Hazem Tabbakha
Hazem Tabbakha vor dem Krankenhaus Mara
Christian Protte
Fast so schön wie bei Heidi
Hazem wollte Arzt werden in Syrien. Vorerst lernt er Krankenpflege in Bethel
22.03.2017

Mein Vater hat immer zu mir gesagt: Du musst mit deinen Händen arbeiten. Du sitzt nur über deinen Büchern und schreibst Klausuren. Ich studierte in Damaskus im vierten Semester Medizin. Da ging es nur um die Wissenschaft. Und dann kam alles anders. Vor anderthalb Jahren musste ich nach Deutschland fliehen, weil die Situation in Syrien zu schwierig geworden war. Ich wusste, dass die Sprache der Schlüssel für jedes fremde Land ist. Deshalb wollte ich schon vorher Deutsch lernen. Ich habe Deutsche-Welle-Nachrichten gehört, Videos geguckt – und viel aus alten Heidi-Filmen gelernt. Peter, der Großvater, die Berge. Als ich losfuhr, konnte ich schon ein paar Sätze sprechen und verstehen.

Auf der Reise traf ich einen deutschen Journalisten, dem habe ich erzählt, dass ich Medizin studieren will, und habe dabei ganz schnell gesprochen. Er war so begeistert, dass er ein Radiointerview mit mir machte. Und dieses Interview hörte ein Hamburger Arzt, der mich per E-Mail kontaktierte. Ob er mir helfen könne? Aber ich war ja immer noch unterwegs. Da schrieb er, es gebe die Möglichkeit, ein freiwilliges soziales Jahr in Bethel zu machen. Von dem Ort hatte ich noch nie gehört, aber als ich endlich nach vielen Wochen am Bahnhof in München ankam, habe ich den Polizisten dort einen Brief gezeigt, in dem drin stand, dass ich nach Bielefeld muss. Und sie ließen mich in den Zug steigen. Als ich dort ankam, konnte ich gleich im Wohnheim in Bethel einziehen, das oben auf einem Hügel liegt. Ein Zimmer mit Tisch und Bett. Von dem kleinen Balkon aus hat man den Blick auf die Dächer der Stadt. Fast so schön wie bei „Heidi“. Zwei Wochen später ging schon die Arbeit als Pflegehelfer im Zentrum für Behindertenmedizin in Bethel los.

Man hat Angst, weil der andere fremd ist, nicht, weil er böse ist

Der Anfang war schwer. Alle dachten, ich könnte schon ­gut Deutsch, und sprachen oft viel zu schnell. Dann hieß es: Hazem, hol mal bitte dies oder das. Aber ich verstand vieles nicht. Ständig musste ich nachfragen. Die Kollegen sagten, das ist nicht schlimm. Es ist ein besonderes Pflegepersonal im Krankenhaus Mara, die haben ganz viel Geduld mit an­deren. Und Geduld braucht man auch bei Menschen mit Behinderungen. Ich musste das erst lernen. Manche können nicht ­sprechen. Für einen Mann, der nicht sprechen konnte, habe ich einmal die Buchstaben auf eine Tafel gemalt, damit er auf sie zeigen konnte. Auf einmal konnten wir uns super verständigen. Andere können nicht allein essen, und ich musste ihnen das Essen mit einem Löffel anreichen. Oder, wenn sie noch einen Arm bewegen konnten, das Essen klein schneiden, damit sie es mit der Gabel aufpiksen konnten. Und das alles dauert ganz schön lange.

Manchmal habe ich auch Musik aufgelegt. Und ich konnte sehen, wie sie sich entspannen. Vivaldi, „Die vier Jahreszeiten“. Eine meiner Lieblings-CDs, in Syrien habe ich selbst klassische Gitarre gespielt. Dass ich diesen Menschen so nah gekommen bin, ist eine wichtige Erfahrung für mich. Ich finde es nicht schön, dass man immer solche Angst vor ­Leuten hat, die anders sind. Diese Angst vor Fremden hatte ich genauso, in Mara habe ich sie verloren. Man hat die Angst ja nur, weil der andere fremd ist, und nicht, weil er böse ist. Und wenn man ihn dann kennenlernt, merkt man, wie toll er ist. Autisten zum Beispiel. Manche sprechen kein Wort, aber sie verstehen alles.

Einige sind hochintelligent. Die bemerken jede kleinste Veränderung im Zimmer sofort, die wir überhaupt nicht wahrnehmen. Nach dem Betheljahr habe ich eine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger in Bielefeld angefangen, an den Gesundheitsschulen am Evangelischen Klinikum Bethel. Ich möchte immer noch gern Arzt werden. Und es ist immer noch so, dass ich mich lieber mit Büchern und Theorie beschäftige. Aber der Beruf der Pflege hat andere Perspektiven in meinem Gehirn geöffnet: dass die Patienten ­wichtig sind, nicht nur ihre Erkrankung und ihre Behandlung. Dass es vor allem um den Menschen hinter der Akte geht. Ich hoffe, dass ich später beide Seiten zusammenbringen kann: als Arzt, der auch die Pflege schätzen gelernt hat.

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