Eine Kamerafrau wird Bäckerin
Eine Kamerafrau wird Bäckerin
Kaja Grope Fotografie
Anfangs hätte sie fast geweint
Trotzdem hat sie ihren Schritt nie bereut: von der Kamerafrau zur Bäcker-Auszubildenden
30.08.2017

Der Beruf Kamerafrau war Liebe auf den ers­ten Blick. Mit 20 hatte ich einen Freund, der war Drachenflieger, darüber wollten wir einen Dokumentarfilm machen. Das war zu Beginn der Video-Ära in den Achtzigern. Wir liehen uns eine Kamera und boten den fertigen Film einfach dem NDR an. Der Redakteur sagte: „So junge Leute, die sich ausprobieren, das ist doch erfrischend.“ Danach wusste ich: Das ist es.

Später habe ich zum Beispiel eine Reportage über rechtsradikale Jugendliche gedreht und bin dafür tief ­eingetaucht in die Szene. Heute geht es im Fernsehen weniger um Inhalte als um Einschaltquoten und Hochglanzbilder. Irgendwann sollte ich nur noch schöne Gärten und exotische Reisen drehen. Egal ob Frankreich oder die Mongolei, meine Neugier ging verloren.

Außerdem war es fast normal, dass mir ein Redakteur abends um 21 Uhr schrieb: „Wir treffen uns morgen früh statt um 8 Uhr um 6 Uhr. Und kannst du bitte eine andere Kamera organisieren?“ Ich habe die halbe Nacht gerödelt, dann regnete es, und der Dreh wurde abgesagt.

Um kurz nach 2 Uhr stehe ich auf. Im Morgengrauen muss das Brot im Regal liegen

Es gab aber noch andere Gründe fürs Aufhören. Neben meiner Filmproduktionsfirma in Hamburg hatte ich noch einen Bauernhof mit Pferdezucht, Wasserbüffeln, Schafherde, zwei Kinder und Haushalt. Das alles schluckte viel Zeit. Ich fing an, mich innerlich von meinem Mann zu entfernen und auch ein bisschen von mir selbst.

Ich habe immer begeistert Filme über handwerkliche Berufe gemacht. Besonders beeindruckt hat mich eine ­offene Bäckerei in Afghanistan mit einem Lehmofen, der zwei Stockwerke hoch war. Das Brot war köstlich. Aus nur drei natürlichen Zutaten – Wasser, Mehl und Salz – etwas so Sinnvolles zu erschaffen, das gleicht einem Wunder.

Ich trennte mich von meinem Mann, gab meinen Beruf auf und suchte mir eine Lehrstelle als Bäckerin. Natürlich gibt es Leute, die finden meine Wendung merkwürdig: „Was ist das denn für eine Karriere?“, fragen die sich. „Von der Millionärin zur Tellerwäscherin.“ Aber das ist mir egal. Meine Mutter hat mich verstanden, weil die Entscheidung von Herzen kam. Selbst mein Exmann fand es klasse. Obwohl er nichts mehr davon hat, dass ich nicht mehr so viel unterwegs bin. Ein Fernsehkollege sagte: „Ich würde gerne etwas Ähnliches machen, aber ich traue mich nicht.“

In meine Bewerbung bei der Bäckerei im Nachbarort schrieb ich, dass mir klar ist, dass der Beruf kein Zuckerschlecken ist. Der Chef hat sich per SMS gemeldet. Jetzt stehe ich morgens um Viertel nach zwei auf. Die Arbeit ist strikt durchgetaktet. Zuerst haben sie mich da eingesetzt, wo ich am wenigsten Schaden anrichten kann – an der Brötchenpresse. Man muss ein Gespür entwickeln für Teige. Ich lerne, mal mit Kraft zu arbeiten, dann wieder feinfühlig mit zartem Griff. Erklärt wird wenig, aber beobachten, das kann ich. Wir arbeiten ohne Pause. Im ­Morgengrauen muss das Brot im Regal liegen und duften.

In der Backstube geht es ums Schaffen, nicht ums Freundlichsein

Im Kamerateam war es selbstverständlich, freundlich zu sein. Besonders zu den Menschen, die man filmt. Man sorgt für gute Stimmung, selbst wenn es schwierig wird. In der Backstube ist das anders. Hier geht es nicht um Kommunikation, sondern ums Schaffen. Manchmal wird nicht einmal hochgeguckt, wenn jemand „Guten Morgen“ sagt. Als ich mal einen voll beladenen Wagen mit Broten in die falsche Ecke schob, wurde ich angeranzt. Ich war so müde, dass ich dachte: „Jetzt heul ich einfach.“ Inzwischen habe ich mich eingewöhnt.

Ganz langsam merke ich, dass sich etwas verändert. Ich genieße es, nach der Arbeit mit ofenwarmem Brot und dem Hund ein kleines Frühstückspicknick am See zu machen. Ich fahre Rad, wo ich früher ins Auto gestiegen bin. Ich nehme mir Zeit für den Blick nach innen: Was ist mir wichtig? Ich habe meinen Schritt keine Sekunde bereut.

Gerade habe ich die Zwischenprüfung bestanden. Ich könnte mir vorstellen, eine klitzekleine Backstube mit Brot und Leben zu füllen. Ein warmer Ort am frühen Morgen. Die Menschen sollen hier mehr mitnehmen als nur ein Lebensmittel. In Tadschikistan, wo ich mal gedreht habe, ist das Brot etwas Heiliges. Es darf nicht weggeworfen werden. Das gefällt mir. Ich hoffe, in meine Bäckerei kommen alle. Aus Bünsdorf, aus Hamburg und aus New York.

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