Strandurlaub
Lisa Rienermann
Sonntage sinnvoll nutzen
Von Fleiß und Pflichterfüllung ist im Christentum oft die Rede. Aber hier und jetzt auch von Muße und Entspannung
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
19.07.2016

Friedrich Naumann, der liberale Sozial­po­litiker und evangelische Theologe (1860–1919), veröffentlichte 1889 einen ­„Ar­beiter-Katechismus“. Ihm war aufgefallen, dass es Arbeitern schwerfiel, ihre knappe Freizeit kreativ und erholsam zu ver­bringen. Stattdessen verschleuderten manche Geld und Freizeit in der „Vergnügungsindustrie“. Der evangelische Pfarrer forderte die Kirchen auf, den Arbeitern Angebote für eine „geläuterte Freizeit“ zu machen. Freizeit sei auch eine geistige Erholungszeit, zu wertvoll, um sie sinnlos zu vertun. Naumann schwebten Beschäftigungen vor, die Geist und Seele bereicherten.

Was bedeutet der Sonntag im Christentum? Henning Kiene sagt, wieso Gott am siebten Tag pausiert hat und welche Folgen das für uns noch heute hat. Wie passt das außerdem damit zusammen, dass Sonntag im Christentum der erste Tag der Woche ist?

Es wird ihm nicht leichtgefallen sein, in dieser Spätphase der Industrialisierung die Arbeiter zu einer sinnvollen Ferien- und Freizeitgestaltung zu motivieren. Warum sollten ausgerechnet sie, die an sechs Tagen in der Woche zehn oder zwölf Stunden an den Fließbändern standen, noch anspruchsvolle Freizeit wünschen? Der Achtstundentag wurde in Deutschland erst Jahre später eingeführt, und das zunächst auch nur in wenigen Branchen. Aber 1889, im Jahr des Naumann-Buches, forderte ihn auch die Sozialistische Internationale auf ihrem Kongress in Paris.

Die Empfehlung, Freizeit nicht mit ­Müßiggang zu verwechseln, sie nicht als „leere“, sondern als „erfüllte“ Zeit zu verstehen, ist so alt wie Judentum und ­Christentum. Im ersten Buch Mose, Ge­nesis, ist zu ­lesen: An sechs Tagen erschuf Gott Himmel und Erde, „und ruhte am ­siebenten Tag von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn...“ (1 Mose 2,2f.). Dass ­diese schöpferische Pause seiner Erholung diente, ist reine Spekulation.

Eine Herausforderung bestehen, etwas Riskantes wagen

Wofür sind die Engel da?

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Aber diese Pause hat erhebliche religions- und kulturgeschichtliche Folgen: Der jüdische Sabbat und der christliche Sonntag sollen arbeitsfrei sein und Gelegenheit geben, Gott zu verehren. Das dritte der Zehn Gebote fordert: „Am siebenten Tag... sollst du keine Arbeit tun...“ (2 Mose 20,10) Das jüdisch-christliche Gebot eines wöchentlichen Ruhetages hat keine religionshistorischen Parallelen. Der christliche Sonntag unterscheidet sich vom Sabbat ­darin, dass er am Folgetag gefeiert wird. Er erinnert an die Auferstehung Christi, mit der die neue Schöpfung begann. 

Was sind sinnvoll verbrachte Sonntage, was ist sinnvoll verbrachte Frei- und Urlaubs­zeit? Einfach abschalten? Chillen? Nichts tun? Oder etwas tun anderes als werktags? Und was?

Die Freizeitindustrie empfiehlt, etwas Besonderes zu erleben, eine Herausforderung zu bestehen, etwas Riskantes zu wagen. „Dieselbe Hast, die die Arbeitswelt prägt, ist nicht selten auch in der Freizeit weiter bestimmend“, mahnt der aktuelle „Evangelische Erwachsenenkatechismus“ und spricht von „angestrengter Fröhlichkeit und Zerstreuung“.

Mehr als Chillen

Niemand praktiziert das religiöse Arbeitsverbot am Sabbat so konsequent wie ultraorthodoxe Juden. Sie spielen nicht Fußball, unternehmen keine Paddeltour, kochen kein mehrgängiges Menü. Ihnen würde es nie einfallen, am Sabbat größere Strecken zu gehen, Schweres zu tragen, im Haushalt oder im Garten zu arbeiten, zu jagen, zu schlachten, zu grillen. Ja, nicht einmal einen Knoten zu binden oder zwei Buchstaben zu schreiben.

Christen können manches von ihnen lernen: am Sonntag die Uhr anzuhalten, um den Kopf frei zu bekommen. Im Urlaub die Routine und Last des Alltags abzustreifen und Dinge zu tun, die sonst selten möglich sind: die ­Natur zu beobachten, sich in die Gedanken­welt ­anderer Menschen zu vertiefen, sich auf sich selbst und seinen Glauben zu be­sinnen.

In der kirchlichen Jugendarbeit hat ein ältliches Wort überlebt: die Rüstzeit. Jugendliche verbringen ihre Zeit miteinander, sprechen, singen, beten miteinander. Sie sprechen über persönliche und politische Ziele. Medien und Methoden haben sich gewandelt, aus Sommerlagern sind Camps geworden. Aber in einem Punkt sind sie sich ähnlich geblieben: Hier geht es um mehr als ums Chillen. 

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