Markus K. auf einem Spielplatz
Bernd Roselieb
Doch endlich angekommen
Seit dem Studium hatte er viele Jobs, meist befristete. Nun will er beruflich endlich ankommen
Tim Wegner
27.01.2015

Markus K, 50:

Neulich saß ich nachmittags auf der Couch in der Kita und ­notierte mir, was wir am Tag gemacht haben. Kaum hatte ich vier Zeilen geschrieben, kam das erste Kind: Was schreibst du da? Was steht da? Ich las es vor. Hm, und was steht da? Okay, vorgelesen. Hm, schreib doch mal: Bus, Katze, Hund. Dann saßen drei Kinder da, und ich hab aufgeschrieben, was sie haben wollten, auch Fantasie­wörter. „Dickfetter“ hat einer unbedingt haben wollen. Der hat sich gefreut wie ein Schneekönig.

Diese Neugier und Energie der Kinder, das finde ich so be­lebend. Das ist das, worauf ich mich freue, wenn ich zur Arbeit gehe. Ich mache gerade mein einjähriges Berufspraktikum in der Ausbildung zum Erzieher. Davor hatte ich ein knappes Jahr Theorie. Wir waren insofern eine besondere Klasse in der Berufsschule, als wir alle studiert hatten. Die anderen hatten zum Beispiel im mittleren Management gearbeitet, im Journalismus, im Marketing. Einige hatten gut verdient, jetzt wollten sie was Sinnvolles machen. Ich selbst hatte schon viel mit Kindern zu tun – ich war acht Jahre lang ehrenamtlich Fußballtrainer. Aber beruflich? Da hoffe ich, vielleicht bald mal richtig angekommen zu sein.

Mit meinen Studienfächern Sport und Literatur ist es schwierig auf dem Arbeitsmarkt, wenn man nicht Lehrer werden will – ich fand das Schulsystem nicht gut. Ich machte also sehr Verschiede­nes. Manches lag nahe, etwa die Arbeit als Präventionstrainer im Gesundheitswesen. Das meiste aber hatte ich mir nicht vorgenommen, das ergab sich aus der Not heraus. Callcenteragent bei einer Bank etwa. Die Schichtarbeit dort hielt ich nur ein Jahr durch. Dann war ich bei zwei Betriebskrankenkassen – Abteilung Schadensersatz. Da las ich medizinische Gutachten bei Behandlungsfehlern, sprach mit Patienten, Ärzten, Anwälten. Dort wäre ich gern geblieben, aber dann ging’s vielen dieser Kassen schlecht, sie setzten Leiharbeiter und Befristete raus. Als Seiteneinsteiger nur mit ein paar Schulungen hat man da schlechte Chancen.

Da war ich 44. Und wieder arbeitslos. Ich versuchte mehrfach, mich selbstständig zu machen, teils mit Unterstützung der Arbeits­agentur. Als Gedächtnistrainer zum Beispiel. Demenz ist doch überall ein Thema, dachte ich. Aber ich konnte es nicht so zum Laufen bringen, dass ich davon hätte leben können.

Ich war auch selbstständiger Berater für betriebliche Altersvorsorge. Um an Aufträge zu kommen, rief ich Firmen an, Kalt­akquise nennt man das. Ein hartes Brot. Da muss man einen sehr langen Atem haben und auch die nötigen Finanzen, um diese Zeit zu überbrücken. Bei einer der großen Versicherungen anfangen wollte ich nicht, denn die wollten Verkäufer, ich verstand mich aber als Berater.

Ja, und dann warb die Stadt Frankfurt groß mit Plakaten für die Erzieherausbildung. Noch mal einen richtigen Abschluss ­machen, das wär was, dachte ich. Sie nahmen mich. Und weil ich schon studiert hatte, konnte ich die Ausbildungszeit abkürzen. Jetzt bin ich vielleicht doch bald mal angekommen. Das ­wünsche ich mir. Denn sich dauernd fragen zu müssen, kann ich hier bleiben, wie lange geht das noch gut, immer wieder was komplett Neues anzufangen – das kostet unheimlich viel Energie, das ist ein sehr unruhiges Leben, da bleibt vieles auf der Strecke. Das wollte ich nicht auf Dauer. Natürlich, viel ansparen kann ich als Erzieher nicht, aber ich bin es gewohnt, bescheiden zu leben, ich wohne in einer Einzimmerwohnung und habe kein Auto.

Ich bin gespannt, was ich noch alles lerne. Leichter als er­wartet fällt mir, mir all die Namen zu merken. Schwierig finde ich gerade, wenn Kinder mir von Konflikten mit anderen Kindern berichten. „Der hat mich gehauen! Der hat mir meine Schaufel weggenommen!“ Ich war ja nicht dabei. Wie verhalte ich mich denn jetzt? Da bin ich gleichzeitig „Detektiv“, Schiedsrichter, Tröster.

Dafür habe ich meinen Aktivismus abgelegt. Ich kann jetzt besser abwarten und einfach beobachten. Ich stelle nicht mehr zwei Fragen hintereinander, also zum Beispiel „Was hat dir denn gut gefallen auf dem Spaziergang?“ und gleich darauf „Was möchtest du nach der Mittagspause machen?“. Denn das Kind muss erst überlegen, ratter, ratter, ratter, und nach zehn Sekunden vielleicht kann es sagen, was schön war auf dem Spaziergang.

Protokoll: Christine Holch

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