Fragen an das Leben - Cordula Stratmann
Fragen an das Leben - Cordula Stratmann
Dirk von Nayhauß
"Verzeihen ist doch viel bequemer"
Wenn du Krieg führst, sagt Cordula Stratmann, kannst du verlieren. Wer sich versöhnt, muss nicht mehr auf seine Soldaten aufpassen
Dirk von Nayhauß
30.08.2017

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Ich bin ein glücklicher Mensch, auch dann, wenn ich alles total blöd und anstrengend finde. Vielleicht liegt es daran, dass ich Familientherapeutin war. Ich bin gelassener, ein schlechter Tag zieht mich nicht komplett runter. Und ich kann das Tempo drosseln, Fahrt rausnehmen und auf ­ruhig schalten. Ich halte das für überlebensnotwendig. 

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Mein Sohn ist zehn, wir streiten uns oft, das bietet sich in dem Alter an. Ich muss ihm Leuchtturm sein und trotzdem nicht immer auf meinem Recht beharren. Ich muss auch mal die Klappe halten und meinem Kind vertrauen. Was für ein Glück, dass ich nicht den Karriereweg ge­gangen bin, sondern mich für meine Elternschaft entschieden habe. In der Schwangerschaft habe ich noch geglaubt, ich könnte weitermachen. Doch als ich meinen Sohn auf dem Arm hielt, war mir klar: Ich gehe keine 100 Drehtage aus dem Haus. Mir ist der Ausstieg sehr leichtgefallen. Ich kapiere überhaupt nicht, wie Leute ­sagen können, dass sie an der Seite ihres Kindes verblöden. Ich verstehe gar nicht, wovon die sprechen. Eine Weiterentwicklung für mich als Mensch entscheidet sich nicht an der Frage, ob ich im Beruf bleibe oder nicht. 

Cordula Stratmann, 2017 Dirk von NayhaußDirk von Nayhauß

Cordula Stratmann

Cordula Stratmann, 1963 geboren, ist eine vielfach ausgezeichnete Komikerin, Schauspielerin, Mo­deratorin und Buch­autorin. Sie ­studierte Sozialarbeit, ist ausgebildete Familientherapeutin und hat acht Jahre in einer Beratungsstelle gearbeitet. Zu ihren ­größten Erfolgen ­zählen die Impro-­Show "Schillerstraße" und ihre Kunstfigur Annemie Hülchrath. Cordula Stratmann engagiert sich bei dem Jugendhilfe­projekt "Rheinflanke". Sie ist mit lit.Cologne-­Mitgründer Rainer Osnowski verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Köln.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Es ist ein toller, menschlicher Versuch, die Welt zu etwas Gutem zu machen. Aber ich weiß nicht, warum ein Gott dazu notwendig ist. Es ist doch selbstverständlich, jemandem, der Hunger hat, von meinem Essen abzugeben, das ist menschlich, dafür brauche ich kein christliches Zu­ordnen. Als Jugendliche war ich Gruppenleiterin beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Zuerst habe ich mich von der Kirche als Institution wegbewegt, vieles fand ich nicht mehr überzeugend, ich habe gedacht: Das ist doch von Menschen gemacht, auch die Bibel. Schließlich habe ich mich gefragt: Wer soll das genau sein, dieser Gott? Ich fand keine Antwort. Ich denke, in einem Gespräch mit jemandem, der an Gott glaubt, würden wir feststellen, dass uns Ähnliches wärmt oder schreckt. Die christlichen Inhalte, die ich früher für wichtig hielt, die habe ich erhalten, die sind mir nicht verloren gegangen. 

Muss man den Tod fürchten?

Natürlich, mir konnte noch nie einer glaubwürdig er­zählen: "Mach dir keine Sorgen, das wird super!" Ich ­habe drei Mal neben sterbenden Menschen gesessen, auch ­neben meinem Vater. In dem Buch "Sie da oben, er da ­unten" habe ich mir ein Bild vom Himmel gemacht. Neben Heinrich Böll auf einer Wolke zu sitzen, das finde ich gar nicht so schlecht. Aber das ist eine kindliche Vorstellung, das wird nicht so sein. 

"Mit dem Begriff 'Schuld' kann ich nichts anfangen"

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Ich kann mit dem Begriff nichts anfangen. Bedauern ­kenne ich besser. In meinen Augen lädt niemand Schuld auf sich, sondern jeder hat Verantwortung und muss auch mal sagen: "Das ist mir entglitten." Oder: "Ich war’s." Ich weiß gar nicht, was Schuldgefühle sind. Scham ist dagegen etwas, das ich gut kenne, das ist ein wunderbares Gefühl. Ein Schamgefühl zeigt einem eine empfindliche Stelle. Man kann um Entschuldigung bitten, und dann kann man gemeinsam die Verbindung neu knüpfen. Mich über­kommen Schamgefühle, wenn ich mich richtig blöd verhalten habe. Wenn ich wieder die Klappe weit aufgerissen, mich in einer Diskussion meinungsstark gefühlt habe. Auf dem Weg nach Hause kann mir schon die Röte ins Gesicht steigen, weil ich denke: Du hast übertrieben, so laut, wie du plötzlich warst. 

Verzeihen tut gut. Oder?

Wenn einer sagt: "Bei mir ist es die Rache", dann sage ich: "Okay, dann gehst du links lang, ich gehe rechts." Ich ­glaube, verzeihen ist auch für einen selber besser. Überschätze dich nicht! Wenn du Krieg führst, kannst du selbst darin umkommen, auch wenn du denkst, deine Armee wäre super aufgestellt. Verzeihst du dagegen, musst du auf keine Soldaten aufpassen, das ist doch viel bequemer. Manchmal kommt man sich erst nach Jahren wieder näher. Ich kenne es gut, dass ich jemandem grolle, ich reagiere dann mit Rückzug. Ehrlich gesagt: Diese Empfindlichkeiten, die man zuweilen pflegt – gähn, ist das öde! Man könnte es bleiben lassen, sich verletzt zu fühlen. Manchmal passiert es eben, dass man sich gegenseitig wehtut.

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Frau Stratmann sagt: "Mir ist der Ausstieg sehr leichtgefallen. Ich kapiere überhaupt nicht, wie Leute ­sagen können, dass sie an der Seite ihres Kindes verblöden. Ich verstehe gar nicht, wovon die sprechen. Eine Weiterentwicklung für mich als Mensch entscheidet sich nicht an der Frage, ob ich im Beruf bleibe oder nicht."
Laut Wikipedia hat sie aber auch nach 2006 einige Engagements übernommen, sie hat Bücher geschrieben und ist somit nicht "ausgestiegen" - sie hat ihre Arbeit nach der Geburt ihres Sohnes verändert und reduziert: das ist ein großer Unterschied zu einem Ausstieg und einer "Entscheidung zwischen Kind oder Karriere" (wie es der Titel besagt). Kein Verständnis dafür zu haben, dass jemand, der diese Möglichkeit nicht hat (oder nicht sieht) und sein erwachsenes, intellektuelles Leben, das plötzlich mit Geburt des Kindes nur noch auf (Klein)Kinder hinorientiert ist, verblödet sieht, finde ich erstaunlich wenig einfühlend für eine systemische Beraterin.

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