Asylberater Helmut Stapf auf seinem Holzplatz in der Nähe seines Wohnhauses
Asylberater Helmut Stapf auf seinem Holzplatz in der Nähe seines Wohnhauses
Sascha Montag/Zeitenspiegel
Der Rebell
Seit vierzig Jahren hilft Helmut Stapf Flüchtlingen, in der deutschen Gesellschaft anzukommen. Er tut, was immer er für nötig hält – auch in juristisch zweifelhaften Fällen. Zu Besuch bei einem Unermüdlichen
20.09.2017

 Wenn jemand krank vor Sorge ist, dann riecht er sauer. Helmut Stapf kennt das. Der 69-Jährige hat im Landkreis Augsburg mit Tausenden Flüchtlingen gearbeitet.

Stapf ist ein Hüne, 1,90 Meter groß, breite Schultern, Grabehände. Er sitzt am Küchentisch einer Wohngemeinschaft syrischer Männer und pustet in seinen Tee. Kein Zufall, dass er sich jetzt an diesen Angstgeruch erinnert. Mohammed Al Abed und Miasar Al Taleb haben es nach Deutschland geschafft, doch ihre Frauen und Kinder stecken in Syrien und der Türkei fest. Die Männer können ihren Familien nicht helfen. „Das ­ist Stress, der einen Menschen kaputt macht“, sagt Stapf. Eigentlich ist er längst im Ruhestand. Aber Stapf kann nicht Nein sagen. Und die Flüchtlinge melden sich ja sowieso bei ihm, wenn sie Rat suchen. 

Vor vierzig Jahren, im Februar 1977, wurde Helmut Stapf Deutschlands erster Sozialberater für Asylsuchende. Für die Caritas arbeitete er in Unterkünften, vermittelte Flüchtlingen staatliche Hilfe. Er begleitete sie beim Übergang in die neue Welt und wurde allmählich zum Ex­perten für eine heute immer drängender werdende Frage: Wie können wir Flüchtlinge sinnvoll in die deutsche Gesellschaft integrieren?

Bis in die 70er Jahre hatte es in Deutschland eine einzige zentrale Aufnahmeeinrichtung gegeben: eine alte Nazi­kaserne in Zirndorf bei Nürnberg. Die meisten Menschen kamen aus Ostblockstaaten. Als im Laufe des Jahrzehnts die Zahl der Migranten aus weniger wohlhabenden Ländern stark stieg, richtete die Regierung zwei weitere Unterkünfte ein, in Neuburg an der Donau und in der Augs­burger Hindenburgkaserne – Stapfs erste Arbeitsplätze.

Helmut Stapf im Gespräch mit einem Flüchtling aus Syrien in einer Notunterkunft

Er half auf dem Sozialamt, auf der Ausländerbehörde, bei Steuerbescheiden. Stapf organisierte ökumenische Gottesdienste, interkulturelle Cafés und Konzerte indischer Sitarspieler. Flüchtlinge, so sein Gedanke, sind nicht nur Bedürftige, sondern auch Botschafter ihrer ­Kultur. Und weil seine Vorstellungen von Integration sich nie ganz mit den deutschen Asylgesetzen deckten, waren Konflikte programmiert. Manchmal endeten sie für ihn auf der Anklagebank. Zum Beispiel, als er mehrere Iraker ermutigt hatte, seinen Wohnsitz in Schwabmünchen als Scheinadresse zu nutzen. Die Flüchtlinge hatten bei Verwandten außerhalb des Landkreises Augsburg Wohnung und Arbeit gefunden – mussten jedoch einen Wohnsitz innerhalb des Landkreises nachweisen.

Privat

Martin Theis

Martin Theis wollte von Helmut Stapf erst nur ­wissen, wie er nach 40 Jahren Flüchtlingsarbeit auf die heutige Asyldebatte blickt. Dann blieb er immer länger.
Seit 24 Jahren berät Rechtsanwalt Helmut Riedl den Cari­tasverband der Diözese Augsburg in juristischen Fragen. Er hatte öfter mit Helmut Stapf zu tun. „Dass er seine Adresse dafür hergab, war saublöd. Herr Stapf hat damals gegen meine Empfehlung gehandelt“, sagt Riedl, der eine gewisse Sympathie für Stapf nicht verbergen kann. „Wenn er überzeugt ist, dass formell geltendes Recht eigentlich Unrecht ist, dann ist er unbelehrbar und nicht umzustimmen.“ Stapf wurde in zweiter Instanz freigesprochen. Der Richter erklärte die behördliche Auflage für unzumutbar.

Helmut Stapf erzählt, wie er zwischen einem wütenden muslimischen Vater und seiner Tochter vermittelte, die einen deutschen Mann heiraten wollte. Wie er mit einem schwer kranken Pakistani bis vors Bundesverfassungsgericht klagte, damit dieser eine Pilgerreise nach Mekka antreten durfte. Und wie er sich dafür einsetzte, dass der Staat einem syrischen Christen die freiwillige Rückkehr in die Heimat finanzierte – und der dann mit einer Spielzeugpistole das Flugzeug entführte und in Ankara landen ließ.

Im Jahr 2000 meldete die Ausländerbehörde Stapf dem Augsburger Anwaltverein. Stapf hatte einem Klienten geholfen, ein Formular auszufüllen, sich dafür mit Rechtsanwalt Riedl beraten und es dann selbst an die Behörde gefaxt. Der Anwaltverein zeigte Stapf an – wegen illegaler Rechtsberatung. Das Landgericht Augsburg sprach ein Unterlassungsurteil gegen ihn aus. Das Oberlandesgericht München sprach ihn in zweiter Instanz frei. Stapf sagt, er habe über den Fall graue Haare bekommen.

Mit unseren Asylgesetzen setzen wir den Über­lebenskampf außer Kraft

Rechtsanwalt Riedl sagt, Stapfs Ansatz habe ­im Grunde immer der Landespolitik wider­sprochen: „Bis in die frühen Nullerjahre wollten die bayerischen Sozial- und Innenministerien ausdrücklich keine Integration von Asylbe­werbern, solange diese nicht als Flüchtlinge anerkannt waren.“ Stapf habe sich hingegen sofort um Integration seiner Klienten gekümmert, sich um Sprachkurse bemüht und Hausaufgabenhilfe für deren Kinder organisiert. „Mit dem bedauer­lichen Effekt, dass Menschen abgeschoben wurden, die eigentlich schon gut integriert waren“, so Riedl.

So gleichmütig Helmut Stapf sich zeitlebens den Pro­blemen anderer widmete, so wenig hatte er gelernt, mit Kritik umzugehen. „Ich reagiere mimosenhaft“, sagt Stapf. Wenn jemand seine Arbeit kritisiert, fühlt er sich als ­Person infrage gestellt. Innerhalb der Caritas wechselte er mehrmals den Arbeitsplatz. Er war froh, als er die Arbeit 2008 hinter sich lassen konnte.

Nach dem großen Flüchtlingsandrang holte ihn die ­Caritas 2015 zurück. Offiziell hat er jetzt noch bis Ende September einen Minijob, soll freiwillige Helfer koordinieren und schulen. Die Praxis sieht natürlich anders aus.

Abnehmen, abstempeln, abbringen: Klebezettel in einer WG von syrischen Flüchtlingen in Schwabmünchen bei Augsburg

Schwabmünchen, Gewerbegebiet. Helmut Stapf fährt auf den Parkplatz einer Notunterkunft. Im Kofferraum hat er Trommeln und Rasseln für eine Gruppe nigerianischer Musiker. Stapf hat ihnen einen Auftritt auf einem Uno-­Turnier besorgt. Er klopft an eine Tür, hinter der sich vier Männer ein Zimmer teilen. Zwei braten Reis, die ­anderen schlafen noch – oder schon wieder. Dicke Tücher vor den Fenstern sperren das Tageslicht aus. „Diese sogenannten Gemeinschaftsunterkünfte sind soziale Verschrottungsanlagen“, sagt Stapf.

Als er in den Siebzigern als Sozialberater anfing, konnten sich Asylbewerber noch frei bewegen, jeder bekam einen kostenlosen Deutschkurs und durfte sich einen Job suchen. „Damals arbeitete ich in Neuburg an der Donau. Von den zweihundert Bewohnern war nur einer auf Sozial­hilfe angewiesen“, sagt er. Doch mit steigenden Flüchtlingszahlen wurden die Gesetze restriktiver. „Heute ist jeder Fünfte psychisch krank oder dem Alkohol ver­fallen.“ Lagerkoller nähmen zu.

Als Stapf in einem Containerdorf weit außerhalb Augs­burgs arbeitete, saßen die Bewohner in einem harten ­Winter wochenlang auf dem Gelände fest – zwischen Bundesstraße und einer Startbahn für Düsenjäger. In die Stadt fahren durften sie nicht, wegen der Residenzpflicht. Ein Mann drehte durch, legte Feuer und fackelte auch Stapfs Büro ab. „Meine erste Reaktion war: Dann muss ich wenigs­tens meine Ablage nicht mehr machen“, sagt Stapf. In der „Augsburger Allgemeinen“ erklärte er damals, Flüchtlinge sollten endlich in den Genuss des Grundgesetzes kommen, Artikel 2, Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das war wieder so ein Stapf-Moment, der die Behörden auf die Palme treibt.

Ablage machen: Stapf und der lästige Bürokram daheim

Sein Traum: eine internationale Solidargemeinschaft. Man solle jungen Menschen aus Entwicklungsländern die Möglichkeit geben, für einige Jahre legal in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Anschließend könnten sie in ihre Heimat zurückkehren und die Probleme dort selbst angehen. Umgekehrt machten das deutsche Jugendliche schließlich auch.

Die heutigen Asylgesetze, so Stapf, erzögen die Menschen zur Unselbstständigkeit. „Wir setzen den Überlebenskampf außer Kraft, der in vielen Kulturen an der Tagesordnung ist.“ Asylverfahren ziehen sich oft über Jahre, auch weil viele Flüchtlinge ihre Identität nicht preisgeben. So lange sind sie zum Nichtstun verdammt. „Wo der Mensch gefordert wird, da wächst er“, sagt Stapf. „Aber wo er stillsteht, da geht er ein.“

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