Schauspielerin Anke Sevenich
Anke Sevenich, Reformations-Botschafterin anlässlich des Reformationsjubiläums 2017. Fototermin am 13.06. 2016 in Frankfurt.
Patrick Desbrosses
"Ich habe Spaß an Luthers politischer Unkorrektheit"
Als Studentin ist Anke Sevenich aus der Kirche ausgetreten, aber ein Ereignis brachte sie später wieder zurück
04.04.2017

chrismon: Frau Sevenich, die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation. Warum feiern sie mit?

Anke Sevenich: Martin Luther hat das Neue Testament ins Deutsche übersetzt und damit hat den Weg zu einer einheitlichen deutschen Sprache bereitet. Zu seiner Zeit haben die Menschen aus dem Volk viele unterschiedliche Dialekte gesprochen. Nur Menschen von höherem Stand verstanden Latein. Luther hat mit seiner Übersetzung einen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Sprache geleistet und gleichzeitig den freien Zugang zur Schrift ermöglicht. Dass die Gemeindeglieder selbst die Bibel lesen konnten und nicht auf eine Auslegung der klerikalen Obrigkeit angewiesen waren, war ein großer Schritt in Richtung Selbstbestimmung und individueller Entscheidungsfreiheit. Dass man nur sich selbst und seinem Gewissen gegenüber verantwortlich ist, ist ein zentraler Punkt der Reformation, auch, dass man selbst entscheidet.

Das erscheint uns heute selbstverständlich …

… war es für die Menschen im ausgehenden Mittelalter aber nicht. Luther hat damals nicht versucht, eine neue Religion zu gründen, sondern wollte den römisch-katholischen Glauben reformieren, verändern. Es ist aber etwas Neues entstanden. Auch weil die Zeit reif dafür war, weil die Zeit reif war für Veränderungen. Luther war im richtigen Moment an der richtigen Stelle. Dass ein einzelner Mensch eine solche Bewegung in Gang setzen konnte, das macht Mut. Das macht mir zum Beispiel Mut, mich zu fragen: Ist die Zeit auch für mich reif aufzustehen und etwas zu verändern?

Was finden Sie stark an der Person Luther?

Seinen Mut, seine Unbeirrbarkeit. Aber ich habe auch Spaß an der politischen Unkorrektheit, die Luther an den Tag gelegt hat. Der hat so geredet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und ist seine Feinde offensiv angegangen.

Wie würde er in die heutige Zeit passen?

Schlecht, denke ich. Er würde wahrscheinlich mit seiner drastischen Deutlichkeit anecken. Auf der anderen Seite finde ich Menschen, die aus dem Bauch heraus handeln, aus berechtigtem Zorn, durchaus beeindruckend.

Worüber würde er heute poltern?

Über soziale Ungerechtigkeiten, könnte ich mir vorstellen. Über die Schere zwischen Armen und Reichen, die immer weiter auseinander geht, hier bei uns und auch in der Welt. Allerdings war Luther nicht politisch in dem Sinne, wie wir das heute verstehen. Gegen die weltlichen Fürsten hat er nicht revoltiert. Er wollte vielmehr, dass die Menschen sich der Obrigkeit, den politischen Machtverhältnissen unterordnen. Das ist ein Punkt, den wir heute anders sehen.

Gottes Gnade neu entdeckt

Nehmen wir an, ein neuer Lutherfilm würde gedreht. Wie würden Sie Luther besetzen?

Da würde ich mir den Luther auf jeden Fall massig, kräftig, überbordend auch von seiner Statur her vorstellen, nicht schlank und sexy. Im Drehbuch müsste Luther mit allen seinen Widersprüchlichkeiten dargestellt werden. Also einerseits als jemand, der wirklich etwas Großes angestoßen hat, andererseits als jemand, der in gar keiner Weise mit unserer political correctness in Einklang zu bringen wäre.

Luther hat viele Sprüche hinterlassen: Wenn du ein Kind siehst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt. Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz. Wo du dein Herz dran hängst, das ist dein Gott. Welchen finden Sie gut?

Ich finde den Spruch total klasse, dass aus einem verzagten Arsch kein fröhlicher Furz kommt. Das ist derb, saftig und so wenig vorsichtig. Das ist echt und eine Seite an ihm, die ich aus heutiger Sicht außergewöhnlich finde.

Das, was Luther angestoßen hat, fußte auf einer neuen Sicht auf Gott: Luther entdeckte die Kraft des Glaubens neu, der allein auf die Gnade Gottes vertraut.

Das halte ich auch für wichtig, denn es macht die Menschen frei. Wenn ich über meinen Gott etwas sagen soll, dann: Er ist ein gnädiger Gott, kein strafender. Das heißt, dass man nicht aus Furcht glaubt und handelt, sondern weil man sich angenommen und aufgehoben fühlt. Eine Art Grundvertrauen in mein Dasein, das Gefühl, es wird schon gut gehen. Und wenn es dann vielleicht noch etwas besser kommt, ist das ein Grund, dankbar zu sein.

Neuer Kontakt zur Kirche durch den Sohn

Warum sind Sie evangelisch?

Weil es sich in unserer Familie so ergeben hat. Meine Mutter ist evangelisch, mein Vater katholisch. Ich hätte genauso gut katholisch sein können. Ökumene ist in unserer Familie unkompliziert. Ich sehe heute grundsätzlich keinen großen Unterschied zu den Katholiken, sondern verstehe uns alle als Christen. Ich fühle mich wohl in dieser offenen und mitbestimmten Art und Weise, wie die Protestanten die Kirche heute sehen, das gefällt mir. Ich kann aber auch Vorteile bei den Katholiken entdecken: Die Inszenierung der Gottesdienste, die geht mir als Schauspielerin unter die Haut. Reformation bedeutet für mich letztlich auch, dass es durchaus möglich ist, gut miteinander auszukommen.

Sie sind getauft und konfirmiert …

… war auch kirchlich interessiert, bin dann aber als Studentin ausgetreten. Weil Kirche für mich als junger Mensch nicht attraktiv war und auch, weil ich es zu teuer fand. Dadurch, dass mein Sohn in den Kommunionsunterricht gegangen ist, bin ich wieder mit der Kirche in Kontakt gekommen.

Sie sind dann wieder eingetreten. Warum?

Die Zeit war reif. Ich habe mich wieder mehr mit Kirche beschäftigt.

Sind Kirche und Glaube Themen unter Schauspielkollegen?

Nein, nicht wirklich. Das liegt vielleicht auch daran, dass jeder sich heute seinen eigenen Reim zum Thema Glauben macht: ein bisschen Buddhismus, ein bisschen Anthroposophie, ein bisschen Urschrei und ein bisschen vegan – und fertig ist die ganz persönliche Mischung, fast wie im Coffee-Shop. Ich denke dann: Aber da gibt es doch schon etwas. Das Christentum begleitet mich und die Menschen, mit denen ich zusammenlebe, und das schon seit zwei Jahrtausenden. Kann also so falsch nicht sein.

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