Der Watzmann ruft!
Was Unternehmensberater von Bergführern unterscheidet – oder auch nicht
Lena Uphoff
29.06.2017

Nichts geht mehr! So ruft der Croupier beim Roulette, wenn sich das Glücksrad dreht. Wer seine Jetons noch nicht gesetzt hat, kann jetzt nur noch zuschauen, wie die anderen gewinnen und verlieren.

Nichts geht mehr – ohne Berater, ohne Consulting! Den Eindruck gewann ich, als ich vor ein paar Tagen in einem vollen Zug mit unterschiedlichen Mitreisenden saß.

„Unser Chef“, raunt eine smarte Managerin ihrem Sitznachbarn zu, „lässt uns nicht mehr entscheiden, wann und wo wir investieren. Dabei hat er uns doch engagiert, weil wir in unserer Branche reichlich Er­fahrung gesammelt haben. Zudem haben ­wir in der gesamten Crew dank Ausbildung und Studium nachweisbare Kompetenz.“

Es geht um seriöses Management! Wir sind nicht im Casino!

Dem Chef genügt das nicht. „Unsere Marktwahrnehmung sei voll sub­jektiv!“ Die objektive Lageeinschätzung aber sei unabdingbar. „Und die könne nur von Consultern, von Unternehmensberatern, geleistet werden.“ Jetzt kommt die „Fachfrau für New Economy“, wie sich die Erzählerin selbst nennt, erst richtig in Fahrt. „Mein Kollege antwortete, auf Märkten gehe es um das richtige Gespür. Man müsse ein Gefühl für den richtigen Einsatz haben. Man müsse das Außergewöhnliche erkennen und dann auf Risiko setzen. Da holte er sich vom Boss eine regelrechte Maulschelle.“ Es gehe um seriöses Management, habe der Topmann gebellt, man sei nicht im Casino! Und genau deshalb genüge eine „sogenannte Fachkompetenz“ nicht.

Mein Lächeln, vielleicht auch Grinsen, irritierte mein Gegenüber. Stirnrunzelnd schien sie erst jetzt den Zuhörer wahrzunehmen. Aber mit ­einer kleinen Geschichte gelang es mir, ihre Sorge zu zerstreuen.

Seit meiner Jugend bin ich begeisterter Bergwanderer. Und in jungen Jahren – so viel Ehrlichkeit muss sein – absolvierte ich einen Kletter- und Bergwanderkurs bei einem „Bergführer“. Nach ein paar Wochen nahm mich der erfahrene Profi, den ich mit „Kamerad Hans“ anreden musste, zur Seite und sagte: „Bub, jetzt kannst du alleine losziehen. Und wenn dir einer sagt, deine Route sei zu riskant, dann antwortest du: Kamerad Hans hat mir gezeigt, wie man selbstständig über Weg und Ziel entscheidet.“ Bergführer? Heute hieße der Hans wahrscheinlich „Mountainclimbing und -walking Consulter“.

Meine Mitpassagierin klopfte begeistert auf die Armlehne. „Spitze! Das erzähle ich unserem Boss. Sein Hobby ist nämlich Bergwandern und Klettern!“

Fritz? X.? Vom Bodensee?

Sie fragt mich, wo ich mich denn damals in den Bergen so rumgetrieben hätte. In Vorarlberg, berichte ich, im Montafon, im Bregenzerwald, im Lechquellengebirge. „Wahnsinn“, keucht die Dame, „genau davon hat der Chef auch schon oft erzählt.“ Und als ich ihr dann noch meinen Jahrgang anvertraue, meint sie: „Den müssen Sie kennen! Fritz X. aus der Pharmabranche.“

Fritz? X.? Vom Bodensee? Ich ­hatte einen Fritz in meinem Kletterkurs. Ein netter, durchaus risikobereiter Kerl. Und gemeinsam haben wir ­ständig „Der Watzmann ruft!“ von Wolfgang Ambros vor uns hin gesungen.

„Ich glaub’ es einfach nicht! Das darf nicht wahr sein!“, stöhnt die Dame. „Genau das zitiert er immer wieder als Geschichte des aus Gefühl erzeugten tödlichen Risikos.“ In dem Text stürzt ein junger Bergsteiger tödlich ab, der den Watzmann besteigen will, um einer Frau, der „Gailtalerin“, zu gefallen.

Petra, wie sie sich mir nun vorstellt, wünscht sich einen Gruß von mir an den Boss. Klar! Ich schreibe: „Lieber Fritz, der Watzmann ruft! ­In Erinnerung an ,Kamerad Hans‘ grüße ich Dich und wünsche Dir und den Deinen, dass Euch Risiken erfreuen und lebendig bleiben lassen!“

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