Margot Käßmann
epd-bild/Andreas Schoelzel
„Auch ihr wart Fremdlinge“
Flüchtlinge aus vielen Ländern hoffen auf ein menschenwürdiges Leben in Deutschland. Sie stoßen auf einen Bürokratiedschungel
22.08.2013

Die Meldungen reißen nicht ab. Ende Juli ertranken erneut Flüchtlinge auf der Überfahrt von Afrika zur italienischen Insel Lampedusa. Mindestens 31 Menschen sollen es diesmal gewesen sein. Ihr Schiff war gekentert. Weitere 22 Menschen konnten an diesen Tagen gerettet werden. Genau dorthin, nach Lampedusa, machte Papst Franziskus seine erste Auslandsreise, um auf die Flüchtlingsschicksale hinzuweisen.

Die Sendung in Live-Tweets

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Mir ist klar: Wir können das Armuts- und Demokratieproblem vieler Länder nicht in Deutschland lösen, aber wir dürfen Menschen, die zu uns kommen, auch nicht die unantastbare Würde verweigern, die unsere Verfassung jedem Menschen zusagt. Ein Aspekt dabei: die direkte Begegnung. Durch Zufall wird eine Kirchenvor­steherin auf neu ankommende Flüchtlinge in ihrer Gemeinde aufmerksam. Sie versucht, Kontakte zu ihnen herzustellen, ist überwältigt, welche Resonanz erste Be­gegnungen auslösen. Aber sie ist auch erschüttert, wie eingepfercht und abgeschottet die Flüchtlinge sind.

Flüchtlinge machen Erfahrungen mit einer restriktiven Verwaltung

Sie erhalten keinerlei Einweisung: nicht in Geräte des Hauses, nicht in Gepflogenheiten. Arztbesuche nur nach Terminabsprache! Zum Facharzt nur mit Überweisung durch den Hausarzt! Auch bleiben die Flüchtlinge im Unklaren über Dauer und Begründung des Aufenthalts. Die Hausleitung erklärt: „Die“ informieren sich gegenseitig. Ehrenamtliche begleiten Flüchtlinge zu Ämtern und Ärzten und müssen erfahren, dass diese Stellen dem Ansturm nicht gewachsen sind und unfreundlich reagieren. Als Sprachmittler kommen sie an ihre Grenzen, wenn sie nicht erklären können, warum eine Aufenthaltsverlängerung mal für zwei Monate, mal für drei gewährt wird. Sie erleben, dass sie mit der Flüchtlingsfrau im Wartezimmer bis zu allerletzt warten müssen.

Und sie machen Erfahrungen mit einer restriktiven Verwaltung: Vorgesehen sind ein 15-Euro-Gutschein für einen Tisch und ein 5-Euro-Gutschein für einen Stuhl. Wenn der Tisch 15,80 Euro kostet und der Stuhl 4 Euro, kann das nicht miteinander verrechnet werden. Aus Haushaltsauflösungen können keine Möbel gekauft werden, da Gutscheine von Privatpersonen nicht abgerechnet werden können. Wenn deutlich wird, dass das Sozialamt die Anmietung einer Privatwohnung genehmigen kann, zeigt sich, dass selbst wenn der Mietpreis stimmt, sie eine bestimmte Quadratmeterzahl nicht überschreiten darf. Ein Bürokratiedschungel tut sich auf, der Flüchtlinge völlig überfordert.

Hartnäckigkeit zahlt sich aus

Aber es gibt auch anderes: Die Flüchtlingsarbeit der beiden großen Kirchen ist kompetent, engagiert und macht Mut zur Hartnäckigkeit. Bei Ikea – ein kleines Beispiel – wird es plötzlich möglich, die Gutscheine als Gesamtsumme abzurechnen. Warum gehen nicht mehr Menschen zu ihnen, den Flüchtlingen am Oranienplatz in Berlin oder in den Mannschaftsgebäuden der ehemaligen Kasernen? Es muss ja nicht Lampedusa sein. Warum laden wir sie nicht ein, holen sie in unsere Gottesdienste, zu Musikfestivals, Stadtteilfesten? Und warum vertreten wir unsere Anliegen nicht engagierter: die dringend notwendige Veränderung vieler Sammelunterkünfte, die keine Privatsphäre zulassen und Menschen psychisch kaputtmachen. Die Lockerung der Residenzpflicht, die Verkürzung der Verfahrensdauer, die Aufhebung des Arbeitsverbots.

Im 2. Buch Mose heißt es:  „Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisset um der Fremdlinge Herz, weil ihr auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid.“ (23,9) Ja,wir brauchen einen Aufstand gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ (Papst Franziskus). Das klingt auch in lutherischen Ohren gut.

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Freising, am 01.09.2013
"Von Bereitschaftspolizisten eingekesselte Flüchtlinge, die zusammengekauert auf der Straße hocken, Uniformierte mit Helm, die kompromisslos einzelne Menschen aus der Gruppe lösen, schimpfende Demonstranten, Sanitäter, die sich um kollabierende Asylbewerber kümmern: Auf der Ismaninger Straße in Freising haben sich am Sonntagvormittag Szenen abgespielt, wie man sie sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Seit Freitag durchquert ein Zug von Asylsuchenden auf dem Weg von Bayreuth nach München den Landkreis Richtung München - bis das Polizeipräsidium Oberbayern jetzt entschied, Recht und Ordnung durchzusetzen und die Marschierenden aufzuhalten.
Hintergrund ist die in Bayern geltende Residenzpflicht für Asylbewerber: Sie dürfen den Regierungsbezirk, dem sie zugewiesen sind, nicht verlassen. Unter anderem dagegen protestieren die "Non-Citizens", wie sie sich selber nennen, mit ihrem Marsch Richtung München - und wie entschlossen einige von ihnen sind, dort auch anzukommen, zeigte sich bei dem Polizeieinsatz in Freising."
(Quelle: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/freising/einkesselte-fluechtlinge-schimpfende-demonstranten-unmittelbarer-zwang-1.1760048)

Der Marsch kam vom evangelischen Epiphaniaszentrum, in der die Teilnehmer übernachtet haben. Der Polizeieinsatz hier in Freising war erschreckend. Die Ismaninger Straße war gesperrt und es hatte den Anschein als ob die Polizei eine Eskalation bewusst in Kauf genommen hat. Der Demonstrationszug war genehmigt. Es ging um das Thema Residenzpflicht der Asylbewerber, die es außer in Bayern und Sachsens nirgends mehr gibt. Ich denke, dass alle Freisinger sich bewusst sein sollten, dass wenn die Dritte Startbahn genehmigt wird und hier Demonstrationen stattfinden, man damit rechnen muss ähnlich behandelt zu werden.
Man muss es mit eigenen Augen gesehen haben, dass es hier nicht um eine einfache Kontrolle der Ausweispapiere ging, sondern um Einschüchterung. Bei vielen Menschen verursacht ein solches Vorgehen Beklemmungen. Es stellt sich die Frage, wie können Betroffene gegen die Residenzpflicht demonstrieren, wenn man nicht zulässt, dass sie aus Niederbayern nach Oberbayern kommen. Wir sollten auch nicht Vergessen, dass es um Menschen geht, Menschen, die genauso wie die Polizisten Respekt verdienen. Auch einige der Polizisten haben sich bei dem Einsatz nicht wohlgefühlt.
Was wäre denn das Problem gewesen, die Demonstranten bis nach Neufahrn weiterlaufen zu lassen? Wo bleibt unsre Mitmenschlichkeit. Ergebnis der Polizeiaktion war, dass einige Leute in Krankenhäusern gelandet sind und die Polizei keine Auskunft darüber gegeben hat, wohin einzelne abtransportiert wurden.
Es stellt sich die Frage, wie muss man sich fühlen, wenn man sich für mehr Mitmenschlichkeit einsetzt und solch eine staatliche Drohkulisse aufgebaut wird? Angst, Einschüchterung, Abschreckung? Wer hat hier vor wem Angst? Vielleicht wäre an einem Sonntag etwas mehr Barmherzigkeit das Gebot der Stunde gewesen.

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Jürgen Weichert schrieb am 3. September 2013 um 6:30: "Es stellt sich die Frage, wie muss man sich fühlen, wenn man sich für mehr Mitmenschlichkeit einsetzt und solch eine staatliche Drohkulisse aufgebaut wird?" Ein kleiner Tipp für die Gefühlsentwicklung: Ist es so, dass die Polizei eine Einrichtung ist zum Wohlfühlen für Menschen mit starkem Drang zur Mitmenschlichkeit? Ist es so, dass die Polizei diese edle Aufgabe mal wieder vergeigt hat? Könnte es nicht sein, dass die Polizei weitgehend alles richtig gemacht hat? Sie hat nämlich die Aufgabe, Recht und Gesetz durchzusetzen, auch und gerade Flüchtlingen gegenüber. Wo nötig, ist von Seiten der Polizei Gewalt anzuwenden. Die muss verhältnismäßig sein und das wird auch immer wieder von Gerichten kontrolliert und ggf. beanstandet. Was soll da in Freising grundsätzlich anders gelaufen sein als sonst bei Demos? __________________________ Zitat: "Der Polizeieinsatz hier in Freising war erschreckend." Könnte es sein, dass nicht der Polizeieinsatz erschreckend war, sondern ganz was anderes? Gehen nicht vielleicht die Vorstellungen von flüchtlingsfreundlichen Bürgern über die Rolle der Polizei im demokratischen Rechtsstaat erschreckend an der Wirklichkeit vorbei? Ist das Erschreckende nicht vielleicht das systematische und hartnäckige Verwechseln von Staatsgewalt und deren Zielen mit dem ideologischen Kalauer von der Polizei als Freund und Helfer?

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Neulich sah ich im italienischen Fernsehen einen Bericht über die Flüchtinge und die Situation auf Lampedusa. In dem Bericht wurde auch die die Lage der Einwohner von Lampedusa geschildert. Ein Problem auf beiden Seiten. Ich bin betroffen, auch wegen der Tatsache, daß "Europa" die Italiener bei der Bewältigung ziemlich allein läßt. Deshalb habe ich mich natürlich auf Ihren Artikel gestürzt und dachte ich erfahre hier eine Lösung oder wenigstens einen Ansatz. Leider nein. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich bei meinen Überlegungen zu dem Schluß gekommen, daß wir das Problem nur in den Heimatländern lösen können, denn egal was wir hier tun und je besser wir es tun,, desto mehr werden sich trotz aller Gefahren auf den Weg machen. Das kann nichtrichtig sein. Ich sehr hier die Aufgabe der christlichen Kirchen und ich denke mit Franziskus kann man das machen. Politisch wie wirtschaftlich im Heimatland eine Hoffnung schaffen. Das fängt mit sauberem Wasser an und hört mit einer funktionierenden Verwaltung auf. Beide Kirchen verfügen über genügend Mandatsträger um ein solches Projekt in einem Land in Gang zu setzen. Auch Medienarbeit gehört dazu. Es muß jedem Flüchtling klar sein, daß er hier auf ein Teil seiner Rechte verzichten muß und daß er bevormundet wird. Gesetze und Verwaltungsvorschriften kann man nicht in jedem Fall unterschiedlich handhaben. Es muß sichergestellt sein, daß das Geld für ein Kinderbett auch für ein Kinderbett ausgegeben wird und nicht mit einem Breitband-TV kompensiert wird. Mit dem Ruf nach Arbeit und der Residenzpflicht ist es ähnlich. Bitte setzen Sie sich für ein Heimatland-Projekt ein. Diejenigen, die nicht wieder nachhause dürfen/können nehmen wir dann gerne hier auf.

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Der Bürgerkrieg in Syrien hat mehr als eine Million Flüchtlinge "produziert ". 5000 dieser Menschen will das wohlhabende Deutschland aufnehmen, jener Staat, dessen Altbundeskanzler Gerhard Schröder sich im
Juni 2007 von dem verbrecherischen Regime in Damaskus die Ehrendoktorwürde verleihen ließ. Was beides miteinander zu tun hat? Wir betreiben Kumpanei mit Diktatoren und anderen Unterdrückern und sind damit
mitverantwortlich, wenn deren Opfer aus ihrer Heimat fliehen müssen.

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