Erledigt im Mai
Frau Otts endgültige Ablage, diesmal: Abbild der Gesellschaft
Tim Wegner
14.05.2013

Man wüsste gerne, welcher PR Berater auf diese schlaue Idee gekommen ist. Egal, was sie dir vor werfen, sag einfach mit besorgter Miene: „Schlimm, das alles. Aber wir sind hier auch nur ein Abbild der Gesellschaft.“ Missbrauch in der Charité? Klinikchef Karl Max Einhäupl: „Eine Klinik ist ein Abbild der Gesellschaft.“ Brutalität im Fußball? Borussia Dortmund Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke: „Fußball ist ein Abbild der Gesellschaft.“ Doping im Profisport? Telekom Sponsoring Chef Stephan Althoff: „Sport ist ein Abbild der Gesellschaft.“

In meiner Kindheit gab es auf dem Rummelplatz diese Spiegel, in die man sich mittig stellen konnte. Es spiegelte sich das Spiegelbild im Spiegel bild im Spiegelbild, bis einem etwas dumm im Kopf wurde. So ähnlich funktioniert auch diese Floskel: Die Schule spiegelt sich im Fußball, der spiegelt sich wiederum in der Kirche und bei den Pfadfindern. Man wird ganz dumm im Kopf von der Spiegelei und merkt am Ende gar nicht, was für ein reaktionäres Menschenbild hinter dieser Redewendung steht. Was sind das für Schul­sozialarbeiter, die beim Thema „Mobbing“ erst mal zu Protokoll geben, die Schulen seien eben ein „Abbild der Gesellschaft“? Anstatt zu sagen: In unserem Klassenzimmer sitzt die Gesellschaft von morgen – Mobbing wird hier nicht toleriert! Und was sind das für Sportvereine, für Kirchen und für Kliniken, die erst mal die Binsenweisheit verkünden, dass es halt überall Gewalt gibt. Warum also nicht auf dem Sportplatz und im Krankenhaus und in der Kirche? Wenn wir uns alle immer nur gegenseitig spiegeln würden, säßen wir bestimmt noch auf den Bäumen. Also, auf zwei Bäumen. Einer gespiegelt vom andern.

Bestimmt bin auch ich ein Abbild der Gesellschaft. Und ein Abbild von meiner Schule und von meinem Sportverein. Aber wenn ich Mist gebaut habe, kann ich schon auch selber was dafür. Ich bin ja kein Standbild. Sondern eher ein Bewegtbild.

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