Fusionierung der Kirchengemeinden St. Georg und Borgfelde. Fotografiert in Hamburg am 14., 20. und 21. Dezember 2014. Fotograf: Arnold Morascher für Chrismon plus.  Gemeinde beim Abschiedsgottesdienst von Vikar Dr. Andreas Holzbauer in der Gemeinde St. Ge
Arnold Morascher
"Wir machen das jetzt"
Die Mühlen der Kirchenbürokratie mahlen langsam, deshalb legen die Menschen einfach schon mal los: Eine afrikanische und eine deutsche Gemeinde in Hamburg fusionieren
Gerlinde GeffersFoto: Cordula Kropke
11.03.2015

Filmvorführung auf der Orgelempore der Dreieinigkeitskirche Hamburg-St.-Georg. Es läuft „Gravity“. Achtzehn deutsche und afrikanische Jugendliche tuscheln und kichern, bis vorne auf der Leinwand ein Raumschiff von Weltraummüll zertrümmert wird. Chipstüten knis­tern, als Sandra Bullock, die Astronautin, um ihr Leben kämpft. Sie ahnt, dass sie sterben wird. „Ich habe solche Angst“, sagt sie und dass sie gerne beten würde, es aber nie zuvor getan hat. „Das hat mir niemand beigebracht.“ Der Film stoppt.

„Wer hat schon mal gedacht, jetzt muss ich beten?“, fragt Peter Mansaray, Pastor der African Christian Church. Die Antworten tröpfeln: Während der Englischarbeit. Bei einer Schülerdemo für afrikanische Flüchtlinge. Mansaray zeigt noch einen kurzen Film: eine Kirche voller Afrikaner, alle stehen, der Prediger ruft Fürbitten in den Raum, alle beten laut durcheinander. Deutsche wie afrikanische Konfirmandinnen und Konfirmanden gucken befremdet.

Was ist beten für sie? Es wird still. ­Einige flüstern mit Wondibel und Felix, den beiden Teamern. Sie notieren auf Zettel: Beten ist für mich wie hoffen oder Wünsche abschicken. Beten ist für mich, dass Gott meine Bitten hört und mir hilft. Beten ist für mich, Dankbarkeit zu zeigen, und dann zu bitten, dass es den Leuten, die du liebst, gutgeht. Einige zünden eine Kerze an und legen ihre Notizen daneben. Beten ist für diese Mädchen und Jungen ein vertrauliches Zwiegespräch mit Gott.

Die Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde und die African Christian Church erproben, wie gemeinsames Gemeinde­leben gelingen kann. Im Januar 2013 hatte die afrikanische Gemeinde schriftlich beantragt, Teil der Gemeinde zu werden, deren Erlöserkirche in Borgfelde sie seit 2004 gemietet hat. Der Gemeinderat freue sich über den Antrag, hieß es in der Antwort. Er verbinde damit die Hoffnung, dass sich ihre Gemeinde zu einer Gemeinschaft entwickle. In der jeder seine eigenen ­Glaubenstraditionen pflegen kann und die sich wechselseitig bereichern.

"Weder Afrikaner noch Deutsche"

Die Autorin

###drp|bvgEBhalQAXMjDfW_jNAIHlJ00091940|i-38||### Gerlinde Geffers, 59, wohnt seit 17 Jahren in St. Georg und hat sich im Gospelgottesdienst nicht lange fremd gefühlt.

Wie aber geht eine Fusion mit einer Kirchengemeinde, deren Mitglieder bis dato nicht der evangelischen Kirche angehören und die keine Kirchensteuern zahlen? Kirchenrechtlich sah der Gemeinderat nur einen Weg: Die etwa 60 Mitglieder der African Christian Church müssten der Nordkirche beitreten und sich in die 4000 Mitglieder zählende Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde umgemeinden lassen. Die könnte ihrerseits beschließen, dass die afrikanische Gemeinde ihre kulturelle und ­spi­rituelle Identität bewahrt und – wie andere Arbeitsbereiche auch – über einen ­eigenen Haushalt verfügt. Aber das würde alles dauern. Statt zu warten, beschlossen die beiden Gemeinden: Wir tun so, ob wir eine Kirche sind. Wir machen das jetzt einfach.

Gunst der Stunde: Zur gleichen Zeit fragte sich Vikar Andreas Holzbauer, was deutsche Jugendliche am Thema Glauben interessieren könnte. Kirchengemeinde gar nicht, vermutete er, eher das, was sie in der Schule erleben: unterschiedliche Kulturen. Während der Hospitation im interreligiösen Religionsunterricht einer Stadtteilschule hörte er, wie die junge Afrikanerin Wondibel ganz offen sagte, dass sie an Jesus glaube, und dass sie davon anderen erzähle. Die deutschen Mitschüler dagegen schienen ihren Glauben nicht in Worte fassen zu können. So entwickelte Vikar Holzbauer die Idee zu einem interkulturellen Konfirmandenunterricht: Afrikanische und deutsche Jugendliche entdecken zusammen den christlichen Glauben.

Damit löste er auch in seiner Gemeinde eine Aufbruchsstimmung aus. Endlich wieder ein Konfirmandenunterricht! Und das, nachdem das Häufchen Jugendlicher aus St. Georg-Borgfelde jahrelang in der Nachbargemeinde konfirmiert worden war. Vom Gemeinderat bis zum Senioren­kreis – alle warben für die Gruppe. Die beiden Pastoren Gunter Marwege und Friedrich Degenhardt, ihr afrikanischer Kollege Peter Mansaray und die Afrikanerin Delphine Takwi versprachen, den Konfiunterricht gemeinsam zu gestalten.

Delphine Takwi zögerte keinen Moment. Die Afrikanerin lebt seit 14 Jahren in Hamburg, unterstützt als Stadtteilmutter afrikanische Familien und studiert neben­bei interkulturelle Theologie. Ihre elf- und neunjährigen Töchter und der kleine Joel sind in Deutschland geboren. Zu Hause sprechen sie Pidginenglisch, essen afrikanisch, reden Erwachsene mit Onkel und Tante an und zeigen Respekt gegenüber den Eltern, statt mit ihnen zu diskutieren. Vor der Haustür sprechen sie deutsch, gehen auf eine deutsche Schule, haben deutsche Freunde und lernen, dass sie ­widersprechen dürfen. Sie seien weder Afrikaner noch Deutsche, sagt Delphine.

Lange habe sie nach einer Brücke zwischen den Kulturen gesucht, bis sie hörte, dass zwei Gemeinden in St. Georg-Borgfelde diese Brücke bauen – auch für die Kinder. „Viele afrikanische Kinder verschwinden als Jugendliche aus den Gemeinden“, sagt Delphine Takwi. Der afrikanische Gottesdienst sei ihnen zu lang und zu laut und oft verstünden sie die Sprache nicht. Den deutschen Gottesdienst finden sie langweilig.

Kirchen­gemeinde St. Georg-Borgfelde

Der Stadtteil hinter dem Hamburger Hauptbahnhof drohte in den achtziger Jahren zum sozialen Brennpunkt zu werden. Die Kirchengemeinde in St. Georg schrumpfte. Damals begann sie, sich für die soziale Stadtteilentwicklung und den interreligiösen Dialog zu ­öffnen. Ein offenes Jugendzentrum, Spielhäuser für ­Kinder, eine Suppenküche für Obdachlose entstanden, ein Chor gibt Konzerte für den Stadtteil. Auch baute die ­Gemeinde Kontakte zu den zahlreichen Moscheen auf.

Als zu Beginn der neunziger Jahre in der Homosexuellenszene von St. Georg immer mehr Menschen am HIV-Virus erkrankten und viele starben, gründete der Kirchenkreis­verband Hamburg 1994 die bundesweit erste Aidsseel­sorge in St. Georg.

2004 fusionierte die Gemeinde mit der finanziell angeschlagenen Kirchengemeinde in Borgfelde und vermietete die dortige Erlöserkirche an die African Christian Church. 2006 entschied sie, die spärlich besuchten deutschen Gottesdienste in Borgfelde einzustellen und in der Erlöserkirche einen inter­nationalen Gospelservice ­ für ­Deutsche und Afrikaner aufzubauen. 2013 beantragte die African Christian Church die Fusion. Die ersten Afrikaner sind inzwischen Mitglieder der Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde geworden.

Die 22 Jugendlichen, die die erste gemeinsame Konfirmandengruppe bildeten, haben in der Osternacht 2014 auf der Empore geschlafen, morgens um sechs sind sie ­singend in die Kirche eingezogen. Auch der ehrenamtliche Küster Wolfgang Finsterer hatte in der Kirche übernachtet, wie jedes Jahr. Ab fünf Uhr steckte er die Liednummern für den Gottesdienst und verteilte die Gesangsbücher.

Wondibel, 16, und Felix, 17 Jahre alt, sind beide konfirmiert –  sie in der African Chris­tian Church, er in der deutschen Nachbargemeinde. Sie glauben an denselben Gott und feiern dieselben Feste. Nur die Art, wie sie Gottesdienst feiern, sei unterschiedlich, sagen beide. Wondibel ist im christlichen Glauben aufgewachsen, und die Gemeinde ist für sie Familie. Jeden Sonntag betreut sie Kinder, während die Eltern im vierstündigen afrikanischen Gottesdienst singen, tanzen und beten. Sie sagt: „Jesus ist immer an meiner Seite. Wenn ich mich anstrengen muss, weiß ich, dass der Herr mir helfen wird. Er hilft mir, an mich zu glauben.“

Für Felix ist die Kirche eher ein Rückzugsort. Mit dem deutschen Gottesdienst kann er wenig anfangen. Getragene Orgel­musik, langweilige Lieder und fast nur ältere Leute. Lieber besucht er die Kirche allein, um zu beten. Als Kind liebte er die Kinderbibel, die ihm seine Oma geschenkt hatte. Mit acht Jahren fragte er sich, ob es einen Gott gebe, der die Welt habe ent­stehen lassen. Er begann zu beten, und es tat ihm gut. Zwei Jahre später ließ er sich taufen. Heute sagt er: „Glaube ist Hoffnung, Liebe und das Gefühl, aufgehoben zu sein.“

Als Peter Mansaray 2011 der Pastor der African Christian Church wurde, hat er die Geschichte seiner neuen Gemeinde studiert. Sie entstand Anfang der neunziger Jahre. Die nordelbische Kirche sorgte sich damals um die vielen Westafrikaner, überwiegend Ghanaer, die in Hamburg ganz auf sich gestellt lebten. Sie holte einen Seelsorger aus Afrika und stellte ihn bei der Ökumenischen Arbeitsstelle des Kirchenkreises Hamburg-Ost an. Es sind die Gottesdienste und die Gemeinschaft in der Gemeinde, die den Afrikanern Kraft geben. So gründete der Afrikanerseelsorger eine eigene Kirche – die African Christian Church. 

Mansaray ist der dritte Pastor der Gemeinde. Er ist in Sierra Leone geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Er hatte eine Zeit lang katholische Theologie und danach in Berlin Politik studiert. Dort war er Mitbegründer einer afrikanischen Kirche, deren Pastor er wurde. Auch Mansaray ist nur als Afrikanerseelsorger beim Kirchenkreis Hamburg-Ost angestellt, obwohl der Kirchenkreis – im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern – diesmal einen Pastor gesucht hatte, der die interkulturelle Öffnung seiner Gemeinde vorantreibt. Ihn als regulären Pastor anzustellen, erlaubt das Kirchenrecht bisher nicht.

In ihren Anfängen war die African Chris­tian Church für alle Westafrikaner da, ganz gleich welcher Konfession. Mit den Jahren schickten die Kirchen in Ghana ihre eigenen Pastoren. Heute, schätzt Mansaray, gibt es in Hamburg etwa 70 afrikanische Freikirchen. So fragte er sich, für welche Theologie seine Gemeinde stehe. Er schlug ihr vor, sich mit der lutherischen Theologie auseinanderzusetzen und dann Teil der evangelisch-lutherischen Kirche zu werden.

Damit löste er heftige Diskussionen aus. Einige fürchteten, die Fröhlichkeit im Gottesdienst zu verlieren. Die meisten Gemeindemitglieder haben es im Alltag schwer, sie arbeiten in schlecht bezahlten Jobs, oft nachts oder am frühen Morgen. Am Sonntag in der Kirche tanken sie auf. Die Liturgie mit ihren innigen Sologesängen und den rhythmischen Gospels, bei der die ganze Gemeinde singt, tanzt und klatscht, will auch Mansaray erhalten. Am Ende stimmten auf der Generalversammlung 80 Prozent für eine Fusion.

Die Spiritualität der Afrikaner irritiert nicht nur, sie fasziniert auch viele Deutsche. Schon mit dem Einzug der African Christian Church entschied die Gemeinde St. Georg-Borgfelde, einmal im Monat zu einem interkulturellen Gospelgottesdienst einzuladen. Anfangs sangen nur Deutsche bei den Gospel Ambassadors mit, und wenige Afrikaner kamen zum gemeinsamen Gottesdienst. Das ändert sich, seitdem die Gemeinden stärker aufeinander zugehen.

Der 99. Internationale Gospelservice im September ist für Delphine Takwi und ­ihre Familie ein Festgottesdienst. Der kleine Mann im weißen Frack schmiegt sich an seine Mama und guckt neugierig um sich. Delphine Takwis sieben Monate alter Sohn Joel ist ihr erstes Kind, das im deutsch-­afrikanischen Gottesdienst getauft wird. Man sage in Afrika, dass es ein Dorf braucht, um ein Kind großzuziehen, erzählt Pastor Friedrich Degenhardt: „Wir sind das Dorf, das helfen will, dass es in die christliche Gemeinschaft hineinwächst.“ Die Eltern des Täuflings sind Afrikaner, die beiden Paten Deutsche.

"Wir sehen uns mit den Afrikanern als Einheit"

Wolfgang Finsterer, Mitglied des Gemeinderates, war noch nie im Gospelgottesdienst. Er mag die Musik nicht, ebenso wenig das Tanzen. Er fühlt sich wohl im schlichten und klaren evangelischen Gottesdienst – mit der Predigtkultur und der kritischen Auseinandersetzung mit dem Glauben. Manchmal höre er eine Predigt und denke, das hat er für mich geschrieben, sagt er. Das macht ihn glücklich.

Jeden Sonntag ist Finsterer schon um neun Uhr in der Dreieinigkeitskirche und kocht im Heizungskeller Kaffee. Er ist stolz auf seine Gemeinde. Auch wenn er samstags in der geöffneten Kirche Besuchern von der Aidsseelsorge oder dem Dialog mit den muslimischen Gemeinden erzählt und von der afrikanischen Gemeinde in der Nachbarkirche. Er freut sich über das Staunen. Er zeigt die Profiküche und plaudert über die Suppengruppe, die jeden Freitag Obdachlose bewirtet. Die Kantinen der umliegenden Firmen und Hotels kochen, eine Ehrenamtliche holt die Suppe mit dem Auto ab. Auch das ist seine Kirche.

Der Fotograph

###drp|cPtNPezoQmpMwgRjF6Sn0xi500091941|i-38||### Thomas Morascher bekam Lob für seine Arbeit, noch während er sie verrichtete – mitten im Gottesdienst.

Finsterer erinnert sich kaum noch an den Antrag auf Fusion. Es habe keinen ­Widerspruch gegeben, sagt er, eher Zustimmung, weil alle es spannend fanden: „Wir sehen uns mit den Afrikanern als Einheit, genauso wie mit der Aidsseelsorge.“

An diesem Tag kocht Wolfgang Fins­terer mehr Kaffee als sonst und stellt Sekt kalt. Vikar Andreas Holzbauer wird seinen Abschiedsgottesdienst feiern. Die ersten Besucher kommen, Finsterer kennt fast alle. Er begrüßt jeden, umarmt viele und überreicht ihnen ein Gesangbuch. Auf den großen Gemeindesitzungen hat er auch einige Afrikaner kennengelernt. Auch sie kommen heute, um dem Vikar zu danken.

Praise the Lord. Peter Mansaray eröffnet den Gottesdienst mit einem ungewohnten Halleluja. So bunt habe ich mir meinen Abschied gewünscht, sagt Andreas Holzbauer. Gospelstücke wechseln mit Kirchenliedern und Orgelmusik ab. Nach der Lesung auf Deutsch und in der ghanaischen Landessprache Twi predigt Holzbauer im Dialog mit Peter Mansaray. „Gemeinschaft ist von Gott gewollt“, sagt Mansaray. „Den anderen kann ich nur wahrnehmen, wenn ich meine Grenzen sehe“, sagt Holzbauer. Als Wondibel und zwei afrikanische Konfirmandinnen „Halleluja“ von Leonard Cohen singen, singt die Gemeinde unaufgefordert das Halleluja leise mit.

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Schön, dass Sie dieses Thema aufgreifen, leider ist Ihre Sprache an einigen Stellen ungenau. Es wird die meiste Zeit von “den Afrikanern“ gesprochen, “die afrikanisches Essen essen“, warum benennen Sie nicht das Land? Das ist eine diskriminierende Darstellung. Oder schreiben Sie “europäisches Essen“?

Desweiteren bezweifel ich, dass die Schüler*innen alles Afrikaner*innen sind. Es werden eher Schwarze Deutsche oder Afrodeutsche sein. Hier wird leider sehr stark die Nationalität über die Hautfarbe gelesen, was falsch ist. Gerade in Hamburg leben seit 400 Jahren Schwarze. Auch Schwarze können Deutsche sein.

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