Sebastian Arlt
Alternativen gibt’s immer!
Das finden die Politikwissenschaftlerin und der Kabarettist – im Gespräch über Basta-Rhetorik, Populismus und Satire
Tim Wegner
Felix EhringLena Uphoff
Sebastian Arlt
01.01.2017

chrismon: Herr von Wagner, wann fanden Sie zuletzt etwas alternativlos?  

Claus von Wagner: Bei der Kindeserziehung. Wenn wir zum Beispiel um 15 Uhr irgendwo sein müssen – dann diskutiere ich irgendwann nicht mehr. Hey, das sind ECHTE Sachzwänge!  

Was hat Sie, Frau Séville, an der Rhetorik der Alternativlosigkeit so fasziniert, dass es Thema Ihrer Doktorarbeit wurde?  

Astrid Séville: Als ich 2010 mein Studium beendete, hat Angela Merkel pausenlos gesagt, die Rettung Griechenlands sei alter­nativlos. In der angewandten Demokratieforschung lernt man aber, dass es immer Alternativen gibt. Wieso sagt sie das denn, fragte ich mich. Merkel war ja auch nicht die Erste, die so sprach, das war Maggie Thatcher. Später die Sozialdemokraten...

von Wagner: Basta!

Séville: Ja, Gerhard Schröder. Und Olli Rehn, der Währungskommissar der EU zur Krisenzeit der Eurozone. Die IWF-Chefin Chris­tine Lagarde auch. Mich hat diese Haltung maßlos geärgert. Ich fand sie fatal für die demokratische Debatte.

von Wagner: Empörung ist auch für mich ein großer Antrieb. Mich hat zum Beispiel die Finanzkrise gefuchst. Also habe ich ein Jahr lang Volkswirtschaftsbücher gewälzt; auch, weil ich verstehen wollte, was es heißt, wenn jemand sagt: Es ist kein Geld da. Das war ja der ultimative Sachzwang, den uns die Politik gerne präsentierte. Daraus wurde dann ein ganzes Kabarettprogramm.

Sebastian Arlt

Claus von Wagner

Claus von Wagner, geboren 1977, hat einen Magister in Kommunikationswissen­schaft und ist politischer Kabarettist. Sein Soloprogramm "Theorie der feinen Menschen" beschäftigt sich mit den Untiefen der Bankenwelt und den Ursachen der Finanzkrise.  Zusammen mit Max Uthoff moderiert er die Satiresendung "Die Anstalt" im ZDF. Von Wagner ist vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Kleinkunstpreis und dem Grimmepreis.
Sebastian Arlt

Astrid Séville

Astrid Séville, Jahrgang 1984, ist Politikwissenschaftlerin, sie lehrt und forscht am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Für ihre Dissertation "Sachzwang und Alternativlosigkeit. Eine politische Anamnese" (2017 im Campus-Verlag) erhielt Astrid Séville den Deutschen Studienpreis 2016 der Körber-Stiftung.

Die Rettung sogenannter systemrelevanter Banken, die Rente mit 67 oder neue Kredite für Griechenland: alles alternativlos?

Séville: Natürlich nicht. Alternativen gibt es immer. Die SPD hat andere Vorschläge als die FDP oder die CDU. Bei der Rente mit 67 etwa hätten wir debattieren sollen, was uns mehr wert ist: Generationengerechtigkeit? Ein faires Verhältnis von Rentnern zu Arbeitsfähigen? Die Finanzierung des Rentensystems, wie es bisher ist?  

von Wagner: Die Politik hat viel auf den neoliberalen Mainstream in der Ökonomie gehört und oft gesagt: Die Zahlen sind eben so, wir müssen das jetzt so machen, das ist alternativlos. Das Fatale: Das Leben wird auf eine Rechnung reduziert, die man nur auf eine Art lösen kann. So entzieht sich die Politik ihrer Uraufgabe, nämlich Menschen zu überzeugen für politische Lösungen.

Séville: Bei der Bankenrettung hätte man durchaus einige ­Banken kaputtgehen lassen können und sollen.

von Wagner: Ja. Man hätte sagen können: Ihr habt investiert, ihr seid ins Risiko gegangen, ihr wolltet Geld machen. Sorry, hat nicht geklappt. Stattdessen haben die Staaten die Schulden der Banken übernommen – dabei hätte man die Banken gar nicht erst so groß und systemrelevant werden lassen dürfen. Wofür waren Banken denn gedacht? Eigentlich doch, um Leute, die Geld haben, und Leute, die Geld brauchen, zusammenzubringen. Und nicht, um gnadenlos unterkapitalisiert in der Gegend herumzuspekulieren.

"Merkel versucht, Sicherheit herzustellen, wo keine ist"

Was ist, wenn Politiker in moralische Dilemmata geraten, die sehr konkret sind: Flüchtlinge sitzen in Ungarn fest, und man lässt sie nach Deutschland kommen. Auch das war laut Angela Merkel unausweichlich.  

von Wagner: Wenn die Politik immerzu sagt, wir haben gerade den Ausnahmezustand, verliert die wirkliche Notsituation irgendwann ihre Bedeutung...

Séville: Dann haben wir ein Problem für die parlamentarische, nämlich die langsame Demokratie. Man kann politisch mit ­Merkels Vorgehen einverstanden sein, aber es ist deswegen schwierig, weil es wieder keine Parlamentsdebatte gab, keinen Bundestagsbeschluss, nicht mal einen Kabinettsbeschluss. Gerade eine moralische Debatte ist gesellschaftlich sehr wichtig.

von Wagner: In dem speziellen Fall war es meines Erachtens aber durchaus eine Notsituation. In der Philosophie spielt man Unfallsituationen gedanklich durch: Da liegt jemand, der jetzt deine Hilfe braucht. Und du stehst daneben. Bist du moralisch verpflichtet, zu helfen? Als Bürger fand ich: Ja! Weil es niemand anderen mehr gab, der hätte helfen können.

Séville: Moralisch würde ich auch sagen, dass es die richtige ­Ent­scheidung war. Nur das Prozedere war schwierig. Manche ­Situationen legitimieren eine sogenannte Notstandspolitik. Aber sie dürfen nicht dazu führen, dass wir demokratische Ver­fahren immer weiter unterwandern. Demokratien sind nie frei von Spannung und Widersprüchen. Etwas kann richtig und falsch zugleich sein.  

von Wagner: Diese Freiheit muss man aushalten können.  

Aber wie vermittelt man das denen, die das für falsch halten?

Séville: Es gibt genug Bürgerinnen und Bürger, die auch nach gutem Zureden oder Belehrungen nicht einverstanden sein werden. Das muss man in einer Demokratie auch aushalten. So weh es vielleicht tut.

Politik im dauerhaften Krisenmodus – hatte Margaret Thatcher damals auch damit zu tun?

Séville: Ja und nein. Die "There is no Alternative"-Rhetorik, genannt TINA, sieht zwar immer gleich aus, vermittelt aber nicht immer das Gleiche. Thatcher war eine sehr ideologische Politikerin, die die sozialistische Politik der Labour-Partei für diskreditiert hielt. Während sich die Sozialdemokraten in den 1990er- und Nullerjahren mit der TINA- oder auch "Basta"-Rhetorik als ideologielos inszenierten und vor allem parteiinterne Kritiker ruhigstellen wollten. Sie sagten: Wir halten uns an die Regeln des Marktes, wir intervenieren gar nicht mehr so viel. In der Eurozonenkrise hin­gegen gibt es ein Durchwurschteln mittels TINA. Wenn man sich die Rhetorik bei Angela Merkel anschaut, sieht man, dass sie Vokabeln wie "alternativlos", "Sachzwang", "unabdingbar", "unveränderlich" genutzt hat, als es doch eigentlich sehr viele Alternativen gab. Und vor allem Unsicherheit und Zeitdruck. Das ist eine Debattenabkürzungsstrategie. Eine rhetorische Allzweckwaffe.  

von Wagner: Wähler belohnen Geschlossenheit. Streit hingegen gilt als etwas Schlechtes, auch weil Medien über demokratische Debatten gerne als eine Art Ehekrach berichten.    

Séville: Es kann ja auch eine stabilisierende Funktion haben, wenn Merkel versucht, Sicherheiten herzustellen, wo keine sind. Sie sagte zum Beispiel: Die Spareinlagen der deutschen Sparer sind sicher – ein performativer Akt, nur weil sie es sagt, passiert etwas.

"Auch die AfD verunmöglicht Streitkultur"

von Wagner: Das hat prima funktioniert! Der Satz, "die Sparein­lagen sind sicher", war per se nicht wahr. Aber dadurch, dass das alle geglaubt haben, und ihr Geld nicht in Panik von der Bank geholt haben, ist der Satz zur Wahrheit geworden.

Mögen die Menschen das, wenn Politiker basta sagen?

Séville: Ja. Das hat bei Merkel ja auch lange gut funktioniert. Bis sie es in der Asyl- und Flüchtlingspolitik vollzogen hat und klar wurde: Damit sind jetzt aber viele Deutsche nicht einverstanden.

Hat die Große Koalition in Deutschland diese Rhetorik verstärkt?

Séville: Auf jeden Fall. Man hat das Gefühl, die großen Alternativen, im Sinn eines Plan A und Plan B für eine Gesellschaft, sind verschmolzen zu einem großen Projekt, nämlich das der Großen Koalition. Früher konnte man in der Gesellschaft unterschiedliche politische Lager differenzieren. Heute gibt es nur noch einen Mischmasch. Und die Oppositionsparteien sind für viele Wählerinnen und Wähler kaum sichtbar.

von Wagner: Im Bundestag hat die Große Koalition der Opposition zwar etwas mehr Redezeit eingeräumt, als ihr rechnerisch zusteht, aber die Koalition walzt da trotzdem drüber. Weil die Grünen sich so stark Richtung Union orientieren, bleibt eigentlich als einzig echte Opposition die Linke. Aber sie gilt bei vielen als unwählbar – auch wegen ihrer außenpolitischen Positionen.  

Séville: Und in dieses Vakuum der unsichtbaren Opposition ist die AfD gestoßen. Die mobilisiert ja genau die Leute, die meinen, sie seien nicht mehr vertreten, sie würden permanent übergangen, und sie postuliert ja auch für sich, Mut zur Wahrheit zu haben, als einzige wirkliche Opposition aufzutreten.  

von Wagner: Deswegen bringt der Name es leider gut auf den Punkt. Man geriert sich als DIE Alternative für Deutschland.  

Séville: Aber mit ihrer Rhetorik vom "gesunden Menschenverstand" gibt sie sich ebenso alternativlos wie Merkel und ihr Regierungsstil. Auch die AfD verunmöglicht Streitkultur – weil sie im Namen des Common Sense Politik betreibt.  

von Wagner: Das ist clever gemacht, zu sagen, man habe als Einzige den Volkswillen erkannt, den Volkswillen, den es im Übrigen gar nicht gibt: drei Leute, fünf Meinungen. Aber so können sie sich auch für später immunisieren und immer sagen, wer gegen ihre Meinung ist, ist gegen das Volk. Er wird zum Volksverräter. Eine gefährliche Entwicklung.  

Séville: Genau das ist das Kennzeichen von Populismus: dieser Antipluralismus. Gegen die Vielfalt von Meinungen im Namen einer vermeintlich entdeckten, evidenten Volksmeinung.

von Wagner: Das hat mir noch nie jemand erklären können: Was ist denn das Volk? Da ist doch demokratietheoretisch eine Lücke?!

Séville: Ja. Aber wenn diese leere Stelle gefüllt wird durch so eine Berufung aufs "Volk", haben wir für die Demokratie ein Problem.

"Satire führt fast zwangsläufig zur Überforderung"

Sind Talkshows oder auch Satiresendungen neue Foren, um Politisches zu besprechen?

von Wagner: Talkshows haben eigene Regeln der Zuspitzung, des Krawalls. Da werden Dinge nicht diskutiert, sondern Meinungen nebeneinander ausgestellt, nicht miteinander geredet.

Séville: Sie dienen nicht der politischen Lösungssuche, sondern der Profilierung. Aber ich wollte mal eines zur Satire sagen.

von Wagner: Bitte!

Séville: Das Spannende bei Satiresendungen ist, dass viele sagen, sie schauten sie als Ersatz für politische Berichterstattung.

von Wagner: Das ist eine verkürzte Wahrnehmung von dem, was wir tun. Wir sehen uns nicht als Nachrichtenersatz, sondern als Ergänzung. Ich bekomme viele Rückmeldungen von Lehrern, die sagen: Einige junge Leute gucken jetzt "Die Anstalt". Auch welche, die vorher nicht politisch interessiert waren. Über uns finden sie einen Zugang. Wir bieten politische Themen satirisch "gesüßt" an.

Séville: Politainment.  

von Wagner: Ja. Unterhaltung ist dabei ganz wichtig. Und Zu­spitzung. Wir zeigen unsere Haltung, daran soll man sich reiben. Wir möchten Anfang einer Debatte sein, nicht das Ende.

Séville: Die Satire als eine Art zirkuläres Modell? Man braucht die sachliche Berichterstattung, um die Persiflierung zu verstehen, und dann muss ich mich weiter informieren.  

von Wagner: Genau.  

Séville: Aber verstehen die Zuschauer das? Wie viele Leute glauben, was im "Tatort" passiert, bilde die Realität ab?

von Wagner: Satire muss man natürlich als Satire einordnen, das ist aber die Aufgabe des Rezipienten. Klar, das ist viel verlangt. Jemand hat zwei Jobs, ein Kind, und dann soll er noch quellenkritisch ferngucken. Das führt fast zwangsläufig zur Überforderung.

"Vielleicht brauchen wir in Deutschland einen linken Populisten"

Warum erfährt man in Satiresendungen oft mehr?

von Wagner: Es ist nicht unbedingt mehr. Es ist zunächst leichter zugänglich. Themen wie TTIP für Sketche herunterzubrechen erfordert einen enormen Rechercheaufwand. Vielleicht haben Journalisten – bedingt durch Profitoptimierung ihrer Verlage – einfach nicht mehr die Zeit, gute Metaphern zu finden; Vereinfachung zu bieten, ohne zu verzerren?! Nehmen sie nur mal die Berichterstattung über Griechenland. Wie einseitig sich da viele Journalisten an der Position der Bundesregierung und des "alternativlosen" Sparzwangs entlanggeschrieben haben. Und das Bild des faulen Griechen hat auch bei vielen Lesern verfangen.

Warum glauben das denn so viele Leute?

von Wagner: Man kann natürlich Fakten entgegensetzen, zum Beispiel von der OECD, dass die Griechen in Europa mehr Stunden als alle anderen arbeiten – die Produktivität ist eine andere Frage. Aber selbst wenn du Fakten bringst: Leute ziehen sich oft noch mehr in ihre Welt zurück, weil sie ihr positives Selbstbild erhalten wollen. Was ich dann als Kabarettist noch tun soll, weiß ich auch nicht – vielleicht eine überraschende Pointe finden, um dieses Weltbild zu durchlöchern? Da stoßen auch wir an unsere Grenzen.

Séville: In unserer Zeit ist es für manche unglaubwürdig geworden, sich auf Fakten zu berufen. Das hat man auch bei der Brexit-Kampagne gesehen, Rationalität wird gegen Emotionen ausgespielt. Und das müssen Journalisten, Kabarettisten und Wissenschaftler vielleicht akzeptieren: Mit rationalen Argumenten erreicht man nicht jeden.

Donald Trump hat Fakten und Rationalität abgelehnt – und wurde so US-Präsident. Die AfD setzt auch auf Emotionen.

von Wagner: Viele, die Trump gewählt haben, haben gesagt, ihnen sei es vor acht Jahren finanziell besser gegangen. Einige haben ihn also nicht wegen der Emotionen oder des Rassismus gewählt, sondern – vorsichtig gesagt – trotzdem. Weil ein anderes Thema wichtiger war: ihre Jobs. Die Themen Mindestlohn und Verteilungsgerechtigkeit gehören bei uns dringend auf die Agenda.

Es gibt unter AfD-Wählern aber auch viele, denen es gut geht...

von Wagner: Ja. Wie bei Trump auch. Das nennt man wohl Wohlstandschauvinismus. In Baden-Württemberg zum Beispiel stehen viele AfD-Wähler sicher im Leben, haben ein abgezahltes Haus und so weiter, aber dann kommen mit den geflüchteten ­Menschen die Vorboten einer Unordnung – und die will man von den Fleischtöpfen fernhalten. Mal ne Idee: Trump gilt bei den Leuten als einer, "der es sagt, wie es ist". Vielleicht brauchen wir in Deutschland einen linken Populisten, der auf der Basis von Menschenliebe populistisch wird?

Séville: Zahlreiche Deutsche sagen so etwas wie "Wir werden vergessen", "Dieser linksliberale Mainstream in Berlin hat mit uns nichts zu tun". Dem gilt es entgegenzutreten mit dezidiert unterschiedlichen Programmen – und mit einem tatsächlich sozialdemokratischen Politikangebot. Ja, Verteilungsgerechtigkeit muss ein Thema sein, aber die Wählerinnen und Wähler der AfD müssen sich auch besser informieren: Die alleinerziehende Mutter sollte mal in das Wahlprogramm der AfD gucken, dann würde sie sehen, dass ihre finanziellen Möglichkeiten beschnitten würden.  

von Wagner: Emotionen sind offenbar entscheidender als Wahlprogramme. Es scheint vielen AfD-Wählern wichtiger zu sein, den anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Bisschen blöd, dass dieser Denkzettel leer ist. Da steht nicht genau drauf, was er wem zu denken geben soll.

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