Mikrofon auf Bühne vor Publikum
Mikrofon auf Bühne vor Publikum
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Ein Pfarrer aus Köln und und ein erfahrener Slammer aus Marburg bringen ihr Publikum dazu, nach nur zweieinhalb Stunden eigene Texte vorzutragen. Und manche sind richtig gut. Fünf Übungen, die auch in einer Gemeinde ganz viel Phantasie triggern können.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
06.06.2015

Man nehme: Eine gut besuchte Steigkirche (in Stuttgart-Bad Cannstatt), die Predigtslammer Holger Pyka aus Köln und Bo Wimmer aus Marburg, Stifte und Papier. Und los geht’s.

Wozu Predigtslam?

Slam ist ein Format, ein abendfüllendes Programm, in dem Poetisches vorgetragen wird. Slam ist nicht die Form des Gedichts, das stellt Holger Pyka gleich am Anfang richtig. Die Form ist offen: Balladen, Parabeln, Briefe, Witze, Gebrauchsanweisungen. Auch die Palette der Stilmittel ist groß: Übertreibung, Endreim, Kontrast, Ironie, Wiederholung, Metaphern, rhetorische Fragen, Pausen – was einem so einfällt.

Slammer würden eine größere Vielfalt an Formen und Stilmitteln in die Predigt bringen, sagt Pyka. Es gehe um die Spielfreude auf der Kanzel.

Keine Verkleidung!

Schon die Selbstvorstellung sollte stimmen. Der klassische Prediger distanziere sich von vornherein vom Publikum: durch Talar, Altar und Kanzelsegen: „Der Friede Gottes ... sei mit euch allen“, sagt Pyka. Beim Poetryslam ist jede Distanzierung verboten: Keine Verkleidung, keine Barriere, statt eines formelhaften Einstiegs eine captatio benevolentiae, auf Deutsch: Gute Stimmung bei der Selbstvorstellung erzeugen. Und zwar mit einer persönlichen Anrede, nichts Formalem.

„Ist die Slampredigt eine Predigt?“, fragt Pyka. Antwort: Nein, denn sie wird bewertet. Es gehe beim Poetryslam darum, einen Wettbewerb zu gewinnen. Zweite Antwort: Ja, denn auch die Sonntagspredigt wird bewertet, spätestens dadurch, dass sich Menschen entscheiden, nicht zum Gottesdienst zu kommen. Wenn die meisten Plätze in der Kirche leer blieben, so Pyka, sei das auch ein Votum.

Dann beginnt Bo Wimmer mit den Übungen.

1. Übung: Durch den Raum laufen und ununterbrochen reden.

Geschätzt 150 Workshopper laufen durch die Reihen und brabbeln vor sich hin. Irgendetwas, es hört ja doch keiner zu. Geschlagene fünf Minuten lässt Wimmer die Leute laufen und reden. Und tatsächlich: Bis zum Schluss scheint den meisten genug einzufallen, um weiterzuplappern.

2. Übung: freies, schriftliches Assoziieren

Die Workshopper nehmen Stift und Papier und schreiben. Was einem gerade in den Sinn kommt. – Wie lange? „Bis der Finger wehtut“, sagt Bo Wimmer. Ein Slammer habe mal tagelang durchgeschrieben. Dabei seien richtig gute Texte entstanden.

3. Übung: Einen Gegenstand mit dem Nachbarn tauschen.

Die Anweisung lautet: Tut euch paarweise zusammen und gebt dem Nachbarn irgendwas: einen Hut, einen Stift, Lutschbonbons, was immer ihr gerade in der Tasche habt. – Warum, das verrät Bo Wimmer noch nicht. Dann die Aufgabe: Jetzt schaut sich jeder seinen Gegenstand an, und schreibt einen „Liebe ist wie...“-Text darüber: „Liebe ist wie ein Bleistift ...“ – oder was auch immer man in der Hand hält.

Die Ergebnisse werden vorgetragen: „Liebe ist wie ein Messer. Manchmal trifft es ins Herz, aber dann oft den Falschen.“ – „Liebe ist wie ein blauer Jeton von der Männerarbeit. Blau wie der Himmel, und in der Mitte ist ein Loch für den Schmerz“. – „Liebe ist wie ein zerfleddertes Kirchentagsprogramm. Angerissen, abgegrabbelt, längst zerschlissen, angesabbert. Egal was es durchgemacht hat: Ohne es, weiß ich nicht, wohin.“

4. Übung: Jeder schreibt ein Elfchen

Bo Wimmer zeichnet elf Striche aufs Flipchart, jeder Strich steht für ein Wort: auf die erste Zeile kommt ein Wort, auf die zweite Zeile zwei, auf die dritte Zeile drei, auf die vierte vier und auf die fünfte Zeile wieder eins.

Schon nach fünf Minuten sind viele Elfchen entstanden:

Husten.
Sonst Stille.
Alle schreiben Elfchen.
Plötzlich fällt ein Stift.
Klack.

Katharina.
Sie lacht.
„Ich bin fertig.“
Ich aber noch nicht.
Oje.

Eine Frau tritt nach vorne und rezitiert:

Mann
Im Rücken.
Kann nicht lassen
Mich blöd zu kommentieren.
Ehe.

Die Leute im Saal lachen laut und applaudieren. Dann läuft der Mann nach vorne. Er will auch vorlesen:

Frau
Vor mir.
Ätzend hoch drei
Will sie mich belehren
Vergebens.

5. Übung: Einen Text für ein Poetryslam schreiben.

Es sollen sich Siebenergruppen bilden. Dann sammeln alle Workshopteilnehmer gemeinsam Wörter, die sie mit dem Kirchentag assoziieren: „Mammon, Papphocker, Deo, Schal, Wasser, Sonntagspredigt, Schweiß, ...“ In jeder Siebenergruppe schreibt einer mit.

Dann werden literarische Formen zusammengetragen: „Gesetzestext, SMS, Gosse, Epos, Moritat, Roman ...“ Und schließlich Stilmittel. „Übertreibung, Endreim, Kontrast, Ironie ...“

In jeder Gruppe sucht eine Glücksfee per Zufallsverfahren (Finger über die Wörtersammlung gleiten lassen, einer sagt „Stopp“) für jeden aus der Gruppe ein Wort, eine Form und ein Stilmittel aus. Dann soll jeder seinen Text verfassen – in einer halben Stunde.

Weitere Infos

kirchengeschichten.blogspot.de

Literatur: „Predigtslam“, Jonas Verlag 2015, 20 Euro.

Die Ergebnisse sind von unterschiedlicher Qualität, manche sind aber richtig gut. Ein Gedicht mit Endreim über das Stichwort „Deo“ erzählt von Schweiß und Gestank in der heißen und überfüllten U-Bahn und der hilfreichen Kraft des Deodorant auf dem Kirchentag. Es endet mit der Zeile: „Drum sag ich heute doppelt ja / zu Deo soli gloria.“ Gelächter.

Dann werden sieben kurze Predigten geslammt. Und eine Jury aus dem Publikum soll sie bewerten. Eine großartige Show, über die man aber nicht schreiben sollte. So etwas muss man erleben!

Permalink

"Eine großartige Show, über die man aber nicht schreiben sollte"...
Ich hab's trotzdem getan:

http://mightymightykingbear.blogspot.de/2015/06/slam-slammer-am-schlimmsten.html

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