gerade läuft, ist einfach zu interessant. Als beide in der Küche stehen, um Abendessen zu machen, sieht Sabine, wie blass Andreas ist. Auf ihre Nachfrage hin sagt er beleidigt, dass er den ganzen Tag schon schreckliche Rückenschmerzen hat. Petra feiert Geburtstag – und ihr fehlt die Karte ihres alten Freundes Robert. Eigentlich hat er doch jedes Jahr geschrieben? Als sie ihn zwei Wochen später trifft und dezent auf ihren Geburtstag hinweist, sagt er nur: „Du, ich hatte so viel zu tun . . .“ Lisa meldet sich in der Deutschstunde begeistert, weil sie etwas zu diesem Rilke-Gedicht sagen möchte. Aber ihre Lehrerin sieht gar nicht hin – und beendet die Diskussion, ohne dass Lisa zu Wort gekommen wäre.

Manchmal sind wir so mit uns selbst beschäftigt, dass gar nicht auffällt, wenn ein anderer unsere Aufmerksamkeit benötigt. Susanne Breit-Keßler rät dazu, mehr auf die Mitmenschen zu achten und das Gespräch zu suchen - und von sich aus auf andere zuzugehen, wenn es an Aufmerksamkeit mangelt.

Natürlich gibt es „Indianer“, die Schmerzen klaglos aushalten und kein Mitleid wollen. Leute, die lieber unauffällig feiern und locker auf Glückwünsche verzichten können. Es gibt Jugendliche, die ein so gesundes Selbstbewusstsein haben, dass es ihnen nichts ausmacht, wenn sie mal übersehen werden und ihre Meinung für sich behalten müssen. Es ist wenig sinnvoll, andere mit Aufmerksamkeit zu überschütten, wenn sie das gar nicht wollen. ­

Echtes Interesse und klare Signale

Es braucht schon die Bereitschaft, sich Zuwendung gefallen zu lassen. Aber normalerweise tut es der Seele sehr gut, wenn andere achtsam mit einem umgehen. Es ist schön zu merken: Der Partner, die Freundin, die Vorgesetzten nehmen einen wahr. Man ist ihnen nicht nur einen Blick wert, sondern auch einen intensiven zweiten oder dritten.

Sie erinnern sich an besondere Tage und zeigen damit Interesse an der Lebensgeschichte. Sie setzen sich hin und schreiben eine Mail oder sogar eine richtige Geburtstagskarte. Sie fragen ernsthaft danach, was man denkt und meint. Wer auf andere achtet, signalisiert: Du bist mir wichtig. An dem, was dich beschäftigt und bewegt, nehme ich Anteil. Und das hebt das Selbstwertgefühl doch deutlich! Man ist frohgestimmt darüber, dass man einem anderen Menschen etwas bedeutet und er es auch zeigt. Das entspricht übrigens ganz und gar dem, was in der christlichen Theologie hochgehalten wird: die Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes, die das Individuum fest in den Blick nimmt.

Allerdings erfordert Achtsamkeit im Miteinander beides: das echte Interesse am anderen und Signale, dass man selber solche Achtsamkeit braucht. Man kann nämlich nicht immer wortlos erwarten, dass der Ehemann, die Freundin oder der Kollege weiß, was man gerade wünscht und braucht. Gelegentlich ist es sinnvoll, die eigenen Bedürfnisse deutlich anzumelden. Und etwa zu sagen: „Ich würde mich freuen, wenn du mir einen Tee und einen Wickel machst – ich kriege offenbar eine Erkältung!“ Oder: „Setz dich bitte zu mir, ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.“ Als Kind habe ich zum Missvergnügen meiner Mutter, der das peinlich war, immer allen verkündet, dass ich demnächst Geburtstag habe. Damit waren mir die Gratulationen sicher.

Und heute? Traue ich mich, im Nachhinein zu erzählen, dass ich, hurra, wieder ein Jahr älter werden durfte. Ich weise freundlich und bestimmt darauf hin, dass ich meine Wortmeldung noch aufgerufen wissen möchte. Was mich plagt und schmerzt, das sage ich denen, die es erfahren sollen. Wenn jemand von ­selber merkt, wie es mir geht, und mich daraufhin anspricht, weiß ich: Bei diesem Menschen bin ich gut, nein bestens, aufgehoben. Danke dafür.
 

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