Anselm Kiefer malt Himmelsreiter
Anselm Kiefer malt Himmelsreiter
Anselm Kiefer/Private Collection Foto: Atelier Anselm Kiefer /Jakobs Traum (2010)
Weit über die Dachrinne hinaus
Ein Traum, nach dem sich Jakob erst einmal kneifen muss. Anselm Kiefer malt die Himmelsleiter
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
17.08.2017

Anselm Kiefer ist einer der erfolgreichsten deutschen Künstler der Gegenwart, was freilich auch heißt, dass er einer der teuersten Künstler der Gegenwart ist. Das wiederum erklärt, warum der 1945 geborene Kiefer schon längst nicht mehr in Donaueschingen wohnt, sondern in Paris. 

Es lohnt sich, die Sache mit der Gegenwartskunst genauer anzuschauen. Denn mit der Gegenwart im eigentlichen Sinne haben Kiefers Werke ­selten etwas zu tun. Viel mehr nimmt der Künstler die Gegenwart zum ­Anlass, die mythischen, historischen und symbolischen Dimensionen auszuloten – Kiefer würde wahrscheinlich sagen: den „Strahlen“ zu folgen, die in die Gegenwart hineinreichen und dabei auf etwas zurückweisen – auf Ursprünge etwa, auf Verbindungen, auf die großen Linien vom Werden und Wirken des Kosmos.

Auf dem Bild unschwer zu erkennen und zentral gelegen: die Leiter. Ein durchaus passendes Symbol, ist sie doch stets Verbindung von unten und oben, zum Beispiel vom Rasen bis zur Dachrinne. Bei einem Kiefer darf man durchaus etwas größer ­denken. Die Leiter könnte hier noch mehr miteinander verbinden. Sie könnte von einer Welt in die andere reichen. Oder, zeitlich gedacht, von der Gegenwart in die Vergangenheit. Bibelleser mögen ergänzen: Warum nicht von der Erde bis in den Himmel?
Also: von Mensch zu Gott. 

Tatsächlich ist Anselm Kiefers Thema hier die Himmelsleiter, die wohl genauso viele Deutungen zulässt, wie des Künstlers Leiter Sprossen hat.

Hält man sich an die biblische Vorlage, die freundlicherweise als himmlische Fußnote in der oberen Bildhälfte angegeben ist, stößt man auf die Geschichte von Jakobs Traum. Auf der Flucht vor seinem Bruder Esau macht Jakob Rast und sieht im Traum Engel auf einer Leiter auf- und niedersteigen. Am oberen Ende der Leiter erscheint Gott dem Jakob höchst­persönlich (Genesis 28).

Nach dem Aufwachen, Kneifen inklusive („Der Herr ist hier, und ich wusste es nicht!“), deklariert ­Jakob ­seinen Schlafplatz kurzerhand zum Örtchen Bethel, also dem „Haus Gottes“. Die Leiter wird damit nicht nur zum Verbindungsstück, auf dem bei Kiefer – im Rechtsverkehr – die Engel im Leinenrock hoch- und runter­fahren. Sie wird auch zum Ort göttlicher Anwesenheit. 

Und das Material, das der Künstler ver­wendet? Das ist allzu irdisch: Lehm, getrockneter Farn, Asche und eine Leiter aus gebranntem Ton. Kiefers Welt ist ein einziges pantheistisches Bethel, „Haus Gottes“, unbelebtes Belebtes sozusagen. Oder wird Gott im plastischen Sinne ganz auf die Erde geholt und die Leiter weist gar nicht von oben nach unten? 

Das Bild, einmal als Satellitenaufnahme verstanden, scheint verstaubte Spuren aus ­biblischer Vergangenheit zu zeigen. Die Betrachter befinden sich in der Gegenwart. Was war ges­tern, was ist heute? Ein großes Thema, sich viele Gedanken zu machen.

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