Daniel Stolle
Schwarz. Weiß.
Jahr eins nach Obama: Wolfgang Herz-Lane über US-amerikanische Christen, über Rassismus und die zersplitterte Kirchenlandschaft
Wolfgang Herz-Laneprivat
20.03.2017

Am 27. April 2015 war in Baltimore die Hölle los. Zwei Wochen zuvor war der junge Afroame­rikaner Freddie Gray von Stadtpolizisten unter nie ganz geklärten Umständen verhaftet worden. Auf der Fahrt ins Polizeirevier im Kastenwagen wurde der nicht angeschnallte, aber mit Handschellen gefesselte Gray so schwer verletzt, dass er eine Woche später im Krankenhaus starb, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Wolfgang Herz-Laneprivat

Wolfgang Herz-Lane

emeritierter lutherischer Bischof von Baltimore im US-Bundesstaat Maryland, wurde in Lauterbach/Schwarzwald geboren. Im ersten Beruf war er Journalist. Nun ist er Pfarrer der lutherischen Christ­könig-Gemeinde in Cary, North Carolina.


In den USA sind laut einer Statis­tik der „Washington Post“ in den gut 18 Monaten von Januar 2015 bis Juli 2016 rund 380 Schwarze von meist weißen Polizisten getötet worden. Wie in einigen anderen Städten entlud sich die Wut über den gewaltsamen Tod in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland in Rassenunruhen. In der Ostküstenstadt wurden mindestens 400 Geschäfte beschädigt, 19 Ge­bäude und 150 Autos angezündet, 100 Polizeibeamte verletzt. Die Un­ruhen dauerten zwei Nächte lang an.
Bis zum August 2016 war ich Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche von Maryland und Delaware, außerdem Vorsitzender eines Zusammenschlusses von katholischen und evangelischen Bischöfen und Kirchenleitern. In dieser Rolle habe ich persönlich erfahren, wie die Unruhen von Baltimore lange bestehende Unterschiede zwischen den Konfessionen und Religionen plötzlich unbedeutend erscheinen ließen.

Besonders beeindruckte mich der Marsch von etwa 150 Priestern, ­Pas­toren und Imamen, die Arm in Arm an brennenden Autos vorbei durch die Straßen zogen und einmal sogar in der Mitte eines Straßen­kreuzes niederknieten, um gemeinsam für den Frieden zu beten. Die Rassenunruhen hatten besonders auf die ökumenischen Beziehungen zwischen Lutheranern and Katholiken bleibende Auswirkungen. Der katholische Erzbischof von Balti­more, William Lori, lud mich und andere Kirchenführer zu monat­lichen Frühstückssitzungen ein, um gemeinsam den wahren Auslösern der Unruhen nachzugehen: Polizeigewalt, Arbeitslosigkeit, ineffektive Schulen, Armut. Ich begleitete ihn sogar nach Rom, um dort Papst Franziskus um seinen Segen für die Stadt Baltimore zu ­bitten.

Katholiken und Lutheraner rücken in den USA in theologischen Fragen enger zusammen

Gute Vorbedingungen auch für die innerevangelische Ökumene im Reformationsgedenkjahr 2017? Ehrlich gesagt: In einem Land mit mehr als 250 voneinander unabhängigen ­Kirchen sind die ökumenischen Herausforderungen außerordentlich groß, die Kirchen in vielen ethischen Fragen ­gespalten. Viele der evangelikalen und pfingstlerischen Kirchengemeinden vertreten stark konservative Positionen in der Familienpolitik, vor allem bei den Themen Abtreibung und Homosexualität, viele weiße Christen wählten Donald Trump zum Präsidenten. Auch in der Flüchtlingsfrage sind Amerikas Pro­testanten ­gespalten. Während nicht wenige Christen illegale Zuwanderer, der ­Linie Trumps folgend, konsequent abschieben oder erst gar nicht ins Land lassen wollen, formiert sich bei den liberalen Kirchen Widerstand bis hin zum „sanctuary movement“, bei dem sich einzelne Gemeinden bereiter­klären, im Notfall auch flüchtige Einwanderer zu beherbergen.

Derweil rücken Katholiken und Lutheraner in den USA in theologischen Fragen enger zusammen. Die größte der lutherischen Kirchen in Amerika, die ELCA oder Evangelical Lutheran Church in America, hat im Sommer 2016 das Dokument „From Conflict to Communion“ offiziell ­akzeptiert; darin werden die Fortschritte des katholisch-lutherischen Dialogs während der vergangenen 50 Jahre beschrieben und die Hoffnung auf ein gemeinsames Abendmahl ausgedrückt. Die offizielle Zustimmung des Lutherischen Weltbundes und des Vatikans steht allerdings noch aus.

Seit dem Zusammenschluss dreier lutherischer Nationalkirchen 1988 hat die ELCA mit sechs anderen protestantischen Kirchen sogenannte Full-­Communion-Verträge unterzeichnet, die die gegenseitige Anerkennung ­und den freien Austausch des Klerus regeln: Methodisten, Anglikaner, Presbyterianer und andere reformierte Kirchen sind so mit den Lutheranern verbunden. Außerdem unterhält die ELCA mit der African Methodist Episcopal Zion Church (AMEZ) eine besondere Partnerschaft, die bald auch in eine Kirchengemeinschaft münden könnte. Die AMEZ ist eine historisch schwarze Kirche, in der Sklavenzeit als Alternative zu rassistischen ­weißen Kirchen gegründet. Für die fast gänzlich weiße ELCA, in der die Farbigen weniger als vier Prozent der Mitglieder ausmachen, wäre das ein besonderes Zeichen.

In der zersplitterten protestantischen Kirchenlandschaft Amerikas gilt die ELCA als eine Hochburg der Ökumene. Vorgängerorganisationen der ELCA waren maßgeblich an der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 und des Nationalrats der Christlichen Kirchen in den USA 1950 beteiligt. Der Lutheraner Franklin Clark Fry, bekannt landesweit als „Mr. Protestant”, war jahrzehntelang das Gesicht der Öku­mene im amerikanischen wie auch im inter­nationalen Luthertum. 1947 war
er Mitbegründer des Lutherischen Weltbundes und ab 1957 dessen ­Präsident.

Nie sind die Rassen in Amerika so säuberlich getrennt wie beim Sonntags­gottesdienst

Doch es bleibt noch viel zu tun – trotz der dramatischen Fortschritte der Ökumene, die 1999 mit der Verabschiedung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. In den Vereinigten Staaten sind be­sonders die Beziehungen zwischen den historisch schwarzen Kirchen und den Lutheranern sowie anderen Protestanten unterentwickelt. Das Wort von Martin Luther King Jr. vor mehr als 60 Jahren, dass im amerikanischen Leben die Rassen nie so säuberlich getrennt sind wie am Sonntagmorgen („the most segregated hour”), gilt unverändert.

Am Tag nach Grays Beerdigung im April 2015 fand in einer der großen schwarzen Megakirchen am Stadtrand von Baltimore eine Gedenkfeier statt. Gut 3 000 Menschen drängten sich im Saal, mehr als 100 Pfarrer wurden auf die Bühne gebeten. In diesem Meer von schwarzen Klerikern und schwarzen Menschen war ich der einzige Weiße weit und breit. Tief reicht die Spaltung der Rassen und die Polarisierung im Zeitalter des Donald Trump auch und besonders in den Kirchen. Manche glauben, dass meine angestrebte Wiederwahl als Bischof im Juni 2016 auch daran scheiterte, dass ich mich während des Aufstandes in Baltimore nicht neutral verhalten habe und als Unterstützer des auch als radikal geltenden „Black Lives Matter“-Movement eingestuft wurde, einer landesweiten Bürgerrechtsbewegung. Kirchenpolitisch, so sagte man mir, sei ich halt „way too progressive“.

Auch im eigenen Lager haben die amerikanischen Lutheraner noch Nachholbedarf. So ist die ELCA mit 3,7 Millionen Anhängern und mehr als 9000 Gemeinden zwar die größte, aber bei weitem nicht die einzige evangelisch-lutherische Vereinigung. Die USA haben fast 40 lutherische Kirchen, so zum Beispiel die konservative Lutheran Church – Missouri ­Synod (2,1 Millionen Mitglieder in 6000 Gemeinden) und die noch konservativere Wisconsin Synod (375 000 Mitglieder in 1300 Gemeinden). Der Dialog zwischen diesen Gruppierungen und der ELCA liegt auf Eis, seit die ELCA 2009 praktizierende Homosexuelle zum Pfarreramt zuließ.

Ich hoffe, dass im Jahr der 500. Wiederkehr der Reformation die Sehnsucht nach Einheit und Verständigung neue Impulse erhält. Wie das Beispiel Baltimore zeigt, haben die Konfessionen mehr, was sie eint, als was sie trennt. Und sie machen sich, wie die Christen in Deutschland, auch bewusst: Die gemeinsame Basis ist das Bekenntnis zu Christus. Die Vielfalt an evangelischen Kirchen sollte nicht darüber hinwegtäuschen.

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