Was ist dran am Kindermord von Bethlehem?
Turchi, Alessandro, genannt L’Orbetto um 1578 – 1649. “Der bethlehemitische Kindermord”. Öl auf Kupfer, 56 × 63 cm. Inv. Nr. 1122 Wien, Kunsthistorisches Museum.
akg-images/Erich Lessing
Was ist dran am Kindermord von Bethlehem?
Herodes, der starke Mann Roms im Land der Juden, soll eine Gräueltat begangen haben. Dieser Vorwurf wird ihm gar nicht gerecht
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
23.12.2017

Das Verbrechen war so dreist, dass es bis heute entrüsten kann. Da lässt ein Despot, auf unbestätigte Aussagen von Sternguckern hin, Killer ausschwärmen und in großer Zahl Säuglinge und Kleinkinder erstechen und erschlagen. Sein Machtinstinkt verleitet ihn dazu. Es ist eine vorsorgliche Ausrottung von potenziellen Aufständischen, eine mehr als zwanzig Jahre vorausgreifende Vorbeugemaßnahme. Ja, so sollen sie gewesen sein, die römischen Statthalter im Land der Juden: blutdurstig, menschenfeindlich, mit einem besonders bösen Machtwillen ausgestattet.

Die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem ist so recht geeignet, mit dem Säugling in der Krippe, von Engeln als Gottes Sohn bezeichnet, zu zittern. Da mochten die drei Weisen aus dem Morgenlande noch so mutig Herodes hintergangen haben, als sie sich weigerten, den Aufenthaltsort des Kindes zu melden – die Geschichte zeigte: Roms starker Mann im Land der Juden zitterte vor einem Säugling.

Ein schlimmes politisches Opfer verdunkelt die Weihnachtsgeschichte

Bethlehem: Tatort eines Massenmords. Ein schwarzer Schatten hängt über der Geburtsgeschichte Jesu. Mit seinem Kommen verknüpft sich ein schlimmes politisches Opfer: der Tod aller gleichaltriger Kinder im Dorf (Matthäus 2,16–18).

Wie so häufig in der Bibel kommt es auch hier besonders darauf an, die Sinnspitze der Geschichte zu erkennen. Und die liegt nicht in irgendwelchen Aussagen über die Tat des Herodes oder über seine Opfer, sondern in der Errettung dieses besonderen Kindes.

Man muss auch etwas zur Ehrenrettung des Herodes sagen, und dazu verhilft ein Blick in die historischen Quellen. Herodes war vermutlich schon nicht mehr am Leben, als Jesus das Licht der Welt erblickte. Schon deshalb kann er einen Kindermord in Bethlehem nicht angeordnet haben. Und: Es gab auch gar keinen Kindermord.

Der Kindermord in Bethlehem hat eine literarische Vorlage, jene vom Kindermord in Ägypten. Der kleine Mose entging dort seiner Ermordung. Der Pharao ließ alle Kinder unter zwei Jahren in den Nil werfen, weil er einen Aufstand der Hebräer befürchtete, lediglich die Mädchen ließ er leben. Als einziger Junge wurde Mose gerettet, da er von seiner Familie in einem Schilfkorb auf dem Nil versteckt wurde. Die Tochter des Pharaos, die ihn fand, hatte Mitleid mit dem Findelkind, ließ Mose von seiner eigenen Mutter großziehen und adoptierte ihn später.

Die Bedrohung mündet in eine wunderbare Errettung

Gemeinsam ist beiden Legenden vor allem die Pointe: Die Bedrohung dieses kleinen, besonderen Menschen mündet in ihre wunderbare Rettung. Erzählungen von der Lebenserrettung waren in der Antike so beliebt, dass sie häufig in Geschichtsbüchern auftauchten. Selbst der römische Kaiser Augustus, Repräsentant jener Macht, die Jesus nach dem Leben trachtete, war in Kindestagen mit dem Tode bedroht: Der römische Senat hatte angeblich alle in Italien geborenen Kinder dieses Jahrgangs töten lassen, um einen potenziellen Herrscher erst gar nicht hochkommen zu lassen.

Historiker haben ein ganz anderes Bild von dem Herodes der Weihnachtsgeschichte. Er war überhaupt nicht befugt, Todesurteile zu fällen. Ein Massenmord fällt damit aus. Die Juden hätten in einem solchen Falle nicht gezögert, in Rom bei Augustus die Abberufung ihres Prokurators zu fordern und durchzusetzen. Vor allem: Augustus wie auch Herodes verstanden sich als Vertreter einer Friedenspolitik. Beiden Herrschern ging es darum, die unruhigen Juden zu beschwichtigen. Denn zugegeben: Ihr, vor allem des Herodes, Ansehen bei den orthodoxen Juden war außerordentlich gering.

Herodes: einer der fähigsten Herrscher des Altertums

Tatsache ist: Bei aller Verachtung, die die Juden für ihren König übrig hatten, galt Herodes als „einer der fähigsten Herrscher des Altertums“ (Harald von Mendelssohn in seinem Buch „Jesus – Rebell oder Erlöser?). Den Juden mochte nicht behagen, dass er – selbst Jude – mit Ungläubigen paktierte; dass er antirömische Partisanengruppen und Unruhestifter (in der Bibel beschönigend „Räuber“ genannt) mit Gewalt niederhielt; dass er das Disziplinierungsmittel Kreuz häufig und ausgiebig nutzte; dass er, durch zehn Ehen offensichtlich in Erb- und Nachfolgefragen zermürbt, in seiner eigenen Großfamilie blutig aufräumte. All dies waren für die Juden Gründe genug, ihn als „Gräuel der Hölle“ zu hassen.

Aber man kann über Herodes auch manch Gutes sagen. Als im Jahr 25 vor Christus eine Dürre im Land herrschte, ließ er seine gute Kontakte nach Ägypten spielen, um Massen von Nahrungsmitteln einzuführen und zu verteilen. „Kaum je ist eine Hungersnot in dieser Region so wirkungsvoll bekämpft worden“, schreibt der Historiker Harald von Mendelssohn. Er erweiterte den Tempel, schuf so an die 18000 Arbeitsplätze und vor allem einen noch prächtigeren Tempel als zuvor. Die „Klagemauer“ im heutigen Jerusalem zeigt noch seine Ausmaße. Dieses und vieles mehr hätte den Juden an diesem Regenten gefallen müssen.

Aber das hat es nicht. Und so lesen wir heute die Weihnachtsgeschichte, ganz nebenbei, auch als ein – wenn auch nicht historisches – Dokument über die Ablehnung der Römer durch die Juden. Vor allem aber als die Geschichte der Erwählung Jesu.

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