Rücktritt: Es ist nicht leicht, die Entscheidung von Politikern oder Kirchenleuten gerecht zu bewerten. Und ihre Motive richtig zu verstehen
Foto: Tillmann Franzen
21.01.2011

Im Jahr 2010 haben wir viele Rücktritte leitender Persönlichkeiten in Politik und Kirchen erlebt. Überzeugende Rücktritte, die uns Respekt abnötigten und unnötige Rücktritte, die uns wie eine Flucht aus der Verantwortung erscheinen konnten. Bei manchen Rücktritten haben wir gedacht und vielleicht auch öffentlich gesagt:Schade! Dieser Mensch hätte im Amt bleiben sollen. Warum hält er nicht stand und bleibt seiner Verantwortung treu? Bei anderen aber: Endlich! Dieser Rücktritt war längst überfällig, vielleicht sogar im Wortsinn „Not-wendig“ für Menschen, die unter der Amtsführung des oder der Zurückgetretenen gelitten haben.

Nach dem Tod von 21 Besuchern der Loveparade in Duisburg wurden in Politik und Medien flugs Forderungen laut, wer denn nun zurückzutreten habe. Der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler und jener der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen hingegen kamen für die Öffentlichkeit überraschend. Gehen oder Bleiben? Ich denke, die Fragen der Würde des Amtes und dem Respekt, das es verdient, sind von großer Bedeutung. Aber mindestens genauso wichtig und für mich entscheidender ist der Respekt vor dem Menschen, der ein Amt ausübt. Denn die Würde eines Menschen ist grundsätzlich ein höheres Gut als die Würde eines Amtes. Das gilt in der Politik und in der Kirche! Um es in Abwandlung eines Jesuswortes zu sagen: „Jedes Amt ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Amtes willen!“ (nach Markus 2, 27b).

Bei jedem Rücktritt – mag er uns angemessen, vorschnell oder längst überfällig erscheinen – geht es deshalb immer auch um die Integrität und Verletzbarkeit der Person, fromm gesagt um das „Seelenheil“ der jeweiligen Amtsinhaber und -inhaberinnen. Und auf die haben wir Rücksicht
zu nehmen, Sie ist zu achten und zu respektieren. Sachbezogene (kirchen)politischen Argumente für oder gegen den Rücktritt müssen so vorgetragen werden, dass sie die Würde der Person wahren.

Beides kann Zeichen von Verantwortung sein: zu gehen oder zu bleiben

„Es ist genug! Ich kann und ich will nicht mehr!“, so schrie einst der Prophet Elia zu Gott. Er wollte nicht länger die Verantwortung seines Prophetenamtes tragen. Er war leer und ausgebrannt. Er hatte für seinen Gott gekämpft und einen glänzenden – auch blutigen – Triumph gegen falsche Götter und falsche Propheten errungen. Aber dieser Triumph trägt nicht. Elia wird von seinen Widersachern gejagt und verfolgt. Nun will er nicht mehr kämpfen und nicht mehr streiten. Er will nur noch weglaufen, sich verkriechen und schlafen. Er ist müde, sterbensmüde und amtsmüde! (siehe 1. Buch Könige, 18f. )

Gehen oder Bleiben? Einer großen Verantwortung müde geworden sein und zurücktreten. Oder: Verantwortung auf sich nehmen und von einem Amt zurücktreten. Oder: Verantwortung tragen und im Amt bleiben, um weiter zu gestalten und weiter zu kämpfen – alle diese Verhaltensweisen können Ausdruck des Respekts vor der Würde eines Amtes oder Ausdruck des Wunsches sein, die eigene persönlichen Würde zu bewahren. Das macht uns Außenstehenden im konkreten Einzelfall eine angemessene und gerechte Bewertung von Rücktrittsentscheidungen oft so schwer.

Wie damals bei Elia im alten Israel, so denke ich, können wir auch heute bei leitenden Menschen in unserem Land Amtsmüdigkeit nicht einfach gleichsetzen mit Verantwortungslosigkeit. Elia übrigens wurde von Gott so gestärkt und getröstet, dass er seine Fluchthöhle wieder verlassen
und seine Propheten-Nachfolge geordnet regeln konnte.

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