Schriftsteller Eugen Ruge
Schriftsteller Eugen Ruge
Dirk von Nayhauß
"Wenn ich alles aufdrösele, ist es weg"
Nicht an Gott zu glauben, ist sinnlos, sagt der Schriftsteller Eugen Ruge. Aber der Versuch, spirituelle Erlebnisse in Worte zu fassen, verdirbt sie
Dirk von Nayhauß
24.05.2017

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich Zeit habe. Mußestunden stehen ja besonders im Verdacht, glücklich zu sein. Spontan fallen mir Momente nach Liebesstunden ein. Wo ich nichts mehr vorhabe und die Zeit einfach vergehen lasse. Aber ich muss auch sagen, ich arbeite gern. Ich kenne Flow-Zustände, wo die Zeit ­fast nicht existiert. Und ich erinnere mich an heftige Glückszustände mitten in der Krise. In meinem Roman "Cabo de Gata" habe ich versucht, etwas über das Glück zu sagen. Man kriegt es nicht umsonst. Aber man kann es sich auch nicht verdienen.

Dirk von Nayhauß

Eugen Ruge

Eugen Ruge, 1954 in Soswa (Sowjetunion) geboren, studierter Mathematiker, floh 1988 in die Bundes­republik. Für seinen ersten Roman, "In Zeiten des ab­nehmenden Lichts", erhielt er 2009 den Alfred-Döblin-Preis und 2011 den Deutschen Buchpreis. Die Verfilmung des Buchs, das die Geschichte der DDR im Spiegel einer Familie erzählt, ist jetzt im Kino zu sehen. 2016 erschien "Follower: Vierzehn Sätze über einen fiktiven Enkel". Eugen Ruge ist ­ver­heiratet, hat vier erwachsene Kinder und lebt in Berlin und auf Rügen.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich bin von Hause aus Naturwissenschaftler. Folgt man der Wissenschaft, so gilt in der Welt das Gesetz der Entropie, der zunehmenden Unordnung, des Zerfalls. Andererseits erzählt die Geschichte des Universums das Gegenteil. Aus einem heißen Brei wurden immer kom­plexere Gebilde: Atome, Moleküle, das Nervensystem. Mit anderen Worten, Wunder ereignen sich. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als an Gott zu glauben. Nicht an Gott zu glauben, ist sinnlos. Wir wissen aber nicht, was Gott ist, und ich glaube, dass wir es nicht wissen können und nicht wissen sollen. Wir haben die Bezeichnung Gott eingeführt, aber vielleicht sollte man ohne Bezeichnung auskommen, manche Religionen machen das auch. ­Ich hatte mal ein Erlebnis, das man als spirituell beschreiben könnte, doch für solche Erlebnisse Worte zu finden, ist sehr schwer. Ich glaube, dadurch verdirbt man sie. In meinem Buch "In Zeiten des abnehmenden Lichts" gibt es eine ­Stelle, da wird dieser Moment verschämt erzählt: Alexander vegetiert in seiner Abrissbude in Prenzlauer Berg, und dann tritt er raus und glaubt etwas wahrzunehmen, was mit diesem Es, über das wir jetzt sprechen, zu tun hat. Später glaubt er, es in den Blicken der Kinder wieder­zusehen. Aber wenn ich versuche, daran zurückzudenken, dann ist es ein bisschen so wie mit dem Häuten der Zwiebel: Wenn ich alles aufdrösele, ist es verschwunden.

Muss man den Tod fürchten?

Ich fürchte den Tod, aber ich kann mir vorstellen, dass man ein Einverständnis erreichen kann. Man muss sich nur mal vorzustellen versuchen, man würde ewig leben. Unendlich heißt nicht: sehr lange. Sondern: es hört niemals auf. Alles wiederholt sich immer und immer. Man kann hoffen, dass man irgendwann zu vergessen beginnt. Aber genau das ist der Tod: ein Sich-selbst-Vergessen. ­Was immer im Tod mit uns passiert, ich bin relativ sicher, dass wir als Individuum aufhören zu existieren. Die buddhi­s­tischen Mönche üben dieses Selbstvergessen ja zu Leb­zeiten bereits ein. Und sie behaupten, das Erreichen dieses Zustandes sei Glück.

"Der Schmerz ist ein großer Lehrmeister"

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Ich kann nur von irdischer Liebe reden, von Liebe ­zwischen Menschen. Es ist wunderbar, sich gemeint und verstanden zu fühlen. Aber man muss auch mit einem Rest Einsamkeit zurechtkommen. Ich glaube, das ist eine Voraussetzung für eine geglückte Beziehung. Der Wunsch, vollständig verstanden zu werden, ist eine Zumutung. Er gleicht dem Wunsch nach Absolution. Die Welt, die jeder mit sich herumträgt, ist zu groß, zu widersprüchlich. Aber auch wenn man einander nicht vollständig versteht, kann man einander zugeneigt sein, einander vertrauen – und man kann wunderbaren Sex haben.

Wer oder was hilft in der Krise?

Ich bin schlecht darin, Dinge wegzuschieben oder zu vertagen. Mich trifft es immer sehr direkt, aber es macht mich auch produktiv. Was mir immer geholfen hat, war, Krisen-Tagebücher zu schreiben. Und mit der Zeit ­habe ich sogar gelernt, mir helfen zu lassen. Es ist großartig, wenn es dir dreckig geht, und jemand kocht dir eine warme Suppe. Es kann aber auch wunderbar sein, wenn ein Freund zu dir sagt: "Na, da hast du mal richtig eins drauf gekriegt! Vielleicht war es mal nötig?" Es kommt immer darauf an, wer es sagt und wie er es sagt. Und auch wenn es banal ist: Natürlich hilft es, die Krise als Chance zu begreifen. Die Krise hat immer eine Kehrseite. Die Chance besteht darin, seine Situation aus einer ganz neuen Perspektive zu sehen. Ich glaube, der Schmerz ist ein großer Lehrmeister. Er zeigt uns an, dass wir etwas falsch machen.

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Endlich mal ein Beitrag, der nicht so manisch von einer esotherischen Grundstimmung vernebelt wird. Endlich mal Sätze, die das Unfassbare faßbar machen und die ohne diese unendlichen Auslegungsvarianten begrifflich sind. Endlich mal Inhalte, die auch ohne die Bibel auskommen und dennoch ein christliches Fundament haben. Danke

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Die Entstehung des Lebens auf der Erde kann einem tatsächlich wie ein Wunder erscheinen, vielleicht ist sie sogar einmalig, wer weiß. Lebensprozesse stehen aber sicher nicht im Widerspruch zum „Gesetz der Entropie“. Lebewesen geben Wärme an die Umgebung ab und werden erst kalt, wenn sie sterben. Nun ist aber der Wärmefluss ein Abfluss von Entropie, der anzeigt, dass im Inneren des Lebewesens Ordnung erzeugt oder erhalten bleibt, und unterm Strich entsteht dabei permanent mehr Entropie. Dies allerdings vorwiegend in der Umgebung, und man mag es bedauern, aber das ist ein Prinzip biologischen Lebens.
Die Details solcher Prozesse sind Gegenstand der Bioenergetik, das grundlegende Werk dazu hat der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger 1944 verfasst: „What is Life?“, das heute noch erhältlich ist als „Was ist Leben“ und einige aktuelle Aspekte hat.

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Ich kann Ihren Argumenten nur zustimmen.
Als ebenfalls wissenschaftlich ausgebildeter Mensch, möchte ich feststellen, dass übrigens nicht nur die Entropie wichtig in der Beurteilung der Entstehung des Lebens ist, sondern die Beobachtung des Universums an sich ist ebenso wichtig. Auf dem heutigen Stand der Wissenschaften gilt die Behauptung: das Universum als solches existiert nur, weil es einen Beobachter dieses Universums gibt, d.h., das Universum braucht einen Beobachter um zu existieren. Diese Behauptung basiert nicht etwa auf irgendwelchen semantischen Spekulationen, sondern auf den Rückschlüssen der Quantenmechanik, von der wir wissen, dass der Beobachter durch seine Beobachtung alleine schon Einfluss auf das Resultat gewisser Prozesse hat und das man weder vor noch nach dieser Beobachtung diese Prozesse als gegeben betrachten darf.
Ob man den Schöpfer dieses "Beobachters" nun Gott nennt oder sonstwie ist dabei eigentlich völlig gleichgültig. Nur seiner Schöpfung allein ist die Existenz des gesamnten Universums zu verdanken.

Antwort auf von Thomas Fiedler (nicht registriert)

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Sehr geehrter Herr Fiedler, ich kann Ihren Argumenten nicht zustimmen. Sie schreiben: "Auf dem heutigen Stand der Wissenschaften gilt.....das Universum braucht einen Beobachter um zu existieren." Hier liegt ein Irrtum vor. Sowohl das uns zu Teilen bekannte wie auch hochspekulative andere Universen können bauchwehfrei existieren, ohne dass Gott oder an das anthropologische Prinzip glaubende Menschen von der Tribüne aus zugucken. Tut mir leid, dass auch die moderne Physik so schnöde ist, dort nichts anderes herausbekommen zu haben. Nur weil die klassische Trennung von Beobachter und beobachtetem Vorgang unter wesentlichen Randbedingungen durch Erkenntnisse der neueren Physik aufgehoben wurde, folgt noch lange nicht der liebe Gott.

Traugott Schweiger

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