Destroyed buildings in Homs, Syria
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Eine Frage des Herzens
Auch Tiere leiden unter dem Krieg. Ein syrischer Journalist ­floh nach Deutschland und lernte hier ein wahres Hunde­paradies ­kennen. Er kam aus dem Wundern nicht raus
20.03.2017

Warum ist der Teller ­neben dem Hund ­voller Geld, während der Teller neben der Frau leer bleibt? Das ist kein Rätsel. In einer U-Bahn-Station sah ich eine Frau auf dem Boden sitzen. Neben ihr hatte es sich ihr Hund gemütlich gemacht. In seinen Pfoten hielt er einen Teller und ein Stück Pappe, auf dem stand: „Bitte helft mir, Essen zu kaufen.“ Das gleiche Schild stand neben der Frau. Der Hundeteller war voll, ihrer leer. Ich beobachtete die Szene und fragte mich: „Wie kann jemand nur mit einem Hund Mitleid empfinden?“ Trotzdem warf ich ein paar Münzen auf seinen Teller. Diese Szene rief Erinnerungen an meine Heimat wach. Was, wenn diese Frau dort genau so an einer Busstation ­bettelte? Würde irgendjemand Geld in die Schale des Hundes werfen? Ganz bestimmt nicht.

Überall in Berlin trifft man Leute mit Hunden an. Manche Leute haben gleich mehrere. Sie nehmen sie sogar in öffentlichen Verkehrsmitteln mit, in der U-Bahn, in Straßenbahnen, in Bussen. Großartig, diese Freundschaft von Mensch und Tier! In meinem Heimatland Syrien, das ich wegen des Krieges nicht mehr besuchen kann, ist so etwas ein seltener Anblick. Ich persönlich mag Hunde. Genau deshalb will ich ihr Leben in Deutschland mit dem in Syrien vergleichen. Ich will beschreiben, in welch gegensätzlichen Welten die Hunde hier und dort leben.

Je mehr er rannte, desto mehr loderte das Feuer

In Syrien kümmert man sich nicht um Hunde. Schon gar nicht nimmt man sie bei sich auf. Nur ganz wenige Menschen tun das, meist wohlhabende Leute. Sie müssen sich ja die Ausgaben für den Hund leisten können. Hundebesitzer haben etwas zum Angeben, es ist ihr Besitz. In Berlin dagegen scheint es eine Art Freundschaft von Mensch und Hund zu geben. „Man behandelt den Hund wie ein Familienmitglied“, hat mir ein deutscher Freund gesagt. „Er bekommt dieselbe Aufmerksamkeit und Pflege wie ein Kind von seinen Eltern.“ Schon Kinder gewöhnen sich daran, mit Hunden zu spielen. In Syrien ist so etwas ausgeschlossen.

Ich erinnere mich daran, dass uns die Lehrer drohten: „Wenn ihre eure Hausaufgaben nicht macht, werdet ihr in einen Raum mit Hunden gesperrt. Sie werden euer weiches Fleisch fressen.“ Als Kind war ich unentschieden. Einerseits beeindruckte mich die Warnung der Lehrer, dass Hunde Bestien seien. Andererseits hatte ich ­einen Hund im Zeichentrickfilm „Belle und Sebastian“ kennengelernt, einen loyalen, liebevollen Helfer an der Seite seines Herrchens. Tausende von obdachlosen Hunden in Syrien ernähren sich vom Müll. Sie fürchten die Menschen, und die Menschen fürchten sie.

Ein Freund erlebte während seines Militärdienstes vor zehn Jahren etwas Schreckliches: Der diensthabende Offizier befahl ihm und seinen Kameraden, sich um Mitternacht um den Haupthof der Kaserne zu versammeln. An einem dicken Strick führte er einen Hund auf den Hof und goss Benzin auf seinen Schwanz und seinen Rücken. Dann zündete er ihn an und ließ den Strick los. Der arme Hund rannte los und bellte wie verrückt. Je mehr er rannte, desto mehr loderte das Feuer. Der Luftzug fachte das Feuer weiter an.

"Ich sorge mich um meinen Sinn für Menschlichkeit"

Der Offizier befahl den Soldaten, hinter dem Hund herzurennen und ihn einzufangen. Mein Freund und seine Kameraden rannten los. Sie wussten: „Wenn es uns nicht gelingt, den Hund einzufangen, wird dieser sadistische Offizier uns bis zum Morgengrauen quälen.“ Ein Soldat konnte ein Tuch über den Hund werfen. Gemeinsam gelang es ihnen, das sich windende Tier zum Offizier zurückzutragen. Der wischte sich die Tränen aus den Augen. So sehr hatte er darüber gelacht, wie seine Soldaten dem Hund hinterherliefen. Der halb verbrannte Hund lebte noch. Aber er muss fürchterlich gelitten haben. Er bebte so stark, dass er kaum bellen und winseln konnte. „Der Anblick brach mir das Herz“, sagte mein Freund.

Der Offizier näherte sich den Soldaten. „Heute habt ihr eure erste Lektion bekommen. Sie heißt: ‚Der wilde Hund‘“, sagte er. „Jetzt folgt die zweite Lektion. Sie heißt ‚Gnade‘.“ Der ­Offizier zog seine Waffe und schoss dem Hund in den Kopf. Er lachte spöttisch und sagte: „Ich habe ein weiches Herz und kann es nicht er­tragen, wenn sich jemand an meiner Seite quält." Heute weiß ich: Das ist systematische Praxis im Militär. Man will jede Güte aus den Herzen der Soldaten auslöschen. Man will aus ihnen ­erbarmungslose Tötungsmaschinen machen.

Wann immer der Winter bevorstand, näherten sich die Hunde den bewohnten Gegenden. Hier war es wärmer als auf den Feldern und in den Bergen. Die Hunde fanden Nahrungsreste in den Müllcontainern. Jedes Jahr um diese Zeit legten städtische Beamte am Straßenrand und in der Nähe der Mülltonnen vergiftetes Fleisch aus. Vor einigen Jahren, während meines Studiums, war ich so schockiert darüber, wie viele Hunde und Katzen an vergiftetem Fleisch verendeten, dass ich zur Polizeistation ging. Ich wollte meinen Widerwillen gegen diese Bar­barei bekunden.

Ich beschrieb dem Chef der Polizeiwache, wie elend und langsam die Tiere da draußen zugrunde gingen. Er entgegnete nur: „Was ärgert dich? Hat irgendjemand aus deiner Familie Schaden genommen wegen des vergifteten Fleisches?“ Er lachte laut über seine eigene Bemerkung. Hätte ich diesen Sarkasmus gekontert, hätte mich der Polizeichef unter dem Vorwand der Beamtenbeleidigung verhaften können. Also sagte ich nur: „Ich fürchte mich um niemanden aus meiner Familie. Ich sorge mich um meinen Sinn für Menschlichkeit.“ Ja, wie man einen Hund ­behandelt, verrät viel über uns selbst.

Nur Katzen sind in ­Moscheen zu­gelassen – und Vögel

Im Islam gilt es als Sünde, ein Tier zu misshandeln. Der Koran und die Weisung des Propheten in den Hadithen machen deutlich, wie Muslime Tiere behandeln sollten. Der Koran beschreibt in Sure 6:39, dass Tiere Gemeinschaften wie Menschen bilden. Es ist verboten, ein Tier physisch oder seelisch zu quälen. Ein Muslim, der Tiere hält, übernimmt die Verantwortung für ­
ihr Wohlergehen. Er muss ihnen angemessenes Essen, Wasser und Unterschlupf geben.

Der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm, beschrieb die Strafen ­derer, die diese Fürsorge nicht walten lassen: Eine Frau wurde nach ihrem Tod bestraft, weil sie eine Katze weg­geschlossen hatte, bis sie starb. Sie kam ins ­Ewige Feuer. Umgekehrt darf auf die Vergebung seiner Sünden hoffen, wer ein Tier gütig behandelt. Der Prophet sagte, dass Allah einer Hure ver­geben habe. Für einen verdurstenden Hund zog sie ­einen Schuh aus, band ihn an ihr Kopftuch und schöpfte damit Wasser aus einem Brunnen. „Allah vergab ihr dafür alle ihre Sünden“, heißt es.

Ein anderes Mal zog die muslimische Armee an einer Hündin und ihren Welpen vorüber. Der Prophet Mohammed postierte einen Sol­daten in der Nähe der Hündin und befahl, dass sie und ihre Welpen nicht gestört würden. In ­Sure 18 berichtet der Koran, wie eine Gruppe Gläubiger Schutz in einer Höhle suchte. Ein Hund begleitete und schützte sie. Er lag ausgestreckt in ihrer Mitte.

Weder empfiehlt der Islam, Tiere aufzunehmen, noch hält er Menschen davon ab. Man kann Wachhunde halten, ebenso Schäfer- und Jagdhunde. Aber stets betont der Koran, dass Menschen ihnen nichts Böses antun dürfen. Menschen müssen sie erhalten, wie Allah sie erschaffen hat. Muslime lassen Hunde nur ungern in ihre Häuser hinein. Sie gelten als unrein. Sie lassen sie auch nicht in die Moscheen. Hundekot und Urin würden es unmöglich ­machen, dort zu beten. Katzen dagegen gelten als sauber, sie reinigen sich nach dem Urinieren, sie vergraben ihren Kot. Nur Katzen sind in ­Moscheen zu­gelassen – und Vögel.

"Wie wir Hunde behandeln, verrät viel über unsere Menschlichkeit"

Warum haben die Menschen in meinem Land Güte und Mitgefühl verloren? Wegen der schwierigen sozialen Lage. Zudem achten Regierungen, die keine Menschenrechte respek­tieren, erst recht keine Tierrechte. In den meisten arabischen Ländern geht es den Hunden so wie unter allen totalitären und diktatorischen Regimen – auf Kuba, in manchen lateinamerikanischen Ländern, in Nordkorea. Dort sollen die Menschen sogar Hundefleisch essen. Wie man Hunde behandelt, hat nichts mit ­der Religion zu tun, sondern eher mit dem Lebensstil, mit Freiheit und Luxus. Dubai in den Ver­einigten Arabischen Emiraten gilt als islamische Stadt. Dort gibt es Luxusdienste für Tiere: Fünfsternehotels für die Hunde von Menschen, die außer Landes reisen und ihre Hunde nicht mitnehmen können. Massagedienste inklusive.

An der Entfremdung zwischen Mensch und Hund im Nahen Osten und speziell in Syrien sind nicht bloß die Regierungen schuld. Aber sie tragen eine große Mitschuld. Wie behandelt jemand Hunde, wenn er sieht, dass die Regierung sie mit vergiftetem Fleisch füttert? Wie ver­ändert es einen Syrer, wenn Soldaten Hunde zu Tode quälen? All das interessiert niemanden. Im Gegenteil: Wer um sein Leben fürchten muss, wird seine Aggressionen und seinen Ärger vielleicht an schwächeren Geschöpfen auslassen. Und die Behörden lassen ihn gewähren.

„Belle“ war mein Lieblingshund während meiner Kindheit: Sebastians großer weißer und mutiger Begleiter, der ihn stets verteidigte und beschützte. „Belle und Sebastian“ war eine Zeichentrickserie für Kinder, die Adaption eines französischen Romans der Autorin Cécile Aubry. Sie startete 1981. Sie erzählt von den Abenteuern des sechsjährigen Sebastian, der mit seinem Hund in einem Pyrenäendorf an der Grenze zu Spanien lebt. Auf der Suche nach seiner Mutter begibt sich der Junge auf eine Reise. Der Hund bewahrt ihn vor Ärger.

Nie waren die Hunde so freundlich wie in Berlin

Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass sich jeder vor Belle fürchtet und die Leute Lügen über ihn erzählen. Die Polizei jagt den Hund und will ihn töten. Sebastian ist der Einzige, der weiß, dass Belle alles andere als schlecht ist. Und dass er jedermann hilft. Erstmals begegnete ich einem echten Hund, als ich neun Jahre alt war. Es war auf dem Land nahe Damaskus. Er kam aus einer Schafherde heraus und lief auf mich zu. Er war nicht so groß wie Belle, nicht weiß, schien auch nicht so freundlich zu sein. Ich hatte Angst. Der Hund bellte mich an. Ich stand wie angenagelt da. Der Schäfer kam schnell dazu und erklärte: „Fürchte dich nicht. Der Hund tut nur seine Pflicht und beschützt die Schafe.“ Später beobachtete ich ­andere Hunde mit ihren Besitzern. Nie waren die Hunde so freundlich wie die Hunde in ­Berlin. Vielleicht waren syrische Hunde nicht gewohnt, sich bei Menschen aufzuhalten.

Es gibt viele tragische Geschichten über die Hunde in Syrien. Kürzlich erzählte mir ein Freund, der noch ­immer in Syrien lebt – und zwar dort, wo Assads Armee keine Kontrolle hat –, dass viele Menschen jetzt mitfühlender geworden seien. Dass sie die Hunde freundlicher behandeln. Als ich ihn fragte, warum, sagte er: „Wir sind alle obdachlos ge­worden. Wir leiden unter denselben Bomben und derselben Belagerung.“ Er erzählte, dass Hunderte Hunde von irani­schen Heckenschützen erschossen worden seien, die in den Hochhäusern um die befreiten Ge­biete herum auf der Lauer liegen. Sie erschießen Hunde, Katzen, alles, was sich bewegt. Warn­zeichen gibt es überall.

Unglücklicherweise erkennen die Tiere sie nicht. Sie werden genau in dem Moment erschossen, in dem sie sich den Heckenschützen zeigen. Auch diese Tiere sind Opfer des schmutzigen Krieges, verursacht durch das syrische Regime. Ich stelle mir vor, ein Hund schläft in Syrien ein und wacht in Berlin wieder auf. Er wird ­glauben, er sei ins Paradies gelangt, und sein Leben in Syrien sei nur ein Alptraum gewesen.

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