"Morkels Alphabet" von Stian Hole
Stian Hole, Morkels Alphabet Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger © 2016 Carl Hanser Verlag München
Ist das Liebe?
Irgendwie schon. Der Bilderbuchautor Stian Hole knüpft zarte Verbindungen zwischen seinen Figuren – und arbeitet mit digitalen Collagen. Dafür wird er mit dem Illustrationspreis ausgezeichnet
28.06.2016

chrismon: Ihre Bücher spielen alle in ­unterschiedlichen Lebensphasen. 

Stian Hole: Aber alle meine Bücher sind Liebesgeschichten! Sie handeln von den unterschiedlichen Arten der Sehnsucht. „Morkels Alphabet“ ist eine kleine Geschichte über Vögel, das Sammeln von Worten und eine zerbrechliche Freundschaft.

Welchen Blick auf die Welt braucht ein Bilderbuchautor?

Bilderbücher zu machen, ist wie eine Reise anzutreten, von der ich noch nicht weiß, wo sie endet. Unterwegs hoffe ich, etwas Neues zu erleben oder zu lernen. Ich wünsche mir, die Welt wieder wie ein Kind wahr­zunehmen, wie zum ersten Mal.

Morkel ritzt besondere Wörter in eine Baumrinde. Anna ist beeindruckt, sie hat auch drei besondere Wörter für Morkel. Was sehen Sie in dieser Szene?

Morkel und Anna sind in der Lage, etwas Besonderes im Anderen zu erkennen. Ich glaube, das ist eine essenzielle Sehnsucht im Leben der Menschen: von jemandem gesehen zu werden. Deshalb schreibt Anna auch zu Beginn der Geschichte auf einen Zettel, den Morkel auf dem Feld hinterlassen hat: „Ich habe dich gesehen.“ Anna und Morkel teilen ein Interesse an Wörtern und an der Natur. Da kommen sie zusammen.

"Ich habe immer Zweifel, ob ich zu viel oder zu ­wenig erzähle"

Die Natur ist ein großes Thema in dieser Freundschaftsgeschichte.

Die Natur spielt im Leben vieler nordischer Menschen eine wichtige Rolle. „Morkels Alphabet“ ist eine Geschichte über Sensi­bilität und zarte Gefühle. Die Natur ist ebenso zerbrechlich, wie es Menschen sind. Der Wald ist außerdem auch ein ­wunderbarer Ort, wo man seine Sinne schärfen und ­Geheimnisse hüten kann.

Morkel verschwindet plötzlich und taucht erst auf der letzten Buchseite wieder auf. Warum?

Das bleibt ein Geheimnis. Anna sucht ihn und wartet auf ihn. In den ersten Ver­sionen der Geschichte hätte der Leser mehr über Morkels Verschwinden erfahren. Aber das habe ich im weiteren Arbeitsprozess herausgenommen. Ich habe immer Zweifel, ob ich zu viel oder zu ­wenig erzähle. Das ist der schwierigste Teil des Geschichtenerzählens. Da braucht man viel Erfahrung, aber ich lerne ständig dazu. Ich bin immer bemüht, eine Geschichte offenzulassen, so dass der Leser mitarbeiten kann und Koautor wird. Wenn ich gute Geschichten schreibe, fühlt es sich so an, als ob ich mich in die Geschichte hineinschreibe. ­Genauso hoffe ich immer, dass jemand ­seine eigenen Gefühle in meine Bilderbücher einfließen lässt.

Die Jury lobt ihr Buch als „eine Geschichte von Geduld, Zauber und Geheimnissen in einer geheimnislosen Zeit, in der Informationen jeder Zeit verfügbar sind.“

Eine sehr gute Beobachtung. Ich freue mich über diese Interpretation. Wenn ich meine Kinder und die Menschen um mich herum anschaue, vermisse ich Reflexion, Sensibilität und Besinnlichkeit, Momente des Friedens, ein Lächeln oder einfach nur jemanden, der in der U-Bahn nicht auf sein Handy, sondern dir in die Augen schaut.

Denken Sie sich zuerst den Text oder die Bilder aus?

In einem Bilderbuch brauchen Bild und Text einander und interagieren. Trotzdem müssen sie nicht dasselbe aussagen. Ich arbeite gleichzeitig an Bildern und an Worten. Da ich in der glücklichen Position bin, sowohl zu schreiben als auch zu illustrieren, kann ich Worte und Bilder anpassen. Ich muss nicht schreiben, dass eine Figur einsam ist, wenn das Bild das schon zeigt. Ebenso können wir zwischen den Zeilen einer Geschichte lesen, wir können kleine Geheimnisse und Andeutungen in den ­Illustrationen bemerken. Es ist der Dialog zwischen Worten und Bildern, der die Geschichte voranbringt und ein Bilderbuch faszinierend macht.

Für das Buch mussten Sie Gefühle wie Liebe und Einsamkeit illustrieren – was inspiriert Sie dabei?

Einer meiner Lieblingsautoren, der Däne Peter Høeg, hat seinen Beruf in einem Interview mal als Autor, Wissenschaftler und Forscher beschrieben. Er sagte, sein Forschungsfeld ist das Herz. Ich mag seine Metapher. Ich möchte Geschichten er­zählen, die sich etwas Essenziellem im Leben nähern. Liebe und Einsamkeit sind wichtige Teile des Lebens, die ich er­forschen muss.

Ihre Illustrationen wirken wie eine ­Mischung aus Foto und Zeichnung. Wie machen Sie das?

Als bruchlose digitale Collagen. Ich sammle Gewebe, digitale Fotos, Scans, Notizen und Skizzen, und dann photoshoppe ich. Ich gestalte um, skaliere und kippe, bis – hoffentlich – etwas Interessantes passiert. Digitales Werkzeug ist brillant. Der Prozess ist sehr zeitraubend, aber ich liebe es, herumzuspielen und zu entdecken, wenn ich die Elemente hin und her verschiebe. Ich vergesse mich selber, die Zeit und alles, was um mich herum passiert. 

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